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Italiens Deal mit Albanien: Kein Modell für Deutschland
Italien hat in Albanien zwei Haftzentren eröffnen. In Kürze sollen dort bis zu 3.000 Asylsuchende gleichzeitig zur Durchführung von Asylverfahren festgehalten werden. Pauschale Inhaftierungen und mangelnder Rechtsschutz sind schon jetzt absehbar. PRO ASYL kritisiert den Deal und lehnt die Auslagerung von Flüchtlingsschutz grundsätzlich ab.
UPDATE: Ein erstes italienisches Marineschiff mit 16 Asylsuchenden ist am 16.10. in Albanien angelandet. Nur einen Tag später musste Italien vier der Asylsuchenden nach Italien einreisen lassen, da sie entweder minderjährig sind oder gesundheitliche Probleme haben. Nach einem Gerichtsurteil aus Rom mussten am 19.10. auch die verbleibenden 12 Asylsuchenden nach Italien gebracht werden.
Italien plant, extraterritoriale Asylverfahren in dem Nicht-EU-Staat Albanien durchzuführen. Hierfür wurden am 11. Oktober 2024 zwei Haftzentren eröffnet. Konkret bedeutet das: Tausende Menschen, die in Europa Schutz suchen und von der italienischen Marine oder Küstenwache in internationalen Gewässern aufgegriffen werden, sollen in den nächsten fünf Jahren nach Albanien gebracht werden, um ihre Asylverfahren dort in Haftzentren zu durchlaufen. Eine entsprechende Vereinbarung haben die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama im November 2023 unterzeichnet.
Mit diesem Konstrukt möchte die italienische Regierung europäisches Recht umgehen – denn die EU-Asylverfahrensrichtline gilt erst bei Anträgen an der Grenze, in Transitzonen oder in Hoheitsgewässern – nicht aber in internationalen Gewässern. Damit verstößt Italien gegen europäisches Recht, das keine extraterritorialen Asylverfahren vorsieht. Die postfaschistische Regierung verspricht sich von dem Projekt einen Abschreckungseffekt, der jedoch bei bisherigen Externalisierungsmodellen nicht nachgewiesen werden konnte.
Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern
Wie viele weitere Menschenrechtsorganisationen lehnt PRO ASYL die Auslagerung von Asylverfahren grundsätzlich ab. Denn solche Konzepte zur Externalisierung des Flüchtlingsschutzes an Transit- oder Drittstaaten sind häufig rechtswidrig, funktionieren praktisch nicht und führen schon jetzt zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen, wie beispielsweise der EU-Türkei-Deal gezeigt hat. Zudem sind solche Modelle keine Lösung für die aktuellen Herausforderungen, sondern schaffen neue Probleme wie massive politische, finanzielle und administrative Kosten.
Es ist absehbar, dass auch das Italien-Albanien-Modell zu Menschenrechtsverletzungen wie pauschalen Inhaftierungen und mangelnder Rechtssicherheit führen wird.
Es ist absehbar, dass auch das Italien-Albanien-Modell zu Menschenrechtsverletzungen wie pauschalen Inhaftierungen und mangelnder Rechtssicherheit führen wird. Das Recht auf ein faires Asylverfahren kann unter diesen Bedingungen nicht gewahrt werden, weshalb die Bundesregierung Rufen nach ähnlichen Modellen für Deutschland eine klare Absage erteilen sollte.
Italien-Albanien-Modell: Inhaftierung und beschleunigte Asylverfahren
Geplant ist, dass Asylsuchende aus 22 Ländern, die Italien zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt hat – darunter Bangladesch, Gambia, Kamerun, Georgien und die Maghreb-Staaten – nach Albanien gebracht werden. Dort sollen sie in albanischen Haftzentren, die von italienischen Behörden betrieben werden, beschleunigte Grenzverfahren nach italienischem Recht durchlaufen. Bis zu 3.000 Personen sollen gleichzeitig für eine Dauer von maximal 28 Tagen inhaftiert werden können. Zukünftig könnten also bis zu 36.000 Asylanträge pro Jahr durch Italien in Albanien bearbeitet werden.
Wer im Asylverfahren anerkannt wird, soll nach Italien einreisen dürfen. Bei einem negativen Asylbescheid ist Italien dafür zuständig, dass die Menschen aus Albanien in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Warum dies aus Albanien plötzlich besser funktionieren sollte, als derzeit aus Italien, bleibt jedoch unklar. Es ist deshalb mit einer längeren Haftdauer zu rechnen, insbesondere für abgelehnte Asylsuchende, deren Herkunftsländer sich weigern, diese zurückzunehmen.
Haft nur als letztes Mittel – Rechtskämpfe zu erwarten
Menschen für die Dauer von Grenzverfahren de facto zu inhaftieren, allein, weil sie einen Asylantrag gestellt haben, über das Mittelmeer geflohen sind und vermeintlich oder tatsächlich einer bestimmten Staatsangehörigkeit angehören, würde eine pauschale Inhaftierung darstellen, die dem in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieften Recht auf Freiheit widerspricht.
Eigentlich braucht es für die Inhaftnahme jeder einzelnen, nach Albanien überstellten Person einen richterlichen Bescheid. Denn wenn weder eine ordentliche Einzelfall- noch Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet, werden rechtsstaatliche Grundsätze verletzt. Es ist höchst fraglich, inwieweit bei dem Italien-Albanien-Deal eine sorgfältige individuelle Begründung von Haft in der Praxis möglich sein wird, fußt das Modell doch auf der Annahme der pauschalen Inhaftierung von Asylsuchenden, ohne die es nicht funktionieren würde. Anwält*innen in Italien bereiten sich deshalb bereits darauf vor, mit rechtlichen Mitteln gegen die zu erwartende Inhaftierung von Schutzsuchenden vorzugehen.
Einige Erfahrungen wurden bereits bei den Grenzverfahren in dem Hotspot Porto Empedocle in Sizilien gesammelt, die als Testlauf für das Albanien-Modell gelten. Asylsuchende aus »sicheren Herkunftsstaaten« sollen in der dortigen Abschiebehaftanstalt beschleunigte Verfahren durchlaufen, doch Gerichte erklärten in den letzten Monaten 64 von 74 der vom Polizeipräsidium ausgestellten Anordnungen zur Inhaftnahme für unrechtmäßig.
Auch in italienischen Haftanstalten wie den sogenannten »Centri di Permanenza per il Rimpatrio« (CPR), in denen die Lebensbedingungen internationalen Standards widersprechen, werden bereits heute Migrant*innen rechtswidrig ihrer Freiheit beraubt.
Ankunft in der Hafenstadt Shëngjin: Verzögerung von Rettungsaktionen
Die Umsetzung der Pläne des Italien-Albanien-Deals musste bereits mehrfach verschoben werden, zuletzt auf frühestens November 2024. Geplant sind Hafteinrichtungen in der albanischen Hafenstadt Shëngjin und in dem nordalbanischen Ort Gjadër. Das Erstaufnahmelager in Shëngjin ist inzwischen fertig: Das 4.000 Quadratmeter große Gelände ist von vier Meter hohen Mauern umgeben. Dort sollen Menschen identifiziert und registriert werden und eine erste Gesundheitsuntersuchung erhalten.
Der Hafen ist fast 1.000 Kilometer vom zentralen Mittelmeer entfernt, eine Strecke, die eine Fahrtzeit von zwei bis drei Tagen bedeuten könnte. Es ist unverantwortlich, dass das Italien-Albanien-Modell vorsieht, die Anlandung von Überlebenden, die nach Tagen auf See oftmals in einem sehr schlechten gesundheitlichen und psychischen Zustand sind, zu verzögern. Damit wird eine weitere Gefährdung für die Menschen willentlich in Kauf genommen. Nach internationalem Seerecht ist für gerettete Personen eigentlich der nächste sichere Hafen zuständig.
Zudem könnte das Abkommen negative Auswirkungen auf das gesamte Such- und Rettungssystem haben, wenn etwa die italienische Koordinierungsstelle für Seenotrettung unter Druck gesetzt würde, sicherzustellen, dass bestimmte Personengruppen von staatlichen Schiffen gerettet oder abgefangen werden, um sie nach Albanien zu überstellen.
Schnellverfahren in Haft auf ehemaligem Militärgelände in Gjadër
Der zweite Standort ist ein Container-Lager auf einem ehemaligen Militärgelände in dem zwanzig Kilometer landeinwärts gelegenen nordalbanischen Gjadër. Hier soll es drei Einrichtungen geben: Ein geschlossenes Zentrum für Menschen im beschleunigten Grenzverfahren (880 Plätze), eine Abschiebehaftanstalt (144 Plätze) und eine Strafvollzugsanstalt (20 Plätze).
Damit Asylsuchende dort Schnellverfahren durchlaufen können, gilt für das Areal eine Regelung, die es Grenzgebieten oder Transitzonen an Flughäfen gleichstellt. Die Asylverfahren finden also unter der Fiktion der Nicht-Einreise statt – ein rechtliches Konstrukt, das bedeutet, dass die Menschen nicht als in Albanien eingereist gelten, was die Inhaftnahme erleichtert.
Für die Umsetzung des Deals hat die italienische Regierung für die kommenden fünf Jahre rund 800 Millionen Euro eingeplant – für den Bau der Lager, das albanische Personal zur Überwachung der Lager und die medizinische Versorgung der Schutzsuchenden vor Ort. Die Gesamtausgaben könnten jedoch Prognosen zufolge 1 Milliarde Euro übersteigen.
Kein wirksamer Rechtsschutz unter de facto Haftbedingungen
Das Recht auf ein faires Asylverfahren kann unter de facto Haft-Bedingungen nicht gewahrt werden. Denn es ist absehbar, dass der Zugang zu wirksamen Rechtsschutz bei dem Italien-Albanien-Modell stark eingeschränkt wird: Bereits aufgrund der räumlichen Entfernung wird die Mandatierung und Kommunikation mit Rechtsanwält*innen logistisch erheblich erschwert.
Das Recht auf ein faires Asylverfahren kann unter de facto Haft-Bedingungen nicht gewahrt werden.
Während Asylsuchende eingesperrt und von der Außenwelt isoliert werden, dürfte es nur den wenigsten Anwält*innen möglich sein, regelmäßig persönlich anzureisen. Doch persönliche Treffen sind unabdingbar: Beratungen und Anhörungen per Videoschalte bringen viele Einschränkungen mit sich, die eine vertrauliche Kommunikation erschweren.
Inwieweit Nichtregierungsorganisationen Zugang zu den Zentren erhalten werden, wird sich erst zeigen müssen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der dem Abkommen sehr kritisch gegenübersteht, wird die Umsetzung in den ersten drei Monate des Deals überwachen.
Feststellung von besonderer Schutzbedürftigkeit auf offener See?!
Italienische Behörden haben erklärt, dass besonders vulnerable und schutzbedürftige Personen wie etwa schwangere Frauen, Kinder oder andere gefährdete Personen, nicht in das südosteuropäische Land geschickt werden (allerdings sind abweichend davon sind in der Ausschreibung der Präfektur Rom für die Verwaltung der Zentren vulnerable Personengruppen enthalten).
Doch es ist nicht vorstellbar, wie zum Beispiel Menschen mit Behinderung, Überlebende von Folter, Opfer von Menschenhandel oder unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach ihrer Seenotrettung noch an Bord der Schiffe zuverlässig identifiziert werden können. Auch Altersfeststellungen oder die Feststellung der Staatsangehörigkeiten dürften schwierig werden, da viele Geflüchtete keine Papiere bei sich haben. Zudem besteht, wenn bestimmte Personen für Schnellverfahren ausgewählt werden, die Gefahr der unrechtmäßigen Familientrennung.
Bei dem aktuellen Überbietungswettbewerb menschenfeindlicher Ideen zur deutschen Migrationspolitik dominiert seit Monaten die Forderung nach einer Abwehr von Schutzsuchenden. Neben rechtswidrigen und menschenverachtenden Forderungen wie Zurückweisungen von Asylsuchenden direkt an den Grenzen und der Streichung von Sozialleistungen für bestimmte Personengruppen wird auch die Auslagerung von Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten von einigen Politiker*innen immer wieder als Instrument präsentiert, um Geflüchtete davon abzuhalten, Schutz in der EU zu suchen.
Im Juni 2024 haben die Länder vom Bund gefordert, bis zur Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren außerhalb von Deutschland, in Transit- und Drittstaaten, zu entwickeln. Dafür sollten auch mögliche Änderungen in EU-Regulierungen und im nationalen Asylrecht angegangen werden.
Dabei hatte das Prüfverfahren der Bundesregierung etwas ganz anderes ergeben: In den Sachverständigenanhörungen des Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) machte eine Mehrheit der Expert*innen deutlich, dass eine Auslagerung des Flüchtlingsschutzes weder zielführend noch realistisch umsetzbar ist, sowohl aus rechtlichen als auch aus praktischen Gründen. Auch PRO ASYL hatte sich in einer Stellungnahme klar gegen die Auslagerung von Asylverfahren ausgesprochen und gemeinsam mit über 300 Organisationen gefordert, Menschen zu schützen, statt Asylverfahren auszulagern.
Das hielt Joachim Stamp (FDP), Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen, jedoch nicht davon ab, Anfang September vorzuschlagen, man könne die Verfahren von Menschen, die über Russland und Belarus kämen, nach Ruanda auslagern – dabei könnten die ursprünglich für Großbritannien vorbereiteten Kapazitäten genutzt werden.
Mit der Abwahl der Tories in Großbritannien und der neuen Regierungsbildung durch die Labour Partei im Juli 2024 war der heftig kritisierte UK-Ruanda-Deal zwar schließlich verworfen worden. Doch im September zeigte sich die neue britische Regierung »interessiert« an Italiens Ansatz, einen Teil der Asylverfahren nach Albanien zu verlagern. Der albanische Premierminister Edi Rama erklärte daraufhin, der Deal mit Italien sei eine einmalige Angelegenheit.
Italien-Albanien-Deal: Kein Modell für Deutschland
Für Deutschland würde der Versuch einer Nachahmung des italienisch-albanischen Modells bedeuten, dass Deutschland Schutzsuchende ebenfalls vor Ankunft in der Europäischen Union aufgreifen müsste, um auszuschließen, dass europäisches Recht anwendbar wird. Denn das EU-Asylrecht sieht keine Durchführung von deutschen beziehungsweise europäischen Asylverfahren außerhalb der EU vor.
Angesichts bestehender Fluchtrouten wäre dies nur möglich, wenn Deutschland in den internationalen Gewässern des Mittelmeeres patrouillieren würde. Damit würde Deutschland die Asylverfahren von Menschen durchführen, die womöglich nie einen Asylantrag in Deutschland gestellt hätten – was dem selbstgesteckten Ziel von weniger Flüchtlingen in Deutschland widerspricht.
Zudem würden sich zahlreiche weitere rechtliche und praktische Fragen stellen, die absehbar nicht ohne Menschenrechtsverletzungen wie unfaire Verfahren und unrechtmäßige Inhaftierungen zu beantworten sind. Nicht zuletzt wäre auch der Kosten- und Verwaltungsaufwand enorm.
Milliardenschwerer Deal: Blaupause für die Europäische Union?
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bewirbt das Italien-Albanien-Modell noch vor seiner Umsetzung als Blaupause für andere EU-Staaten. Im Mai 2024 veröffentlichten 15 EU-Mitgliedstaaten einen Aufruf an die Europäische Kommission, in dem sie eine weitere Auslagerung der Migrations- und Asylpolitik fordern, ähnlich zu dem italienischen Modell. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte noch im Mai 2024 ihr Interesse am Italien-Albanien-Modell.
Mit dem Albanien-Modell umgeht die italienische Regierung bewusst EU-Recht und unterläuft die jüngst beschlossene GEAS-Reform.
Mit dem Albanien-Modell umgeht die italienische Regierung bewusst EU-Recht und unterläuft die jüngst beschlossene GEAS-Reform. Die Kommission hat sich bisher nicht gegen den Deal positioniert und nur verlauten lassen, dieser liege »außerhalb« des EU-Rechts. Währenddessen lobte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Italien für sein »out-of-the-box«-Denken.
Parallel zu den Vorbereitungen zur Umsetzung des Italien-Albanien-Modells hat Italien die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen ausgebaut und ein schmutziges Abkommen mit Tunesien geschlossen, wo von der EU finanzierte Sicherheitskräfte Schutzsuchende mittlerweile systematisch in der Wüste aussetzen. Der gemeinsame Nenner all dieser Deals: Flüchtlingsabwehr.
(hk)