02.06.2017
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Schlamperei beim BAMF: Die interne Revision hat etliche Mängel beim Bundesamt offengelegt. Eine Überraschung ist das nicht. Foto: (c) dpa

Der nun öffentlich gewordene Ad-hoc-Prüfungsbericht des Bundesamtes infolge des Falles Franco A. bestätigt, was PRO ASYL und andere Organisationen in der Flüchtlingsarbeit schon lange kritisieren.

Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) hat auf Wei­sung des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums 2.000 posi­tiv beschie­de­ne Fäl­le syri­scher und afgha­ni­scher Flücht­lin­ge unter­sucht. Die inter­ne Revi­si­on hat Män­gel offen­ge­legt, auf die in der Flücht­lings­ar­beit täti­gen Orga­ni­sa­tio­nen schon lan­ge hin­ge­wie­sen haben: Man­gel­haf­te Sach­ver­halts­auf­klä­rung, unvoll­stän­di­ge Doku­men­ta­ti­on der Anhö­run­gen und Beschei­de allein auf Textbausteinbasis.

Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass die beim BAMF exis­tie­ren­den Qua­li­täts­män­gel tau­send­fach zur Ableh­nung geführt haben.

Wenn schon bei aner­ken­nen­den Ent­schei­dun­gen nur unzu­rei­chend die Flucht­grün­de ermit­telt wur­den, dann betrifft dies erst recht die abge­lehn­ten. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass die beim BAMF exis­tie­ren­den Qua­li­täts­män­gel tau­send­fach zur Ableh­nung geführt haben. Bei Asy­l­ent­schei­dun­gen geht es um Schutz oder ein Leben in Unsi­cher­heit. Vor allem die Behör­den­feh­ler bei den zu Unrecht Abge­lehn­ten müs­sen kor­ri­giert werden.

Fehlerhafte Arbeitsweise – fehlerhafte Ablehnungen

Im Jah­re 2017 wur­den bis­lang 106.000 Asyl­an­trä­ge abge­lehnt, im Jahr 2016 rund 174.000. Afghan*innen waren von Ableh­nun­gen beson­ders betrof­fen: 2016 gab es rund 25.000 Ableh­nun­gen, 2017 wur­den bis April rund 32.000 Afghan*innen abge­lehnt. Die feh­ler­haf­te Arbeits­wei­se dürf­te sich aber auch bei ande­ren Her­kunfts­län­dern aus­ge­wirkt haben. Eine Über­prü­fung und Neu­be­ar­bei­tung aller nega­ti­ven Beschei­de aus den Jah­ren 2016 und 2017 ist drin­gend geboten.

Mängel schon lange bekannt

Die jetzt ver­öf­fent­lich­te Män­gel­lis­te beim BAMF offen­bart nichts Neu­es. Das »Memo­ran­dum für fai­re und sorg­fäl­ti­ge Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land« von PRO ASYL, Wohl­fahrts­ver­bän­den, Anwalts- und Rich­ter­ver­ei­ni­gun­gen sowie Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen hat im Novem­ber 2016 die gra­vie­ren­den Män­gel beim BAMF offen­ge­legt. Die Orga­ni­sa­tio­nen bekla­gen seit Jah­ren, dass die Asyl­ver­fah­ren den Qua­li­täts­stan­dards nicht ent­spre­chen. Obwohl der Bericht der Innen­re­vi­si­on von dem Bemü­hen geprägt ist, auf­ge­deck­te Män­gel klein­zu­re­den zu rela­ti­vie­ren, wer­den struk­tu­rel­le Män­gel deutlich.

Laut Unter­su­chung fehl­te eine aus­rei­chen­de Sach­ver­halts­auf­klä­rung in 41 Pro­zent der unter­such­ten Afgha­ni­stan-Fäl­le. Genau das ist einer der zen­tra­len Kri­tik­punk­te von PRO ASYL seit Jahren.

Keine Qualitätskontrolle

Die Auf­klä­rung der Flucht­grün­de ist unzu­rei­chend. Laut Unter­su­chung fehl­te eine aus­rei­chen­de Sach­ver­halts­auf­klä­rung in 41 Pro­zent der unter­such­ten Afgha­ni­stan-Fäl­le. Genau das ist einer der zen­tra­len Kri­tik­punk­te von PRO ASYL seit Jah­ren. Auch eine Prü­fung der Ein­hal­tung von Qua­li­täts­stan­dards von Anhö­run­gen und Ent­schei­dun­gen, die so etwas ver­hin­dern müss­te, fin­det im Bun­des­amt in der lau­fen­den Arbeit nicht statt.

Mangelhafte Aufklärung

Die Innen­re­vi­si­on behaup­tet, in 13 Pro­zent aller Afgha­ni­stan-Fäl­le sei auf­fäl­lig gewe­sen, dass der Vor­trag unglaub­haft gewe­sen sei. Das dürf­te sich im Rah­men einer sum­ma­ri­schen Schnell­prü­fung gar nicht ohne wei­te­res ermit­teln las­sen. Die Unglaub­haf­tig­keit ist eine höchst sub­jek­ti­ve Kate­go­rie, bei der die Papier­form allein nicht ausreicht.

Erfah­rungs­ge­mäß glaubt das Bun­des­amt auch im Fal­le ableh­nen­der Asy­l­ent­schei­dun­gen in vie­len Fäl­len Afgha­ni­st­an­flücht­lin­gen kaum etwas, stellt aber auch kei­ne ver­nünf­ti­gen Fra­gen zur Auf­klä­rung des Sach­ver­hal­tes – oft­mals weil Anhörer*innen hier­für gar nicht die not­wen­di­ge Län­der­kennt­nis haben.

Mängel legen Entscheidungspraxis für Afghan*innen offen

Dass im Rah­men der Ad-hoc-Prü­fung bei Afgha­ni­stan die bei­den Haupt­ka­te­go­rien »Vor­trag unglaub­haft« und »Inter­ner Schutz nicht hin­rei­chend geklärt« sind, zeigt, dass die soge­nann­te Plau­si­bi­li­täts­über­prü­fung dem Haupt­in­ter­es­se des Bun­des­am­tes folgt, näm­lich der poli­ti­schen Ein­schät­zung des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters zuzu­ar­bei­ten, der ja bis ges­tern an siche­re Regio­nen in Afgha­ni­stan glaubte.

Tat­säch­lich wer­den beim Bun­des­amt ent­ge­gen aller Behaup­tun­gen im Prü­fungs­be­richt unqua­li­fi­zier­te und unter­be­zahl­te Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher eingesetzt.

Herkunftsländerleitsätze nicht berücksichtigt

Ob sich die Ent­schei­der des Bun­des­am­tes an die Rah­men­vor­ga­ben der Chef­eta­ge in den Her­kunfts­län­der­leit­sät­zen hal­ten, hat die Innen­re­vi­si­on eben­falls geprüft. Bezüg­lich Afgha­ni­stans war dies nur in 68 Pro­zent der Ent­schei­dun­gen der Fall. Selbst wenn man berück­sich­tigt, wie freund­lich oder zurück­hal­tend das Bun­des­amt mit der eige­nen Arbeit umgeht, wird also in einem Drit­tel der Fäl­le die Vor­ga­be des Hau­ses nicht eingehalten.

Dolmetscherproblem nicht ausreichend untersucht

Der The­men­be­reich Dol­met­scher wur­de von der Innen­re­vi­si­on nur unzu­rei­chend erfasst. Tat­säch­lich wer­den beim Bun­des­amt ent­ge­gen aller Behaup­tun­gen im Prü­fungs­be­richt unqua­li­fi­zier­te und unter­be­zahl­te Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ein­ge­setzt, zum Teil auch für Spra­chen, die sie nicht wirk­lich beherr­schen, aber auch mit unzu­rei­chen­der Kennt­nis des Deut­schen, in das sie wort­ge­nau zu über­tra­gen haben.

Die Prüfer*innen der Innen­re­vi­si­on inter­es­sier­ten sich offen­sicht­lich nur für die Fäl­le, in denen Antrag­stel­ler aus Afgha­ni­stan oder Syri­en einen Wech­sel der Spra­che wäh­rend der Anhö­rung woll­ten oder ein*e Dolmetscher*in wegen Ver­stän­di­gungs­schwie­rig­kei­ten gewech­selt wur­de. Das Pro­blem der Über­set­zungs­qua­li­tät bleibt über die­sen Blick­win­kel hin­aus eine schwe­re Hypo­thek des Bundesamtes.

Unzureichende Dokumentation

Alle ent­schei­dungs­re­le­van­ten Erkennt­nis­se aus der Anhö­rung sind in der Begrün­dung der Asyl­be­schei­de ein­zel­fall­be­zo­gen zu wür­di­gen – so refe­riert es die Innen­re­vi­si­on rich­tig. Und ent­schul­digt das Bun­des­amt gleich selbst: Da davon aus­zu­ge­hen sei, »dass die Doku­men­ta­ti­on aus Beschleu­ni­gungs­grün­den bei posi­ti­ven Ergeb­nis­sen kurz gehal­ten wur­de, ist das Ergeb­nis der Prü­fung unter die­sem Aspekt zu betrach­ten.« Dies ist kei­ne wirk­li­che Ent­schul­di­gung, denn im Fal­le eines Wider­rufs­ver­fah­rens zum Bei­spiel kommt es auf die Begrün­dung der Ent­schei­dung durch­aus an.

1 %

der Fäl­le wird beim BAMF nur qualitätsüberprüft.

Kaum Qualitätsuntersuchungen beim BAMF

Die Durch­füh­rung der Qua­li­täts­si­che­rung wird im Vier-Augen-Prin­zip durch­ge­führt, behaup­tet die Innen­re­vi­si­on. Auf einer Kurz­über­sicht unter­zeich­nen die soge­nann­ten »Qua­li­täts­för­de­rer«. Es bleibt aller­dings ihnen selbst voll­kom­men über­las­sen, ob und was sie sich kri­tisch anschau­en. Eine Bun­des­tags­an­fra­ge hat schon im August 2016 das Ergeb­nis erbracht, dass ledig­lich ein Pro­zent der Ent­schei­dun­gen wirk­lich qua­li­täts­über­prüft wird.

Auch Ableh­nun­gen gehö­ren drin­gend geprüft! An ihnen hän­gen mensch­li­che Schick­sa­le von Schutz­be­dürf­ti­gen, denen der Schutz auf­grund von Ver­fah­rens­feh­lern ver­sagt wurde.

Selbst leicht erkennbare Fehler nicht korrigiert

Die Innen­re­vi­si­on behaup­tet, beim Her­kunfts­land Afgha­ni­stan habe es in 80 Pro­zent der unter­such­ten aner­ken­nen­den Fäl­le eine Qua­li­täts­si­che­rung gege­ben. Das kann nur eine Pflicht­übung gewe­sen sein, die blo­ße Ein­ho­lung einer Zweit­un­ter­schrift. Es fin­det sich nicht die Spur einer Doku­men­ta­ti­on der kon­trol­lier­ten Inhal­te, so der Bericht selbst.

PRO ASYL hat dem Bun­des­amt immer wie­der feh­ler­haf­te Ent­schei­dun­gen zuge­lei­tet, bei denen es ver­wun­der­lich war, dass offen­bar die Qua­li­täts­über­prü­fung im Bun­des­amt selbst leicht erkenn­ba­re Feh­ler nicht fest­ge­stellt oder beho­ben hatte.

Falsche Konsequenzen aus der Revision

Das Bun­des­amt stellt aus­drück­lich fest, dass »die ver­kürz­te Schu­lung des Per­so­nal und der hohe Erle­di­gungs­druck« als Ursa­che für die Pro­ble­me iden­ti­fi­ziert wer­den. Die Lösungs­vor­schlä­ge fal­len aber dürf­tig aus: geziel­te Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men zu Anhö­rung, Beschei­der­stel­lung und zur Doku­men­ta­ti­on sowie ver­bind­li­che­re Dienst­an­wei­sun­gen. Das sind Emp­feh­lun­gen, die PRO ASYL und vie­le Ver­bän­de schon lan­ge vorbringen.

Wenn das Bun­des­amt nun aber nur die posi­ti­ven Beschei­de prüft, igno­riert es, dass hand­werk­li­che Feh­ler höchst­wahr­schein­lich in ähn­li­cher Zahl auch bei Ableh­nun­gen auf­tre­ten. Auch die­se gehö­ren nun drin­gend geprüft, denn an Ableh­nun­gen hän­gen mensch­li­che Schick­sa­le von Schutz­be­dürf­ti­gen, denen der Schutz auf­grund von Ver­fah­rens­feh­lern ver­sagt wurde.