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Innenministerkonferenz: Menschenrechtliche Standards respektieren!
Einen Tag vor Beginn der Innenministerkonferenz, findet der 30. Sammelabschiebeflug nach Kabul statt. Vor 3 Jahren, im Dezember 2016, hatte Deutschland mit der unsäglichen Praxis begonnen. Seither hat sich die katastrophale Lage in Afghanistan noch weiter verschlechtert. PRO ASYL fordert die Innenminister auf, Abschiebungen dorthin zu stoppen.
In einem ausführlichen Positionspapier an die Innenminister der Länder hat PRO ASYL, dringende flüchtlingspolitische Anliegen zum Ausdruck gebracht – zur Situation in Afghanistan, Syrien und der Türkei. In Deutschland müssen die Länder nun handeln: Mit Landesaufnahmeprogrammen und Resettlement. Darüber hinaus muss – vom Staat unabhängige – Asylverfahrensberatung gewährleistet werden.
Afghanistan: Keine Abschiebungen in das »unsicherste Land der Welt«!
Seit 2016 hat sich die sowieso schon katastrophale Lage in Afghanistan immer weiter verschlechtert. Die Taliban haben aktuell mehr Territorien unter ihrer Kontrolle als zu Beginn des Krieges vor 18 Jahren. Laut dem Global Peace Index ist Afghanistan das unsicherste Land der Welt, 2018 gab es dort die meisten Kriegstoten weltweit. Die seitherige Entwicklung, insbesondere im Umfeld der faktisch gescheiterten Wahlen und der ebenfalls gescheiterten Friedensverhandlungen, gibt Anlass zu noch größerer Sorge.
Zu der katastrophalen Sicherheitslage – alleine im zuletzt erfassten Zeitraum des SIGAR-Berichts an den US-Senat vom 1. Juni bis zum 31. August 2019 wurden über 7.100 »enemy-initiated attacks« registriert – kommt die prekäre soziale Situation. Nach offiziellen afghanischen Angaben übertrifft das Armutsniveau inzwischen jenes in den düsteren Zeiten der ersten Taliban-Herrschaftsperiode. Nach OCHA-Angaben hat sich die Zahl derer, die von humanitärer Hilfe abhängig sind, binnen eines Jahres verdoppelt. Millionen Menschen haben keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung. Der Guardian berichtete bereits im Frühjahr 2019, dass es in Afghanistan in Folge einer Dürre die meisten Hungernden weltweit nach dem Jemen gibt. Angesichts der höchsten weltweiten Arbeitslosenquote, ist auch die Annahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und mancher Verwaltungsgerichte, junge Männer könnten sich in Afghanistan ein Auskommen schaffen, mehr als spekulativ. Wie schwierig die Situation von aus Deutschland Abgeschobenen tatsächlich ist, zeigt eine Studie der Sozialwissenschaftlerin Friederike Stahlmann: Abschiebungen nach Afghanistan bringen die Betroffenen in Gefahrensituationen bis hin zur Lebensgefahr, in Obdachlosigkeit oder prekäre Verstecke und führen zur Verelendung.
Vor dem Hintergrund der verschärften Sicherheitslage und der individuellen Verfolgungsgefahr in Afghanistan erneuert PRO ASYL die Forderung nach einem Abschiebungsstopp!
Syrien und Türkei: Neue Fluchtbewegungen durch Kämpfe und Vertreibung
Der Abschiebungsstopp nach Syrien wurde durch die letzte IMK im Juni 2019 bis Ende des Jahres verlängert. Angesichts der desaströsen menschenrechtlichen und militärischen Lage in Syrien ist eine Verlängerung des Abschiebungsstopps unerlässlich. Mit Blick auf die fragile Situation im Land ist eine Befristung und halbjährige Thematisierung unsachgemäß. Eine ständig erneuerte Befristung von einem halben Jahr erweckt den falschen Eindruck, dass Abschiebungen unmittelbar bevorstehen würden. Dies schürt nach unseren Erfahrungen massive Ängste unter syrischen Flüchtlingen.
Wie schnell sich die Lage im syrischen Konflikt ändern kann, zeigt sich an dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei im Norden des Landes. Die türkische Offensive hat bereits 200.000 Menschen in Nordsyrien in die Flucht getrieben, darunter 70.000 Kinder. Das International Rescue Committee schätzt, dass in Nordsyrien durch eine Fortführung der Operation bis zu 400.000 Menschen fliehen müssen. Mehrere hunderttausend Menschen sind zusätzlich vor Kampfhandlungen in der Region Idlib auf der Flucht. Präsident Erdoğan verfolgt das Ziel, nach der Vertreibung der Kurd*innen im Grenzgebiet syrische Flüchtlinge anzusiedeln. Angesichts der u.a. von Human Rights Watch und Amnesty International dokumentierten Praxis, dass Syrer*innen vor einer Abschiebung nach Syrien gezwungen werden, eine Erklärung der »freiwilligen« Rückkehr zu unterschreiben, müssen diese Pläne als Zwangsansiedlung verstanden werden. Selbst der Lagebericht des Auswärtigen Amtes kommt zu dem Ergebnis, dass es keine Region gibt, in die Flüchtlinge ohne Risiko zurückkehren können. PRO ASYL fordert von der Innenministerkonferenz eine unbefristete Verlängerung des Abschiebungsstopps für Syrien.
Initiative der Länder gefragt – Landesaufnahmeprogramme, Evakuierung aus Libyen, Resettlement
Begrüßenswert ist, dass Berlin, Thüringen und Schleswig-Holstein noch bis Ende dieses bzw. nächsten Jahres Familienangehörigen von in ihren Bundesländern lebenden syrischen, und in Berlin auch irakischen, Flüchtlingen eine sichere und legale Einreise ermöglichen. Angesichts der sich verschlechternden Lage von syrischen Flüchtlingen in Anrainerstaaten fordert PRO ASYL die Bundesländer dazu auf, ihre bestehenden Aufnahmeprogramme zu verlängern sowie großzügig anzuwenden und von den übrigen Bundesländern, solche Aufnahmeprogramme (wieder) zu starten. Zudem ist es sinnvoll, wie schon in Berlin geschehen, den Blick nicht nur auf Syrien zu reduzieren und auch andere Herkunftsländer für solche Programme in den Blick zu nehmen.
Angesichts der humanitären Krise im griechischen Aufnahmesystem sind mehrere unverzügliche Maßnahmen geboten. Neben der Einbeziehung Griechenlands in den »vorläufigen Solidarmechanismus« ist ein europäisches und bundesdeutsches Aufnahmeprogramm für die über 4.000 alleinfliehenden Minderjährigen und andere vulnerable Gruppen dringend geboten, weil sie unter den katastrophalen Aufnahmebedingungen besonders leiden und ihre Sicherheit besonders gefährdet ist.
Die Situation von schutzsuchenden Menschen in Libyen ist dramatisch, sie sind dort schwersten Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Vergewaltigung ausgesetzt. Trotzdem verlaufen die Evakuierungen aus Libyen schleppend. Bisher wurden lediglich um die 5000 Menschen aus Libyen in ein »Emergency Transit Centre« in den Niger oder nach Italien und Rumänien evakuiert. Von den knapp 3000 Evakuierten im Niger warten immer noch über 1000 Personen auf ihre Umsiedlung in eines der Resettlement-Aufnahmeländer. Deutschland hat die Aufnahme von lediglich 600 evakuierten Flüchtlingen aus Libyen zugesichert. Erfolgt sind bisher weniger als 300 Einreisen. Von den Bundesländern ist nun Handeln gefordert: Aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen müssen sie sich für ein stärkeres Engagement Deutschlands bezüglich der Aufnahme von Schutzsuchenden aus Libyen einsetzen.
Unverzichtbar: Asylverfahrensberatung durch Wohlfahrtsverbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen
Für die » unabhängige staatliche Asylverfahrensberatung« ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen: Im ersten Schritt informiert das BAMF in Gruppengesprächen vor der Asylantragstellung über das Asylverfahren und gleichzeitig bereits über Rückkehrmöglichkeiten. In einem zweiten Schritt sollen alle Asylsuchende die Möglichkeit eines Einzelgesprächs zur individuellen Asylverfahrensberatung haben – entweder durch das BAMF oder durch einen Wohlfahrtsverband. Wann die individuelle Asylverfahrensberatung stattfindet ist nicht festgelegt, eine Beratung vor der Anhörung wird also nicht gewährleistet. Inzwischen ist bekannt, dass auch eine Finanzierung der Asylverfahrensberatung seitens der Wohlfahrtsverbände im Bundeshaushalt nicht vorgesehen ist. Auf gesetzlichem und finanziellem Wege wird die tatsächlich unabhängige, nämlich staatlich unabhängige, Asylverfahrensberatung ausgehebelt.
Laut eigener Auskunft erklärt das BAMF in seiner »Beratung« lediglich das Asylverfahren, beantwortet Fragen und will besondere Bedürfnisse erkennen. Gerade für die Erkennung von besonderen Bedarfen, z. B. aufgrund der sexuellen Orientierung, braucht es ein Vertrauensverhältnis, welches viele Betroffene aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit nicht aufbauen werden. Eine tatsächliche Beratung geht auch darüber hinaus, indem die rechtlichen Kriterien auf den Einzelfall angewendet werden und auf die Anhörung vorbereitet wird. Darüber hinaus wird vom BAMF keine Rechtsberatung durchgeführt. Das bedeutet, dass im Fall eines ablehnenden Bescheids zum Beispiel keine Aussagen getroffen wird, ob Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg haben. Zudem vermitteln Mitarbeitende des BAMF nicht konkret an Rechtsanwält*innen. Beides ist jedoch essentiell, damit geflüchtete Menschen – die das deutsche Rechtssystem nicht kennen, der deutschen Sprache nicht mächtig sind und sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden – ihre Rechte tatsächlich wahrnehmen können. Nur so können faire Asylverfahren gewährleistet werden.
Mitarbeitende des BAMF sind per se nicht unabhängig, denn sie arbeiten für die über das Asylverfahren entscheidende Behörde, die im Falle eines Gerichtsverfahrens auch Klagegegnerin ist. Um eine tatsächlich unabhängige Beratung zu bieten, muss diese in institutioneller, persönlicher und räumlicher Hinsicht von der Behörde getrennt sein, die Entscheidungen über Asylanträge fällt, um selbst den Anschein von Abhängigkeit zu vermeiden. Viele der Betroffenen werden das Personal des BAMF nicht als unabhängig wahrnehmen und ihm entsprechend weniger Vertrauen entgegenbringen. Schließlich haben viele Asylsuchende in ihren Heimatländern schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht, wurden teils von ihnen verfolgt.
Es braucht also eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung!