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Innenministerium plant unter Deckmantel der GEAS-Umsetzung massive Verschärfungen im Asylrecht
In der Umsetzung der neuen europäischen Asylregeln nutzt das Innenministerium optionale Regeln der EU, um das deutsche Asylrecht besonders restriktiv zu verschärfen. So drohen Freiheitsbeschränkung und Inhaftierung von Schutzsuchenden, auch von Kindern, sowie mehr »sichere Herkunftsstaaten« und »sichere Drittstaaten«.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde im Juni 2024 verabschiedet und muss nun in den einzelnen Mitgliedstaaten bis zum Sommer 2026 umgesetzt werden. PRO ASYL hat die GEAS-Reform immer wieder kritisiert, weil sie eine Verschärfung des Asylrechts bedeutet, die den Schutz von geflüchteten Menschen in Europa massiv gefährden wird. Leider bestätigt sich diese Prognose nun auch für die geplante Umsetzung in Deutschland.
Noch vor der Bundestagswahl 2025 soll ein GEAS-Umsetzungsgesetz verabschiedet werden, um die nationalen Gesetze an die neuen EU-Regelungen anzupassen. Doch das Bundesinnenministerium passt in seinem Mitte Oktober vorgelegten Referentenentwurf das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht nicht nur an die EU-Regelungen an, sondern nutzt optionale Regeln, um die Umsetzung in Deutschland besonders restriktiv zu gestalten. Deswegen kritisiert PRO ASYL in einer Stellungnahme im Rahmen der sogenannten Verbändeanhörung, dass dieser Entwurf den vorhandenen menschenrechtlichen Spielraum nicht nutzt, um den Schutz von Geflüchteten zu wahren, sondern diesen vielmehr einschränkt.
Massive Ausweitung von Freiheitsbeschränkungen und Inhaftierungen
Die neuen deutschen Regeln zur Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung sind eine Umsetzung der neuen Aufnahmerichtlinie der EU. Diese überlässt es jedoch den Mitgliedstaaten, ob und wie sie diese Möglichkeiten nutzen wollen – nur restriktiver als in der Richtlinie vorgesehen dürfen die Mitgliedstaaten nicht sein.
Die Bundesregierung hat es also in der Hand, ob geschlossene Zentren und inhaftierte Schutzsuchende die Zukunft des Asylsystems in Deutschland sind oder nicht – und das Bundesinnenministerium entscheidet sich für den besonders repressiven Weg.
Geschlossene Zentren möglich
Eine sehr gravierende Verschärfung im Referentenentwurf ist die weitgehende Ausweitung der Möglichkeiten, Schutzsuchende in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken oder sie sogar inhaftieren zu können. In der Praxis könnte dies zu geschlossenen Aufnahmeeinrichtungen führen, die die Schutzsuchenden nicht verlassen dürfen – das würde in der Praxis oft zu De-facto-Inhaftierungen führen. Solche geschlossenen Zentren gibt es bisher in Deutschland nicht. In Griechenland gibt es schon Erfahrungen mit sogenannten »closed controlled access centers« zum Beispiel auf der Insel Samos, wo die PRO ASYL Partnerorganisation Refugee Support Aegean nicht nur von dramatischen humanitären Bedingungen berichtet, sondern auch immer wieder von haftähnlichen Zuständen.
Für die Betroffenen fühlt es sich, unabhängig von der Bezeichnung, als Strafe an, wenn sie – nur weil sie zum Beispiel aus einem bestimmten Herkunftsland kommen – in ihrer Unterbringung festgesetzt werden. Eine solche Isolation ist für Asylsuchende sehr belastend.
Selbst Kindern droht Haft
Noch alarmierender ist die Einführung einer neuen Art der Haft, der sogenannten Asylverfahrenshaft. Diese erlaubt es, Menschen während ihres Asylverfahrens zu inhaftieren, etwa, um ihre Identität zu klären oder weil Fluchtgefahr besteht und sie gegen die Beschränkung der Bewegungsfreiheit verstoßen haben. PRO ASYL spricht sich gegen jede Form der Inhaftierung während des Asylverfahrens aus, denn Inhaftierungen gefährden das Recht auf ein faires Verfahren und belastet die betroffenen Menschen psychisch massiv.
Besonders problematisch ist, dass unter bestimmten Bedingungen sogar Kinder in Haft genommen werden können, obwohl internationale Konventionen wie die UN-Kinderrechtskonvention eindeutig festlegen, dass die Inhaftierung von Kindern niemals im Interesse des Kindeswohls sein kann. Es ist besonders schockierend, solche Vorhaben in einem Entwurf des deutschen Innenministeriums zu lesen. Schließlich hatte die Bundesregierung stets beteuert, sich auf europäischer Ebene gegen die Inhaftnahme von Kindern im Grenzverfahren stellen zu wollen. Nun tut sie aber im eigenen Land genau das Gegenteil.
Der Kern der GEAS-Reform: Menschen gelten offiziell nicht als eingereist, obwohl sie physisch bereits in der EU sind.
Harte Umsetzung der Grenzverfahren
Der Kern der GEAS-Reform sind die neuen Außengrenzverfahren: Bestimmte Menschen, die an den Außengrenzen der EU Asyl beantragen, sollen künftig unter der Fiktion der Nicht-Einreise dort ihr Asylverfahren durchlaufen. Das heißt, sie gelten offiziell nicht als eingereist, obwohl sie physisch bereits in der EU sind. Während dieser Zeit bleiben sie in speziellen Einrichtungen und dürfen diese nicht verlassen. Für PRO ASYL ist dies faktisch eine Inhaftierung, auch wenn sie wohl in der Praxis oft nicht als solche deklariert werden wird. Die Durchführung des Grenzverfahrens ist aber auch ein expliziter Haftgrund.
Das in Deutschland bisher bekannte Flughafenverfahren, das maximal 19 Tage dauern darf, wird durch das bis zu zwölf Wochen dauernde neue Grenzverfahren ersetzt. Besonders besorgniserregend ist hierbei, dass Deutschland auch hier besonders restriktiv handeln will: Die Regierung will das Grenzverfahren nicht nur in den Fällen anwenden, in denen es von der EU zwingend vorgeschrieben ist (dazu gehören zum Beispiel alle Schutzsuchenden aus Ländern mit einer Schutzquote von 20 Prozent oder weniger). Der deutsche Entwurf sieht zudem vor, das Grenzverfahren auch auf optionale Fälle auszuweiten – das könnten zum Beispiel Personen aus »sicheren Herkunftsstaaten« oder »sicheren Drittstaaten« sein.
Dies könnte zu Willkür in der Anwendung führen und auch dazu, dass noch mehr Asylsuchende unter extrem restriktiven Bedingungen ihr Verfahren durchlaufen müssen. PRO ASYL fordert daher, das Grenzverfahren zumindest nur auf die gesetzlich verpflichtenden Fälle zu beschränken.
Mehr »sichere Herkunftsstaaten« und »sichere Drittstaaten«
Wird der Referentenentwurf so beschlossen, wird das zudem dazu führen, dass immer mehr »sichere Herkunftsstaaten« und »sichere Drittstaaten« benannt werden. Nach diesen Konzepten sollen Geflüchtete schneller abgewiesen werden können, wenn sie aus Ländern stammen, die pauschal als sicher eingestuft werden, oder wenn sie auf der Flucht durch ein Land gekommen sind, in dem sie angeblich bereits hätten Schutz bekommen können. PRO ASYL lehnt diese Konzepte ab, weil sie die individuelle Prüfung von Asylanträgen untergraben und dem Schutzsuchenden den Zugang zu einem fairen Asylverfahren verwehren können.
Besonders bedenklich ist, dass die Einstufung als »sicher« per Rechtsverordnung von der Bundesregierung erlassen werden soll – also ohne Beteiligung von Bundesrat und Bundestag. Dies umgeht nicht nur den demokratischen Prozess, sondern öffnet der willkürlichen und politisch motivierten Einstufung von Staaten Tür und Tor. In der Vergangenheit hat sich der Bundesrat als wichtiges Kontrollinstrument erwiesen, um unüberlegte Entscheidungen zu verhindern. So verhinderte der Bundesrat zum Beispiel, dass Algerien, Marokko und Tunesien als »sichere Herkunftsstaaten« eingestuft wurden.
Regierung will Bundestag und Bundesrat umgehen
PRO ASYL weist darauf hin, dass diese Umgehung des parlamentarischen Verfahrens und der Zustimmung des Bundesrates verfassungsrechtlich höchst bedenklich ist. Denn nach Artikel 16a Grundgesetz muss die Bestimmung von »sicheren Herkunftsstaaten« und »sicheren Drittstaaten« explizit per Gesetz und mit Zustimmung des Bundesrates geschehen. Der Referentenentwurf will das mit einem Trick umgehen, indem zwei separate Listen von »sicheren Ländern« geschaffen werden: einmal nach dem Grundgesetz und einmal nach der EU-Asylverfahrensverordnung (siehe zur Kritik dieser Idee hier).
Mit diesem Vorschlag soll nicht nur eine demokratiefeindliche und verfassungsrechtlich heikle Regelung getroffen werden, sondern die Regierung aus SPD, Grünen und FDP würde damit auch eine Forderung aus dem CDU-Wahlprogramm von 2021 (S. 26) umsetzen – das alles unter dem Deckmantel der GEAS-Reform.
Fazit: Ein menschenrechtlicher Rückschritt
Insgesamt bewertet PRO ASYL das GEAS-Umsetzungsgesetz als einen massiven Rückschritt für den Schutz von geflüchteten Menschen. Statt die Rechte und Freiheiten von Schutzsuchenden zu achten, schränkt der Referentenentwurf diese weiter ein. Die Ausweitung von Freiheitsbeschränkungen, die Einführung neuer Haftformen und die Umgehung demokratischer Prozesse gefährden die Grundrechte der Betroffenen massiv.
PRO ASYL fordert daher eine grundlegende Überarbeitung des Referentenentwurfs, bevor er zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird. Anstelle von neuen Verschärfungen sollten menschenrechtliche Standards im Vordergrund stehen und bestehende Spielräume im Sinne der Flüchtlingsrechte genutzt werden. Schon im Juli 2024 hatten 26 Organisationen entsprechende Prioritäten zur Umsetzung von GEAS erstellt, die zeigen, dass dies möglich ist.
(wj)