News
Im Flüchtlingsgefängnis von Białystok
In Polen werden Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen und ein Recht auf Schutz haben, ebenso inhaftiert wie Menschen, die in ihre Heimat abgeschoben werden sollen. Sie sind oft monatelang hinter Gittern. Meral Zeller und Elisa Rheinheimer von PRO ASYL haben ein solches Gefängnis im Osten des Landes besucht.
Eine meterhohe Mauer zieht sich um das Gelände des Gefängnisses von Bialystok, das offiziell »Guarded center for Foreigners« heißt, also »bewachtes Lager für Ausländer«. Es befindet sich auf dem Gelände des polnischen Grenzschutzes, das Areal ist weitläufig. Das Gefängnisgebäude selbst, ein Backsteinbau, ist von einer weiteren Mauer mit Stacheldraht umgeben. Ein Schild mit dem blau-gelben Sternenkranz der EU prangt neben dem hohen Eisentor am Eingang. Es sieht aus, als seien hier Schwerverbrecher untergebracht. Tatsächlich sind Flüchtlinge inhaftiert.
Dank unserer polnischen Partnerorganisation, Anwält*innen der Menschenrechtsorganisation Helsinki Foundation for Human Rights, erhalten wir Zugang; der schriftlichen Antragstellung von PRO ASYL wurde stattgegeben. Dass wir hereingelassen werden, zeigt auch: Es ist eines der besseren Einrichtungen des Landes. Die Zustände in vielen anderen Haftzentren sind bedeutend schlechter, wie wir aus Erfahrungsberichten von Geflüchteten wissen. Weitere Akteure, darunter unabhängige Psychotherapeut*innen, bestätigen, dass ihnen immer wieder der Zugang zu verschiedenen Lagern versperrt bleibt.
Die Verwaltungschefin holt uns am Eingang ab und führt uns zum Gefängnisgebäude. Im Innenhof ist eine Sportanlage, doch sie ist verwaist, niemand ist zu sehen. Die Häftlinge könnten diese jederzeit nutzen, beteuert die Verwaltungschefin, ebenso wie die Bibliothek. Die Schilderungen der Gefangenen hören sich anders an. »Wir dürfen nirgendwo alleine hingehen, es muss immer eine Lehrperson oder jemand von der Security dabei sein«, erklärt ein Mann.
Eine Kinderzeichnung an der Wand zeugt davon, dass hier bis vor kurzem noch Familien mit Kindern untergebracht waren, nun wurden diese in ein anderes Haftzentrum verlegt und Białystok dient als Haftanstalt für Männer. Viele von ihnen erzählen, dass sie schon seit über sechs Monaten inhaftiert sind, in wechselnden Lagern. Einen Grund für die mehrfache Verlegung kennen sie nicht, jedoch wird mit jedem Wechsel die mühsam gesuchte Unterstützung schwieriger.
Einem Ägypter, der zum Christentum konvertieren möchte, droht die Abschiebung
Die Verwaltungschefin des Lagers bringt uns ins obere Stockwerk in einen kleinen Raum, in dem unsere Begleiterin, die polnische Rechtsanwältin Maria Poszytek, den Insassen rechtliche Beratung anbietet. Einmal im Monat kommt Maria oder eine ihrer Kolleg*innen her. Weitere regelmäßige und unabhängige Beratungsangebote vor Ort gibt es nicht, dabei ist der Bedarf groß. Auch heute können nicht alle beraten werden, die Hilfe benötigen. Als erstes betritt ein Georgier das karge Beratungszimmer. Er ist seit 15 Tagen hier, nachdem er zuvor fünf Monate lang in einem anderen Gefängnis war. »Ich weiß nicht, warum ich jetzt hier bin. Ich weiß auch nicht, wann ich nach Hause gehen kann, nach Georgien. Ich habe öfter gefragt, aber nie eine Antwort bekommen«, erzählt er.
»Ich weiß nicht, warum ich jetzt hier bin. Ich weiß auch nicht, wann ich nach Hause gehen kann,…«
Dann kommt ein Mann aus Ägypten ins Zimmer, gemeinsam mit einem Syrer, mit dem er sich angefreundet hat und der für ihn übersetzt. Abdul*, der ägyptische Familienvater, wurde in den belarussisch-polnischen Wäldern von belarussischen Grenzbeamt*innen misshandelt. Er zeigt seinen geschwollenen Knöchel und klagt über starke Schmerzen. Wenn er läuft, humpelt er. Mehrfach war er bereits bei dem Arzt im Gefängnis, doch der gebe ihm jedes Mal nur eine Salbe, die nicht helfe. Für eine richtige Diagnose wäre ein Röntgenbild notwendig, jeden Tag hofft er auf eine Überweisung. Bislang vergebens. Zudem droht Abdul nun die Abschiebung. Er wirkt am Ende seiner Kräfte, schafft es nicht, zu lächeln. Er hat große Angst davor, zwangsweise nach Ägypten gebracht zu werden, da er dem Islam abgeschworen hat und zum Christentum konvertieren möchte. Seit seine Familie davon weiß, spricht sie nicht mehr mit ihm, hat ihn verstoßen. Abdul fährt sich mit der Hand über die Augen und kann die Tränen nicht zurückhalten, als er erzählt: »Heute Morgen habe ich meine Frau und Kinder angerufen. Sie haben zu mir gesagt: ‚Bleib bei den Christen. Für uns bist du tot.‘ Dann haben sie den Hörer aufgelegt.« Auch sein syrischer Freund, selbst Muslim und ebenfalls ein Gefangener, muss weinen, als er das übersetzt.
Anwältin Maria hört aufmerksam zu, während vom Nebenzimmer, einem Gebetsraum, der islamische Gebetsruf ertönt. »Haben Sie Ihre Nähe zum Christentum zu Protokoll gegeben bei Ihrer Anhörung zur Abschiebung?«, fragt sie. Abdul schüttelt stumm den Kopf, ringt um Fassung. Dann kommt heraus, dass er nichts davon gesagt hat – aus Angst vor Schikanen durch andere Flüchtlinge und auch, weil die Übersetzerin selbst Ägypterin war und er ihr nicht vertraute. Maria macht sich Notizen und bietet an, Abdul rechtlich zu vertreten, was dieser dankbar annimmt. Ein Funken Hoffnung blitzt in seinen Augen auf, ein zaghaftes Lächeln huscht über sein Gesicht, als er sich verabschiedet. Es ist der letzte Tag der Frist, gegen die Abschiebungsandrohung vorzugehen, und reine Glückssache, dass er heute den begehrten Beratungstermin erhalten hat.
»Sie sind hier im Gefängnis, nicht im Hotel!«
Der Syrer bleibt sitzen, er wird gleich für den Nächsten übersetzen. »Man kann nicht viel anderes machen hier außer rauchen, den Koran lesen und sich die Geschichten der Anderen anhören«, sagt er, der 17 Kilo abgenommen habe, seit er in Polen ist. Das Essen im Gefängnis schmeckt ihm nicht. Ähnliches hören wir von den Anderen. So ist es nicht verwunderlich, dass die beiden Männer die Klingel zum Mittagessen um 12.45 Uhr ignorieren und auch auf Aufforderung eines Wärters, es sei nun Essenszeit, nicht in den Speiseraum gehen. Lieber wollen sie das Gespräch mit Maria in Ruhe zu Ende führen, das ist ihnen wichtig. Der Schutzsuchende aus Syrien, der sich sonst mit seiner eigenen Geschichte zurückhält, möchte uns noch etwas erzählen. Er habe eine zusätzliche Flasche Wasser kaufen wollen, da er gesundheitliche Probleme und zudem nur noch eine Niere habe, sei ihm das sehr wichtig, sagt er. Das sei ihm verwehrt worden. Die Antwort eines Wärters sei gewesen: »Sie sind hier im Gefängnis, nicht im Hotel.«
Im Beratungszimmer, das bis auf einen Tisch, vier Stühle und einen riesigen Fernseher leer ist, hängt ein buntes Bild an der Wand, verkehrt herum. Wer den Kopf dreht, kann darauf lesen: »Don’t forget to smile every day«. Angesichts der Situation der Schutzsuchenden klingt das wie purer Hohn.
»Hier sind Asylbewerber ebenso untergebracht wie Migranten, die straffällig geworden sind und vor der Abschiebung stehen.«
Fragwürdige Internierung ohne Anhörung der Schutzsuchenden
»Hier sind Asylbewerber ebenso untergebracht wie Migranten, die straffällig geworden sind und vor der Abschiebung stehen«, erklärt Maria in einer kurzen Pause. Derzeit sind Männer aus Marokko und Georgien hier, aus Syrien, Belarus, Turkmenistan und vielen weiteren Ländern. Bevor jemand interniert wird, um einer angeblichen Fluchtgefahr vorzubeugen oder eine Identitätsprüfung vorzunehmen, muss ein polnisches Gericht dem zustimmen, aber das Prozedere sei eine Farce. »Das Gericht entscheidet über die Inhaftnahme auf Grundlage dessen, was das Grenzpersonal aussagt. Das ist sehr selektiv. Die Schutzsuchenden werden nicht nach ihren Gründen für Asyl gefragt oder danach, was sie erlebt haben. Auch deren gesundheitliche Situation wird außer Acht gelassen«, erklärt Maria. »Die Richter*innen verlangen lediglich eine Bestätigung der Geflüchteten, dass sie die Grenze illegal überquert haben.« Das sei für sie ausreichend, um festzustellen, dass Fluchtgefahr besteht und somit ein Grund für die Inhaftierung vorliegt. »Später, im Berufungsverfahren oder bei der Verlängerung der Haftzeit, werden die Geflüchteten überhaupt nicht mehr vor Gericht angehört.«
Findet ein Asylverfahren statt, während sie in Białystok einsitzen, geschieht dies digital, mithilfe von Videotelefonie. Die übersetzende Person sitzt in Warschau, wo auch das Gesprächsprotokoll angefertigt wird – in polnischer Sprache. Das muss der Asylbewerber dann unterzeichnen. »Viele beschweren sich, dass sie etwas unterschreiben müssen, das sie gar nicht verstehen«, berichtet die Anwältin. Im Gefängnis selbst gibt es keine offiziellen Übersetzer*in, in den meisten Fällen noch nicht mal während eines Arztbesuches.
Im Flur hängt ein Zettel für die psychologische Sprechstunde. »Aber das ist ein Psychologe, der zu den Einheiten der Grenzbeamten gehört«, erklärt Maria. »Unabhängige Psycholog*innen dürfen die Haftzentren in der Regel nicht betreten.« Von einem Geflüchteten erfahren wir, dass er die Sprechstunde nicht in Anspruch nimmt, obwohl er großen therapeutischen Bedarf hat, doch er geht nicht davon aus, dass ihm hier geholfen wird.
Die Menschen werden nicht bei ihrem Namen gerufen, jeder erhält eine Nummer
Wer hier eingebuchtet wird, muss sein Geld und Handy ebenso abgeben wie andere Wertsachen. Das wird für die Schutzsuchenden von der Gefängnisleitung »verwahrt«. Erlaubt sind nur alte Handys ohne Kamerafunktion. Smartphones, mit deren Hilfe die Menschen via Whatsapp oder anderen Onlinediensten in Kontakt mit ihren Angehörigen bleiben können, sind verboten. Auch der Kontakt zu Anwält*innen ist deshalb nur telefonisch möglich oder per Email in einem der zwei Computerräume.
Fotografieren ist auch für uns streng verboten, und auch wir dürfen uns nicht alleine durch das Gebäude bewegen. Als ich über den Flur laufe und in einen der zwei Computerräume spähe, werde ich sofort von einer Aufseherin zurückgepfiffen. Das Gebäude ist in Stockwerke unterteilt, hier sind die Türen offen, aber wer vom oberen Stockwerk in eines der unteren Stockwerke gehen möchte, wo sich etwa die Bibliothek befindet, kann dies nicht einfach tun: Der Weg ist versperrt durch eine abgeschlossene Glastür, die nur durch Sicherheitspersonal geöffnet werden kann. Alles erinnert an ein richtiges Gefängnis: Von den vergitterten Fenstern über die Aufseher*innen überall und den Mann, der in Handschellen am Eingang wartet, bis hin zu der »Bestrafungszelle«, in die Schutzsuchende bisweilen stundenweise gebracht werden, wenn zwischen ihnen ein Streit ausbricht. Besonders erschreckend: Die Menschen erhalten eine Nummer, wenn sie hier ankommen, 227, 228, 229… Die Aufseher*innen rufen sie nicht bei ihren Namen, sondern bei ihrer Nummer.
In Białystok inhaftiert: Ein irakischer Kurde, der in Deutschland lebte
Als er mitbekommt, dass wir deutsch sprechen, werden wir von einem irakischen Kurden angesprochen. Gashtyar* hat sieben Jahre in Deutschland gelebt – und sitzt nun seit neun Monaten in geschlossenen Lagern in Polen fest, seit acht Wochen in Białystok. »Ich will nicht in Polen bleiben. Ich will zurück nach Deutschland!«, sagt er. 2015 habe er nach eigenen Angaben einen Asylantrag in Deutschland gestellt und eine Duldung erhalten. In Niedersachsen hatte er eine Wohnung und arbeitete fünf Jahre in Vollzeit bei einer Autowäsche, wie er sagt. Im Sommer 2021 gelang es einem Bruder von ihm, über die belarussisch-polnische Grenze zu kommen. Gashtyar fuhr mit dem Auto hin, um ihn abzuholen – es regnete und sein Bruder war nicht alleine. In Polen wurde er daraufhin inhaftiert. Wie es für ihn weitergeht, ist unklar. »Mein Bruder ist jetzt in Deutschland – und ich bin hier im Knast«, sagt er und wählt starke Worte. »Das ist kein Camp, das ist Folter.«
»»Das ist kein Camp, das ist Folter.« «
Zwar seien die Gefängniswärter*innen ihm gegenüber nicht körperlich aggressiv geworden, aber er klagt über die Enge, die vielen Menschen, und die schlechte Behandlung. »Sie haben mir mein Geld und mein Handy abgenommen, ich durfte nicht mal meine Familie anrufen.« Untergebracht ist er in einem Zimmer zusammen mit vier anderen Männern. In den schätzungsweise zwanzig Quadratmeter großen Zellen stehen vier bis sechs Betten und ein paar Stühle. Mehr nicht. Die Fenster sind vergittert. »Viel Stress«, sagt Gashtyar immer wieder, und dass er nicht richtig schlafen kann. Den 29-Jährigen plagt die Angst vor einer Abschiebung. »Ich will im Irak nicht getötet werden oder selbst töten«, sagt er. Doch Polen droht damit, ihn in die Heimat zu verfrachten. Sollte das tatsächlich geschehen, will er versuchen, wieder nach Deutschland zu kommen. »Deutschland hat mir Asyl gegeben, dort ist mein Leben.«
Nach einigen Stunden Beratung ist es für Anwältin Maria Zeit, aufzubrechen. Sie wird nächsten Monat wieder kommen – und vermutlich werden auch viele Flüchtlinge dann immer noch hier sein.
(er)
*Namen aus Schutzgründen anonymisiert