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Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz kam ab 26.05.1993 auch die diskriminierende Mangelversorgung mit Essenspaketen. Foto: https://www.aktionbleiberecht.de/2022/12/30-jahre-asylbewerberleistungsgesetz-30-jahre-protest-gegen-rassistische-ausgrenzung/

Im Koalitionsvertrag 2021 kündigte die Bundesregierung an, das Asylbewerberleistungsgesetz »im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts« zu überarbeiten. Verbesserungen sind überfällig, wären aber unzureichend und instabil. Wer die Leistungen für Asylsuchende verfassungskonform gestalten will, muss das AsylbLG abschaffen.

Mit dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) wur­de 1993 ein Gesetz ein­ge­führt, das Schutz­su­chen­de und Gedul­de­te sowie Men­schen mit bestimm­ten huma­ni­tä­ren Auf­ent­halts­ti­teln vom regu­lä­ren Hil­fe­sys­tem des Sozi­al­ge­setz­buchs – u.a. Bür­ger­geld, Sozi­al­hil­fe, Kran­ken­ver­si­che­rung – aus­schließt. Die Betrof­fe­nen wer­den so zu dras­ti­scher Armut ver­dammt und füh­ren ein Leben auf einem Niveau, das deut­lich unter­halb des­sen liegt, was nach gesetz­li­cher Ziel­set­zung eigent­lich das Mini­mum zur Füh­rung eines men­schen­wür­di­gen Lebens in Deutsch­land dar­stellt: Das sind die Sät­ze nach dem soge­nann­ten Bürgergeld.

Wesent­li­che Prin­zi­pi­en des Asyl­bLG sind:

  • gegen­über den regu­lä­ren Sozi­al­leis­tun­gen gekürz­te Regel­leis­tun­gen, regel­mä­ßig für die ers­ten 18 Mona­te des Auf­ent­halts (bzw. bis zur Aner­ken­nung im Asylverfahren).
  • Geld­leis­tun­gen kön­nen durch Sach­leis­tun­gen in Form von (Fertig-)Essen, (Gebraucht‑) Klei­dung und Bett in einer Sam­mel­un­ter­kunft ersetzt wer­den. Weil Sach­leis­tun­gen dem indi­vi­du­el­len Bedarf nicht ent­spre­chen, stel­len sie de fac­to eine wei­te­re Leis­tungs­kür­zung dar.
  • Das Asyl­bLG defi­niert eine men­schen­rechts­wid­ri­ge Mini­mal­me­di­zin, die in der Pra­xis oft zu ver­schlepp­ter, ver­spä­te­ter und unzu­rei­chen­der Kran­ken­be­hand­lung führt.
  • Pau­scha­le Mehr­be­darfs­zu­schlä­ge für Schwan­ge­re und Allein­er­zie­hen­de, wie im Sozi­al­ge­setz­buch, sind im Asyl­bLG nicht vorgesehen.
  • Durch die feh­len­de Ein­bin­dung in das regu­lä­re Sozi­al­sys­tem blei­ben die Betrof­fe­nen von den Maß­nah­men der Arbeits­för­de­rung weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen. Arbeits­ver­bo­te und die Ver­pflich­tung zu gemein­nüt­zi­ger (mini­mal ent­lohn­ter) Arbeit sind ergän­zend möglich.
  • Sank­tio­nen füh­ren häu­fig zu noch wei­ter gehen­den Kür­zun­gen und Einschränkungen.

Eine umfas­sen­de Ana­ly­se von PRO ASYL und dem Flücht­lings­rat Ber­lin vom Novem­ber 2022 zeigt im Detail die Defi­zi­te bei der Berech­nung und Begrün­dung der Regel­sät­ze nach dem Asyl­bLG und ande­rer Sozi­al­leis­tun­gen sowie die Leis­tungs­kür­zun­gen durch das Asyl­bLG in der Praxis.

AsylbLG: politisches Instrument für immer neue Diskriminierungen

Das Asyl­bLG ent­stand vor 30 Jah­ren als Teil des soge­nann­ten »Asyl­kom­pro­mis­ses« – der dras­ti­schen Beschnei­dung des Grund­rechts auf Asyl. Ver­ein­bart wur­de eine deut­li­che Absen­kung der Sozi­al­leis­tun­gen für Geflüch­te­te und die Umstel­lung auf Sach­leis­tun­gen. Begrün­det wur­de dies mit der Hoff­nung, damit Flüch­ten­de abschre­cken zu kön­nen – das Ziel waren zurück­ge­hen­de Flücht­lings­zah­len. Zur Recht­fer­ti­gung der Min­der­leis­tun­gen ver­wies man auf die damals hohe Ableh­nungs­quo­te Geflüch­te­ter im Asyl­ver­fah­ren und ihren »in aller Regel nur kur­zen Auf­ent­halt« (Bun­des­tags­druck­sa­che 12/4451). Dies war mehr als frag­wür­dig: Die oft schwer trau­ma­ti­sier­ten Kriegs­flücht­lin­ge aus Jugo­sla­wi­en etwa ließ man damals alle­samt durch die Schutz­prü­fung fal­len. Dass Geflüch­te­te nur kurz blei­ben wür­den, erwies sich schon damals als falsch, und auch eine abschre­cken­de Wir­kung des Geset­zes konn­te nie­mals nach­ge­wie­sen werden.

Von Beginn an lagen die gewähr­ten Asyl­bLG-Regel­leis­tun­gen deut­lich unter denen der regu­lä­ren Sozi­al­leis­tun­gen, also dem Arbeits­lo­sen­geld II bzw. der Sozi­al­hil­fe, und sie wur­den in Form von Sach­leis­tun­gen gewährt. Der monat­li­che Bar­be­trag, den ein*e Alleinstehende*r damals erhielt, hieß »Taschen­geld« und betrug 80 DM (rd. 41 Euro). Die abge­senk­ten Leis­tun­gen wur­den zeit­lich begrenzt auf 12 Mona­te, einen län­ge­ren Zeit­raum hielt man 1993 inte­gra­ti­ons­po­li­tisch (noch) nicht für vertretbar.

Im Lau­fe der Zeit wur­de das Gesetz einer gan­zen Rei­he von Ver­schär­fun­gen unter­wor­fen. Nahe­zu jede neue Rege­lung warf neue Pro­ble­me für die Betrof­fe­nen auf:

  • Bereits 1997 wur­de die Dau­er abge­senk­ter Leis­tun­gen von 12 Mona­te auf drei Jah­re ver­län­gert, spä­ter sogar auf vier Jahre.
  • Der vom Asyl­bLG erfass­te Per­so­nen­krei­ses wur­de aus­ge­wei­tet. Dies ziel­te zunächst auf Kriegs­flücht­lin­ge ab, spä­ter wur­den auch ande­re Men­schen mit huma­ni­tä­rer Auf­ent­halts­er­laub­nis erfasst.
  • Als auf­ent­halts­recht­li­che Sank­ti­on (Bestra­fung) konn­ten die Min­der­leis­tun­gen noch wei­ter gekürzt wer­den. Dies wur­de 1998 in einem neu­en § 1a Asyl­bLG ein­ge­führt. Waren es bei der Ein­füh­rung zwei Tat­be­stän­de, die zur noch­ma­li­gen Kür­zung bzw. Strei­chung der ohne­hin abge­senk­ten Leis­tun­gen führ­ten, sind es heu­te 22 Kür­zungs­mög­lich­kei­ten.  In der Pra­xis führ­te dies zeit­wei­se zur voll­stän­di­gen Strei­chung jeg­li­chen Bar­gelds, bis­wei­len auch zur völ­li­gen Leis­tungs­ver­wei­ge­rung außer »But­ter­brot und Fahr­kar­te« ins Herkunftsland.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

2012 setz­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dem ein Ende: In einer weg­wei­sen­den Ent­schei­dung sorg­te es dafür, dass die Regel­leis­tun­gen nach dem Asyl­bLG zumin­dest vor­über­ge­hend annä­hernd dem ent­spra­chen, was Sozialhilfeempfänger*innen erhiel­ten. Das Grund­recht auf Gewähr­leis­tung eines men­schen­wür­di­gen Exis­tenz­mi­ni­mums, erklär­te das höchs­te deut­sche Gericht, gilt für alle in Deutsch­land leben­den Men­schen glei­cher­ma­ßen, und die­ses Grund­recht darf »nicht aus migra­ti­ons­po­li­ti­schen Grün­den rela­ti­viert« wer­den.  Die poli­ti­sche Vor­stel­lung, man dür­fe Men­schen mit sozi­al­recht­li­chen Mit­teln absicht­lich ein mög­lichst unan­ge­neh­mes Leben berei­ten, war damit dis­qua­li­fi­ziert. Außer­dem mach­te das Gericht dem Gesetz­ge­ber umfas­sen­de Vor­ga­ben zur Berech­nung des Exis­tenz­mi­ni­mums, die trans­pa­rent und nach­voll­zieh­bar zu erfol­gen habe.

Im März 2015 trat dann ein über­ar­bei­te­tes Gesetz in Kraft, das annä­hernd der Sozi­al­hil­fe ange­gli­che­ne Regel­sät­ze fest­leg­te und die gekürz­ten Leis­tun­gen auf 15 Mona­te begrenz­te. Wer geglaubt hat­te, das Asyl­bLG wür­de künf­tig der Sozi­al­hil­fe ver­gleich­bar, sah sich getäuscht: Schon die 2015er-Ver­si­on ent­hielt spe­zi­el­le, neu begrün­de­te Kür­zun­gen. Die Aus­ga­be von Sach­leis­tun­gen blieb ins­be­son­de­re in Sam­mel­un­ter­künf­ten Bestand­teil des Geset­zes, Mehr­be­dar­fe fehl­ten wei­ter­hin, die Kran­ken­ver­sor­gung blieb eingeschränkt.

Im Fol­ge­jahr 2016 wur­den wei­te­re 10 Euro aus dem Regel­satz gestri­chen. Zwi­schen 2017 und 2019 kam es erneut zu einer Sta­gna­ti­on der Beträ­ge ohne Anpas­sung an die Preis­ent­wick­lung.  2019 wur­de die Bezugs­dau­er abge­senk­ter Leis­tun­gen wie­der erhöht auf – die noch heu­te gül­ti­gen – 18 Mona­te.  Sprach­los beob­ach­te­te die Unter­stüt­zer­sze­ne, wie zum Nach­teil der Betrof­fe­nen immer wie­der an vie­len klei­nen und grö­ße­ren Stell­schrau­ben der Dis­kri­mi­nie­rung gedreht wurde.

Im Okto­ber 2022 ver­ur­teil­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt einen erst 2019 neu ein­ge­führ­ten, zehn­pro­zen­ti­gen Geld­ab­zug für Allein­ste­hen­de und Allein­er­zie­hen­de in Sam­mel­un­ter­künf­ten als ver­fas­sungs­wid­rig. Die Bun­des­re­gie­rung (2019 eine Gro­ße Koali­ti­on) hat­te dabei Vor­ga­ben des letz­ten Urteils zur nach­voll­zieh­ba­ren Berech­nung der Regel­sät­ze ganz offen­kun­dig ignoriert.

Sprach­los beob­ach­te­te die Unter­stüt­zer­sze­ne, wie zum Nach­teil der Betrof­fe­nen immer wie­der an vie­len klei­nen und grö­ße­ren Stell­schrau­ben der Dis­kri­mi­nie­rung gedreht wurde.

Rechtliche und politische Kämpfe auf Wiedervorlage

Um sich immer wie­der gegen die ein­zel­nen Dis­kri­mi­nie­run­gen des Asyl­bLG zu weh­ren, brau­chen die Betrof­fe­nen Ener­gie und juris­ti­sche Unter­stüt­zung. In Ein­zel­fäl­len wand­ten sich Geflüch­te­te vor den Gerich­ten gegen den Ent­zug jeg­li­chen Bar­gelds, erstrit­ten sich höhe­re Leis­tun­gen im Rah­men des Asyl­bLG und eine bes­se­re medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz als Gan­zes ver­fas­sungs­recht­lich anzu­grei­fen, ist aller­dings ein schwie­ri­ger, lang­wie­ri­ger und bis heu­te nicht abge­schlos­se­ner Prozess.

Als wäre die Geset­zes­la­ge nicht schon zwei­fel­haft genug, machen Sozialrechtler*innen seit Jah­ren dar­auf auf­merk­sam, dass sehr vie­le behörd­li­che Asyl­bLG-Beschei­de – zum Nach­teil der Betrof­fe­nen – nach­weis­lich falsch sind! Vie­le Geflüch­te­te sehen sich aber kaum in der Lage, der­lei Beschei­de zu prü­fen und ihr Recht zumin­dest inner­halb des Asyl­bLG zu erstrei­ten. Unter https://zusammenland.de/case-study/mit-recht-zum-recht/  haben sich Rechts­an­wäl­tin­nen zusam­men­ge­fun­den, um Betrof­fe­nen sozi­al­recht­lich – und meist kos­ten­frei – zur Sei­te zu ste­hen und gegen fal­sche Beschei­de vorzugehen.

In den zurück­lie­gen­den 30 Jah­ren gab es zahl­rei­che zivil­ge­sell­schaft­li­che Pro­tes­te gegen die ver­schie­de­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­tat­be­stän­de und ‑for­men des Asyl­bLG, vor allem von Betrof­fe­nen (z.B. 2010 in Nie­der­bay­ern). Eini­ge der irr­wit­zigs­ten Dis­kri­mi­nie­run­gen des Asyl­bLG, wie etwa die Aus­ga­be von Lebens­mit­tel­pa­ke­ten oder Gut­schein­sys­te­me anstel­le von Bar­geld, wur­den von poli­ti­schen Initia­ti­ven lokal und regio­nal mit lan­gem Atem und oft erfolg­reich bekämpft. Sach­leis­tun­gen und Lager­un­ter­brin­gung gin­gen vie­ler­orts schritt­wei­se zurück – auch des­halb, weil gezeigt wer­den konn­te, dass Sach­leis­tun­gen und die Unter­hal­tung gro­ßer Sam­mel­un­ter­künf­te für die öffent­li­che Hand sehr viel teu­rer sind als die Bar­geld­aus­ga­be und Pri­vat­woh­nun­gen (z.B. 2010 in Bay­ern oder 2021 in RLP (S.62)). 2015/16 erleb­ten die Lager dann eine Renais­sance: Mit der Erfin­dung der Anker-Zen­tren wur­de die Aus­gren­zung von Geflüch­te­ten wie­der zum gewünsch­ten Poli­tik­stil, die man sich auch etwas kos­ten lässt.

Verfassungskonform verbessern? AsylbLG abschaffen!

Eine abschre­cken­de Wir­kung des Asyl­bLG konn­te nie erwie­sen wer­den. Doch allen Argu­men­ten und juris­ti­schen Schuld­sprü­chen zum Trotz hat in den 30 Jah­ren des Bestehens des Asyl­bLG kei­ne Bun­des­re­gie­rung den Wil­len gehabt oder den Mut gefun­den, die unwür­di­ge Alt­last aus der Abschre­ckungs­po­li­tik der 1990er poli­tisch zu entsorgen.

Die rot-grün-gel­be Bun­des­re­gie­rung konn­te sich im Koali­ti­ons­ver­trag von 2021 ledig­lich dar­auf ver­stän­di­gen, sie wür­de das Asyl­bLG »im Lich­te der Recht­spre­chung des Ver­fas­sungs­ge­richts wei­ter­ent­wi­ckeln«. Selbst die­ses Ver­spre­chen ist sie bis heu­te schul­dig geblie­ben. Als Anfang 2023 das Bür­ger­geld­ge­setz in Kraft tritt, wird der Aus­schluss von Geflüch­te­ten aus dem nor­ma­len Sozi­al­hil­fe­sys­tem unver­än­dert in das Bür­ger­geld­ge­setz über­nom­men. Ein hal­bes Jahr nach der Rüge des Ver­fas­sungs­ge­richts vom Okto­ber 2022 hat die Bun­des­re­gie­rung noch nicht ein­mal die sich aus dem Urteil erge­ben­den not­wen­di­gen Geset­zes­än­de­run­gen vor­ge­nom­men – mit der Fol­ge, dass in vie­len Län­dern ein Teil der Allein­ste­hen­den und Allein­er­zie­hen­den (die­je­ni­gen im sog. Grund­leis­tungs­be­zug) noch immer mit den – nun unbe­strit­ten rechts­wid­ri­gen – 10%-igen Leis­tungs­kür­zun­gen leben müssen.

Die Geschich­te des Asyl­bLG zeigt, dass ein Gesetz, des­sen Kern und Auf­trag die dis­kri­mi­nie­ren­de Schlech­ter­stel­lung zur Abschre­ckung ist, sich nicht ver­fas­sungs­kon­form refor­mie­ren lässt. Statt­des­sen pro­vo­ziert es immer wie­der neue Schi­ka­nen. Selbst wenn die amtie­ren­de Bun­des­re­gie­rung das Asyl­bLG im Sin­ne der Betrof­fe­nen – was ange­sichts der poli­ti­schen Gemenge­la­ge durch­aus zu hof­fen und nach der letz­ten Ent­schei­dung des Ver­fas­sungs­ge­richts uner­läss­lich ist – an man­chen Stel­len ver­bes­sert: Es gibt kei­nen Grund zu glau­ben, dass wesent­li­che Ver­bes­se­run­gen im Gesetz län­ger als bis zur nächs­ten popu­lis­ti­schen Debat­te über Geflüch­te­te hin­aus hal­ten wür­den. Eine ver­fas­sungs­treue, men­schen­rechts­kon­for­me Umset­zung wäre aller­dings sehr ein­fach zu errei­chen: Über die Abschaf­fung des Asyl­bLG und die Ein­be­zie­hung von Geflüch­te­ten in die Rege­lun­gen des Sozialgesetzbuchs.

(ak)