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Im Auftrag Diskriminierung. Eine kleine Geschichte von Schikanen durch das AsylbLG
Im Koalitionsvertrag 2021 kündigte die Bundesregierung an, das Asylbewerberleistungsgesetz »im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts« zu überarbeiten. Verbesserungen sind überfällig, wären aber unzureichend und instabil. Wer die Leistungen für Asylsuchende verfassungskonform gestalten will, muss das AsylbLG abschaffen.
Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) wurde 1993 ein Gesetz eingeführt, das Schutzsuchende und Geduldete sowie Menschen mit bestimmten humanitären Aufenthaltstiteln vom regulären Hilfesystem des Sozialgesetzbuchs – u.a. Bürgergeld, Sozialhilfe, Krankenversicherung – ausschließt. Die Betroffenen werden so zu drastischer Armut verdammt und führen ein Leben auf einem Niveau, das deutlich unterhalb dessen liegt, was nach gesetzlicher Zielsetzung eigentlich das Minimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens in Deutschland darstellt: Das sind die Sätze nach dem sogenannten Bürgergeld.
Wesentliche Prinzipien des AsylbLG sind:
- gegenüber den regulären Sozialleistungen gekürzte Regelleistungen, regelmäßig für die ersten 18 Monate des Aufenthalts (bzw. bis zur Anerkennung im Asylverfahren).
- Geldleistungen können durch Sachleistungen in Form von (Fertig-)Essen, (Gebraucht‑) Kleidung und Bett in einer Sammelunterkunft ersetzt werden. Weil Sachleistungen dem individuellen Bedarf nicht entsprechen, stellen sie de facto eine weitere Leistungskürzung dar.
- Das AsylbLG definiert eine menschenrechtswidrige Minimalmedizin, die in der Praxis oft zu verschleppter, verspäteter und unzureichender Krankenbehandlung führt.
- Pauschale Mehrbedarfszuschläge für Schwangere und Alleinerziehende, wie im Sozialgesetzbuch, sind im AsylbLG nicht vorgesehen.
- Durch die fehlende Einbindung in das reguläre Sozialsystem bleiben die Betroffenen von den Maßnahmen der Arbeitsförderung weitgehend ausgeschlossen. Arbeitsverbote und die Verpflichtung zu gemeinnütziger (minimal entlohnter) Arbeit sind ergänzend möglich.
- Sanktionen führen häufig zu noch weiter gehenden Kürzungen und Einschränkungen.
Eine umfassende Analyse von PRO ASYL und dem Flüchtlingsrat Berlin vom November 2022 zeigt im Detail die Defizite bei der Berechnung und Begründung der Regelsätze nach dem AsylbLG und anderer Sozialleistungen sowie die Leistungskürzungen durch das AsylbLG in der Praxis.
AsylbLG: politisches Instrument für immer neue Diskriminierungen
Das AsylbLG entstand vor 30 Jahren als Teil des sogenannten »Asylkompromisses« – der drastischen Beschneidung des Grundrechts auf Asyl. Vereinbart wurde eine deutliche Absenkung der Sozialleistungen für Geflüchtete und die Umstellung auf Sachleistungen. Begründet wurde dies mit der Hoffnung, damit Flüchtende abschrecken zu können – das Ziel waren zurückgehende Flüchtlingszahlen. Zur Rechtfertigung der Minderleistungen verwies man auf die damals hohe Ablehnungsquote Geflüchteter im Asylverfahren und ihren »in aller Regel nur kurzen Aufenthalt« (Bundestagsdrucksache 12/4451). Dies war mehr als fragwürdig: Die oft schwer traumatisierten Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien etwa ließ man damals allesamt durch die Schutzprüfung fallen. Dass Geflüchtete nur kurz bleiben würden, erwies sich schon damals als falsch, und auch eine abschreckende Wirkung des Gesetzes konnte niemals nachgewiesen werden.
Von Beginn an lagen die gewährten AsylbLG-Regelleistungen deutlich unter denen der regulären Sozialleistungen, also dem Arbeitslosengeld II bzw. der Sozialhilfe, und sie wurden in Form von Sachleistungen gewährt. Der monatliche Barbetrag, den ein*e Alleinstehende*r damals erhielt, hieß »Taschengeld« und betrug 80 DM (rd. 41 Euro). Die abgesenkten Leistungen wurden zeitlich begrenzt auf 12 Monate, einen längeren Zeitraum hielt man 1993 integrationspolitisch (noch) nicht für vertretbar.
Im Laufe der Zeit wurde das Gesetz einer ganzen Reihe von Verschärfungen unterworfen. Nahezu jede neue Regelung warf neue Probleme für die Betroffenen auf:
- Bereits 1997 wurde die Dauer abgesenkter Leistungen von 12 Monate auf drei Jahre verlängert, später sogar auf vier Jahre.
- Der vom AsylbLG erfasste Personenkreises wurde ausgeweitet. Dies zielte zunächst auf Kriegsflüchtlinge ab, später wurden auch andere Menschen mit humanitärer Aufenthaltserlaubnis erfasst.
- Als aufenthaltsrechtliche Sanktion (Bestrafung) konnten die Minderleistungen noch weiter gekürzt werden. Dies wurde 1998 in einem neuen § 1a AsylbLG eingeführt. Waren es bei der Einführung zwei Tatbestände, die zur nochmaligen Kürzung bzw. Streichung der ohnehin abgesenkten Leistungen führten, sind es heute 22 Kürzungsmöglichkeiten. In der Praxis führte dies zeitweise zur vollständigen Streichung jeglichen Bargelds, bisweilen auch zur völligen Leistungsverweigerung außer »Butterbrot und Fahrkarte« ins Herkunftsland.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
2012 setzte das Bundesverfassungsgericht dem ein Ende: In einer wegweisenden Entscheidung sorgte es dafür, dass die Regelleistungen nach dem AsylbLG zumindest vorübergehend annähernd dem entsprachen, was Sozialhilfeempfänger*innen erhielten. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, erklärte das höchste deutsche Gericht, gilt für alle in Deutschland lebenden Menschen gleichermaßen, und dieses Grundrecht darf »nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert« werden. Die politische Vorstellung, man dürfe Menschen mit sozialrechtlichen Mitteln absichtlich ein möglichst unangenehmes Leben bereiten, war damit disqualifiziert. Außerdem machte das Gericht dem Gesetzgeber umfassende Vorgaben zur Berechnung des Existenzminimums, die transparent und nachvollziehbar zu erfolgen habe.
Im März 2015 trat dann ein überarbeitetes Gesetz in Kraft, das annähernd der Sozialhilfe angeglichene Regelsätze festlegte und die gekürzten Leistungen auf 15 Monate begrenzte. Wer geglaubt hatte, das AsylbLG würde künftig der Sozialhilfe vergleichbar, sah sich getäuscht: Schon die 2015er-Version enthielt spezielle, neu begründete Kürzungen. Die Ausgabe von Sachleistungen blieb insbesondere in Sammelunterkünften Bestandteil des Gesetzes, Mehrbedarfe fehlten weiterhin, die Krankenversorgung blieb eingeschränkt.
Im Folgejahr 2016 wurden weitere 10 Euro aus dem Regelsatz gestrichen. Zwischen 2017 und 2019 kam es erneut zu einer Stagnation der Beträge ohne Anpassung an die Preisentwicklung. 2019 wurde die Bezugsdauer abgesenkter Leistungen wieder erhöht auf – die noch heute gültigen – 18 Monate. Sprachlos beobachtete die Unterstützerszene, wie zum Nachteil der Betroffenen immer wieder an vielen kleinen und größeren Stellschrauben der Diskriminierung gedreht wurde.
Im Oktober 2022 verurteilte das Bundesverfassungsgericht einen erst 2019 neu eingeführten, zehnprozentigen Geldabzug für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften als verfassungswidrig. Die Bundesregierung (2019 eine Große Koalition) hatte dabei Vorgaben des letzten Urteils zur nachvollziehbaren Berechnung der Regelsätze ganz offenkundig ignoriert.
Sprachlos beobachtete die Unterstützerszene, wie zum Nachteil der Betroffenen immer wieder an vielen kleinen und größeren Stellschrauben der Diskriminierung gedreht wurde.
Rechtliche und politische Kämpfe auf Wiedervorlage
Um sich immer wieder gegen die einzelnen Diskriminierungen des AsylbLG zu wehren, brauchen die Betroffenen Energie und juristische Unterstützung. In Einzelfällen wandten sich Geflüchtete vor den Gerichten gegen den Entzug jeglichen Bargelds, erstritten sich höhere Leistungen im Rahmen des AsylbLG und eine bessere medizinische Versorgung. Das Asylbewerberleistungsgesetz als Ganzes verfassungsrechtlich anzugreifen, ist allerdings ein schwieriger, langwieriger und bis heute nicht abgeschlossener Prozess.
Als wäre die Gesetzeslage nicht schon zweifelhaft genug, machen Sozialrechtler*innen seit Jahren darauf aufmerksam, dass sehr viele behördliche AsylbLG-Bescheide – zum Nachteil der Betroffenen – nachweislich falsch sind! Viele Geflüchtete sehen sich aber kaum in der Lage, derlei Bescheide zu prüfen und ihr Recht zumindest innerhalb des AsylbLG zu erstreiten. Unter https://zusammenland.de/case-study/mit-recht-zum-recht/ haben sich Rechtsanwältinnen zusammengefunden, um Betroffenen sozialrechtlich – und meist kostenfrei – zur Seite zu stehen und gegen falsche Bescheide vorzugehen.
In den zurückliegenden 30 Jahren gab es zahlreiche zivilgesellschaftliche Proteste gegen die verschiedenen Diskriminierungstatbestände und ‑formen des AsylbLG, vor allem von Betroffenen (z.B. 2010 in Niederbayern). Einige der irrwitzigsten Diskriminierungen des AsylbLG, wie etwa die Ausgabe von Lebensmittelpaketen oder Gutscheinsysteme anstelle von Bargeld, wurden von politischen Initiativen lokal und regional mit langem Atem und oft erfolgreich bekämpft. Sachleistungen und Lagerunterbringung gingen vielerorts schrittweise zurück – auch deshalb, weil gezeigt werden konnte, dass Sachleistungen und die Unterhaltung großer Sammelunterkünfte für die öffentliche Hand sehr viel teurer sind als die Bargeldausgabe und Privatwohnungen (z.B. 2010 in Bayern oder 2021 in RLP (S.62)). 2015/16 erlebten die Lager dann eine Renaissance: Mit der Erfindung der Anker-Zentren wurde die Ausgrenzung von Geflüchteten wieder zum gewünschten Politikstil, die man sich auch etwas kosten lässt.
Verfassungskonform verbessern? AsylbLG abschaffen!
Eine abschreckende Wirkung des AsylbLG konnte nie erwiesen werden. Doch allen Argumenten und juristischen Schuldsprüchen zum Trotz hat in den 30 Jahren des Bestehens des AsylbLG keine Bundesregierung den Willen gehabt oder den Mut gefunden, die unwürdige Altlast aus der Abschreckungspolitik der 1990er politisch zu entsorgen.
Die rot-grün-gelbe Bundesregierung konnte sich im Koalitionsvertrag von 2021 lediglich darauf verständigen, sie würde das AsylbLG »im Lichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts weiterentwickeln«. Selbst dieses Versprechen ist sie bis heute schuldig geblieben. Als Anfang 2023 das Bürgergeldgesetz in Kraft tritt, wird der Ausschluss von Geflüchteten aus dem normalen Sozialhilfesystem unverändert in das Bürgergeldgesetz übernommen. Ein halbes Jahr nach der Rüge des Verfassungsgerichts vom Oktober 2022 hat die Bundesregierung noch nicht einmal die sich aus dem Urteil ergebenden notwendigen Gesetzesänderungen vorgenommen – mit der Folge, dass in vielen Ländern ein Teil der Alleinstehenden und Alleinerziehenden (diejenigen im sog. Grundleistungsbezug) noch immer mit den – nun unbestritten rechtswidrigen – 10%-igen Leistungskürzungen leben müssen.
Die Geschichte des AsylbLG zeigt, dass ein Gesetz, dessen Kern und Auftrag die diskriminierende Schlechterstellung zur Abschreckung ist, sich nicht verfassungskonform reformieren lässt. Stattdessen provoziert es immer wieder neue Schikanen. Selbst wenn die amtierende Bundesregierung das AsylbLG im Sinne der Betroffenen – was angesichts der politischen Gemengelage durchaus zu hoffen und nach der letzten Entscheidung des Verfassungsgerichts unerlässlich ist – an manchen Stellen verbessert: Es gibt keinen Grund zu glauben, dass wesentliche Verbesserungen im Gesetz länger als bis zur nächsten populistischen Debatte über Geflüchtete hinaus halten würden. Eine verfassungstreue, menschenrechtskonforme Umsetzung wäre allerdings sehr einfach zu erreichen: Über die Abschaffung des AsylbLG und die Einbeziehung von Geflüchteten in die Regelungen des Sozialgesetzbuchs.
(ak)