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„Ich hatte Todesangst“ – Misshandlungen und Folter beim Aufgriff von Flüchtlingen in der griech

Für die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Sommer 2007 vor der griechischen Insel Chios stehen heute drei tatverdächtige Beamte der Küstenwache vor Gericht.
Einer der betroffenen Flüchtlinge berichtete von seinem am 17./18. Juni 2007 erlittenem Martyrium:
„Ich musste niederknien. Ein Polizist stand hinter mir und zwei standen vor mir. Der hinter mir schlug mir gezielt und fest mit einem Stock von oben herunter auf den Kopf… […] Ein anderer Polizist – ein Dicker – kam und sagte mir ins Ohr: ‚Sag die Wahrheit. Diese beiden Polizisten sind sehr gefährlich. Sie werden dich töten. […] Dann wurde ein mit Wasser gefüllter Plastikeimer gebracht. Ich kniete die ganze Zeit. ‚Siehst du das Wasser?’ Meine Arme wurden von einem Polizisten hinter meinem Rücken zusammengepresst.“
Folter durch Waterboarding
„Der andere drückte meinen Kopf mit einem Nackengriff nach unten ins Wasser. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich wurde erst nach einiger Zeit hochgezogen. […] Ich hatte Todesangst. […] Der Polizist holte dann eine Plastiktüte und zog sie mir über den Kopf. Er presste diese Tüte mit einer Hand um meinen Hals zusammen. Ich konnte nicht mehr atmen. Diese Prozedur mit der Plastiktüte haben sie mit mir dreimal gemacht – und immer stellten sie mir die gleichen Fragen. Ein Polizist machte dann ein Zeichen mit der Hand: Es ist genug.“ (Quelle: The truth may be bitter, but must be told, Oktober 2007)
Prozess gegen Tatverdächtige
Heute, fast sechs Jahre nach dem menschenverachtenden Vorfall, müssen sich vor dem Marinegericht in Piräus/Athen drei Angehörige einer Spezialeinheit verantworten. Ihnen werden Folter durch Elektroschocks, Waterboarding und andere schwere Menschenrechtsverletzungen gegen zwei Flüchtlinge vorgeworfen. Die Angeklagten sollen die beiden Flüchtlinge nach dem Aufgriff, beim Transport in den Hafen von Chios auf einem Boot der Küstenwache misshandelt haben.
Dokumentation sorgte für internationales Aufsehen
Der Vorfall wurde in dem Bericht „The Truth maybe bitter“ von PRO ASYL und der Anwälte für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen (Athen) dokumentiert. Die Dokumentation wurde im Oktober 2007 veröffentlicht und sorgte für internationales Aufsehen. Die Tatsache, dass überhaupt Anklage erhoben wurde, ist für griechische Verhältnisse bemerkenswert. Schwere Menschenrechtsverletzungen finden in einem politischen Klima statt, in dem die Täter in Uniform in der Regel unbehelligt bleiben.
Prozess in Athen von grundsätzlicher Bedeutung
Alle Aspekte des Berichts „The truth may be bitter“ gelten mittlerweile als allgemeines Wissen über die katastrophale Situation für Schutzsuchende in Griechenland, bestätigt durch Grundsatzurteile des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg (Januar 2011) und des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (Dezember 2011). Der gemeinsame Bericht vom Oktober 2007 war der Einstieg in eine europäische Auseinandersetzung, der de facto zu einem europaweiten Abschiebungsstopp nach Griechenland im Januar 2011 führte.
Die juristische Aufarbeitung des sogenannten Chios- Falles ist aus der Sicht von PRO ASYL von grundsätzlicher Bedeutung. Folter und Misshandlungen dürfen nicht straffrei bleiben. PRO ASYL hat aus seinem Rechtshilfsfonds die anwaltliche Vertretung der Opfer seit Sommer 2007 finanziert.
PRO-ASYL-Berichte zu Griechenland:
The truth may be bitter, but it must be told.
Walls of Shame – the detention Centers of Evros
I came here for peace – systematische Polizeigewalt gegen Flüchtlinge in Patras
Europäischer Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Italien und Griechenland (22.10.14)
Griechenland sagt Untersuchung illegaler Push-Backs zu (20.01.14)
Späte Gerechtigkeit – Mitglieder der griechischen Küstenwache wegen Folter verurteilt (28.11.13)
Zum fraktionsübergreifenden Antrag zur Flüchtlingssituation in Griechenland (14.12.11)