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„Ich habe das als Behördenkrieg bezeichnet“
Eineinhalb Jahre lang hat Aram Ali dafür gekämpft, seinen Onkel und dessen Familie aus dem syrischen Bürgerkrieg zu sich holen zu dürfen. Seit einer Woche sind sie nun in Hamburg. Dabei sah es lange nicht gut aus, denn die Hürden für Syrerinnen und Syrer sind hoch. Die Wende brachten der Einsatz des Flüchtlingsrat Niedersachsen und eine Konferenz von PRO ASYL.
Wir haben mit Aram Ali über seine Erfahrungen in seinem Kampf um die Aufnahme von Angehörigen gesprochen.
PRO ASYL: Aram, dein Onkel, ein Kinderarzt, seine Frau und drei Kinder sind am 18. September sicher in Hamburg gelandet. Wie ist es, sie alle bei Euch zu haben?
Aram Ali: Es ist sehr schön und am Anfang sehr, sehr chaotisch. Für sie war es ein Umzug. Wir mussten insgesamt etwa 250 Kilo schleppen! Sie sind jetzt bei meiner Mutter untergebracht, die in einer WG lebt. Sie schlafen auf den Sofas, auf dem Boden, auf den Matratzen, und wir haben den ganzen Keller umgeräumt, damit die Koffer dort rein passen. Das ist auf jeden Fall witzig. Als wir angekommen sind, haben die Nachbarn ein Grillfest organisiert, das war ganz nett.
Es klingt so, als wärt ihr glücklich.
Ja! Mein anderer Onkel ist schon länger hier. Er will eine Arbeit finden, damit er seine Familie selbst aufnehmen kann. Sie sind noch in Beirut.
Bis deine Verwandten zu dir kommen durften, hat es eineinhalb Jahre gedauert. Wenn du auf diese Prozedur zurückguckst, was denkst du darüber?
Ich habe das als Behördenkrieg bezeichnet. Seit Februar 2013 versuchen wir, sie hierher zu bringen. Sie waren in Aleppo überfallen worden, in ihrer Wohnung. Sie wurden bestohlen und mit Waffen bedroht, sie mussten dort raus. Sie haben sich bei UNHCR gemeldet, um beim ersten Programm für die 5.000 Leute aufgenommen zu werden. Das hat nicht geklappt. Beim zweiten Programm haben wir sie auch angemeldet. Das hat wieder nicht geklappt. Ein Jahr war schon vergangen. Da wurde der Ländererlass erlassen, wo es hieß, man kann die Leute aufnehmen, wenn man genügend Geld hat. Das hat auch nicht geklappt, meine Mutter arbeitet in einer Änderungsschneiderei, ich bin Student. Letzten Endes gab es die Konferenz von PRO ASYL und den Bericht von arte, der dann alles ins Rollen gebracht hat.
Das war im Juni 2014. Kannst du etwas genauer beschreiben, was du mit „ins Rollen gebracht“ meinst?
Wir waren ja kurz nach der Konferenz von der Ausländerbehörde darüber informiert worden, dass auch jemand anders außer meiner Mutter und mir als Verpflichtungsgeber bürgen kann. Und wir wussten nicht, wie wir auf die Leute zugehen und sie darauf ansprechen konnten. Da war die Hilfe von Dirk und Nicole von PRO ASYL sehr wichtig.
Inwiefern?
Mit ihren Erklärungen, was die Verpflichtungserklärung bedeutet, konnte ich auf die Leute zugehen und es ihnen wiederum erklären. PRO ASYL hatte auch den Kontakt zu arte vermittelt. Durch den arte-Beitrag sind die Leute auf das Problem aufmerksam geworden. Sie sind haben dann von sich aus gesagt, wenn Ihr Hilfe braucht, dann können wir sie leisten.
Gab es noch weitere Hürden, die ihr beiseite räumen musstet?
Das eigentliche Problem war, dass der Ländererlass hier in Niedersachsen nur für die Kernfamilie anwendbar ist, also Mutter, Vater und minderjährige Kinder. Damit konnten die beiden erwachsenen Söhne meines Onkels nicht mitaufgenommen werden. Ich habe dann bei der Ausländerbehörde in Kiel nachgefragt, wo meine Tante lebt. Die haben gesagt, solange eine Verpflichtungserklärung vorliegt, ist uns der Verwandtschaftsgrad egal. Wir sind dann mit allen Unterlagen nach Kiel gekommen, es hat es funktioniert. Die Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde war letzten Endes sehr schwierig, nicht nur abhängig von den rechtlichen Grundlagen, sondern auch von den jeweiligen Mitarbeitern.
Wie geht es für Eure Familie jetzt weiter?
Sie suchen gerade nach Sprachschulen, um möglichst schnell Deutsch zu lernen. Der ältere Sohn hat Pharmazie studiert und möchte hier weiter studieren. Der andere Sohn hat sein Abitur in der Türkei gemacht. Er möchte jetzt auch anfangen zu studieren. Für die Tochter suchen wir gerade eine Schule.
Dein Onkel ist Kinderarzt. Er ist bereits mit einem Klinikum im Gespräch, um dort arbeiten zu können…
…wir werden in den nächsten Tagen hinfahren, uns mit einem Verantwortlichen dort treffen und gucken, was die nächsten Schritte sind. Falls das nicht funktioniert, werden wir versuchen, seine Abschlüsse anerkennen zu lassen, und in der Zwischenzeit hier in Hannover eine Hospitationsstelle als Arzt suchen. Vielleicht finden wir eine Praxis, in die er mit einsteigen kann. Ich hoffe, es funktioniert.
Wir halten die Daumen! Wie verlief der Kontakt zu der Familie, in den Monaten vor ihrer Ankunft?
Ich musste ihnen immer erklären, was auf sie zukommen wird, hier in Deutschland. Das war das Anstrengende. Es war für sie sehr schwer nachzuvollziehen, das Leben in Sicherheit, eine Sprachschule zu besuchen und so weiter. Aufgrund ihrer Situation dort waren sie völlig aus dem Alltag gerissen. Ich hab dann immer gesagt, ok, wenn ihr es nicht versteht, kommt erstmal hierher und dann erklären wir euch das hier.
Was ist nach dieser schwierigen Zeit deine Aufforderung an die Bundesregierung?
Ein Mensch, der aus Aleppo oder aus dem Sudan kommt, aus dem ganzen Krieg, mit dem Boot hierher kommt, sein Leben in Gefahr bringt, der hat kein Interesse daran, ein Jobcenter zu bescheißen. Er will erstmal hier ankommen, er will wieder einen Alltag haben, er will arbeiten gehen und sich einbringen. Man geht hier immer von der Vorstellung aus, er dürfe nicht in der sozialen Hängematte liegen. Wenn man sich von dieser Vorstellung verabschiedet, könnte man vieles verändern. Letzen Endes darf man Aufnahmeprogramme nicht vom Geld der Freunde, der Verwandten abhängig machen. Es geht um Menschenleben, die gerettet werden, unabhängig von der Qualifikation oder woher sie kommen.
Gibt es noch etwas, was du sagen möchtest?
Ich danke auf jeden Fall dem Team von Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie dankbar wir Euch sind.
Medienberichte: arte, 20.9.14 & 3.6.14
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