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»Ich führe meine Ehe nur noch telefonisch«

Habtemariam Tewelde lebt seit acht Jahren von seiner Frau getrennt – auch weil das Auswärtige Amt den Familiennachzug behindert. Seinen Sohn hat er zum ersten Mal gesehen, als dieser sieben Jahre alt war. Im Interview erzählt er, was das jahrelange Warten mit ihm macht.
Herr Tewelde, Sie sind seit 2014 in Deutschland. Wie sieht Ihr Leben hier aus?
Tewelde: Ich lebe in Augsburg, habe hier in Deutschland eine Ausbildung zum Stuckateur gemacht und habe eine Arbeit. Momentan bin ich aber nicht als Stuckateur tätig, sondern als Lagerhelfer bei Amazon. Meist fange ich nachmittags an und arbeite dann bis spätabends. Ich lebe in einer eigenen Wohnung. Neulich bin ich umgezogen, in eine größere Wohnung mit drei Zimmern. Genug Platz für mich und meine Frau und unseren Sohn – wenn sie denn endlich zu mir kommen dürften.
Die beiden sind von Eritrea nach Äthiopien geflüchtet. Im Rahmen des gesetzlich verankerten Familiennachzugs dürften sie eigentlich zu Ihnen kommen, aber das zieht sich hin. Warum?
Tewelde: Das Hauptproblem ist, dass wir keine staatlichen Dokumente haben, wie sie die deutschen Behörden verlangen. Wir haben kirchlich geheiratet, wie es in Eritrea üblich ist. Aber Deutschland will den Familiennachzug nur erlauben, wenn wir eine staatliche Heiratsurkunde vorlegen oder die kirchliche Heiratsurkunde beim eritreischen Außenministerium beglaubigen lassen.
Dafür müsste ich mich aber an die eritreischen Behörden wenden – und das ist gefährlich. Eritrea ist eine Diktatur, das weiß jeder. Menschen werden verfolgt und verschwinden einfach spurlos. Ich bin geflüchtet vor Afewerki, dem Präsidenten, der seine eigenen Bürger umbringen lässt. Und jetzt soll ich mich an dieses Regime wenden und darum bitten, dass sie mir Dokumente ausstellen?!
Um einen Visumsantrag auf Familiennachzug stellen zu dürfen, muss man bei der Deutschen Botschaft erstmal einen Termin vereinbaren. Was mussten Sie dafür unternehmen?
Tewelde: Das war sehr schwierig. Es hat alles sehr lange gedauert: Zuerst musste ich vor dem Computer sitzen und darauf hoffen, dass ich irgendwann im richtigen Moment davor sitze, um das Zeitfenster zu erwischen, in dem man sich für einen Termin bei der Botschaft registrieren kann. Da muss man Glück haben, denn viele, viele andere wollen das auch. Danach mussten wir 13 Monate warten, um den Termin wahrnehmen zu können und die Dokumente einzureichen.
Als Eritreer das eigene Land zu verlassen, ist illegal. Du wirst bestraft, wenn sie dich kriegen.
Und das war nur der allererste Schritt. Meine Frau musste Eritrea verlassen. Dort kann man den Antrag auf Familiennachzug nicht stellen – das geht nur in einer Deutschen Botschaft in einem der Nachbarländer. Sie ist also nach Äthiopien gegangen. Als Eritreer das eigene Land zu verlassen, ist illegal. Du wirst bestraft, wenn sie dich kriegen.
Warum konnte Ihre Frau damals nicht mitkommen, als Sie nach Deutschland geflüchtet sind?
Tewelde: Ich hatte gar nicht geplant, das Land zu verlassen. Aber dann musste ich fliehen, denn sie wollten mich beim Militär einziehen. In Eritrea bedeutet das, dass du dein ganzes Leben lang als Soldat arbeiten musst. Ohne Ende. Bis du stirbst. Das wollte ich nicht. Außerdem musste ich mich um meine Geschwister kümmern, denn ich bin der Älteste. Mein Vater war im Jahr 2000 im Krieg gegen Äthiopien gestorben. In Eritrea gibt es keine Hinterbliebenenrente. Also haben wir (andere Jungs und ich) uns versteckt, haben im Wald gelebt. Ich war also auch schon in Eritrea auf der Flucht. Wir wurden verfolgt, es war eine gefährliche Situation.
Ich habe versucht, meine Frau an einen sicheren Ort zu bringen. Sie ist dann erstmal bei ihren Eltern geblieben. Dass sie schwanger war, als ich das Land verlassen habe, wussten wir beide damals nicht. Als ich endlich Deutschland erreicht hatte, habe ich gedacht, nun kann es nicht mehr lange dauern, bis sie endlich bei mir ist. Höchstens zwei Jahre, dachte ich.
Mittlerweile sind es acht Jahre, dass Sie Eritrea verlassen haben. Wie halten Sie den Kontakt?
Tewelde: Wir telefonieren regelmäßig, aber das Internet ist dort schlecht. Das ist nicht wie hier. Aber was sollen wir sonst machen? Ich führe meine Ehe nur noch telefonisch. Über Messenger-Dienste versuchen wir mit Video zu telefonieren, aber das klappt selten gut. Und übers Telefon zu spüren, was der andere gerade fühlt, ist schwer.
Letztes Jahr im Dezember hatten Sie genug Geld zusammengespart, um Ihre Familie im Exil in Äthiopien zu besuchen. Da haben Sie Ihren Sohn das erste Mal im Leben gesehen. Wie war das?
Tewelde: Das war sehr schwierig für mich. Mein Sohn hat gar nicht geglaubt, dass ich sein Vater bin. Er hat mich eher behandelt wie einen Freund seiner Mama, einen Bekannten. Es hat zwei, drei Wochen gedauert, bis wir uns ein bisschen angenähert hatten. Aber dann musste ich ihn verlassen. Ich musste zurückfliegen nach Deutschland – alleine. Auf dem Rückflug nach Frankfurt war ich krank vor Sorge und Traurigkeit. Ich konnte nicht mehr richtig denken.
Was macht die Trennung mit Ihnen als Paar?
Tewelde: Meine Frau und ich hatten schon Streit deswegen. Sie fragt mich immer, wieso es in Deutschland so lange dauert. Die anderen, deren Männer in die Schweiz gegangen sind, nach Holland, Italien, Frankreich oder Großbritannien – bei denen geht es so viel schneller. Wie kann es sein, dass das in Deutschland anders ist? Das kann sie gar nicht glauben. Ich habe versucht sie zu beruhigen.
»Die anderen, deren Männer in die Schweiz gegangen sind, nach Holland, Italien, Frankreich oder Großbritannien – bei denen geht es so viel schneller.«
Aus lauter Hilflosigkeit habe ich sogar Ausreden erfunden, nur um ihr irgendetwas sagen zu können, um wenigstens eine Antwort zu haben. Also habe ich gesagt, dass ich so beschäftigt bin. In der Sprachschule, mit meiner Ausbildung, mit der Wohnungssuche. Aber das geht natürlich auf Dauer nicht, diese Notlügen. Ich verstehe es ja selbst nicht, warum es so lange dauert. Es gibt Fälle, da sind Ehepaare so lange getrennt, dass die Beziehungen vor lauter Stress kaputt gehen. Manche werden so hoffnungslos, dass sie zu viel trinken.
Wie fühlen Sie sich in dieser Zeit des Wartens?
Tewelde: Wütend und traurig, beides zugleich. In guten Momenten hoffe ich, dass diese schwierige Zeit mich stark macht fürs Leben. Aber oft fühle ich mich kraftlos und kaputt.
Trotzdem raffen Sie sich auf und engagieren sich ehrenamtlich in der »Initiative Familiennachzug Eritrea«. Was treibt Sie an?
Tewelde: Ich will nicht einfach nur dasitzen und zuschauen. Es gibt viele Leute, die so leben wie ich, die auf ihre Familien warten. Viele stehen deswegen sehr unter Stress und können sich nicht konzentrieren, zum Beispiel aufs Deutschlernen. Ich kann zumindest die Sprache und kann deshalb auch für andere sprechen. Es fing an mit einer Eritreerin, die bei Youtube über die Probleme beim Familiennachzug berichtet hat. Da haben wir gemerkt: Wir sind nicht allein, wir haben alle das gleiche Problem. Also haben wir uns zusammengeschlossen. Wir organisieren auch Demonstrationen.
Ich tue das, weil ich helfen will. Mir selbst und anderen. Ich habe die Kinder in Äthiopien gesehen, die ohne Vater aufwachsen, so wie mein Sohn. Und die Frauen, die im Stress sind, die Angst haben. Besonders jetzt ist die Lage in Äthiopien schlimm wegen des Krieges. Wenn wir nur abwarten, wird nichts passieren. Auch wenn meine Frau und mein Kind irgendwann hoffentlich bei mir sein werden, will ich mich weiter engagieren für all die anderen, die noch warten.
Wenn Sie die Gelegenheit hätten, mit Außenminister Heiko Maas zu sprechen, deren Amt maßgeblich den Familiennachzug ver- oder behindert: Was würden Sie ihm sagen?
Tewelde: »Wie verstehen Sie die Menschenrechte?«, würde ich ihn fragen. Das Recht, als Familie zusammenleben zu können, ist doch ein Menschenrecht. Warum wird uns das nicht erlaubt? Und ich würde ihm sagen: »In meinem Asylbescheid steht, dass ich keinen Kontakt haben darf zu eritreischen Behörden. Sonst könnte Deutschland mir meinen Asylschutz wieder wegnehmen. Wie kann es sein, dass die Deutsche Botschaft dann nach staatlichen Dokumenten fragt, die ich jetzt nachträglich besorgen soll, damit meine Frau kommen darf?«
»Hier in Augsburg sehe ich oft Familien, die mit ihren Kindern spazieren gehen oder Urlaub machen. Ich träume davon, dass wir das auch irgendwann mal können.«
Stellen Sie sich manchmal vor, was Sie mit Ihrer Familie unternehmen, wenn sie hier sein wird?
Tewelde: Ich traue mich gar nicht so richtig, darüber nachzudenken. Aber ich wünsche mir für meinen Sohn ein besseres Umfeld, ein besseres Leben. Dass er in Ruhe und Sicherheit aufwachsen kann. Dass er hier zur Schule gehen und mit den Kindern spielen kann. Jetzt bekommt er viele schlimme Dinge mit, auch Verbrechen. Aber die Hauptsache ist, dass wir drei einfach zusammen sind. In Ruhe zuhause. Dass wir uns in den Arm nehmen können. Hier in Augsburg sehe ich oft Familien, die mit ihren Kindern spazieren gehen oder Urlaub machen. Manche verbringen ein Wochenende in einer Ferienwohnung auf dem Land. Ich träume davon, dass wir das auch irgendwann mal können.
Das Gespräch führte Elisa Rheinheimer