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Humanität und Solidarität geht anders: Schluss mit Abschiebungen zurück ins griechische Elend!
Während die Bundesregierung Asylsuchende und bereits anerkannte Flüchtlinge aus Griechenland ausfliegt, halten deutsche Behörden an Abschiebungen ins dortige Elend fest. Diese Praxis muss gestoppt werden – Abschiebungen nach Griechenland sind unzumutbar.
Vor drei Monaten brannte das Großinsellager Moria auf Lesbos komplett aus. Seitdem harren Tausende Schutzsuchende in einem provisorischen Lager auf der Insel unter weiterhin menschenunwürdigen Bedingungen aus.
Angesichts dieser dramatischen Situation sah sich die Bundesregierung in den letzten Monaten gezwungen, der Aufnahme von bis zu 2.750 Schutzsuchenden aus Griechenland zuzustimmen. Neben rund 200 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten sowie 243 behandlungsbedürftigen Kindern mit ihren engsten Familienangehörigen sollen insgesamt 408 Familien (1.553 Personen) aus Griechenland aufgenommen werden, die dort bereits internationalen Schutz erhalten haben.
Die Aufnahmezusagen sind beschämend gering. Politisch beinhalten sie jedoch auch das implizite Eingeständnis der Bundesregierung, dass die Lebensbedingungen für Schutzsuchende und anerkannte Flüchtlinge in Griechenland menschenunwürdig und unzumutbar sind.
Zweierlei Maß: Wer eigenständig kommt, dem droht die Abschiebung
Die im September beschlossene Aufnahme von 1.553 international Schutzberechtigten erfolgt auf Grundlage einer Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 9. Oktober 2020. Diese vermittelt den Betroffenen vergleichsweise umfassende Rechte und stellt sie Menschen, denen Deutschland internationalen Schutz zuerkannt hat, weitgehend gleich.
Während einerseits Menschen aus Griechenland ausgeflogen werden, versucht Deutschland gleichzeitig Menschen ins dortige Elend abzuschieben.
Anerkannt – aber nicht gleichgestellt
Umso widersinniger und zynischer mutet der Umgang deutscher Behörden mit Menschen an, die angesichts der elendigen Verhältnisse in Griechenland ihr Glück selbst in die Hand nehmen und eigenständig weiter nach Deutschland fliehen. Stellen sie hier einen Asylantrag, lehnt das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) diesen in aller Regel als unzulässig ab und ordnet bzw. droht die Abschiebung nach Griechenland an.
Während also einerseits Menschen aus Griechenland ausgeflogen werden, versucht Deutschland gleichzeitig Menschen ins dortige Elend abzuschieben. Das BAMF verkennt dabei systematisch die Realität der unzumutbaren Verhältnisse für Asylsuchende und Schutzberechtigte in Griechenland.
Anerkannte Flüchtlinge verelenden in Griechenland
PRO ASYL und seine griechische Partnerorganisation »Refugee Support Aegean« (RSA) dokumentieren seit Jahren die Situation von Schutzberechtigten in Griechenland. Weiterhin besteht »Schutz« in Griechenland nur auf dem Papier. In einer kürzlich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereichten Stellungnahme kommen die beiden Organisationen zu dem Schluss, dass sich die Lage von Schutzberechtigten in Griechenland in jüngster Zeit weiter verschlechtert hat. Aus diesen Gründen sehen sich viele Menschen zur Weiterflucht gezwungen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse dieser Stellungnahme ist hier zu finden.
Keine Wohnung, Arbeit oder Unterstützung
Menschen, die mit internationalem Schutz nach Griechenland abgeschoben werden, landen dort in der Obdachlosigkeit, erhalten in der Praxis keinen Zugang zu elementaren Leistungen und können auch sonst auf keine Unterstützung von staatlicher Seite hoffen. Ihnen droht innerhalb kürzester Zeit Verelendung und ein Leben unter menschenrechtswidrigen Bedingungen.
In Deutschland ein Leben zwischen Baum und Borke
Selbst wenn eine Abschiebung nach Griechenland abgewendet werden kann, sind die Belastungen für Tausende Betroffene enorm. Lange Gerichtsverfahren in ständiger Angst vor Abschiebung, monatelange Isolation in Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren ohne Zugang zu Sprachkursen, Schule und Arbeitsmarkt zermürben die betroffenen Schutzsuchenden. Wenn das BAMF ihren Asylantrag als unzulässig abgelehnt hat, können sie auch von Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Im besten Fall wird am Ende gerichtlich ein sogenanntes Abschiebungsverbot festgestellt.
»Ich wollte mein Kind nicht in diesem Park auf die Welt bringen. Ich musste aus dieser Situation raus. Ich konnte dort nicht mehr bleiben.«
Anders als bei den 1.553 Personen, die Griechenland organisiert verlassen konnten, bleiben den selbständig nach Deutschland Gekommenen weitergehende Rechte, die ihnen als international Schutzberechtigten zustehen, verwehrt.
Rechte statt Kontingente!
Es ist ein Gebot der Menschenwürde und des Flüchtlingsschutzes, diese Menschen genauso zu behandeln wie diejenigen Menschen, die zu Recht aus Griechenland ausgeflogen werden. Solange Menschen, die in einem EU-Mitgliedsstaat internationalen Schutz erhalten haben, freizügigkeitsberechtigten EU-Bürger*innen nicht gleichgestellt sind, bedeutet das konkret, dass zunächst Abschiebungen nach Griechenland komplett gestoppt werden müssen.
Für Menschen im sogenannten Dublin-Verfahren muss das BAMF die Zuständigkeit für die Durchführung ihres Asylverfahrens ohne Wenn und Aber übernehmen. Für Menschen, die bereits einen Schutzstatus in Griechenland erhalten haben, müssen pragmatische Lösungen gefunden werden, so dass sie hier in Deutschland einen Status erhalten, der ihnen die Rechte vermittelt, die ihnen als international Schutzberechtigte zustehen.
FALLSKIZZEN: MARYAM J. UND FERAS B.
Maryam J. und Feras B. sind Geflüchtete mit internationalem Schutz in Griechenland, die angesichts der katastrophalen Bedingungen dort eigenständig weiter nach Deutschland geflohen sind. Maryam J. und Feras B. werden in ihren Verfahren über den Rechtshilfefonds von PRO ASYL unterstützt.
Maryam J. (24) ist Afghanin, ist jedoch im Iran geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Sie kommt im August 2020 nach Deutschland und lebt seitdem in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hessen. Ende Oktober bringt sie ihr erstes Kind zur Welt, gerade noch rechtzeitig zur Geburt trifft auch ihr Ehemann bei ihr ein.
Das Ehepaar ist 2018 mit dem Schlauchboot auf der griechischen Insel Lesbos angekommen, ganze 11 Monate müssen sie unter widrigsten Bedingungen im berüchtigten Lager von Moria ausharren. Als der griechische Staat ihnen Asyl gewährt, werden sie nach Athen verlegt. Nach einer kurzen Übergangsphase in einem Flüchtlingslager wird jegliche staatliche Unterstützung eingestellt. Das Ehepaar wird aus dem Lager rausgeworfen und landet mittellos auf dem Viktoriaplatz in Athen, wo zahlreiche andere obdachlose Geflüchtete leben.
Dem Bundesamt sagt Maryam J.: »Ich wollte mein Kind nicht in diesem Park auf die Welt bringen. Ich musste aus dieser Situation raus. Ich konnte dort nicht mehr bleiben«. Der Ablehnungsbescheid vom Bundesamt, mit dem die Abschiebung nach Griechenland angedroht wird, kann jeden Tag bei der jungen Familie eintreffen.
Feras B. (24) kommt aus dem Sudan und lebt seit Sommer 2019 in Deutschland, abgeschieden in einer Erstaufnahmeeinrichtung mitten im Wald in Brandenburg. Das BAMF hat seinen Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Dort ist er 2017 mit dem Boot auf der Insel Chios angekommen und verbringt fast eineinhalb Jahre im dortigen Flüchtlingslager Vial, wo die Zustände ähnlich schlimm wie im Lager von Moria sind.
Er schlägt sich auf das griechische Festland durch und erhält schließlich Asyl. Mit dem Erhalt seiner Aufenthaltserlaubnis fällt auch das letzte Bisschen staatliche Unterstützung weg, er landet mittellos auf der Straße, eine reguläre Arbeit findet er keine, obwohl er fließend Englisch spricht. Bei seiner Anhörung beim BAMF erklärt Feras B.: »Schutz bekommt man in Griechenland nur auf dem Papier. Dies steht auf dem Papier. Man bekommt keine Unterstützung. Man bekommt keinen Wohnsitz und keine Arbeit. Man lebt dann auf der Straße«.
Ende Oktober 2020 steht plötzlich die Polizei vor der Tür, um ihn nach Athen abzuschieben. Erst im Flugzeug wird die Abschiebung abgebrochen. Seit diesem Tag erhält Feras B. keinerlei Sozialleistungen mehr, ein erneuter Abschiebungsversuch kann jederzeit erfolgen.
ame/mz