29.08.2011
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Foto: flickr - Magalie L'Abbé

Der Europarat untersucht seit Juni den tausendfachen Tod von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer und geht dabei Vorwürfen unterlassener Hilfeleistung nach. Jetzt äußerte sich die mit der Untersuchung betraute Abgeordnete Tineke Strik.

Seit Beginn die­ses Jah­res sind über 1900 Men­schen beim Ver­such ums Leben gekom­men, die euro­päi­schen Küs­ten zu errei­chen. In meh­re­ren Fäl­len berich­te­ten Über­le­ben­de von Boots­ka­ta­stro­phen, dass Schiffs­be­sat­zun­gen vor­über­fah­ren­der Schif­fe Schiff­brü­chi­ge nicht ret­te­ten und Hil­fe­ru­fe igno­riert wur­den. Ende Juni ver­kün­de­te die Par­la­men­ta­ri­sche Ver­samm­lung des Euro­pa­ra­tes, dass eine umfas­sen­de Unter­su­chung der Tra­gö­di­en im Mit­tel­meer statt­fin­den sol­le, um eine mög­li­che Mit­ver­ant­wor­tung von NATO-Ein­hei­ten oder natio­nal­staat­li­chen Küs­ten­wa­chen zu prüfen.

Die nie­der­län­di­sche Abge­ord­ne­te der Par­la­men­ta­ri­schen Ver­samm­lung Tine­ke Strik, die vom Euro­pa­rat beauf­tragt wur­de, einen Bericht zu den Unter­su­chun­gen vor­zu­le­gen, sprach Ende August über einen Fall mut­maß­li­cher unter­las­se­ner Hil­fe­leis­tung: „Das scho­ckie­rends­te für den Euro­pa­rat war die Tat­sa­che, dass die­se Men­schen früh genug um Hil­fe geru­fen hat­ten. Sie hat­ten ein Not­si­gnal an einen Pries­ter in Ita­li­en gesen­det, der es an die ita­lie­ni­sche Küs­ten­wa­che wei­ter lei­te­te. Die­se wie­der­um gab an, die Mel­dung erhal­ten und an Mal­ta und die NATO wei­ter gege­ben zu haben. Und dann ist nichts geschehen.“

Der Fall wur­de bekannt, nach­dem ein Über­le­ben­der gegen­über dem Guar­di­an berich­tet hat­te, dass gro­ße Schif­fe das manö­vrier­un­fä­hi­ge Flücht­lings­boot gekreuzt hät­ten, deren Besat­zung ihnen aber nicht zu Hil­fe gekom­men sei. Das­sel­be sei bei einem Heli­ko­pter der Fall gewe­sen, der über dem Boot Krei­se gezo­gen habe.

Im kom­men­den Monat wol­len Tine­ke Strik und ihre Kol­le­gen mit den Über­le­ben­den, dem ita­lie­ni­schen Pries­ter und den zustän­di­gen Behör­den spre­chen. Die Dele­ga­ti­on wird auch Log­bü­cher von NATO-Schif­fen und der ita­lie­ni­schen und mal­te­si­schen Küs­ten­wa­che anfordern.

„Es ist abso­lut skan­da­lös. All dies geschieht in unmit­tel­ba­rer Nähe zu unse­ren euro­päi­schen Gren­zen. Wir sagen immer, dass die euro­päi­schen Außen­gren­zen unse­re gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung sind, dass wir ein Euro­pa sind. Aber wenn Men­schen unse­ren Schutz brau­chen, las­sen wir sie aufs Was­ser hin­aus­fah­ren und in ihren klei­nen maro­den Boo­ten ertrin­ken. Ja, das ist etwas, wofür man sich schä­men muss. Ein huma­ni­tä­res Desas­ter fin­det in unse­rer unmit­tel­ba­ren Nähe statt“, sag­te Tine­ke Strik.

Die Abge­ord­ne­te betont, dass die Fra­ge der Ver­ant­wor­tung poli­tisch hoch bri­sant ist: „Es ist klar, dass kein ein­zel­ner Staat die Ver­ant­wor­tung für die Flücht­lin­ge aus Liby­en oder ande­ren nord­afri­ka­ni­schen Län­dern über­neh­men will. Es ist poli­tisch gese­hen ein hei­ßes Eisen; das Pro­blem wird schnell an den nächs­ten Staat oder die nächs­te Behör­de wei­ter­ge­reicht und alle tun so, als wür­den sie in die ande­re Rich­tung schauen.

Der Bericht über die Flücht­lings­tra­gö­di­en auf dem Mit­tel­meer soll Ende des Jah­res fer­tig werden.

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