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So sieht das EU-Konzept der "Hot-Spot-Center" an den Außengrenzen in der Praxis aus: Flüchtlinge am "Hot-Spot" Moria auf Lesbos. Foto: PRO ASYL

Das durch Stacheldraht umzäunte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos wurde zum europäischen „Hotspot“ ernannt. Die Bedingungen, die Flüchtlinge dort vorfinden, sind menschenverachtend und entwürdigend. Hunderte warten etliche Stunden bis tagelang unter katastrophalen Bedingungen im Lager auf ihre Dokumente.

Die Situa­ti­on ist außer Kon­trol­le, nicht ein­mal für Grund­ver­sor­gung ist im Flücht­lings­la­ger Moria gesorgt. Sturm­ar­ti­ge Böen fegen über das Gelän­de, es gibt weder eine gere­gel­te Essens­ver­sor­gung noch aus­rei­chend medi­zi­ni­sche Hil­fe – die meis­ten Flücht­lin­ge sind den immer raue­ren Wet­ter­be­din­gun­gen schutz­los ausgeliefert.

Mit­ar­bei­ten­de des PRO ASYL-Pro­jek­tes RSPA (Refu­gee Sup­port Pro­gram Aege­an) sind vor Ort uner­müd­lich im Ein­satz. Auf­grund der dra­ma­ti­schen Lage sind Dol­met­scher und Anwäl­tIn­nen vor allem im Kran­ken­haus von Myti­li­ni prä­sent und ste­hen beson­ders Schutz­be­dürf­ti­gen zur Sei­te. Auch PRO ASYL-Mit­ar­bei­te­rIn­nen waren vor Ort und haben sich ein Bild gemacht von der dra­ma­ti­schen Situa­ti­on auf der grie­chi­schen Insel.

Tage­lan­ges War­ten in Regen und Schlamm 

Letz­te Woche hat­te sich die Situa­ti­on mit dem ein­set­zen­den Regen dra­ma­tisch zuge­spitzt: Hun­der­te Flücht­lin­ge har­ren tage­lang im Schlamm vor den Zäu­nen Mori­as aus. Bis auf die Haut durch­näss­te Kin­der, Schwan­ge­re, Kran­ke ste­hen im Regen. Wer Glück hat, fin­det zumin­dest zeit­wei­se Platz unter behelfs­mä­ßig auf­ge­spann­ten Pla­nen, die durch den Wind immer wie­der her­un­ter­ge­ris­sen wer­den. Frei­wil­li­ge ver­tei­len Müll­sä­cke, die sich Kin­der und Erwach­se­ne gegen den Regen über­stül­pen, es fehlt am Notwendigsten.

Ein Team von Ärz­te ohne Gren­zen ver­sucht ein­zel­nen medi­zi­nisch Hil­fe zu leis­ten, die Pati­en­ten lie­gen in dem not­dürf­tig ein­ge­rich­te­ten Zelt am Boden. Vie­le sind unter­kühlt, krank vom War­ten in der Käl­te, vie­le Schwan­ge­re ste­hen im Ein­gangs­be­reich. In Kara Tepe, dem Lager für syri­sche Flücht­lings­fa­mi­li­en, ist die Situa­ti­on etwas bes­ser – zumin­dest haben die Ankom­men­den durch Con­tai­ner-Unter­künf­te von UNHCR ein Dach über dem Kopf, auch die Regis­trie­rungs­pro­ze­dur ver­läuft hier schneller.

Rea­li­täts­fern und men­schen­un­wür­dig – Hot­spots als Teil des Problems

Jeder fünf­te Flücht­ling, der in die­sem Jahr Euro­pa erreich­te, ist auf der Insel Les­bos ange­lan­det. Allein über die Ägä­is flo­hen bis zum 26. Okto­ber 2015 ins­ge­samt 562.355 Schutz­su­chen­de – die meis­ten vor Krieg und Gewalt in Syri­en, Afgha­ni­stan und Irak. Das Haft­zen­trum Moria wur­de Mit­te Okto­ber zum neu­en Regis­trie­rungs­ort für die meis­ten der neu­an­kom­men­den Flücht­lin­ge auf der Insel umfunktioniert.

In dem als „Hot­spot“ fun­gie­ren­den Lager sol­len Flücht­lin­ge mit der Unter­stüt­zung von Fron­tex-Beam­ten iden­ti­fi­ziert, regis­triert und gescre­ent wer­den. Mit­te Okto­ber wur­den für die Regis­trie­rung 12 zusätz­li­che Gerä­te zur Fin­ger­ab­druck­nah­me aus Deutsch­land geliefert.

Ver­tei­lung funk­tio­niert nicht

Seit Fron­tex vor Ort ist, haben sich die Ver­fah­ren ver­lang­samt und das zer­mür­ben­de War­ten ver­län­gert. Eini­ge weni­ge mit „guter Schutz­per­spek­ti­ve“ – Schutz­su­chen­de aus Syri­en, Irak und Eri­trea – sol­len die Mög­lich­keit haben, über den euro­päi­schen Umverteilungs­mechanismus (Relo­ca­ti­on) in ande­re EU-Län­der ver­teilt zu wer­den. Vor allem afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de sind von die­ser Pro­ze­dur ausgeschlossen.

Das geplan­te Ver­fah­ren ist nicht nur dis­kri­mi­nie­rend und führt zu einer voll­kom­men inak­zep­ta­blen huma­ni­tä­ren Kata­stro­phe vor Ort. Es ist auch rea­li­täts­fern: Auf­nah­me­plät­ze ste­hen kaum zur Ver­fü­gung – die aller­meis­ten Schutz­su­chen­den sind wei­ter­hin gezwun­gen, sich unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen wei­ter über die Bal­kan­rou­te durch Euro­pa durchzuschlagen.

Poli­tik mit Todesfolge

Statt Men­schen an Euro­pas Rän­dern unter ent­wür­di­gen­den Umstän­den fest­zu­set­zen, muss ihnen die lega­le Wei­ter­rei­se in Euro­pa, Auf­nah­me und Schutz gewährt wer­den. Wäh­rend das Elend ent­lang der inner­eu­ro­päi­schen Flucht­rou­ten mit dem bevor­ste­hen­den Win­ter immer uner­träg­li­cher wird, führt der feh­len­de lega­le Zugang nach Euro­pa zu wei­te­ren dra­ma­ti­schen Todes­fäl­len an den Außengrenzen.

Hun­der­te ster­ben in der Ägä­is bei dem Ver­such, Euro­pa zu errei­chen. Bei Boots­ka­ta­stro­phen sind seit ges­tern erneut min­des­tens 11 Men­schen ums Leben gekom­men, rund 40 Men­schen wer­den noch ver­misst. Vor allem Kin­der ster­ben bei der gefähr­li­chen Über­fahrt. Mit­ar­bei­ter des PRO ASYL-Pro­jek­tes RSPA auf Les­bos betreu­en Über­le­ben­de von Boots­un­glü­cken und sind bis zur völ­li­gen Erschöp­fung im Einsatz.

Vie­le der Schutz­su­chen­den haben Ver­wand­te in Deutsch­land. Bis 2014 gab es zumin­dest für einen Teil der Syrer mit Ange­hö­ri­gen in Deutsch­land noch die Mög­lich­keit, über die Auf­nah­me­pro­gram­me legal ein­zu­rei­sen. Die Been­di­gung des Auf­nah­me­pro­gram­mes, die feh­len­de Mög­lich­keit so oder auf ande­re Wei­se Visa zu erhal­ten, ver­ur­sacht die chao­ti­schen Ver­hält­nis­se mit Todesfolge.

 

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