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Heiße Phase der GEAS-Verhandlungen: Jetzt noch protestieren!
Die Verhandlungen um die europäische Asylrechtsreform sind in der entscheidenden Phase, die spanische Ratspräsidentschaft will noch in diesem Jahr eine politische Einigung erzielen. In den Verhandlungen geht es um den Kern des Flüchtlingsschutzes in Europa – doch die Mitgliedstaaten könnten sich mit besonders schlimmen Vorschlägen durchsetzen.
Schon länger wird über das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) diskutiert, doch in diesem Jahr wurde es konkret: Im Juni und Oktober 2023 hatten die Mitgliedstaaten – auch mit Stimme der Bundesregierung – eine Verhandlungsposition beschlossen, die eine weitgehende Entkernung des Flüchtlingsschutzes in der EU vorsehen. PRO ASYL kritisierte diese Einigung als Ausverkauf der Menschenrechte. Das Europaparlament hatte dem bereits im April 2023 Verhandlungspositionen entgegengestellt, in denen zentrale Grund- und Menschenrechte noch geachtet werden.
Aktuell laufen die sogenannten Trilog-Verhandlungen, in denen unter Anleitung der Kommission die Mitgliedstaaten und das Europaparlament über die Vorschläge diskutieren und Kompromisse finden müssen. Dabei geht es um wichtige Fragen wie: Muss eine Mehrheit von Schutzsuchenden durch die Reform ihr Asylverfahren hinter Stacheldraht an den Außengrenzen durchlaufen? Werden Familien mit Kindern von solchen Grenzverfahren unter Haftbedingungen ausgenommen oder nicht? Und bekommen Flüchtlinge künftig noch Schutz in Europa oder werden sie systematisch in angeblich sichere Drittstaaten abgeschoben?
Am 7. Dezember 2023 lief nun ein erster sogenannter Jumbo-Trilog zu GEAS, bei dem alle Verordnungsvorschläge diskutiert wurden – normalerweise werden die Verordnungen separat diskutiert. Diese Jumbo-Triloge sollen den Durchbruch in den Verhandlungen bringen, denn die Positionen der Ko-Gesetzgeber (Rat der EU und Europäisches Parlament) sind unterschiedlich. Dies ist aber beim ersten Jumbo-Trilog noch nicht passiert, weshalb die nächste große Verhandlungsrunde für den 18. Dezember 2023 geplant ist.
Zwar wird unter Hochdruck verhandelt – aber noch ist nichts entschieden! Deswegen ist es aktuell wichtiger denn je, dass der Protest der Zivilgesellschaft laut ist. Das Europaparlament darf seine Positionen, die die Menschenrechte von Geflüchteten schützen, auf keinen Fall aufgeben. Auch die Bundesregierung darf keinem Gesamtkompromiss zustimmen, der dazu führen wird, dass es kaum noch Flüchtlingsschutz in der EU geben würde und schutzsuchende Menschen schutzlos bleiben.
Petition: Nein zu einem Europa der Haftlager!
PRO ASYL ist extrem besorgt, dass unter dem hohen Druck der Verhandlungen Kompromisse auf Kosten der Menschenrechte von schutzsuchenden Menschen geschlossen werden. Wenn die EU-Parlamentarier*innen den drastischen Vorschlägen der Mitgliedstaaten zustimmen, dann bleibt vom Flüchtlingsschutz in Europa kaum etwas übrig. Die aktuell diskutierten Vorschläge würden die schlimmsten Aspekte der europäischen Flüchtlingspolitik verstärken, statt mit einer tatsächlichen Reform die eigentlichen Probleme des europäischen Asylsystems zu lösen: mangelnde Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und wachsende Missachtung der grundlegenden Menschenrechte.
Deswegen appelliert PRO ASYL mit einer Petition an das Europaparlament: Sagen Sie Nein zu einem Europa der Haftlager! Die Petition kann noch unterschrieben werden.
Zuletzt gab es auch in zahlreichen Städten in Deutschland lautstarken Protest auf der Straße gegen GEAS. PRO ASYL war Teil des Bündnisses, das zu den Protesten aufgerufen hat.
Dies sind die aktuellen Streitpunkte, über die im Jumbo-Trilog gesprochen wird:
Im Oktober einigten sich die Mitgliedstaaten als letzte Verhandlungsposition zum Gesamtpaket der europäischen Asylrechtsreform auf ihre Position zur sogenannten Krisenverordnung. Diese soll im Fall von Krisen, höherer Gewalt und Instrumentalisierung starke Abweichungen von den ansonsten geltenden Regeln ermöglichen. Unter anderem könnten die Grenzverfahren stark ausgeweitet werden und die meisten – oder sogar alle – Schutzsuchenden für bis zu zehn Monate im Asylgrenz- und Abschiebungsgrenzverfahren festgehalten werden. Insbesondere die Regelung im Fall von »Instrumentalisierung von Migrant*innen« könnte in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Push-Backs führen (auch durch eine Verbindung zur vorgeschlagenen Änderung am Schengener Grenzkodex).
Das Konzept der Instrumentalisierung ist in der Verhandlungsposition des Europaparlaments bisher gar nicht enthalten, da dies ursprünglich nicht Teil der Asylrechtsreform war, sondern in einer speziellen Verordnung nachträglich geregelt werden sollte. In einem Gutachten bezüglich der grundrechtlichen Auswirkungen, das das Parlament in Auftrag gegeben hatte, wurde festgestellt, dass das Konzept in der Vergangenheit – zum Beispiel in Griechenland oder Polen – zu Menschenrechtsverletzungen geführt hat.
PRO ASYL hält das Konzept der »Instrumentalisierung« für besonders toxisch, zielt es doch darauf ab, schutzsuchende Menschen für die Handlungen einer außereuropäischen Regierung zu bestrafen. Die Krisenrhetorik an den Außengrenzen wurde von Mitgliedstaaten immer wieder genutzt, um Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen. Solchen Menschenrechtsverletzungen – wie illegalen Pushbacks oder willkürlichen Inhaftierungen oder Misshandlungen – wird durch die Krisenverordnung, wie die Mitgliedstaaten sie sich vorstellen, nur Vorschub geleistet werden statt sie endlich ein für alle Mal zu beenden!
Während die Mitgliedstaaten verpflichtende Grenzverfahren von 12 bis 16 Wochen wollen, hat das Europaparlament eine Position verabschiedet, die die Durchführung von Grenzverfahren nur optional vorsieht. Laut Medienberichten könnte das Parlament aber hier bereits auf die Mitgliedstaaten zugegangen sein. Außerdem fordern die Parlamentarier*innen, dass es Ausnahmen für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren gibt.
PRO ASYL hat in den vergangenen Jahren regelmäßig festgestellt, dass an den europäischen Außengrenzen wegen der dortigen Bedingungen keine fairen Asylverfahren möglich sind – falsche Entscheidungen mit fatalen Folgen sind programmiert. Es fehlen rechtliche Beratung und Anwält*innen. Schon jetzt ist beispielsweise in den »geschlossenen Einrichtungen« in Griechenland der Zugang für NGOs nicht gewährleistet und selbst für Rechtsanwält*innen in der Praxis oft eingeschränkt. Gerade wenn Menschen unter Haftbedingungen festgehalten werden, belastet sie das oft so stark, dass ihre Chancen im Asylverfahren dadurch beeinträchtigt werden. Solche Haftbedingungen sind zu erwarten, da vorgesehen ist, dass die Menschen während des Grenzverfahrens als »nicht-eingereist« gelten und sie deswegen absehbar hinter Mauern und Stacheldraht festgehalten werden.
Damit Menschen auf der Flucht in der EU keinen Schutz erhalten, sollen sie nach dem Willen vieler Politiker*innen aus der EU in sogenannte sichere Drittstaaten abgeschoben werden. Dafür würde ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihre eigentlichen Fluchtgründe im Herkunftsland würden nicht geprüft werden. Diese Debatte hat zuletzt auch in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Übersehen wird dabei meist, dass schon jetzt nur ein kleiner Bruchteil der Flüchtlinge weltweit nach Europa kommt. Rund drei Viertel der weltweiten Flüchtlinge leben laut UNHCR schon jetzt in armen und einkommensschwachen Ländern.
Laut der Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten sollen die Kriterien für »sichere Drittstaaten« so stark gesenkt werden, dass dort von Sicherheit keine Rede mehr sein kann. Denn nicht einmal das ganze Land muss dann mehr sicher sein, und wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen der EU und dem Drittstaat gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können. Auch müsste es in dem Land für die abgeschobene Person keinen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention geben.
Die Frage, ob es bei einer Abschiebung in einen »sicheren Drittstaat« wie bisher eine Verbindung zwischen der aus der EU abzuschiebenden Person und dem Drittstaat geben muss, war sehr umstritten zwischen den Mitgliedstaaten. Ohne ein solches Verbindungskriterium wären zumindest theoretisch so absurde Ideen wie ein EU-Ruanda-Modell zur Auslagerung von Asylverfahren möglich. In ihrer Verhandlungsposition wird das Verbindungskriterium zwar geschwächt, ist aber weiterhin enthalten. Das Europaparlament behält in seiner Position das stärkere Verbindungskriterium des aktuell gültigen Rechts bei und fordert auch höhere Standards an einen solchen »sicheren Drittstaat«.
PRO ASYL hält das Konzept der »sicheren Drittstaaten« für höchst gefährlich, bietet es doch EU-Mitgliedstaaten Möglichkeiten, sich maßgeblich aus dem Flüchtlingsschutz zurückzuziehen und eigentlich schutzberechtigten Flüchtlingen – etwa aus Syrien oder Afghanistan – den Schutz in Europa zu verweigern.
(wj)