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Wenn es nach der Bundesregierung geht, kommen solche Stempel zukünftig noch häufiger zum Einsatz. Foto: dpa

Am Donnerstag steht der Gesetzentwurf »zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« auf der Tagesordnung. Dieses Gesetz baut Deutschland vom Aufnahmeland zum Abschiebeland um und perfektioniert die Abschiebemaschinerie, um die Betroffenen außer Landes zu schaffen. PRO ASYL appelliert an den Deutschen Bundestag, das Gesetz nicht zu beschließen.

Der »Gesetz­ent­wurf zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht (PDF)« sieht unter ande­rem vor, im Asyl­ver­fah­ren durch die Mas­sen­aus­le­sung von Han­dy­da­ten den »glä­ser­nen Flücht­ling« zu schaf­fen. Nach einem erneu­ten Ände­rungs­an­trag soll das Bun­des­kri­mi­nal­amt (BKA) nun auch Daten an Dritt­staa­ten über­mit­teln dürfen.

Schutz­su­chen­de sol­len außer­dem über die bis­he­ri­ge sechs­mo­na­ti­ge Frist hin­aus in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen fest­ge­hal­ten wer­den kön­nen. Das führt zu einer Dau­er­iso­lie­rung und erschwert für die Betrof­fe­nen den Kon­takt zu Ehren­amt­li­chen, Bera­tungs­stel­len und Rechtsanwält*innen.

Zudem ermög­licht das Gesetz über­fall­ar­ti­ge Abschie­bun­gen ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung selbst für Men­schen, die län­ger als ein Jahr gedul­det sind. Betrof­fe­ne wer­den in den Aus­rei­se­ge­wahr­sam oder in Abschie­be­haft genom­men. Hier ist der Zugang zu Rechts­mit­teln erschwert.

Das bereits vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­wor­fe­ne Recht zur Vater­schafts­an­er­ken­nung wird nun im neu­en Gewand ein­ge­führt – auf Wunsch von CDU/CSU und SPD. Kin­der blei­ben so lan­ge ohne geklär­te Staatsangehörigkeit.

Zur Kritik des Gesetzentwurfs im Einzelnen: 

Schon bei Stel­lung des Asyl­an­tra­ges wer­den die Asyl­su­chen­den unter einen Gene­ral­ver­dacht gestellt, vor­sätz­lich getäuscht zu haben. Sys­te­ma­tisch sol­len bei rund der Hälf­te aller Asyl­su­chen­den die Han­dy­da­ten aus­ge­le­sen wer­den. So wird es schon in der Geset­zes­be­grün­dung ange­kün­digt. Damit ent­steht eine mas­sen­haf­te Aus­le­sung. Dies ist ein tief­grei­fen­der Ein­griff in die Pri­vat­sphä­re und aus Sicht von PRO ASYL und ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen ver­fas­sungs­wid­rig. Das Gesetz schafft die recht­li­che Grund­la­ge für den glä­ser­nen Flücht­ling. Es ist zu ver­mu­ten, dass neben per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen wie Bil­der und Nach­rich­ten auch pri­va­te Daten wie Kon­tak­te zu Anwält*innen, Ärzt*innen oder Unterstützer*innen abge­grif­fen wer­den. Wäh­rend das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bei der Ent­schei­dung über den »Gro­ßen Lausch­an­griff« Ein­grif­fe in die Pri­vat­sphä­re ohne rich­ter­li­chen Beschluss ver­bo­ten hat, soll dies nun bei Asyl­su­chen­den umgan­gen wer­den. Wie soll ein Asyl­su­chen­der Ver­trau­en in das Bun­des­amt im Asyl­ver­fah­ren ent­wi­ckeln kön­nen, wenn die­sel­be Behör­de ihm zual­ler­erst das Han­dy samt aller pri­va­ter Daten abnimmt?

Zu befürch­ten ist, dass es dabei kei­nes­wegs bei Daten zur Fest­stel­lung von Staats­an­ge­hö­rig­keit und Iden­ti­tät blei­ben wird. Schon bei der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung vor dem Bun­des­tag sprach das Bun­des­amt von der Prü­fung mate­ri­el­ler Anga­ben des Antrag­stel­lers. Eine Aus­wei­tung auch auf Rei­se­da­ten kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den vor dem Hin­ter­grund der Ver­hand­lun­gen der neu­en Dub­lin-IV-Ver­ord­nung und den Bestre­bun­gen der Bun­des­re­gie­rung, Über­stel­lun­gen gemäß Dub­lin rigo­ros durchzusetzen.

Beson­ders miss­trau­isch muss der Asyl­be­wer­ber schließ­lich wer­den, wenn ein Ände­rungs­vor­schlag von CDU/CSU und SPD jetzt sogar das Bun­des­kri­mi­nal­amt dazu ermäch­tigt, bestimm­te erken­nungs­dienst­li­che Daten aus dem Asyl­ver­fah­ren ande­ren Dritt­staa­ten zu über­mit­teln. Aus­ge­nom­men wür­den Her­kunfts- und Ver­fol­ger­staat, wobei die Ver­ant­wor­tung für die­se Zuläs­sig­keits­prü­fung allein beim BKA liegt. Völ­lig außer Acht bleibt aber, dass die­se Behör­de kei­ner­lei Kom­pe­ten­zen für die Prü­fung etwa­iger Ver­fol­gun­gen hat.

Die Bun­des­län­der wer­den ermäch­tigt, grund­sätz­lich alle Asyl­su­chen­den bis zum Ende der Asyl­ver­fah­ren in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen fest­zu­hal­ten. Dies ver­hin­dert Kon­tak­te zu Ehren­amt­li­chen und Unterstützer*innen. Damit ste­hen sie sowohl im Ver­fah­ren als auch bei dro­hen­der Abschie­bung ohne Hil­fe­stel­lung da. Wir müs­sen davon aus­ge­hen, dass so in hohem Maße Schutz­su­chen­de nicht das Recht auf Asyl bekom­men, das ihnen zusteht. Selbst Min­der­jäh­ri­ge wer­den von der Lager­pflicht nicht aus­ge­nom­men – das Kin­des­wohl bleibt auf der Stre­cke, damit wird schon gegen Völ­ker­recht und Euro­pa­recht ver­sto­ßen. Auch nach Begren­zung die­ser Inter­nie­rung auf zwei Jah­re (!) laut einem Ände­rungs­an­trag der Frak­tio­nen von CDU/CSU und SPD blie­be die­se Rege­lung rechtswidrig.

Beson­ders dras­tisch zeigt sich die­se Lager­pflicht im Zusam­men­hang mit den neu­en Dub­lin-IV-Rege­lun­gen: Bis­lang endet die Unter­brin­gung in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung für Dub­lin-Fäl­le eben­falls spä­tes­tens nach 6 Mona­ten, weil bis dahin eine Über­stel­lung erfol­gen muss oder aber Deutsch­land zustän­dig wird. Die Dub­lin-IV-Ver­ord­nung kennt die­se Frist nicht mehr. Ohne jeg­li­che zeit­li­che Befris­tung soll der Erst­ein­rei­se­staat der EU zustän­dig blei­ben, es soll also auf unab­seh­ba­re Zeit zurück­ge­scho­ben wer­den kön­nen. Ein Aus­weg aus einer Situa­ti­on, in der kein Mit­glied­staat den Antrag prü­fen will, ist nicht zu sehen. Für die­se Men­schen ent­ste­hen Lager der Hoff­nungs­lo­sig­keit. Der­zeit wür­de das fast alle Dub­lin-Fäl­le betref­fen, da nur 10 Pro­zent der Über­stel­lun­gen tat­säch­lich voll­zo­gen werden.

Per­so­nen, die sich über einen län­ge­ren Zeit­raum gedul­det in Deutsch­land auf­hal­ten, sol­len über­ra­schend abge­scho­ben wer­den kön­nen – ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung. Bis­lang muss­te bei Dul­dun­gen von län­ger als einem Jahr die Dul­dung zunächst wider­ru­fen und die Abschie­bung min­des­tens einen Monat vor­her ange­kün­digt wer­den (ein­mo­na­ti­ge Wider­rufs­frist bei Abschie­bun­gen nach § 60a Abs. 5 Auf­enthG). Die­se Rege­lung im Auf­ent­halts­ge­setz soll für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen ersatz­los gestri­chen wer­den und für Per­so­nen gel­ten, die angeb­lich durch Iden­ti­täts­täu­schung oder durch Nicht­er­fül­lung zumut­ba­rer Anfor­de­run­gen an die Mit­wir­kung ihre Auf­ent­halts­be­en­di­gung ver­hin­dert oder – laut Geset­zes­be­grün­dung – »ver­zö­gert« haben.

Es bleibt ins­be­son­de­re offen, ob es sich um eine aktu­el­le Täu­schungs­hand­lung han­deln muss oder nicht. Auch ein Ände­rungs­an­trag der Gro­ßen Koali­ti­on, der eine zeit­li­che Begren­zung ver­sucht, macht dies nicht kla­rer. Der Begriff der »zumut­ba­ren« Anfor­de­run­gen ist eben­falls nicht wei­ter kon­kre­ti­siert. In der Pra­xis wird Flücht­lin­gen immer wie­der ohne belast­ba­re Begrün­dung vor­ge­wor­fen, ihre Abschie­bung selbst­ver­schul­det ver­hin­dert zu haben. Die Rege­lung ist so unscharf for­mu­liert, dass sie ein Ein­falls­tor für Will­kür sein kann.

Neben der Abschie­bungs­haft gibt es zusätz­lich die Mög­lich­keit des Aus­rei­se­ge­wahr­sams mit nied­ri­ge­ren Anfor­de­run­gen – der nun von vier auf zehn Tage ver­län­gert wird. Die Betrof­fe­nen haben dann aber nur ein­ge­schränkt Chan­cen, einen Rechts­an­walt zu beauf­tra­gen, um gegen die Abschie­bung vorzugehen.

Nach den Wün­schen von CDU/CSU und SPD soll zu den weit­rei­chen­den Ver­schär­fun­gen eine zusätz­li­che Hür­de für die Aner­ken­nung von Vater­schaf­ten ein­ge­führt wer­den. Väter sind nun regel­mä­ßig in der Pflicht, ihre Vater­schaft zu bewei­sen – oft­mals mit teu­ren Gen­tests. Dabei genügt bereits der Ver­dacht von »Miss­brauchs­in­di­zi­en«. Es kann schon aus­rei­chen, dass die Mut­ter oder das Kind ledig­lich über eine Dul­dung ver­fü­gen und damit der Vater in Beweis­nö­te kommt.

Das Wohl des Kin­des bleibt auch hier unbe­rück­sich­tigt: Kin­der kön­nen auf unbe­stimm­te Zeit ohne fami­liä­re, sozia­le und staats­bür­ger­li­che Iden­ti­tät blei­ben. Dem in der Ver­fas­sung ver­an­ker­te Fami­li­en­schutz wird so nicht aus­rei­chend Rech­nung getragen.

Abschiebemaschinerie wird in Gang gesetzt

Die­ser Gesetz­ent­wurf setzt eine Maschi­ne­rie in Gang, in der Schutz­su­chen­de unter die Räder zu kom­men dro­hen. PRO ASYL appel­liert daher an den Deut­schen Bun­des­tag, das Gesetz nicht zu verabschieden.

Aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me von PRO ASYL (PDF)

Stel­lung­nah­me von der Rechts­be­ra­ter­kon­fe­renz zu den neu­en Ände­rungs­an­trä­ge der Frak­tio­nen der CDU/CSU und der SPD.