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Griechenland: Tausende Flüchtlinge stranden im Elend

Auf den griechischen Inseln kommen derzeit tausende Bootsflüchtlinge an. Die meisten vegetieren dort unter elenden Bedingungen, da es dramatisch an staatlicher Hilfe mangelt. Das berichten Kolleginnen von unserem RSPA-Projekt, die vor Ort Nothilfe leisten. Griechenland und die EU stehen in der Pflicht, die Gestrandeten menschenwürdig aufzunehmen.
Während in der Europäischen Union darüber diskutiert wird, ob innerhalb der nächsten 2 Jahre 16.000 Flüchtlinge aus Griechenland per Quote auf andere EU Staaten verteilt werden sollen, erreichen Griechenland allein diesen April 11.873 neue Schutzsuchende, die vor allem auf den Ägäisinseln anlanden. Der Großteil der Flüchtlinge stammt aus Syrien und aus Afghanistan.
Zuvor im März waren bereits 6.583 Grenzübertritte verzeichnet worden, womit allein in den letzten zwei Monaten die Zahl der Flüchtlinge überschritten wurde, die die EU vielleicht aus Griechenland aufzunehmen bereit wäre. Die geplante Aufnahme von 16.000 Flüchtlingen ist vor diesem Hintergrund nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein.
Die Situation in dem krisengeschüttelten Grenzstaat und vor allem auf den Inseln der Ägäis ist entsprechend dramatisch. Vor Ort sind unsere Kolleginnen vom Refugee Support Program in the Aegean (RSPA) aktiv, das von PRO ASYL zur juristischen und sozialen Unterstützung von Flüchtlingen in Griechenland aufgebaut wurde.
Humanitäre Krise auf griechischen Inseln
Die Rechtsanwältin Natassa Strachini vom RSPA berichtet, dass in Lesbos jeden Tag 50 bis 500 Flüchtlinge neu ankommen. Kos verzeichnet ähnlich viele Neuankünfte. Da die Neuankommenden nicht ausreichend untergebracht und versorgt werden können, stehen Lesbos und die anderen Inseln einer humanitären Krise gegenüber. „Vor allem auf Kos ist die Situation völlig außer Kontrolle. Es fehlt am Nötigsten“, berichtet Strachini.
Angesichts der aktuellen Ankunftszahlen leisten sie und die anderen Projektmitarbeiterinnen vor allem Nothilfe, erste rechtliche Beratung sowie juristische und soziale Unterstützung in Einzelfällen besonders schutzbedürftiger Personen, vor allem unbegleiteter Minderjähriger und Familien mit kleinen Kindern.
Obdachlosigkeit und Elend
Obdachlosigkeit ist dabei eines der drängendsten Probleme. Auf Kos gibt es keinerlei Unterkünfte außer einem provisorisch umgewidmetem leerstehenden Hotel ohne sanitäre Anlagen. Auf Lesbos ist es mittlerweile so gut wie unmöglich, menschenwürdige Unterbringungen für die Bootsflüchtlinge zu finden. Wer, wie der Großteil der ankommenden Flüchtlinge, nahe dem Hafenort Molyvos anlandet, muss zunächst 70 Kilometer Strecke überbrücken, um bis in die Inselhauptstadt Mytilini zu gelangen. Da es Bus‑, Taxi- und Autofahrern wegen „Beihilfe zum Schleppertum“ bei Strafe verboten ist Flüchtlinge mitzunehmen, sind viele Schutzsuchende gezwungen, diesen langen Weg zu Fuß zu bewältigen.
In Mytilini sind die Aufnahmekapazitäten längst überschritten. Das auf 250 Personen ausgelegte, Haftlager Moria beherbergt bereits 1000 Menschen und nimmt niemanden mehr auf. Flüchtlinge sind also gezwungen, irgendwo auf der Insel unter freiem Himmel zu schlafen, viele kampieren am Hafen. Die Obdachlosen haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen, Essen und Trinken. Es gibt viel Solidarität unter den Anwohnerinnen und Anwohnern, die immer wieder Lebensmittel, Decken und andere Dinge anbieten. Staatlich organisierte Hilfe gibt es nicht.
Die Situation auf anderen Inseln wie Samos, Chios, Leros und Rhodos ist vergleichbar. Die Insel Kos hat in den letzten Tagen viel Aufmerksamkeit in der Presse erfahren – weil sich einige Touristen durch die Anwesenheit zahlreicher obdachloser Flüchtlinge so in ihrem Urlaub gestört fühlten, dass die Daily Mail von Kos als einem „ekelhaften Höllenloch“ sprach. Aus welcher Hölle diese Menschen erst fliehen mussten und wie viele Menschenrechtsverletzungen ihnen schlimmsten Falls noch bevorstehen, spielte bei dieser Berichterstattung keine Rolle.
Solidarität und Hilfsbereitschaft unter Strafandrohung
Gemeinsam mit unseren Partnern von RSPA und anderen Solidaritätsgruppen auf den griechischen Inseln fordert PRO ASYL von der griechischen Regierung sofort Maßnahmen zu ergreifen, die der humanitären Katastrophe Rechnung tragen. Die zuständigen Behörden müssen private Hilfe zulassen. Es ist inakzeptabel, dass Solidarität und Hilfsbereitschaft unter Strafandrohung stehen.
Es müssen dringend alternative, offene Unterbringungsmöglichkeiten gefunden werden und es braucht Transportmöglichkeiten für die Flüchtlinge auf den Inseln selbst und aufs Festland. Weiterhin existiert kein funktionierendes Aufnahmesystem für Flüchtlinge in Griechenland, was PRO ASYL schon seit Jahren kritisiert. Die neue Regierung hat Besserung gelobt, nun müssen Taten folgen.
Nicht nur Griechenland steht in der Verantwortung
Griechenland steht jedoch nicht alleine in der Pflicht, Verantwortung für Flüchtlinge zu übernehmen: Europa kann die Staaten an seinen Außengrenzen nicht alleine lassen. Es bedarf unmittelbar einer großzügigen humanitären Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen – vor allem von unbegleiteten Minderjährigen – aus Griechenland sowie einen gut ausgestatten Krisenfonds zur Einrichtung menschenwürdiger Aufnahmekapazitäten und zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung Schutzsuchender.
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