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Gegen das Sterben im Mittelmeer: Seenotrettung und Solidarität mit den »El Hiblu 3«
Das Massensterben im Mittelmeer geht weiter und zivile Seenotrettungsorganisationen werden an ihrer Arbeit gehindert. Drei minderjährige Schutzsuchende, die »El Hiblu 3«, werden nach friedlichem Protest gegen einen illegalen Pushback auf Malta wegen Terrorismus angeklagt. Ein internationales Bündnis fordert die sofortige Einstellung des Verfahrens.
Mit »Notruf für Menschenrechte« betitelt die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, ihren Bericht über die tödliche Rettungslücke auf dem Mittelmeer. Das Netzwerk »Alarm Phone«, das eine Hotline für in Seenot geratene Schutzsuchende betreibt, beschreibt in dem Bericht über ihre Arbeit im zentralen Mittelmeer in der zweiten Jahreshälfte 2020 einen »Kampf um jedes Boot«.
Tödliche Rettungslücke im zentralen Mittelmeer
Die Seenotleitstellen in Italien und Malta reagieren oft nur mit großer Verzögerung auf Notrufe. Sie setzen damit das Leben von Schutzsuchenden leichtfertig aufs Spiel und missachten ihre see- und menschenrechtlichen Verpflichtungen.
2020 kamen über die zentrale Mittelmeerroute 36.435 Schutzsuchende in Europa an. 983 Menschen verloren auf der Überfahrt ihr Leben. Die Dunkelziffer dürfte jedoch noch höher als in früheren Jahren sein, da kaum noch staatliche Schiffe oder Schiffe von Seenotrettungsorganisationen im Einsatz sind. Die zentrale Mittelmeerroute bleibt eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt.
Kriminalisierung von ziviler Seenotrettung
Das Recht auf Leben wird seit Jahren nur von zivilen Seenotrettungsorganisationen konsequent verteidigt. Für ihren Einsatz werden sie jedoch systematisch an ihrer Arbeit gehindert. In Italien und Malta werden ihre Schiffe regelmäßig mit fadenscheinigen bürokratischen Argumenten festgesetzt.
Die Liste der Vorwürfe ist derweil so lang wie kreativ. Das Rettungsschiff »Alan Kurdi« der Organisation Sea Eye wurde am 10. Oktober 2020 festgesetzt, unter anderem da es keine ausreichende Anzahl an Toiletten an Bord habe. Die »Sea Watch 3« der Organisation Sea Watch wurde am 22. März 2021 festgesetzt Unter anderem wird der zynische Vorwurf gegen sie erhoben, nach der Rettung von 363 Menschen habe das Schiff zu viele Personen an Bord transportiert.
Immer wieder wird aber auch strafrechtlich gegen Seenotretter*innen vorgegangen. Gegen Aktivist*innen der Seenotrettungsorganisation »Mediterranea Saving Humans« wird seit 01. März 2021 wegen »Beihilfe zu illegaler Einwanderung« ermittelt.
Obwohl die italienische Regierung im Oktober 2020 das umstrittene Dekret des ehemaligen Innenministers, Matteo Salvini, zurückgenommen hat, das Strafen in Millionenhöhe für zivile Seenotrettungsorganisationen vorsah, geht die Praxis des Schikanierens und der Kriminalisierung also weiter.
»El Hiblu 3« – Terrorismusvorwürfe wegen friedlicher Notwehr
Die Abwesenheit von zivilen und staatlichen Rettungsschiffen erhöht die Relevanz privater Handelsschiffe in der Seenotrettung. Wiederholt haben Handelsschiffe jedoch Schutzsuchende aus Seenot gerettet und zurück nach Libyen gebracht, obwohl dies kein »sicherer Ort« für sie ist – wie auch der UNHCR in einem Positionspapier vom September 2020 wiederholt. Eine Ausschiffung in einem »sicheren Ort« ist in internationalem See- und Flüchtlingsrecht festgeschrieben.
Drei, zu dem Zeitpunkt 15, 16 und 19 Jahre alte, Schutzsuchende vermitteln und übersetzen während des friedlichen Protests an Bord. Nach der Ankunft in Malta werden die drei Jugendlichen inhaftiert.
Vor fast genau zwei Jahren, am 27. März 2019, wäre es fast zu einem solchen Pushback durch ein Handelsschiff gekommen. Das Handelsschiff »El Hiblu 1« wird von einem Flugzeug der EU-Militärmission EUNAVFOR MED-Operation »Irini« angewiesen, 108 Menschen aus Seenot zu retten. Nach der Rettung nimmt der Kapitän entgegen seiner Aussage gegenüber den Geretteten Kurs auf Libyen. Als den Schutzsuchenden dies bewusst wird, versuchen sie den Kapitän von der Umkehr zu überzeugen.
Drei, zu dem Zeitpunkt 15, 16 und 19 Jahre alte, Schutzsuchende vermitteln und übersetzen während des friedlichen Protests an Bord. Der Kapitän kehrt schließlich um und fährt Richtung Malta. Nach der Ankunft in Malta werden die drei Jugendlichen inhaftiert. Sie sehen sich nun auf Malta einer Anklage unter anderem wegen Terrorismus ausgesetzt. Bei einer Verurteilung drohen ihnen lebenslange Haftstrafen.
Statt Seenotrettung: Verlängerung des Bundeswehreinsatzes und Ausbildung der »libyschen Küstenwache«
Die Bundesregierung will den Bundeswehreinsatz im Rahmen der EU-Militärmission »Irini« verlängern. Die Mission soll vorrangig den Friedensprozess in Libyen unterstützen. Ihr kommt aber auch die Ausbildung der sogenannten »libyschen Küstenwache« zu, einem Zusammenschluss von Milizen und Menschenhändlern.
In dem Antrag der Bundesregierung wiederholt diese, es sei nicht Teil des Mandats von »Irini«, Daten an libysche Behörden weiterzugeben. Demgegenüber hat Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, im August 2020 auf eine Anfrage im Europaparlament geantwortet, Flugzeuge der EU-Mission hätten in acht Fällen Daten von Booten in Seenot in der libyschen Such- und Rettungszone an die Seenotleitstelle in Tripolis weitergegeben.
Während Bundesaußenminister, Heiko Maas, die Evakuierung von über 5.500 Schutzsuchenden seit Ende 2017 als Erfolg verbucht, wurden alleine 2020 11.891 Schutzsuchende durch die sogenannte »libysche Küstenwache« zurück nach Libyen und in die berüchtigten Haftlager gebracht, wo seit Jahren schwerste Menschenrechtsverletzungen von unmenschlicher Behandlung bis zu Erschießungen an der Tagesordnung sind.
Solidarität mit den »El Hiblu 3«
Angesichts der lebensgefährlichen Situation von Schutzsuchenden in Libyen müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten den Aufbau der sogenannten »libyschen Küstenwache« beenden. Die EU muss stattdessen einen eigenen Seenotrettungsdienst einrichten und sichere Fluchtwege nach Europa schaffen, um dem Sterben im Mittelmeer zu begegnen.
Zivile Seenotrettungsorganisationen müssen ungehindert arbeiten dürfen statt bürokratisch schikaniert und kriminalisiert zu werden.
Gemeinsam mit rund 30 internationalen Organisationen fordert PRO ASYL die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen die »El Hiblu 3«.
(dm)