19.07.2016
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Im Lager Malakassa in der Nähe von Athen leiden die Menschen in ihren Zelten aktuell unter der massiver Hitze. Foto: Salinia Stroux / PRO ASYL - RSPA-Projekt

Etwa 57.000 Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest, Tausende von ihnen haben nahe Verwandte in anderen EU-Staaten. Doch an Familienzusammenführung ist nicht zu denken: Allein die Registrierung der Flüchtlinge dauert ewig, die Prüfung von Asylanträgen verläuft enorm schleppend. Mitarbeiterinnen des PRO ASYL – RSPA-Projekts berichten:

Von den Flücht­lin­gen in Grie­chen­land könn­ten 60 bis 90 Pro­zent poten­ti­el­le Antrags­stel­ler auf eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung im Rah­men der Dub­lin-Ver­ord­nung sein, schät­zen NGO-Mit­ar­bei­ter. Doch weder die grie­chi­sche Regie­rung noch die EU schei­nen Inter­es­se dar­an zu haben, die­sen Rechts­an­spruch umzu­set­zen. In Grie­chen­land arbei­ten ledig­lich 13 Ange­stell­te für Dub­lin-Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen in der Asyl­be­hör­de. Nur ein bis drei Μal pro Woche – je nach Spra­che – besteht die gerin­ge Chan­ce, einen Ter­min zur Asyl­an­trag­stel­lung oder zur Bean­tra­gung einer Dub­lin-Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu erhalten.

»Das Fami­li­en­le­ben und folg­lich auch die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung ist ein Men­schen­recht, das durch das inter­na­tio­na­le und natio­na­le Recht garan­tiert ist. Asyl­su­chen­de soll­ten nicht so lan­ge von dem Rest ihrer Fami­lie getrennt blei­ben müs­sen. Ins­be­son­de­re nicht, wenn sie unter beson­ders schwie­ri­gen bis hin zu völ­lig unan­ge­mes­se­nen Bedin­gun­gen pro­vi­so­risch unter­ge­bracht sind, wie im Fall der neu­en Notunterbringungslager.«

Eftha­lia Pap­pa vom Öku­me­ni­schen Flücht­lings­pro­gramm in Athen

Angespannte Situation in Hot Spots 

Allein auf den Inseln der Ägä­is befin­den sich am 18. Juli 2016 ins­ge­samt 8.657 Flücht­lin­ge. Bis zur Regis­trie­rung ver­ge­hen häu­fig meh­re­re Wochen. Noch immer ist unklar, ob Anträ­ge von Schutz­su­chen­den mit Fami­li­en­mit­glie­dern in ande­ren EU-Län­dern auto­ma­tisch als zuläs­sig erklärt wer­den. Erst dann bestün­de Zugang zum Asylverfahren.

Wer­den die fami­liä­ren Bin­dun­gen jedoch igno­riert, besteht für die Betrof­fe­nen die Gefahr einer Abschie­bung in die Tür­kei im Rah­men des EU-Tür­kei-Deals, trotz der mehr als ange­spann­ten Situa­ti­on dort. Eini­ge der Men­schen, die schon am 20. März anka­men, konn­ten ihre Anträ­ge noch immer nicht regis­trie­ren las­sen. Das War­ten in Unge­wiss­heit führt zu mas­si­ven Span­nun­gen in den Hot Spots.

Vor allem für unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge ist die Ver­zö­ge­rung äußerst belas­tend. Beson­ders Schutz­be­dürf­ti­ge, die von dem Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren aus­ge­nom­men sind, wer­den zwar frü­her oder spä­ter regis­triert – doch die Antrag­stel­lung muss in der Asyl­be­hör­de in Athen erfol­gen. Die meis­ten Schutz­su­chen­den wis­sen nicht, wohin sie sich in der Haupt­stadt wen­den sol­len, wo sie schla­fen kön­nen oder Ver­pfle­gung erhal­ten. Eine Ver­mitt­lung an ent­spre­chen­de Insti­tu­tio­nen fin­det nicht statt, so dass nur weni­ge Glück­li­che mit Hil­fe von Ehren­amt­li­chen und Aktivist*innen Unter­stüt­zung finden.

Termin zur Registrierung? Kommt vielleicht irgendwann per SMS.

Auf dem grie­chi­schen Fest­land dau­ert es noch län­ger: Nach fünf Mona­ten des Aus­har­rens unter unmensch­li­chen Lebens­be­din­gun­gen und ohne Zugang zum Asyl­sys­tem, wur­de am 8. Juni auf dem Fest­land eine »Vor­re­gis­trie­rung« in Zusam­men­ar­beit zwi­schen der grie­chi­schen Asyl­be­hör­de, UNHCR und EASO ein­ge­führt. Sie wird in drei Pha­sen umge­setzt: Zunächst in den offi­zi­el­len Lagern, spä­ter in den infor­mel­len Lagern und letzt­lich in den Woh­nun­gen und besetz­ten Häusern.

Bis zum 12. Juli wur­den 24.000 Men­schen vor­re­gis­triert, so die Asyl­be­hör­de gegen­über RSPA. Es wird geschätzt, dass ins­ge­samt 49.000 Men­schen an die­ser Pro­ze­dur teil­neh­men wer­den – alle die­je­ni­gen, die zwi­schen dem 1. Janu­ar und dem 19. März 2016 anka­men. Den Behör­den zufol­ge soll im August mit der tat­säch­li­chen Regis­trie­rung begon­nen wer­den – momen­tan tra­gen die Behör­den in das Doku­ment der Vor­re­gis­trier­ten beim Stich­wort »Ter­min zur Regis­trie­rung« nur »nicht ver­füg­bar« ein. Die erfass­ten Flücht­lin­ge sol­len ab August eine SMS mit einem Regis­trie­rungs­ter­min erhal­ten – so der Plan.

Ähn­lich wie bei den Sky­pe-Inter­views, ist die­se Vor­ge­hens­wei­se voll­kom­men rea­li­täts­fern, die prak­ti­sche Umset­zung scheint bei den Pla­nun­gen kei­ne Rol­le gespielt zu haben: Die meis­ten Flücht­lin­ge wech­seln ihre Num­mer fast wöchent­lich, um Inter­net­pa­ke­te güns­tig zu erwer­ben. Vor­ran­gig sol­len beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen einen Ter­min erhalten.

Wer nicht mitmacht, dem droht Knast

Ob das in der Pra­xis klappt, ist aller­dings frag­lich. So berich­tet Q.S., ein Fami­li­en­va­ter aus Afgha­ni­stan, der seit fünf Mona­ten mit sei­ner schwan­ge­ren Frau und sei­nem ein­jäh­ri­gen Baby in dem berüch­tig­ten Lager Elli­ni­ko im ehe­ma­li­gen Ankunfts­ter­mi­nal des alten Athe­ner Flug­ha­fens lebt, dass sie als beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Fami­lie mit einer Anwäl­tin bei der Asyl­be­hör­de um einen schnel­len Ter­min zur Regis­trie­rung gebe­ten hat­ten. Sie woll­ten zu ihrem min­der­jäh­ri­gen Nef­fen nach Deutsch­land – die­ser ist Wai­se und sein Onkel in Grie­chen­land der Vormund.

Doch die Regis­trie­rung wur­de der Anwäl­tin ver­wei­gert. Die Begrün­dung: Die Fami­lie habe an der Vor­re­gis­trie­rung teil­ge­nom­men, das schlie­ße sich gegen­sei­tig aus, so die Asyl­be­hör­de. Eine Rechts­grund­la­ge für die­se Ent­schei­dung gibt es nicht. Viel­mehr scheint es dies­be­züg­lich eine inter­ne Anwei­sung zu geben. Letz­te Zwei­fel dar­an, dass das Ver­fah­ren nicht funk­tio­niert, wer­den mit wider­sin­ni­gen Anord­nun­gen wie die­ser ausgeräumt.

»UNHCR sag­te uns, wenn wir nicht an der Vor­re­gis­trie­rung teil­neh­men, dann wer­den wir wei­ter papier­los sein und die Poli­zei wird uns fest­neh­men. Wir haben Angst bekom­men und nah­men teil. Alle nah­men teil«, berich­tet Q.S. Denn die nach Ankunft aus­ge­stell­ten Papie­re von afgha­ni­schen Schutz­su­chen­den sind mitt­ler­wei­le häu­fig abge­lau­fen. Die Teil­nah­me an der Vor­re­gis­trie­rung ver­schafft den Flücht­lin­gen zumin­dest neue Doku­men­te, sowie Zugang zu ver­schie­de­nen Dienst­leis­tun­gen wie – zumin­dest auf dem Papier – der Ver­sor­gung in Kran­ken­häu­sern. Arbei­ten darf man damit aber nicht.

»Es wird Cha­os geben in der Asyl­be­hör­de. Sie wer­den vie­le Anträ­ge nicht bear­bei­ten kön­nen, wenn das Per­so­nal nicht auf­ge­stockt wird. Die Vor­re­gis­trie­rung führt dazu, dass die Men­schen län­ger war­ten. Ins­be­son­de­re bei den Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen gibt es Ver­zö­ge­run­gen auf der grie­chi­schen Sei­te, aber es gibt auch enor­me Ver­zö­ge­run­gen durch die Ziel­län­der, auf­grund des feh­len­den poli­ti­schen Wil­lens. Sie ver­su­chen Hin­der­nis­se zu schaf­fen, damit die Men­schen nicht zu ihren Fami­li­en kommen.«

Yonus Moham­ma­di, Vor­sit­zen­der des grie­chi­schen Flüchtlingsforums

Gravierende Folgen für Minderjährige

Beson­ders für min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge, die zu ihren Fami­li­en gelan­gen wol­len, hat die lan­ge War­te­zeit gra­vie­ren­de Fol­gen, so RSPA-Anwäl­tin Natas­sa Strach­i­ni. »Die Ver­zö­ge­run­gen tref­fen unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge am här­tes­ten. Wenn die noch vor der Antrag­stel­lung voll­jäh­rig wer­den, ver­lie­ren sie ihr Anrecht auf eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung.« Vie­le unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge in Grie­chen­land, die zu ihren Eltern oder Geschwis­tern in ein ande­res EU-Land wol­len, wer­den so die Antrags­fris­ten ver­pas­sen. Auch vie­le Jugend­li­che, die mit ihren Fami­li­en in Grie­chen­land sind, wer­den – sobald sie 18 sind und ihr Antrag noch nicht regis­triert wur­de – allein zurück bleiben.

Lebensbedingungen in den Flüchtlingsnotlagern menschenunwürdig

Wäh­rend­des­sen sind die Lebens­be­din­gun­gen in den grie­chi­schen Flücht­lings­la­gern kata­stro­phal. Auch das UNHCR hat das in einer Pres­se­er­klä­rung am 27. Mai fest­ge­stellt. Laut einer Stu­die des Insti­tuts der Lokal­ver­wal­tung waren Anfang Juni noch 55 Pro­zent der 54 Flücht­lings­la­ger nur mit Zel­ten aus­ge­stat­tet. Ledig­lich 9 Pro­zent ver­füg­ten über Fer­tig­häu­ser. Vie­le der Lager ent­sprä­chen nicht den UN-Min­dest­stan­dards, so die Studie.

Die Regie­rung hat Ende Juni ange­kün­digt bis Sep­tem­ber neue Unter­brin­gungs­struk­tu­ren zu schaf­fen, um die Zelt­la­ger zu erset­zen. Doch die vor Ort akti­ven Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen befürch­ten, dass die Umset­zung die­ser Plä­ne noch lan­ge dau­ern wird.