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Flüchtlinge in Bulgarien: Entrechtung, Misshandlung und Verelendung

»Bulgarien ist die Hölle«, berichten Geflüchtete. Gewalt, teils tödliche Pushbacks, Inhaftierungen und Misshandlungen sind Alltag. Aktuelle Berichte offenbaren gravierende Mängel in Asylverfahren und eine Verelendungsstrategie. Dennoch lässt die EU-Kommission Bulgarien gewähren – und Deutschland schiebt weiter ab.
Kurz nach Weihnachten 2024. Freiwillige der Organisationen No Name Kitchen und Collettivo Rotte Balcaniche, erhalten Hilferufe: Drei ägyptische Jugendliche befinden sich etwa 25 Kilometer südlich der Küstenstadt Burgas. Die Temperaturen sind unter dem Gefrierpunkt, das Gebiet ist bergig und unwegsam. Der Grenzzaun, der das EU-Mitgliedsland Bulgarien von der Türkei trennt, ist nicht weit. Videos, die die Organisationen im Laufe des Chatverlaufs von den Jugendlichen erhalten, zeigen zwei von ihnen bewusstlos im Schnee. Die Mitarbeitenden wählen den Notruf und versuchen parallel die GPS-Punkte der Jugendlichen zu erreichen, doch mehrfach werden sie von der bulgarischen Grenzpolizei abgehalten. Eine Rettungsaktion der Behörden bleibt aus. Am nächsten Tag gelangen die Mitarbeitenden endlich zu dem ersten GPS-Punkt, sie finden die Leiche des 17-jährigen Ahmed. Später bergen sie zwei weitere leblose Körper. Um Ahmeds im Schnee liegenden Körper sind Stiefelspuren und Abdrücke von Hundepfoten.
Die Spuren im Schnee legen nahe, dass die bulgarische Grenzpolizei vor Ort war, ohne Hilfe zu leisten oder die Körper der Jugendlichen zu bergen.
Vermutlich würden die drei Jugendlichen heute noch leben, wenn sofort eine Rettung eingeleitet worden wäre. Die Spuren im Schnee legen nahe, dass die bulgarische Grenzpolizei vor Ort war, ohne Hilfe zu leisten oder die Körper der Jugendlichen zu bergen. Die Frage, ob es sich um unterlassene Hilfeleistung oder gar fahrlässige Tötung handelt, müsste dringend von Gerichten aufgearbeitet werden. Eine Untersuchung des Falls ist jedoch unwahrscheinlich. Angesichts fehlender effektiver Ermittlungen kommen NGOs vor Ort zu dem Schluss, dass die Justiz diese unmenschliche Praxis toleriert – wenn nicht sogar unterstützt. Im geschilderten Fall weist das bulgarische Innenministerium jedenfalls jegliche Verantwortung von sich.

Der Tod der drei Minderjährigen ist die Spitze des Eisbergs
Im Jahr 2023 starben mehr als 70 Menschen in den Wäldern zwischen Bulgarien und der Türkei an Erschöpfung, Dehydrierung oder Unterernährung. Obwohl Freiwillige zunehmend auch mit Kriminalisierungs- und Einschüchterungsversuchen durch die bulgarische Polizei zu kämpfen haben, dokumentieren sie in Bulgarien unermüdlich Berichte von Schutzsuchenden über schwere Gewalt durch bulgarische Grenzbeamt*innen. Sie berichten über Schläge, Tritte und Hundebisse, häufig begleitet von verbaler Gewalt, sowie Nacktdurchsuchungen, das Konfiszieren von Schuhwerk und Kleidungsstücken. Die Praktiken sind gewalttätig und entwürdigend, die daraus resultierende Verzweiflung ist beabsichtigt.
Der bulgarische Umgang mit Schutzsuchenden ist von massenhaften Pushbacks und Gewalt geprägt. 2023 registrierte der bulgarische Monitoring Mechanismus einen Höchststand von knapp 10.000 Pushbacks, die rund 174.500 Fälle betrafen. Häufig überwinden Schutzsuchende die Grenze erst nach mehrfachen, gefährlichen und gewaltvollen Versuchen. Regelmäßig halten bulgarische Beamt*innen Schutzsuchende in Polizeistationen fest – oder, wie eine Recherche verschiedener Medienhäuser 2022 belegte, kurzfristig in »kleinen, käfigartigen Strukturen« – bevor die Zurückweisungen stattfinden.
Die Gewaltanwendung ist eine traurige Kontinuität an der bulgarischen EU-Außengrenze, bereits 2015 dokumentierte PRO ASYL unmenschliche und erniedrigende Behandlung, bis hin zur Folter, die Geflüchtete in Bulgarien durchlebten. Unzählige weitere Belege durch Geflüchtete, NGOs und Journalist*innen folgten. Seitens der bulgarischen Regierung werden die Vorwürfe abgestritten oder kleingeredet.
»Schengen Award« für bulgarische Abschottung
Der Rechercheverbund von Solomon, Balkan Investigative Reporting Network, Le Mond und Deutsche Welle enthüllt 2024, dass ein in Bulgarien stationierter Frontex-Beamter 2022 die systematischen Menschenrechtsverletzungen durch bulgarische Grenzbeamt*innen umfassend intern meldete. »Sie lassen sie nackt zurück und nehmen all ihre Sachen«, heißt es beispielsweise in seinen Schilderungen. Im Jahresbericht 2022 bestätigte auch das Frontex-Grundrechtsbüro die Glaubwürdigkeit der Berichte und äußerte die Sorge, dass Frontex indirekt in Grundrechtsverletzung verwickelt werden könnte. Doch wie der Rechercheverbund offenlegt, blieben die gemeldeten Verstöße ohne Konsequenzen.
Dabei hatte die EU-Kommission mit dem laufenden Beitrittsprozess Bulgariens zum grenzkontrollfreien Schengenraum ein starkes Druckmittel in der Hand. Zwingend hätte die Wahrung menschenrechtlicher Mindeststandards an der bulgarischen EU-Außengrenze zur Bedingung für den Beitritt gemacht werden müssen. Doch die Chance blieb ungenutzt. Die EU-Kommission und verschiedene Mitgliedsstaaten erhöhten zwar den Druck auf Bulgarien, jedoch mit dem Ziel, die EU-Außengrenze weiter abzuriegeln und die sogenannte Sekundärmigration zu verhindern: Ab 2022 verstärkte Frontex ihre Präsenz vor Ort; insgesamt 1.831 Frontex Beamt*innen waren 2023 im Rahmen der Operation Terra im Einsatz. Ende März 2023 startete die EU-Kommission ein Pilotprojekt, das mehrere Millionen Euro für die Ausweitung der Grenzkontrollmaßnahmen mobilisierte. Im März 2024 folgte ein Kooperationsvertrag, der neben der Vorbereitung auf die EU-Asylrechtsreform auch weitere Mittel für Überwachungstechnologie vorsieht. Seit Januar 2025 ist Bulgarien Vollmitglied des grenzkontrollfreien Schengenraums.
Insbesondere männliche Schutzsuchende berichten von massiven körperlichen Übergriffen und verbaler Gewalt durch bulgarische Beamt*innen.
Wer es nach Bulgarien schafft, kommt in Haft
2023 stellten sieben von zehn Schutzsuchenden ihren Asylantrag in Bulgarien aus der Haft heraus. Fast alle Menschen, die über Bulgarien fliehen, kennen daher die Haftlager Busmantsi oder Lyubimets. Hier setzt sich die Gewalt fort: Insbesondere männliche Schutzsuchende berichten von massiven körperlichen Übergriffen und verbaler Gewalt durch bulgarische Beamt*innen. Die Einrichtungen werden als verdreckt und überfüllt beschrieben. Sie sind mit Doppelstockbetten ausgestattet; sind diese belegt, müssen Schutzsuchende auf den Boden ausweichen. Menschen, die hier untergebracht waren, berichten, dass Schlafräume nachts abgesperrt werden, sodass ein Toilettengang unmöglich ist. Auch diese Einrichtungen sind von Ungeziefer befallen, was zu allergischen Reaktionen und Entzündungen führt. Die meisten erhalten während der Haftzeit jedoch keine ärztliche Versorgung. Zudem wird auch die Versorgung mit qualitativen Lebensmitteln, saisonaler Kleidung und Hygieneprodukten als mangelhaft bezeichnet.
Viele Geflüchtete, denen eine Abschiebung von Deutschland nach Bulgarien droht, suchen Schutz im Kirchenasyl. Ihre Schilderungen stimmen überein und verweisen auf ein erschreckendes Maß an Gewalt und unhaltbaren Zuständen in bulgarischen Unterbringungssystem. Dennoch halten das BAMF und auch viele Gerichte an Abschiebungen nach Bulgarien fest.
Wie ist die Situation für Geflüchtete in Bulgarien und was passiert mit Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen, die Deutschland nach Bulgarien abschiebt? Dieser Leitfrage gingen Vertreter*innen von Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg, Matteo – Kirche und Asyl und dem Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW im September 2024 nach. Teil der Recherchegruppe war auch Günter Burkhardt, Mitgründer von PRO ASYL. Während ihres Aufenthalts in Bulgarien sprach die Gruppe mit Regierungsvertreter*innen, Mitarbeitenden von NGOs sowie Asyl- und Menschenrechtsanwält*innen und führte qualitative Interviews mit über 25 Personen, die ihre eigenen Erfahrungen als Asylsuchende in Bulgarien schilderten.
Die Ergebnisse der Reise sind in dem Bericht »Abgeschoben aus Deutschland nach Bulgarien: Systematische Verelendung im Transitland – kein Bett, kein Brot, keine Seife« festgehalten. Im Folgenden werden zentrale Aspekte des Berichts dargestellt.
Marode, verdreckt und gesundheitsschädlich – Unterbringungsbedingungen in offenen Camps
Die bulgarische Regierung hat in den vergangenen Jahren kaum Mittel für notwendige Reparaturen und Instandsetzungen bereitgestellt, die offenen Camps werden im »Überlebensmodus« gehalten. Entsprechend marode, zerfallen und personell unterbesetzt sind die Einrichtungen. Von den 2022 offiziell angegebenen Unterbringungsplätzen waren 2023 lediglich 70 Prozent (rund 3.500 Plätze) verfügbar. Dadurch kann nur ein Bruchteil der Asylantragsstellenden untergebracht werden, was zu einer Überbelegung führt. »Die Zimmer sind oftmals überbelegt, so dass Betroffene auf dem Boden schlafen oder sich ein Bett (mit verschimmelten Matratzen) teilen müssen«, wird im aktuellen Recherchebericht (siehe Kasten) festgehalten. Insgesamt werden die Minimalunterbringungsstandards in den offenen Camps nicht eingehalten.
Die Missstände ziehen sich durch sämtliche Bereiche und prägen den Alltag der untergebrachten Schutzsuchenden, einschließlich besonders vulnerabler Personengruppen. Selbst wegen Nichtigkeiten kann es in den Einrichtungen zu verbaler oder körperlicher Gewalt durch das Sicherheitspersonal kommen, wie viele Bewohner*innen berichten.
Auch die offenen Einrichtungen sind mit Ungeziefer wie Bettwanzen verseucht, was die Gesundheit der Bewohner*innen beeinträchtigt. Krankheiten, die dadurch entstehen, werden nicht angemessen behandelt, da es an Medikamenten und Behandlungskapazitäten fehlt. Zudem gibt es kein psychotherapeutisches Angebot.
In Harmanli, dem größten Camp Bulgariens, verschärft neben den verdreckten und maroden Sanitäranlagen auch die schlechte Qualität des Leitungswassers die Bedingungen. So riet ein Arzt dort dringend davon ab, das Wasser zur Wundreinigung zu verwenden. Aufgrund fehlender Alternativen bleibt den Bewohner*innen jedoch nichts anderes übrig als es auch als Trinkwasser zu nutzen. »Ich möchte niemanden in der ganzen Welt wünschen, dass er einen Tag oder Nacht im Camp Harmanli verbringen muss. Es ist die Hölle«, wird ein syrischer Flüchtlinge in einem ersten Bericht der Recherchegruppe zitiert.
Damit vor allem unbegleitete Minderjährige ihr Frühstück nicht schon abends verzehren, erhalten sie ihr Brot für das Frühstück tiefgefroren. Bis zur Frühstückszeit am nächsten Morgen taut es auf.
Verpflegungssatz von drei Euro pro Kopf pro Tag reicht nicht
Die vom Cateringunternehmen bereitgestellte Verpflegung wird von Schutzsuchenden als einseitig und unzureichend beschrieben, das größte Problem ist jedoch die Menge: Es ist schlicht zu wenig. »Nicht mal ein Kind kann davon satt werden«, beschreibt etwa ein Campbewohner der Recherchegruppe. Für die tägliche Verpflegung stehen pro Person ein Satz von 3,08 Euro zur Verfügung – bei drei Mahlzeiten am Tag sind das etwa ein Euro pro Mahlzeit. Dieser Leistungssatz wurde seit 2015 und trotz der Inflation nicht angehoben und reicht nicht aus.
Der Leiter des Camps in Harmanli berichtet der Recherchegruppe von drastischen Konsequenzen der Einsparungsmaßnahmen: So finden Essensausgaben nur zweimal am Tag statt, um Personal einzusparen. Damit vor allem unbegleitete Minderjährige ihr Frühstück nicht schon abends verzehren, erhalten sie ihr Brot für das Frühstück tiefgefroren. Bis zur Frühstückszeit am nächsten Morgen taut es auf.
Geldleistungen erhalten Asylsuchende im Verfahren nicht. Dies gilt auch für den Personenkreis, der sich außerhalb der Campstruktur befindet und damit vollkommen auf sich allein gestellt ist. Klagen von verschiedenen NGOs verliefen bislang erfolglos.
Die hohen Ablehnungsquoten verdeutlichen, dass viele Schutzsuchende im bulgarischen Asylsystem keine Chance haben. Nach einer kurzzeitigen Verbesserung wurden 2023 erneut Antragsstellende aus Afghanistan (Ablehnungsquote: 86 Prozent) und der Türkei (Ablehnungsquote: 100 Prozent), häufig in beschleunigten Verfahren teils unter Haftbedingungen, abgelehnt. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen die Entscheidungspraxis als diskriminierend und voreingenommen. Seit 2023 wird an der bulgarisch-türkischen Grenze zudem mit Grenzschnellverfahren experimentiert, was auch weitere Nationalitäten betrifft. Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen wie dem Centre for Legal Aid Voice in Bulgaria sprechen von einem Verfahren hinter »verschlossenen Türen« und zeigen sich angesichts des unzureichenden Zugangs zu Rechtsberatung und sozialer Unterstützung besorgt.
Während Syrer*innen lange von der höchst repressiven Entscheidungspraxis der bulgarischen Asylbehörde ausgenommen waren, sind Menschenrechtsorganisationen in Bulgarien aktuell alarmiert: Seit Herbst 2024 lehnt die bulgarische Asylbehörde Anträge von Syrer*innen systematisch ab und verweist auf eine partiell verbesserte Sicherheitslage im Land. Die Zahl der Klagen an den zuständigen Gerichten nimmt weiter zu, noch scheint unklar, wie sich die Gerichte dazu verhalten.
Nach dem Fall des Assad-Regimes in Syrien dokumentierte die Organisation No Name Kitchen die nächste Eskalation bulgarischer Behörden im Umgang mit syrischen Antragsstellenden. Berichte, Fotos und Videoaufnahmen belegen, dass syrische Antragsstellende im Lager unter Druck gesetzt wurden, Dokumente zur »freiwilligen« Rückkehr zu unterschreiben. Dabei berichten betroffene Personen, dass sie nicht über den Inhalt der zur Unterschrift vorgelegten Dokumente informiert wurden und keine Sprachmittler*innen vor Ort waren. In anderen Fällen wurde mit Trickfragen eine Zustimmung zur Ausreise fingiert. Beantwortet etwa ein*e Antragssteller*in die Frage »Bist du glücklich über den Fall von Assad?« mit »Ja«, wird dies als Beleg einer Rückkehrbereitschaft gewertet. Dies geschieht unabhängig von den individuellen Umständen – selbst dann, wenn es sich um Angehörige einer Minderheit oder eine Familie mit Kindern handelt.
Drohende Verelendung für anerkannte Flüchtlinge
Eigentlich sollte sich die Situation für anerkannte Flüchtlinge, die einen Schutzstatus erhalten haben, verbessern: Auf dem Papier sind anerkannte Flüchtlinge bulgarischen Staatsangehörigen in den meisten Lebensbereichen rechtlich gleichgestellt. In der Realität können anerkannte Flüchtlinge jedoch aufgrund bürokratischer Hürden und langer Voraussetzungsketten häufig keine sozialrechtlichen Ansprüche geltend machen. Selbstverständliches wird so zum unüberwindbaren Problem. Bulgarien verfolgt seit einem Jahrzehnt eine Null-Integrationspolitik. »Es gibt also keinerlei Integrationsmaßnahmen, wie Überbrückungsmaßnahmen, reguläre Sprachkurse oder Vermittlungsprogramme für den Arbeits- oder Wohnungsmarkt«, führt die Recherchegruppe aus.
Beispielhaft für die Missstände ist die drohende Obdachlosigkeit: Egal ob es sich um eine alleinstehende Person, eine Familie oder eine Person mit schwerwiegenden Erkrankungen handelt, 14 Tage nach Abschluss des Asylverfahrens muss das Asyllager verlassen werden, Anschlussunterkünfte gibt es nicht. Zwar haben anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien grundsätzlich Zugang zum Wohnungsmarkt, doch steigende Mieten und die generelle Benachteiligung von Flüchtlingen auf dem Wohnungsmarkt erschwert ihnen die Suche. Für den Abschluss eines Mietvertrags ist zudem eine ID-Karte notwendig, die nur mit gültigem Wohnsitz ausgestellt wird. Um diese Hürde zu überwinden, müssten potenzielle Vermieter*innen aktiv werden, etwa selbstständig bei der Kommune vorsprechen, was unrealistisch ist. Die ID-Karte ist außerdem die Grundvoraussetzung für eine steuerliche Identifikationsnummer und den Zugang zu staatlichen Transferleistungen.
Weiterflucht nach Deutschland
Kein Bett, kein Brot, keine Seife – aufgrund dieser Realität verlassen viele Schutzsuchende Bulgarien und fliehen weiter in ein anderes EU-Land. Im Jahr 2023 wurde rund die Hälfte aller Asylanträge in Bulgarien aufgrund von Abwesenheit der Antragsteller*innen eingestellt.
Viele dieser Menschen fliehen nach Deutschland. 2024 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in 8.000 Fällen fest, dass Bulgarien laut der Dublin-Regelungen für das Asylverfahren zuständig ist. Den entsprechenden Übernahmegesuchen stimmten die bulgarischen Behörden in rund 40 Prozent der Fälle zu. Im gleichen Jahr wurden 290 Menschen nach Bulgarien abgeschoben, Tendenz steigend.
Im Falle einer Abschiebung nach Bulgarien sind Betroffene besonders den Mängeln des bulgarischen Aufnahmesystems ausgesetzt. Personen, deren Verfahren in Bulgarien vor einer endgültigen Entscheidung eingestellt wurde, können zwar auf Antrag ihr Asylverfahren fortsetzen, allerdings sieht das bulgarische Recht die Möglichkeit vor, die materielle Versorgung erheblich einzuschränken. Die Mehrheit der Dublin-Rückkehrer*innen wird von der Unterbringung in den Camps ausgeschlossen, sie ist auf sich allein gestellt und erhält keine weiteren finanziellen Mittel. Personen, deren Asylverfahren bereits rechtskräftig abgelehnt wurde, können in der Regel keine Rechtsmittel mehr einlegen. Sie werden nach der Abschiebung für bis zu 18 Monate inhaftiert, meist in Busmantsi oder Lyubimets, um die Ausreisepflicht durchzusetzen. In den Fällen, in denen keine Haft verhängt wird, sind abgelehnte Asylsuchende der Verelendung ausgesetzt, sie haben keinen Anspruch auf Leistungen oder Unterbringung.
Auch Personen, die in Bulgarien zunächst einen Schutzstatus erhalten haben und das Land später verlassen, sind im Fall der Rücküberstellung nach Bulgarien auf sich allein gestellt. Für sie gibt es keine spezifischen Unterstützungsangebote. Zum Themenfeld Flüchtlinge mit Anerkennung in Bulgarien findet sich eine Analyse der Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte im Asylmagazin (12/2023).
PRO ASYL fordert Abschiebungen ins bulgarische Elend zu beenden!
Bulgarien gilt als eins der wirtschaftlich schwächsten Länder der EU. Als Grenzstaat der EU ist es jedoch mit der Herausforderung konfrontiert, einen Großteil von Schutzsuchenden unterzubringen und ihre Asylverfahren durchzuführen. Die Ausführungen zeigen deutlich: Bulgarien ist dazu nicht in der Lage. Zudem fehlt der politische Willen, die Missstände zu verbessern. Unterstützt durch die EU-Kommission, liegt der politische Fokus auf Abschottung.
Leidtragende sind Menschen, die die EU auf der Suche nach Schutz und Sicherheit erreichen. Sie erleben systematische Menschenrechtsverletzungen an der bulgarischen Grenze, gravierende Mängel im Asylverfahren und unhaltbare Zustände in den Unterbringungen. Der Grundsatz von »Bett, Brot und Seife« ist auch nach der Gewährung eines Schutzstatus nicht gewährleistet. »Die Versorgung von Geflüchteten in Bulgarien erfüllt nicht die menschenrechtlichen Minimalstandards in Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK«, stellt auch die oben genannte Recherchegruppe fest. Vor der Verelendung und Entrechtung fliehen viele weiter – etwa nach Deutschland.
Es ist offensichtlich und menschenrechtlich dringend geboten: Deutschland muss Abschiebungen nach Bulgarien aussetzen. Zusätzlich muss sich Deutschland bilateral und auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass das Land die Aufnahme- und Lebensbedingungen für Schutzsuchende verbessert!
(mz)