19.03.2025
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Das Aufnahmezentrum Pastrogor Foto: Cecilia Juretzka

»Bulgarien ist die Hölle«, berichten Geflüchtete. Gewalt, teils tödliche Pushbacks, Inhaftierungen und Misshandlungen sind Alltag. Aktuelle Berichte offenbaren gravierende Mängel in Asylverfahren und eine Verelendungsstrategie. Dennoch lässt die EU-Kommission Bulgarien gewähren – und Deutschland schiebt weiter ab.

Kurz nach Weih­nach­ten 2024. Frei­wil­li­ge der Orga­ni­sa­tio­nen No Name Kit­chen und Col­let­tivo Rot­te Bal­ca­ni­che, erhal­ten Hil­fe­ru­fe: Drei ägyp­ti­sche Jugend­li­che befin­den sich etwa 25 Kilo­me­ter süd­lich der Küs­ten­stadt Bur­gas. Die Tem­pe­ra­tu­ren sind unter dem Gefrier­punkt, das Gebiet ist ber­gig und unweg­sam. Der Grenz­zaun, der das EU-Mit­glieds­land Bul­ga­ri­en von der Tür­kei trennt, ist nicht weit. Vide­os, die die Orga­ni­sa­tio­nen im Lau­fe des Chat­ver­laufs von den Jugend­li­chen erhal­ten, zei­gen zwei von ihnen bewusst­los im Schnee. Die Mit­ar­bei­ten­den wäh­len den Not­ruf und ver­su­chen par­al­lel die GPS-Punk­te der Jugend­li­chen zu errei­chen, doch mehr­fach wer­den sie von der bul­ga­ri­schen Grenz­po­li­zei abge­hal­ten. Eine Ret­tungs­ak­ti­on der Behör­den bleibt aus. Am nächs­ten Tag gelan­gen die Mit­ar­bei­ten­den end­lich zu dem ers­ten GPS-Punkt, sie fin­den die Lei­che des 17-jäh­ri­gen Ahmed. Spä­ter ber­gen sie zwei wei­te­re leb­lo­se Kör­per. Um Ahmeds im Schnee lie­gen­den Kör­per sind Stie­fel­spu­ren und Abdrü­cke von Hundepfoten.

Die Spu­ren im Schnee legen nahe, dass die bul­ga­ri­sche Grenz­po­li­zei vor Ort war, ohne Hil­fe zu leis­ten oder die Kör­per der Jugend­li­chen zu bergen. 

Ver­mut­lich wür­den die drei Jugend­li­chen heu­te noch leben, wenn sofort eine Ret­tung ein­ge­lei­tet wor­den wäre. Die Spu­ren im Schnee legen nahe, dass die bul­ga­ri­sche Grenz­po­li­zei vor Ort war, ohne Hil­fe zu leis­ten oder die Kör­per der Jugend­li­chen zu ber­gen. Die Fra­ge, ob es sich um unter­las­se­ne Hil­fe­leis­tung oder gar fahr­läs­si­ge Tötung han­delt, müss­te drin­gend von Gerich­ten auf­ge­ar­bei­tet wer­den. Eine Unter­su­chung des Falls ist jedoch unwahr­schein­lich. Ange­sichts feh­len­der effek­ti­ver Ermitt­lun­gen kom­men NGOs vor Ort zu dem Schluss, dass die Jus­tiz die­se unmensch­li­che Pra­xis tole­riert – wenn nicht sogar unter­stützt. Im geschil­der­ten Fall weist das bul­ga­ri­sche Innen­mi­nis­te­ri­um jeden­falls jeg­li­che Ver­ant­wor­tung von sich.

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Grenz­zaun zwi­schen der Tür­kei und Bulgarien<br /> Foto: Ceci­lia Juretzka

Der Tod der drei Minderjährigen ist die Spitze des Eisbergs

Im Jahr 2023 star­ben mehr als 70 Men­schen in den Wäl­dern zwi­schen Bul­ga­ri­en und der Tür­kei an Erschöp­fung, Dehy­drie­rung oder Unter­ernäh­rung. Obwohl Frei­wil­li­ge zuneh­mend auch mit Kri­mi­na­li­sie­rungs- und Ein­schüch­te­rungs­ver­su­chen durch die bul­ga­ri­sche Poli­zei zu kämp­fen haben, doku­men­tie­ren sie in Bul­ga­ri­en uner­müd­lich Berich­te von Schutz­su­chen­den über schwe­re Gewalt durch bul­ga­ri­sche Grenzbeamt*innen. Sie berich­ten über Schlä­ge, Trit­te und Hun­de­bis­se, häu­fig beglei­tet von ver­ba­ler Gewalt, sowie Nackt­durch­su­chun­gen, das Kon­fis­zie­ren von Schuh­werk und Klei­dungs­stü­cken. Die Prak­ti­ken sind gewalt­tä­tig und ent­wür­di­gend, die dar­aus resul­tie­ren­de Ver­zweif­lung ist beabsichtigt.

Knapp 10.000

Push­backs regis­trier­te der bul­ga­ri­sche Moni­to­ring Mecha­nis­mus 2023

Der bul­ga­ri­sche Umgang mit Schutz­su­chen­den ist von mas­sen­haf­ten Push­backs und Gewalt geprägt. 2023 regis­trier­te der bul­ga­ri­sche Moni­to­ring Mecha­nis­mus einen Höchst­stand von knapp 10.000 Push­backs, die rund 174.500 Fäl­le betra­fen. Häu­fig über­win­den Schutz­su­chen­de die Gren­ze erst nach mehr­fa­chen, gefähr­li­chen und gewalt­vol­len Ver­su­chen. Regel­mä­ßig hal­ten bul­ga­ri­sche Beamt*innen Schutz­su­chen­de in Poli­zei­sta­tio­nen fest – oder, wie eine Recher­che ver­schie­de­ner Medi­en­häu­ser 2022 beleg­te, kurz­fris­tig in »klei­nen, käfig­ar­ti­gen Struk­tu­ren« – bevor die Zurück­wei­sun­gen stattfinden.

Die Gewalt­an­wen­dung ist eine trau­ri­ge Kon­ti­nui­tät an der bul­ga­ri­schen EU-Außen­gren­ze, bereits 2015 doku­men­tier­te PRO ASYL unmensch­li­che und ernied­ri­gen­de Behand­lung, bis hin zur Fol­ter, die Geflüch­te­te in Bul­ga­ri­en durch­leb­ten. Unzäh­li­ge wei­te­re Bele­ge durch Geflüch­te­te, NGOs und Journalist*innen folg­ten. Sei­tens der bul­ga­ri­schen Regie­rung wer­den die Vor­wür­fe abge­strit­ten oder klein­ge­re­det.

»Schengen Award« für bulgarische Abschottung 

Der Recher­che­ver­bund von Solo­mon, Bal­kan Inves­ti­ga­ti­ve Report­ing Net­work, Le Mond und Deut­sche Wel­le ent­hüllt 2024, dass ein in Bul­ga­ri­en sta­tio­nier­ter Fron­tex-Beam­ter 2022 die sys­te­ma­ti­schen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen durch bul­ga­ri­sche Grenzbeamt*innen umfas­send intern mel­de­te. »Sie las­sen sie nackt zurück und neh­men all ihre Sachen«, heißt es bei­spiels­wei­se in sei­nen Schil­de­run­gen. Im Jah­res­be­richt 2022 bestä­tig­te auch das Fron­tex-Grund­rechts­bü­ro die Glaub­wür­dig­keit der Berich­te und äußer­te die Sor­ge, dass Fron­tex indi­rekt in Grund­rechts­ver­let­zung ver­wi­ckelt wer­den könn­te. Doch wie der Recher­che­ver­bund offen­legt, blie­ben die gemel­de­ten Ver­stö­ße ohne Konsequenzen.

Dabei hat­te die EU-Kom­mis­si­on mit dem lau­fen­den Bei­tritts­pro­zess Bul­ga­ri­ens zum grenz­kon­troll­frei­en Schen­gen­raum ein star­kes Druck­mit­tel in der Hand. Zwin­gend hät­te die Wah­rung men­schen­recht­li­cher Min­dest­stan­dards an der bul­ga­ri­schen EU-Außen­gren­ze zur Bedin­gung für den Bei­tritt gemacht wer­den müs­sen. Doch die Chan­ce blieb unge­nutzt. Die EU-Kom­mis­si­on und ver­schie­de­ne Mit­glieds­staa­ten erhöh­ten zwar den Druck auf Bul­ga­ri­en, jedoch mit dem Ziel, die EU-Außen­gren­ze wei­ter abzu­rie­geln und die soge­nann­te Sekun­där­mi­gra­ti­on zu ver­hin­dern: Ab 2022 ver­stärk­te Fron­tex ihre Prä­senz vor Ort; ins­ge­samt 1.831 Fron­tex Beamt*innen waren 2023 im Rah­men der Ope­ra­ti­on Ter­ra im Ein­satz. Ende März 2023 star­te­te die EU-Kom­mis­si­on ein Pilot­pro­jekt, das meh­re­re Mil­lio­nen Euro für die Aus­wei­tung der Grenz­kon­troll­maß­nah­men mobi­li­sier­te. Im März 2024 folg­te ein Koope­ra­ti­ons­ver­trag, der neben der Vor­be­rei­tung auf die EU-Asyl­rechts­re­form auch wei­te­re Mit­tel für Über­wa­chungs­tech­no­lo­gie vor­sieht. Seit Janu­ar 2025 ist Bul­ga­ri­en Voll­mit­glied des grenz­kon­troll­frei­en Schengenraums.

Ins­be­son­de­re männ­li­che Schutz­su­chen­de berich­ten von mas­si­ven kör­per­li­chen Über­grif­fen und ver­ba­ler Gewalt durch bul­ga­ri­sche Beamt*innen.

Wer es nach Bulgarien schafft, kommt in Haft

2023 stell­ten sie­ben von zehn Schutz­su­chen­den ihren Asyl­an­trag in Bul­ga­ri­en aus der Haft her­aus. Fast alle Men­schen, die über Bul­ga­ri­en flie­hen, ken­nen daher die Haft­la­ger Bus­mant­si oder Lyu­bi­mets. Hier setzt sich die Gewalt fort: Ins­be­son­de­re männ­li­che Schutz­su­chen­de berich­ten von mas­si­ven kör­per­li­chen Über­grif­fen und ver­ba­ler Gewalt durch bul­ga­ri­sche Beamt*innen. Die Ein­rich­tun­gen wer­den als ver­dreckt und über­füllt beschrie­ben. Sie sind mit Dop­pel­stock­bet­ten aus­ge­stat­tet; sind die­se belegt, müs­sen Schutz­su­chen­de auf den Boden aus­wei­chen. Men­schen, die hier unter­ge­bracht waren, berich­ten, dass Schlaf­räu­me nachts abge­sperrt wer­den, sodass ein Toi­let­ten­gang unmög­lich ist. Auch die­se Ein­rich­tun­gen sind von Unge­zie­fer befal­len, was zu all­er­gi­schen Reak­tio­nen und Ent­zün­dun­gen führt. Die meis­ten erhal­ten wäh­rend der Haft­zeit jedoch kei­ne ärzt­li­che Ver­sor­gung. Zudem wird auch die Ver­sor­gung mit qua­li­ta­ti­ven Lebens­mit­teln, sai­so­na­ler Klei­dung und Hygie­ne­pro­duk­ten als man­gel­haft bezeichnet.

Vie­le Geflüch­te­te, denen eine Abschie­bung von Deutsch­land nach Bul­ga­ri­en droht, suchen Schutz im Kir­chen­asyl. Ihre Schil­de­run­gen stim­men über­ein und ver­wei­sen auf ein erschre­cken­des Maß an Gewalt und unhalt­ba­ren Zustän­den in bul­ga­ri­schen Unter­brin­gungs­sys­tem. Den­noch hal­ten das BAMF und auch vie­le Gerich­te an Abschie­bun­gen nach Bul­ga­ri­en fest.

Wie ist die Situa­ti­on für Geflüch­te­te in Bul­ga­ri­en und was pas­siert mit Asyl­su­chen­den und aner­kann­ten Flücht­lin­gen, die Deutsch­land nach Bul­ga­ri­en abschiebt? Die­ser Leit­fra­ge gin­gen Vertreter*innen von Asyl in der Kir­che Ber­lin-Bran­den­burg, Matteo – Kir­che und Asyl und dem Öku­me­ni­schen Netz­werk Asyl in der Kir­che NRW im Sep­tem­ber 2024 nach. Teil der Recher­che­grup­pe war auch Gün­ter Burk­hardt, Mit­grün­der von PRO ASYL. Wäh­rend ihres Auf­ent­halts in Bul­ga­ri­en sprach die Grup­pe mit Regierungsvertreter*innen, Mit­ar­bei­ten­den von NGOs sowie Asyl- und Menschenrechtsanwält*innen und führ­te qua­li­ta­ti­ve Inter­views mit über 25 Per­so­nen, die ihre eige­nen Erfah­run­gen als Asyl­su­chen­de in Bul­ga­ri­en schilderten.

Die Ergeb­nis­se der Rei­se sind in dem Bericht »Abge­scho­ben aus Deutsch­land nach Bul­ga­ri­en: Sys­te­ma­ti­sche Ver­elen­dung im Tran­sit­land – kein Bett, kein Brot, kei­ne Sei­fe« fest­ge­hal­ten. Im Fol­gen­den wer­den zen­tra­le Aspek­te des Berichts dargestellt.

Marode, verdreckt und gesundheitsschädlich – Unterbringungsbedingungen in offenen Camps 

Die bul­ga­ri­sche Regie­rung hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren kaum Mit­tel für not­wen­di­ge Repa­ra­tu­ren und Instand­set­zun­gen bereit­ge­stellt, die offe­nen Camps wer­den im »Über­le­bens­mo­dus« gehal­ten. Ent­spre­chend maro­de, zer­fal­len und per­so­nell unter­be­setzt sind die Ein­rich­tun­gen. Von den 2022 offi­zi­ell ange­ge­be­nen Unter­brin­gungs­plät­zen waren 2023 ledig­lich 70 Pro­zent (rund 3.500 Plät­ze) ver­füg­bar. Dadurch kann nur ein Bruch­teil der Asyl­an­trags­stel­len­den unter­ge­bracht wer­den, was zu einer Über­be­le­gung führt. »Die Zim­mer sind oft­mals über­be­legt, so dass Betrof­fe­ne auf dem Boden schla­fen oder sich ein Bett (mit ver­schim­mel­ten Matrat­zen) tei­len müs­sen«, wird im aktu­el­len Recher­che­be­richt (sie­he Kas­ten) fest­ge­hal­ten. Ins­ge­samt wer­den die Mini­mal­un­ter­brin­gungs­stan­dards in den offe­nen Camps nicht eingehalten.

Die Miss­stän­de zie­hen sich durch sämt­li­che Berei­che und prä­gen den All­tag der unter­ge­brach­ten Schutz­su­chen­den, ein­schließ­lich beson­ders vul­nerabler Per­so­nen­grup­pen. Selbst wegen Nich­tig­kei­ten kann es in den Ein­rich­tun­gen zu ver­ba­ler oder kör­per­li­cher Gewalt durch das Sicher­heits­per­so­nal kom­men, wie vie­le Bewohner*innen berich­ten.

Auch die offe­nen Ein­rich­tun­gen sind mit Unge­zie­fer wie Bett­wan­zen ver­seucht, was die Gesund­heit der Bewohner*innen beein­träch­tigt. Krank­hei­ten, die dadurch ent­ste­hen, wer­den nicht ange­mes­sen behan­delt, da es an Medi­ka­men­ten und Behand­lungs­ka­pa­zi­tä­ten fehlt. Zudem gibt es kein psy­cho­the­ra­peu­ti­sches Angebot.

In Harm­an­li, dem größ­ten Camp Bul­ga­ri­ens, ver­schärft neben den ver­dreck­ten und maro­den Sani­tär­an­la­gen auch die schlech­te Qua­li­tät des Lei­tungs­was­sers die Bedin­gun­gen. So riet ein Arzt dort drin­gend davon ab, das Was­ser zur Wund­rei­ni­gung zu ver­wen­den. Auf­grund feh­len­der Alter­na­ti­ven bleibt den Bewohner*innen jedoch nichts ande­res übrig als es auch als Trink­was­ser zu nut­zen. »Ich möch­te nie­man­den in der gan­zen Welt wün­schen, dass er einen Tag oder Nacht im Camp Harm­an­li ver­brin­gen muss. Es ist die Höl­le«, wird ein syri­scher Flücht­lin­ge in einem ers­ten Bericht der Recher­che­grup­pe zitiert.

Damit vor allem unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge ihr Früh­stück nicht schon abends ver­zeh­ren, erhal­ten sie ihr Brot für das Früh­stück tief­ge­fro­ren. Bis zur Früh­stücks­zeit am nächs­ten Mor­gen taut es auf.

Verpflegungssatz von drei Euro pro Kopf pro Tag reicht nicht

Die vom Cate­ring­un­ter­neh­men bereit­ge­stell­te Ver­pfle­gung wird von Schutz­su­chen­den als ein­sei­tig und unzu­rei­chend beschrie­ben, das größ­te Pro­blem ist jedoch die Men­ge: Es ist schlicht zu wenig. »Nicht mal ein Kind kann davon satt wer­den«, beschreibt etwa ein Camp­be­woh­ner der Recher­che­grup­pe. Für die täg­li­che Ver­pfle­gung ste­hen pro Per­son ein Satz von 3,08 Euro zur Ver­fü­gung – bei drei Mahl­zei­ten am Tag sind das etwa ein Euro pro Mahl­zeit. Die­ser Leis­tungs­satz wur­de seit 2015 und trotz der Infla­ti­on nicht ange­ho­ben und reicht nicht aus.

Der Lei­ter des Camps in Harm­an­li berich­tet der Recher­che­grup­pe von dras­ti­schen Kon­se­quen­zen der Ein­spa­rungs­maß­nah­men: So fin­den Essens­aus­ga­ben nur zwei­mal am Tag statt, um Per­so­nal ein­zu­spa­ren. Damit vor allem unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge ihr Früh­stück nicht schon abends ver­zeh­ren, erhal­ten sie ihr Brot für das Früh­stück tief­ge­fro­ren. Bis zur Früh­stücks­zeit am nächs­ten Mor­gen taut es auf.

Geld­leis­tun­gen erhal­ten Asyl­su­chen­de im Ver­fah­ren nicht. Dies gilt auch für den Per­so­nen­kreis, der sich außer­halb der Camp­struk­tur befin­det und damit voll­kom­men auf sich allein gestellt ist. Kla­gen von ver­schie­de­nen NGOs ver­lie­fen bis­lang erfolglos.

Die hohen Ableh­nungs­quo­ten ver­deut­li­chen, dass vie­le Schutz­su­chen­de im bul­ga­ri­schen Asyl­sys­tem kei­ne Chan­ce haben. Nach einer kurz­zei­ti­gen Ver­bes­se­rung wur­den 2023 erneut Antrags­stel­len­de aus Afgha­ni­stan (Ableh­nungs­quo­te: 86 Pro­zent) und der Tür­kei (Ableh­nungs­quo­te: 100 Pro­zent), häu­fig in beschleu­nig­ten Ver­fah­ren teils unter Haft­be­din­gun­gen, abge­lehnt. Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen bezeich­nen die Ent­schei­dungs­pra­xis als dis­kri­mi­nie­rend und vor­ein­ge­nom­men. Seit 2023 wird an der bul­ga­risch-tür­ki­schen Gren­ze zudem mit Grenz­schnell­ver­fah­ren expe­ri­men­tiert, was auch wei­te­re Natio­na­li­tä­ten betrifft. Vertreter*innen von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie dem Cent­re for Legal Aid Voice in Bul­ga­ria spre­chen von einem Ver­fah­ren hin­ter »ver­schlos­se­nen Türen« und zei­gen sich ange­sichts des unzu­rei­chen­den Zugangs zu Rechts­be­ra­tung und sozia­ler Unter­stüt­zung besorgt.

Wäh­rend Syrer*innen lan­ge von der höchst repres­si­ven Ent­schei­dungs­pra­xis der bul­ga­ri­schen Asyl­be­hör­de aus­ge­nom­men waren, sind Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen in Bul­ga­ri­en aktu­ell alar­miert: Seit Herbst 2024 lehnt die bul­ga­ri­sche Asyl­be­hör­de Anträ­ge von Syrer*innen sys­te­ma­tisch ab und ver­weist auf eine par­ti­ell ver­bes­ser­te Sicher­heits­la­ge im Land. Die Zahl der Kla­gen an den zustän­di­gen Gerich­ten nimmt wei­ter zu, noch scheint unklar, wie sich die Gerich­te dazu verhalten.

Nach dem Fall des Assad-Regimes in Syri­en doku­men­tier­te die Orga­ni­sa­ti­on No Name Kit­chen die nächs­te Eska­la­ti­on bul­ga­ri­scher Behör­den im Umgang mit syri­schen Antrags­stel­len­den. Berich­te, Fotos und Video­auf­nah­men bele­gen, dass syri­sche Antrags­stel­len­de im Lager unter Druck gesetzt wur­den, Doku­men­te zur »frei­wil­li­gen« Rück­kehr zu unter­schrei­ben. Dabei berich­ten betrof­fe­ne Per­so­nen, dass sie nicht über den Inhalt der zur Unter­schrift vor­ge­leg­ten Doku­men­te infor­miert wur­den und kei­ne Sprachmittler*innen vor Ort waren. In ande­ren Fäl­len wur­de mit Trick­fra­gen eine Zustim­mung zur Aus­rei­se fin­giert. Beant­wor­tet etwa ein*e Antragssteller*in die Fra­ge »Bist du glück­lich über den Fall von Assad?« mit »Ja«, wird dies als Beleg einer Rück­kehr­be­reit­schaft gewer­tet. Dies geschieht unab­hän­gig von den indi­vi­du­el­len Umstän­den – selbst dann, wenn es sich um Ange­hö­ri­ge einer Min­der­heit oder eine Fami­lie mit Kin­dern handelt.

Drohende Verelendung für anerkannte Flüchtlinge

Eigent­lich soll­te sich die Situa­ti­on für aner­kann­te Flücht­lin­ge, die einen Schutz­sta­tus erhal­ten haben, ver­bes­sern: Auf dem Papier sind aner­kann­te Flücht­lin­ge bul­ga­ri­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen in den meis­ten Lebens­be­rei­chen recht­lich gleich­ge­stellt. In der Rea­li­tät kön­nen aner­kann­te Flücht­lin­ge jedoch auf­grund büro­kra­ti­scher Hür­den und lan­ger Vor­aus­set­zungs­ket­ten häu­fig kei­ne sozi­al­recht­li­chen Ansprü­che gel­tend machen. Selbst­ver­ständ­li­ches wird so zum unüber­wind­ba­ren Pro­blem. Bul­ga­ri­en ver­folgt seit einem Jahr­zehnt eine Null-Inte­gra­ti­ons­po­li­tik. »Es gibt also kei­ner­lei Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men, wie Über­brü­ckungs­maß­nah­men, regu­lä­re Sprach­kur­se oder Ver­mitt­lungs­pro­gram­me für den Arbeits- oder Woh­nungs­markt«, führt die Recher­che­grup­pe aus.

Bei­spiel­haft für die Miss­stän­de ist die dro­hen­de Obdach­lo­sig­keit: Egal ob es sich um eine allein­ste­hen­de Per­son, eine Fami­lie oder eine Per­son mit schwer­wie­gen­den Erkran­kun­gen han­delt, 14 Tage nach Abschluss des Asyl­ver­fah­rens muss das Asyl­la­ger ver­las­sen wer­den, Anschluss­un­ter­künf­te gibt es nicht. Zwar haben aner­kann­te Flücht­lin­ge in Bul­ga­ri­en grund­sätz­lich Zugang zum Woh­nungs­markt, doch stei­gen­de Mie­ten und die gene­rel­le Benach­tei­li­gung von Flücht­lin­gen auf dem Woh­nungs­markt erschwert ihnen die Suche. Für den Abschluss eines Miet­ver­trags ist zudem eine ID-Kar­te not­wen­dig, die nur mit gül­ti­gem Wohn­sitz aus­ge­stellt wird. Um die­se Hür­de zu über­win­den, müss­ten poten­zi­el­le Vermieter*innen aktiv wer­den, etwa selbst­stän­dig bei der Kom­mu­ne vor­spre­chen, was unrea­lis­tisch ist. Die ID-Kar­te ist außer­dem die Grund­vor­aus­set­zung für eine steu­er­li­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer und den Zugang zu staat­li­chen Transferleistungen.

Weiterflucht nach Deutschland

Kein Bett, kein Brot, kei­ne Sei­fe – auf­grund die­ser Rea­li­tät ver­las­sen vie­le Schutz­su­chen­de Bul­ga­ri­en und flie­hen wei­ter in ein ande­res EU-Land. Im Jahr 2023 wur­de rund die Hälf­te aller Asyl­an­trä­ge in Bul­ga­ri­en auf­grund von Abwe­sen­heit der Antragsteller*innen eingestellt.

Vie­le die­ser Men­schen flie­hen nach Deutsch­land. 2024 stell­te das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge in 8.000 Fäl­len fest, dass Bul­ga­ri­en laut der Dub­lin-Rege­lun­gen für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist. Den ent­spre­chen­den Über­nah­me­ge­su­chen stimm­ten die bul­ga­ri­schen Behör­den in rund 40 Pro­zent der Fäl­le zu. Im glei­chen Jahr wur­den 290 Men­schen nach Bul­ga­ri­en abge­scho­ben, Ten­denz steigend.

Im Fal­le einer Abschie­bung nach Bul­ga­ri­en sind Betrof­fe­ne beson­ders den Män­geln des bul­ga­ri­schen Auf­nah­me­sys­tems aus­ge­setzt. Per­so­nen, deren Ver­fah­ren in Bul­ga­ri­en vor einer end­gül­ti­gen Ent­schei­dung ein­ge­stellt wur­de, kön­nen zwar auf Antrag ihr Asyl­ver­fah­ren fort­set­zen, aller­dings sieht das bul­ga­ri­sche Recht die Mög­lich­keit vor, die mate­ri­el­le Ver­sor­gung erheb­lich ein­zu­schrän­ken. Die Mehr­heit der Dublin-Rückkehrer*innen wird von der Unter­brin­gung in den Camps aus­ge­schlos­sen, sie ist auf sich allein gestellt und erhält kei­ne wei­te­ren finan­zi­el­len Mit­tel. Per­so­nen, deren Asyl­ver­fah­ren bereits rechts­kräf­tig abge­lehnt wur­de, kön­nen in der Regel kei­ne Rechts­mit­tel mehr ein­le­gen. Sie wer­den nach der Abschie­bung für bis zu 18 Mona­te inhaf­tiert, meist in Bus­mant­si oder Lyu­bi­mets, um die Aus­rei­se­pflicht durch­zu­set­zen. In den Fäl­len, in denen kei­ne Haft ver­hängt wird, sind abge­lehn­te Asyl­su­chen­de der Ver­elen­dung aus­ge­setzt, sie haben kei­nen Anspruch auf Leis­tun­gen oder Unterbringung.

Auch Per­so­nen, die in Bul­ga­ri­en zunächst einen Schutz­sta­tus erhal­ten haben und das Land spä­ter ver­las­sen, sind im Fall der Rück­über­stel­lung nach Bul­ga­ri­en auf sich allein gestellt. Für sie gibt es kei­ne spe­zi­fi­schen Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te. Zum The­men­feld Flücht­lin­ge mit Aner­ken­nung in Bul­ga­ri­en fin­det sich eine Ana­ly­se der Recht­spre­chung deut­scher Ver­wal­tungs­ge­rich­te im Asyl­ma­ga­zin (12/2023).

PRO ASYL fordert Abschiebungen ins bulgarische Elend zu beenden! 

Bul­ga­ri­en gilt als eins der wirt­schaft­lich schwächs­ten Län­der der EU. Als Grenz­staat der EU ist es jedoch mit der Her­aus­for­de­rung kon­fron­tiert, einen Groß­teil von Schutz­su­chen­den unter­zu­brin­gen und ihre Asyl­ver­fah­ren durch­zu­füh­ren. Die Aus­füh­run­gen zei­gen deut­lich: Bul­ga­ri­en ist dazu nicht in der Lage. Zudem fehlt der poli­ti­sche Wil­len, die Miss­stän­de zu ver­bes­sern. Unter­stützt durch die EU-Kom­mis­si­on, liegt der poli­ti­sche Fokus auf Abschottung.

Leid­tra­gen­de sind Men­schen, die die EU auf der Suche nach Schutz und Sicher­heit errei­chen. Sie erle­ben sys­te­ma­ti­sche Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an der bul­ga­ri­schen Gren­ze, gra­vie­ren­de Män­gel im Asyl­ver­fah­ren und unhalt­ba­re Zustän­de in den Unter­brin­gun­gen. Der Grund­satz von »Bett, Brot und Sei­fe« ist auch nach der Gewäh­rung eines Schutz­sta­tus nicht gewähr­leis­tet. »Die Ver­sor­gung von Geflüch­te­ten in Bul­ga­ri­en erfüllt nicht die men­schen­recht­li­chen Mini­mal­stan­dards in Sin­ne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK«, stellt auch die oben genann­te Recher­che­grup­pe fest. Vor der Ver­elen­dung und Ent­rech­tung flie­hen vie­le wei­ter – etwa nach Deutschland.

Es ist offen­sicht­lich und men­schen­recht­lich drin­gend gebo­ten: Deutsch­land muss Abschie­bun­gen nach Bul­ga­ri­en aus­set­zen. Zusätz­lich muss sich Deutsch­land bila­te­ral und auf euro­päi­scher Ebe­ne dafür ein­set­zen, dass das Land die Auf­nah­me- und Lebens­be­din­gun­gen für Schutz­su­chen­de verbessert!

(mz)