News
Flüchtlinge im Sinai: Opfer von Sklaverei, Lösegelderpressung und Organentnahme

Tausende Flüchtlinge werden auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel Opfer krimineller Organisationen, zu deren Geschäft Sklaverei, Lösegelderpressung und Organhandel gehören. Wenn Ägyptens Präsident Mohammed Mursi diese Woche in Deutschland zum Staatsbesuch erwartet wird, werden Demonstranten die ägyptische Regierung auffordern, endlich die verschleppten Flüchtlinge zu retten und gegen die bisher unbehelligten Täter vorzugehen.
Seit die Fluchtroute über Libyen durch die Kooperation der EU mit dem Gaddafi-Regime und später durch den libyschen Bürgerkrieg schwieriger geworden ist, versuchen Flüchtlinge aus Eritrea, dem Sudan, Äthiopien und Somalia vermehrt über die ägyptische Sinai-Halbinsel nach Israel zu gelangen – oft in der Hoffnung, es von dort aus nach Europa zu schaffen. Durchschnittlich sollen rund 2000 Menschen pro Monat über die ägyptisch-israelische Grenze im Sinai gelangen.
Einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. März 2012 zur Folge sind es Tausende Asylsuchende und Migranten, die es nicht bis nach Israel schaffen, sondern im Sinai umkommen. Zahlreichen Berichten nach – unter anderem einer dreiteiligen CNN-Dokumentation vom November 2011 – werden die Flüchtlinge teils direkt von ihren Schleppern an die kriminellen Banden im Sinai verkauft, im Sinai von Menschenhändlern aufgegriffen oder auch aus Flüchtlingslagern im Sudan oder in Äthiopien entführt. Im Sinai werden sie von den Banden in Lagern festgehalten, versklavt, gefoltert, vergewaltigt und nicht selten getötet.
Lösegelderpressung und Organhandel
Durch die Erpressung von Lösegeld von Angehörigen der Opfer erzielen die Täter hohe Profite. „Die Schmuggler sind vor allem an den Mobiltelefonen der Flüchtlinge mit Telefonnummern von Eritreern im Ausland interessiert. Sobald diese Nummern angerufen werden, beginnt die Folter“, so ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Schreie der Opfer versuchten viele Angehörige, alles zu tun, um das Lösegeld aufzutreiben. Auch Human Rights Watch berichtet über die Praktiken der Entführer. Die Lösegeldforderungen belaufen sich auf zwischen 5000 und 40.000 US-Dollar.
Werden die Entführten nicht freigekauft, droht ihnen, dass ihnen Organe entnommen werden – ein weiteres lukratives Geschäft für die Täter. Dabei arbeiten offenbar ägyptische Ärzte mit den Tätern zusammen. Nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke liegen der Bundesregierung Hinweise vor, „wonach im Zeitraum 2010 bis 2011 ein Beduinenstamm im Nord-Sinai Migranten aus dem Bereich Subsahara entführt und ihnen Organe zum Weiterverkauf an ägyptische Krankenhäuser entnommen habe.“ Etwa 200 bis 250 Personen sollen Opfer dieser Praxis geworden sein, nicht wenige seien durch die Eingriffe zu Tode gekommen sein.
Ägyptens Behörden gehen nicht gegen die Täter vor – aber gegen die Opfer
Obwohl die Standorte der Lager, in denen die Migranten und Flüchtlinge festgehalten werden, teils bekannt sind, gibt es kaum Berichte über Polizeiaktionen gegen die Menschenhändler. Stattdessen gehen die ägyptischen Sicherheitsbehörden gegen Migranten und Flüchtlinge vor. Eine Dokumentation von Al Jazeera lässt einen Beduinen zu Wort kommen, der ägyptischen Sicherheitskräften Kollaboration mit den Menschenhändlern vorwirft.
Generell werden aufgegriffene Flüchtlinge und Migranten in Ägypten meist unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert. Nach Informationen von Amnesty International wurde in den letzten Jahren keinem einzigen eritreischen Asylsuchenden Zugang zum UNHCR in Kairo gewährt. PRO ASYL liegen zahlreiche Namen von eritreischen, sudanesischen und äthiopischen Schutzsuchenden vor, die in Ägypten meist ohne jeden Zugang zum UNHCR inhaftiert sind. Unter den Inhaftierten sind Minderjährige und Frauen. Ein Teil dieser Flüchtlinge fiel im Sinai Menschenhändlern zum Opfer und wurde von Angehörigen mit hohen Lösegeldsummen freigekauft. Die Opfer sind in vielen Fällen schwer traumatisiert, in einigen Fällen körperlich verstümmelt.
Auf Flüchtlinge und Migranten, die versuchen, die Grenze zu Israel zu überwinden, wird scharf geschossen. Der CNN-Bericht zeigt Massengräber von Hunderten getöteten Flüchtlingen und Migranten. Flüchtlinge, die es schaffen, die Grenze zu überqueren, werden in vielen Fällen in Israel inhaftiert.
Die Entschließung des Europa-Parlaments, die Ägypten, Israel und die internationale Gemeinschaft auffordert, ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenschmuggels und ‑handels „zu intensivieren“ hat bisher nicht zur Zerschlagung der Lager der Menschen- und Organhändler geführt. Es ist zu befürchten, dass die Täter ihrem mörderischen Geschäft weiterhin fast unbehelligt nachgehen können.
Angesichts dessen rufen eritreische Flüchtlinge anlässlich des Mursi-Besuches am morgigen Dienstag zur Demonstration auf. Sie fordern „Stoppt den Menschenraub und Organhandel auf dem Sinai“ und die „Freilassung aller afrikanischer Flüchtlinge in Ägypten“. PRO ASYL hat sich im Vorfeld des erwarteten ägyptischen Staatsbesuchs in Berlin an Präsident Mursi gewandt und seine Regierung aufgefordert, endlich entschlossen gegen Menschenhandel vorzugehen und die Inhaftierung von Flüchtlingen in Ägypten zu beenden. PRO ASYL rief außerdem die Bundesregierung auf, gegenüber der ägyptischen Regierung mit Nachdruck auf die Menschenrechtsverletzungen von Flüchtlingen im Sinai hinzuweisen und sich zügig für die Freilassung der inhaftierten Schutzsuchenden einzusetzen.
Weitere Medienberichte zur Situation von Flüchtlingen im Sinai:
http://www.guardian.co.uk/world/2012/feb/14/egypt-bedouin-kidnap-refugees-israel
http://www.derwesten.de/politik/entfuehrer-verkaufen-organe-von-geiseln-in-aegypten-id7481625.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/organhandel-auf-dem-sinai-tatort-aegypten/7628276.html