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Familiennachzug zu Flüchtlingskindern: Koalitionsbeschluss präsentiert Scheinlösung
Statt endlich eine überfällige Gesetzesreform anzustrengen, die den Rechtsanspruch von Eltern und Geschwistern auf einen Familiennachzug zu hier lebenden Flüchtlingskindern regelt, setzt die Große Koalition mit ihrem Beschluss auf Augenwischerei.
Im am Mittwoch vereinbarten Koalitionsbeschluss setzen CDU/CSU und SPD auf eine Härtefalllösung: »Im Einvernehmen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMI wird die Härtefallklausel in § 22 Aufenthaltsgesetz in Einzelfällen unter besonderer Berücksichtigung der Kinderrechtskonvention genutzt.« Offenbar dient der Formelkompromiss der symbolischen Ehrenrettung der SPD, die sich beim Familiennachzug von der CDU/CSU hat über den Tisch ziehen lassen.
Härtefallregelung soll es richten
Das BMI verlautbarte seinerzeit, betroffene subsidiär geschützte Minderjährige könnten mit der Härtefallregelung ihre Eltern aus dem Ausland nachholen: »Demnach kann nach § 22 S.1 AufenthG in begründeten Fällen bei dringenden humanitären Gründen (Härtefälle) eine Aufnahme der Eltern subsidiär geschützter Minderjähriger aus dem Ausland erfolgen.«
In der Praxis jedoch wurde »vom § 22 AufenthG allerdings fast kein Gebrauch gemacht«, beklagt der UNHCR in seiner Stellungnahme vom 17. März 2017. Die Lösung über Härtefälle hat in der Vergangenheit nicht funktioniert: Über die Härtefallregelung hat es bislang keinen einzigen Familiennachzug zu subsidiär geschützten Minderjährigen nach Deutschland gegeben (BT-Drucksache 18/11473).
Auch Minderjährige müssen auf ihre Familien warten
Der Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird auf mehreren Ebenen systematisch be- oder verhindert. Auch sie wurden vom Asylpaket II betroffen. Mit der Gesetzesverschärfung vom 16.03.2016 hat die Bundesregierung den Familiennachzug zu Flüchtlingen mit sog. subsidiärem Schutz bis zum 16.03.2018 außer Kraft gesetzt.
Waren Anfang des Jahres 2016 nur eine Handvoll Flüchtlinge betroffen, ist die Gewährung von lediglich subsidiärem Schutz anstelle einer Flüchtlingsanerkennung inzwischen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zur Regel geworden: Rund ein Drittel aller umF erhielten 2016 subsidiären Schutz (2.662 von 9.300, siehe BT-Drucksache 18/1540, Seite 92).
Der Rückgriff auf immer weitere Ausnahmeregelungen geht am Kern des Problems vorbei. Es bedarf einer Gesetzesänderung, die Familienzusammenführungen zügig und effektiv ermöglicht!
Anspruch verfällt bei Volljährigkeit
Sind die Jugendlichen in der Zwischenzeit volljährig geworden, verfällt der Anspruch auf den Nachzug der Eltern ganz. Besonders problematisch dabei: Die Asylverfahren von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen werden oft unerträglich in die Länge gezogen. Ein Recht auf Familiennachzug besteht aber nur, solange das Kind noch minderjährig ist. Vielfach scheitert ein Familiennachzug schlicht daran, dass eine Entscheidung über den Asylantrag erst nach Eintritt der Volljährigkeit ergeht.
Geschwisterkinder dürfen nicht nachkommen
Eltern haben einen Anspruch darauf, zu ihrem als Flüchtling in Deutschland anerkannten Kind zu ziehen; Geschwisterkindern wird dieses Recht jedoch verweigert – in vielen Fällen mit der Begründung, es läge kein Nachweis von »ausreichendem Wohnraum« vor.
Im Ergebnis lassen die Eltern entweder ihre weiteren minderjährigen Kinder allein im Ausland zurück, oder die Eltern verzichten auf den Familiennachzug und damit auf die familiäre Gemeinschaft mit ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Kind. Langwierige Rechtstreitigkeiten über die Auslegung von § 36 AufenthG und die Voraussetzungen für den Familiennachzug trennen Kinder von ihren Eltern und Geschwistern auf Jahre.
Statt Scheinlösungen: Gesetzesänderung!
Der Rückgriff auf immer weitere Ausnahmeregelungen und Lösungen, wie sie jetzt die Große Koalition in ihrem Beschluss vorsieht, geht am Kern des Problems vorbei. Es bedarf einer Gesetzesänderung, die Familienzusammenführungen zügig und effektiv ermöglicht.
Das hat auch das niedersächsische Innenministerium erkannt. In einem Schreiben vom 13. März schreibt Staatssekretär Stephan Manke an die Bundes- und Landesinnenminister: »Daher ist es aus meiner Sicht dringend notwendig, zu einer Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu kommen. Ziel einer solchen Gesetzänderung muss es sein, dann Ausnahmen vom Erfordernis ausreichenden Wohnraums zulassen zu können, wenn der Nachzug weiterer Angehöriger im Zusammenhang mit dem Nachzug der Kernfamilie zu in Deutschland anerkannten Flüchtlingen erfolgt.«