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Familiennachzug: Desintegrationspolitik betreiben, Integration einfordern?
Nach Medienberichten fordert der Unionsvize Laschet seine Partei zu Kompromissen beim Familiennachzug auf. Die Vorschläge laufen aber auf eine weitere jahrelange Trennung der Familien hinaus.
In der Debatte um den Familiennachzug hat Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, einen Kompromiss ins Spiel gebracht, bei dem eine festgelegte Anzahl an Flüchtlingen ihre Familie nachholen können sollen, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen.
Den geforderten Nachweis von Wohnung und Arbeit können zehntausende Flüchtlinge aber überhaupt nicht erbringen: Geflohen ohne Kenntnisse der deutschen Sprache, in Angst um die Angehörigen, isoliert durch die bis zu zweijährige Zwangsunterbringung in den Großlagern der Erstaufnahme. Dazu werden durch die Wohnortzuweisung auch Umzüge innerhalb Deutschlands in Gebiete mit besseren Lebensperspektiven verhindert.
Unter diesen Bedingungen stellt die Union unerfüllbare Anforderungen. Es ist zynisch, jahrelang eine Desintegrationspolitik zu betreiben, dann aber Integrationsleistungen zur Bedingung für die Gewährung eines Grund- und Menschenrechtes zu machen.
Subsidiär Geschützte können nicht einfach zurück
Subsidiär Geschützte müssen endlich wieder grundsätzlich ein Anrecht auf Familiennachzug haben und genauso behandelt werden, wie anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention. GFK-Flüchtlinge können nicht zurück, weil sie Furcht vor Verfolgung z.B. aus Gründen der Religion, politischen Überzeugung oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben. Subsidiär Schutzberechtigte können nicht zurück, weil ihnen im Herkunftsland ein sogenannter ernsthafter Schaden droht, beispielsweise Folter oder aber ernsthafte individuelle Bedrohungen von Leib und Leben im Bürgerkriegsland. Für beide Gruppen ist die Einheit der Familie nicht im Herkunftsland herstellbar.
Eine Rückkehr würde für beide Schutzgruppen automatisch zum Erlöschen des Schutzstatus führen (§72 Abs. 1 Nr. 1a AsylG). Das Recht auf Wahrung der Familieneinheit ist grundrechtlich geschützt: Eine noch längere Aussetzung widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts. Die Trennung von Familien auf lange Zeit ist grundgesetzwidrig und verstößt gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). PRO ASYL hat deshalb in den Weihnachtstagen eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht.
Bereits jahrelang von der Familie getrennt
Für die subsidiär Schutzberechtigten, die bereits unter die Aussetzungsregelung bis März 2018 fallen, ist besonders zu beachten, dass sie von ihren Familien schon viele Jahre getrennt leben. Nach der Flucht waren sie von den langen – oftmals über einjährigen – Asylverfahren betroffen, für zwei weitere Jahre hat der Bundestag den Familiennachzug ausgesetzt. Damit sind sie schon heute mindestens drei Jahre ohne ihre Mütter, ihre Väter, ihre Ehegatten oder ihre minderjährigen Kinder.
Die langjährige Trennung von Flüchtlingsfamilien ist verfassungswidrig (Verstoß gegen Artikel 6 GG). Bereits vor Jahrzehnten hat das Bundesverfassungsgericht zur damaligen dreijährigen Ehebestandszeit als Voraussetzung für den Ehegattennachzug zu Gastarbeitern geurteilt: »Die Beeinträchtigung der Belange von Ehe und Familie durch das Erfordernis einer dreijährigen Ehebestandszeit als Nachzugsvoraussetzung übersteigt auch im Blick auf entgegenstehende öffentliche Interessen das von den Betroffenen hinzunehmende Maß.« (BVerfG, 12.05.1987 – 2BvR126/83; 2 BvR101/84;2BvR 313 /84).
Und dabei hat das Gericht noch nicht die unsichere Situation der Flüchtlinge berücksichtigen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2012 entschieden, dass für einen »gewöhnlichen« Ehegattennachzug außerhalb des Asylrechts selbst eine einjährige Wartefrist zum Spracherwerb unzumutbar ist, wenn das mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist (BVerwG, 04.09.2012 – 10 C 12.12). Dies gilt dann erst recht für subsidiäre Schutzberechtigte aus Bürgerkriegsländern wie Syrien.
Auch der Verweis auf die ohnehin geltende Ausnahmeregelung in § 22 AufenthG funktioniert nicht. Bis heute wurden gerade einmal 66 Visa erteilt. Lediglich 230 weitere Fälle befinden sich noch in Bearbeitung (Stand 04.12.2017; Antwort des Auswärtigen Amtes vom 06.12.2017 auf die schriftliche Frage Nr. 11–263). Nicht umsonst hat erst kürzlich das Verwaltungsgericht Berlin einem 16-jährigen Syrer die Erlaubnis zum Familiennachzug zugesprochen und festgestellt, dass die Bundesregierung mit ihrer Praxis »gegen das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention« verstößt.