22.10.2014
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In Haft oder auf der Straße: Die Situation von Flüchtlingen in Griechenland ist unverändert katastrophal. Da Bild zeigt obdachlose Flüchtlinge in Athen. Das Foto stammt vom Projekt <a href="http://infomobile.w2eu.net/stories/homelessness-and-refugee-reception-centres-in-greece/">infomobile.w2eu.net</a>, das regelmäßig über die Situation von Flüchtlingen in Griechenland berichtet und vor Ort Einzelfallhife organisiert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Italien für die illegale Zurückweisung von Flüchtlingen nach Griechenland verurteilt. Zugleich hat das Gericht bestätigt, dass Asylsuchende in Griechenland keinen Schutz finden. Das Urteil bezieht sich unter anderem auf einen Bericht von PRO ASYL.

Fast all­täg­lich wer­den Flücht­lin­ge an Euro­pas Gren­zen Opfer völ­ker­rechts­wid­ri­ger Zurück­wei­sun­gen. Doch dass sol­che Men­schen­rechts­ver­ge­hen vor Gericht kom­men, ist extrem sel­ten. Das aktu­el­le Urteil des Euro­päi­scher Men­schen­rechts­ge­richts­hof (EGMR) im Fall Sha­ri­fi and Others v. Ita­ly and Greece ist daher von gro­ßer Bedeu­tung: Das Gericht ver­ur­teilt Ita­li­en, weil des­sen Grenz­po­li­zei nach­weis­lich vier afgha­ni­sche Flücht­lin­ge ohne indi­vi­du­el­le Prü­fung und Rechts­grund­la­ge nach Grie­chen­land abge­scho­ben hat.

Damit haben die ita­lie­ni­schen Behör­den die Schutz­su­chen­den den dort herr­schen­den unhalt­ba­ren Zustän­den für Asyl­su­chen­de aus­ge­setzt und unter ande­rem gegen das Ver­bot der Kol­lek­tiv­aus­wei­sung aus­län­di­scher Per­so­nen und das Ver­bots der Fol­ter oder unmensch­li­cher Behand­lung (Arti­kel 3 EMRK) ver­sto­ßen, so das Gericht.

Das flücht­lings- und men­schen­rechts­wid­ri­ge Vor­ge­hen der ita­lie­ni­schen Behör­den  haben Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen schon vor eini­gen Jah­ren ange­pran­gert. Im Som­mer 2012 ver­öf­fent­lich­ten PRO ASYL und der Grie­chi­sche Flücht­lings­rat den Bericht „Human Car­go. Arbi­tra­ry read­mis­si­on from the Ita­li­an Sea Ports to Greece“, der sys­te­ma­ti­sche völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen von Ita­li­en nach Grie­chen­land doku­men­tiert. Wie mensch­li­che Fracht behan­delt wer­den Flücht­lin­ge, die in ita­lie­ni­schen Häfen auf­ge­grif­fen wer­den, immer wie­der von ita­lie­ni­schen Grenz­po­li­zis­ten ille­gal zurück­ge­wie­sen, häu­fig beglei­tet von Misshandlungen. 

Urteil trifft auch Griechenland

Im Urteil wird zugleich Grie­chen­land ver­ur­teilt. Auf­grund sys­te­ma­ti­scher Män­gel im grie­chi­schen Asyl­sys­tem hat­ten die Betrof­fe­nen dort kei­nen Chan­ce auf Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren gehabt, den Klä­gern droh­te das Risi­ko der Abschie­bung nach Afgha­ni­stan, wo die Betrof­fe­nen mit hoher Wahr­schein­lich­keit Miss­hand­lun­gen aus­ge­setzt gewe­sen wären, so der Men­schen­rechts­ge­richts­hof. Damit bekräf­tigt es sein weg­wei­sen­des Urteil von Janu­ar 2011, mit dem es Grie­chen­land zu einem unsi­che­ren Land für Asyl­su­chen­de erklärte.

Dank die­ses Urteils von 2011 hat Ita­li­en wie die meis­ten EU-Mit­glied­staa­ten Abschie­bun­gen nach Grie­chen­land offi­zi­ell aus­set­zen müs­sen. Grund­la­ge sol­cher Abschie­bun­gen war die Dub­lin-Rege­lung, wonach Asyl­su­chen­de dort ihr Asyl­ver­fah­ren druch­lau­fen müs­sen, wo sie erst­mals in die EU ein­ge­reist sind. Dass die­se Zustän­dig­keits­re­ge­lung nicht durch­ge­setzt wer­den darf, wenn in dem Ein­rei­se­staat Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen, hat­te der EGMR 2011 klargestellt.

Miss­hand­lun­gen und mise­ra­ble Haftbedingungen

Nach wie vor ist der  Zustand des grie­chi­schen Asyl­sys­tems deso­lat, die Bedin­gun­gen für Flücht­lin­ge sind kata­stro­phal. Gera­de erst hat das Euro­päi­sche Komi­tee zur Ver­hü­tung von Fol­ter des Euro­pa­ra­tes einen Bericht über die „voll­kom­men inak­zep­ta­blen“ Bedin­gun­gen und sys­te­ma­ti­schen Män­gel für Flücht­lin­ge, Migran­tin­nen und Migran­ten in grie­chi­schen Haft­zen­tren ver­öf­fent­licht. Das Komi­tee doku­men­tiert Miss­hand­lun­gen durch Poli­zei­kräf­te sowie mise­ra­ble Haft­be­din­gun­gen – Zustände.

Das Urteil des EGMR vom 21. Okto­ber 2014 ist daher ein wich­ti­ges Signal an die euro­päi­schen Regie­run­gen, sich nicht blind gegen­über der Men­schen­rechts­la­ge gegen­über Flücht­lin­gen zu zeigen.

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