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Europa braucht einen umfassenden Plan statt Teillösungen!
Am kommenden Montag findet auf Malta ein Minigipfel zur sogenannten Ausschiffungskrise im Mittelmeer statt. Offene Häfen für Bootsflüchtlinge sind dringend notwendig. Die bisher kommunizierten Vorschläge greifen jedoch zu kurz. Europa braucht einen umfassenderen Rettungsplan.
Im Vorfeld des Treffens auf Malta wurde bereits kommuniziert, wie der Verteilungsmechanismus aussehen soll: Deutschland und Frankreich werden je 25 Prozent derjenigen Menschen aufnehmen, die im zentralen Mittelmeer vor Malta und Italien aus Seenot gerettet wurden. Die Aufnahme der restlichen 50 Prozent teilen sich andere Mitgliedstaaten.
Seit Juni 2018 wird immer wieder Schiffen mit Geretteten die Einfahrt in maltesische und italienische Häfen verweigert. Stattdessen harren sie zum Teil über Wochen vor der Küste aus. Es ist zu begrüßen, dass ein Versuch unternommen wird, dem unerträglichen Umgang mit zivilen Seenotrettungsorganisationen ein Ende zu bereiten.
Auf Malta lediglich eine kleine Lösung verhandelt
Ein umfassender und nachhaltiger Ansatz um die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer zu beenden, zeichnet sich jedoch nicht ab. Die Engführung auf die zentrale Mittelmeerroute sowie auf die dort aus Seenot Geretteten nimmt die meisten Schutzsuchenden nicht in den Blick. Seit Jahresbeginn kamen laut UNHCR 6.227 Menschen (Stand 20. September) in Italien und 1.585 Menschen in Malta an. Davon kommt ein Großteil selbstständig aus Tunesien und vereinzelt auch aus Libyen in Italien an.
Die Engführung auf die zentrale Mittelmeerroute sowie auf die dort aus Seenot Geretteten nimmt die meisten Schutzsuchenden nicht in den Blick.
Die meisten kommen in Griechenland und Spanien an
Mehr als 58.000 Menschen haben seit Januar die EU über Griechenland und Spanien erreicht. Weder Griechenland noch Spanien sitzen in Malta jedoch am Verhandlungstisch. Für die dort ankommenden Schutzsuchenden ist keine Lösung absehbar.
Keine EU-Seenotrettung in Sicht
Wenn Seehofer nun vor dem Treffen auf Malta mit Aussagen wie »Wir lassen niemanden ertrinken« von sich Rede macht, ist das ein wohlklingender Satz. Die Realität sieht anders aus: Auf dem Sondertreffen wird es nicht um ein ganzheitliches europäisches Programm zur Seenotrettung gehen. Diese leisten zurzeit vor allem die zivile Seenotretter*innen.
Die Seenotrettungskrise geht unvermindert weiter. Im gesamten Mittelmeer kamen in diesem Jahr 932 Menschen ums Leben, seit 2015 waren es mehr als 15.000 Tote. Die Untätigkeit der verantwortlichen Politiker*innen auf Schiffsbrüche und Tote lässt jedoch vermuten, dass sie nicht an einer Lösung interessiert sind.
Operation »Sophia«: Wo keine Schiffe, dort auch keine Rettung
Dass kein Umdenken in Sicht ist, zeigt auch die Mandatsverlängerung der EU-Militärmission »Sophia«. Erneut ist kein Einsatz von Schiffen vorgesehen. Schiffseinsatz im Mittelmeer würde dazu führen, dass im Rahmen der Operation Schutzsuchende in Seenot gemäß Seerecht auch gerettet und nach Europa gebracht werden müssten. Daran scheint die EU nicht interessiert. Kampf gegen »irreguläre Migration« ja, Seenotrettung nein.
Flucht nach Europa immer gefährlicher
Auf der zentralen Mittelmeerroute ist die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, mit Abstand auf einem Höchststand. 7.812 Menschen erreichten bisher 2019 die EU über Malta und Italien. Nach offiziellen Zahlen kamen dabei 658 Menschen ums Leben, viele weitere ertrinken ungesehen, ohne dass die europäische Öffentlichkeit je davon erfährt.
Auf den Fluchtrouten innerhalb Afrikas spielt sich eine noch viel größere Tragödie abseits der öffentlichen Wahrnehmung ab. Die Flucht- und Migrationspolitik der EU hat zu einem erhöhten Risiko auf der Route durch die Sahara geführt.
So wurde beispielsweise im Niger auf Druck der EU eine restriktive Abwehrpolitik umgesetzt. Die Route durch die Sahara ist dadurch noch lebensgefährlicher geworden. Hier dürften noch mehr Menschen sterben als im Mittelmeer.
Die libysche Hölle
Seit erneutem Ausbruch von Kampfhandlungen am 04.04.2019 sind in dem Land mehr als 1.000 Menschen getötet worden. Bei einem Luftangriff auf Tripolis wurde am 02.07.2019 ein Flüchtlingslager im Stadtteil Tajoura getroffen. 53 Schutzsuchende verloren dabei ihr Leben, 130 wurden verletzt. Kurz nachdem die Überlebenden aus dem Lager in eine UNHCR Einrichtung transferiert wurden, fing die »libysche Küstenwache« Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer ab und füllte die frei gewordenen Plätze in Tajoura erneut.
Kurz nachdem die Überlebenden aus dem Lager in eine UNHCR Einrichtung transferiert wurden, fing die »libysche Küstenwache« Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer ab und füllte die frei gewordenen Plätze in Tajoura erneut.
Für Schutzsuchende ist es sehr schwer geworden, aus dem Bürgerkriegsland zu entkommen. Schaffen sie es auf das Mittelmeer, werden sie immer häufiger abgefangen. 2019 sind mit 5.280 Menschen in etwa so viele Menschen zurück nach Libyen gebracht worden, wie die EU über Libyen erreichten. Laut einem internen Papier der EU-Ratspräsidentschaft vom 04.09.2019 arbeitet die »libysche Küstenwache« mittlerweile noch effizienter als in den vergangenen Jahren.
Die schlimme Lage für Schutzsuchende ist in dem Dokument ausführlich beschrieben. Wieso die Evakuierungen aus dem Land so schleppend vorangehen, zeigt gleichzeitig, mit wem sich die EU hier einlässt: Eine große Herausforderung in der Zusammenarbeit mit der libyschen Regierung bestehe in deren Widerwillen, Evakuierungen aus den Haftlagern zu beschleunigen. Die Autoren erklären dies mit den Menschenrechtsverletzungen in den Lagern und damit, dass die Lager ein profitables Geschäft für die Regierung darstellen.
In dem EU-Dokument findet sich eine seitenlange Liste der Kooperationen der EU mit libyschen Behörden zur Unterstützung des »Grenz- und Migrationsmanagements«:
- Unter dem EU Action Plan against migrant smuggling wird seit 2015 der »Kampf gegen Menschenschmuggel« und der Aufbau der »libyschen Küstenwache« unterstützt.
- Mit der Malta-Erklärung vom Februar 2017, dem Libyen-Deal, wurde der Aufbau der »libyschen Küstenwache« intensiviert.
- Das Einsatzzentrum von EUBAM Libyen wurde zwar aufgrund der Sicherheitslage in dem Land nach Tunis verlegt, Beratung und Unterstützung der libyschen Grenzagenturen finden dennoch statt.
- Nach Libyen fließen die meisten Mittel des EU Trust Fund for Africa. Seit Juli 2017 wurden darüber 91,3 Mio. Euro für »integriertes Grenzmanagement« bereitgestellt. Ganz oben auf der Liste findet sich erneut die Ausbildung der »libyschen Küstenwache«.
Evakuierung und Resettlement aus Libyen
Tausende Flüchtlinge sind in Lagern inhaftiert. Einschlägige Berichte dokumentieren seit Langem schwerste Menschenrechtsverletzungen von Folter und Vergewaltigung bis Sklavenhandel und Erschießungen.
Beim UNHCR sind 48.163 Menschen als Flüchtlinge registriert. Schätzungen belaufen sich auf 125.000 Flüchtlinge im ganzen Land. Dennoch werden die Schutzsuchenden nur schleppend aus dem Land geholt. Seit Ende 2017 wurden lediglich 4.024 Menschen evakuiert. Ein Großteil in den Niger, wo immer noch 1.071 Menschen auf ihre Überstellung ins Aufnahmeland warten.
Legale Wege schaffen
Neueste Pläne sehen die Evakuierung nach Ruanda vor. Der UNHCR möchte dort verschiedene Lösungen für die Betroffenen finden. Ruanda droht zur Sackgasse zu werden.
Stattdessen müssen andere Möglichkeiten zur Umsiedlung Schutzsuchender aus Libyen genutzt werden. Einige Länder wie Italien und Kanada nehmen Schutzsuchende direkt aus Libyen auf. Die deutschen Behörden sollten verstärkt auf diese Strukturen zurückgreifen.
Ende der unsolidarischen EU-Flüchtlingspolitik
Es muss endlich eine europäische Initiative zur Rettung & Aufnahme von Flüchtlingen geben!
- Europäischen Seenotrettungsdienst schaffen
- Ende der Kooperation mit Libyen
- Solidarische Aufnahme und Verteilung von Bootsflüchtlingen auch aus Griechenland, Zypern und Spanien