27.02.2014
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Unterbringung in einer Turnhalle des Aufnahmelagers Bicske in Ungarn. Asylsuchende sind vielfach mit katastrophalen Unterbringungsbedingungen konfrontiert. Oft werden Familien getrennt. Das heutige Urteil stärkt ihre Rechte. Bild: bordermonitoring.eu

Mit dem heutigen Urteil hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) klargestellt, dass die finanzielle Unterstützung für Asylsuchende so bemessen sein muss, dass ein menschenwürdiges Leben möglich ist.

In dem Ver­fah­ren in Bel­gi­en, das dem heu­ti­gen Urteil des EuGH zugrun­de liegt, ging es ins­be­son­de­re um die Fra­ge, wie eine men­schen­wür­di­ge Unter­brin­gung von Asyl­su­chen­den sicher zu stel­len ist. Geklagt hat­te Fami­lie Saci­ri mit drei min­der­jäh­ri­gen Kin­dern. Die zustän­di­ge Föde­ral­agen­tur für die Auf­nah­me von Asyl­be­wer­bern (Feda­sil) hat­te ihnen einen Auf­nah­me­platz ver­wei­gert und sie an das Öffent­li­che Sozi­al­hil­fe­zen­trum Diest (ÖSHZ) wei­ter verwiesen.

Aber auch dort hat­te Fami­lie Saci­ri kei­ne Unter­kunft hat­te bekom­men kön­nen. Schließ­lich ver­such­te sie es auf dem pri­va­ten Woh­nungs­markt. Aller­dings konn­te sie sich die hohen Mie­ten nicht leis­ten, sodass sie einen Antrag auf staat­li­che Unter­stüt­zung stell­ten. Die­se wur­de ihnen mit der Begrün­dung ver­wei­gert, dass die von der Feda­sil bereit­ge­stell­ten Auf­nah­me­struk­tu­ren für sie zustän­dig sei­en. Hier­ge­gen klag­te die Familie.

Die bel­gi­sche Jus­tiz ver­ur­teil­te die Feda­sil dar­auf­hin, der Fami­lie Saci­ri Auf­nah­me zu gewäh­ren und knapp 3.000 Euro für die drei Mona­te zu zah­len, in denen sie nicht von der Feda­sil unter­ge­bracht wor­den war. Hier­ge­gen leg­te Feda­sil bei der nächst­hö­he­ren Gerichts­in­stanz Rechts­mit­tel ein. Die­se rief den EuGH an, um eine euro­pa­recht­li­che Klä­rung herbeizuführen.

EuGH gab Flücht­lin­gen Recht

Dar­auf­hin ent­schied nun der EuGH: Wird die Ver­sor­gung von Asyl­su­chen­den nicht durch Sach­leis­tun­gen, son­dern durch Geld­mit­tel gewähr­leis­tet, müs­sen die­se die Betrof­fe­nen ins­be­son­de­re in die Lage ver­set­zen, eine Unter­kunft zu fin­den, wobei gege­be­nen­falls die Wah­rung der Inter­es­sen beson­ders bedürf­ti­ger Per­so­nen zu berück­sich­ti­gen ist. Ein men­schen­wür­di­ges Leben, bei dem die Gesund­heit und der Lebens­un­ter­halt der Schutz­su­chen­den gesi­chert ist, muss gewähr­leis­tet sein.

Der EuGH beton­te zudem, dass das euro­päi­sche Recht die fami­liä­re Gemein­schaft und das Wohl des Kin­des schützt. Kin­der dürf­ten nicht von ihren Eltern getrennt wer­den. Die Unter­stüt­zung müs­se bereits ab Asyl­an­trag­stel­lung gewährt wer­den. Eine Voll­aus­las­tung der Auf­nah­me­plät­ze recht­fer­ti­ge nicht, dass von den Garan­tien der Richt­li­nie abge­wi­chen werde.

Urteil auch für ande­re EU-Staa­ten bedeutsam

Auch in Län­dern wie In Län­dern wie Ita­li­en, Bul­ga­ri­en und Ungarn ist das Urteil von hoher Bri­sanz für Flücht­lin­ge. Denn dort sind Asyl­su­chen­de viel­fach mit einer kata­stro­pha­len Unter­brin­gungs­si­tua­ti­on kon­fron­tiert. Selbst Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern lan­den immer wie­der in der Obdach­lo­sig­keit. In Ita­li­en kommt es wegen der zu gerin­gen Zahl an Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen oft zur Fami­li­en­tren­nung: Müt­ter und Kin­der wer­den in einem Zen­trum, Väter in einem ande­ren unter­ge­bracht. Es gibt auch Fäl­le, in denen Mut­ter, Vater und Kind sogar in drei ver­schie­de­nen Zen­tren unter­ge­bracht wer­den. In Bul­ga­ri­en leben die Flücht­lin­ge in slum-ähn­li­chen Ver­hält­nis­sen. Und in Ungarn wer­den Fami­li­en dadurch getrennt, dass vie­le Fami­li­en­vä­ter will­kür­lich inhaf­tiert werden.

PRO ASYL begrüßt das heu­ti­ge Urteil als wich­ti­ges Signal für die Behand­lung von Asyl­su­chen­den in den EU-Mit­glied­staa­ten. Das Urteil muss sich auch auf die Dub­lin-Ent­schei­dun­gen aus­wir­ken: Asyl­su­chen­de, die nach Deutsch­land wei­ter­ge­reist sind, weil sie in ande­ren EU-Län­dern obdach­los oder auf ande­re Wei­se men­schen­un­wür­dig unter­ge­bracht waren, dür­fen nicht mehr dort­hin zurück­ge­scho­ben wer­den. So lan­ge die Min­dest­stan­dards des EU-Rechts bei der Unter­brin­gung nicht beach­tet wer­den, müs­sen Asyl­su­chen­de vor Über­stel­lun­gen in die­se Län­der geschützt werden.

Das EuGH-Urteil im Wortlaut

 „Migra­ti­ons­haft“ heißt jetzt „Asyl­haft“: War­um Abschie­bun­gen nach Ungarn immer noch die Men­schen­rech­te der Betrof­fe­nen gefähr­den (11.07.14)

 Sind Abschie­bun­gen nach Ita­li­en men­schen­rechts­wid­rig? (12.02.14)

 UNHCR for­dert Über­stel­lungs­stopp nach Bul­ga­ri­en (07.01.14)

 Blei­be­recht für die 72 afgha­ni­schen Ungarn-Flücht­lin­ge gefor­dert (07.11.13)