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Ein ziviler EU-Seenotrettungsdienst wird weiterhin abgelehnt, stattdessen bleibt die Grenzschutzagentur Frontex verantwortlich. Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Foto: flickr / European Union Naval Force

Die EU-Kommission hat mit einem Strategiepapier auf das Sterben im Mittelmeer und steigende Flüchtlingszahlen reagiert. Die Vorschläge werden öffentlich gefeiert. Mit einer menschenrechtlichen und humanitären Kehrtwende haben sie jedoch wenig zu tun. Vieles – etwa der Vorschlag einer EU-Quotenregelung – ist heiße Luft. Durchgesetzt werden am Ende wohl vor allem die Stärkung von Frontex und die Militarisierung der Außengrenzen. Leidtragende sind weiterhin die Flüchtlinge.

Ver­wir­rung um Quo­ten­re­ge­lung: Hei­ße Luft und Fehlinformationen

„EU will Flücht­lin­ge per Quo­te ver­tei­len“, titeln seit Tagen unter­schied­li­che Medi­en über das Stra­te­gie­pa­pier. Schon wird errech­net wie­viel Pro­zent weni­ger Deutsch­land auf­neh­men müss­te und wie­viel mehr Groß­bri­tan­ni­en, eine Quo­te hat die EU auch schon berech­net. Nahe­zu jeder darf sich zum The­ma äußern. Nur: In dem EU-Papier wird kei­ne ent­spre­chen­de Rege­lung kon­zi­piert. Statt­des­sen wird eine Umsied­lung (Relo­ca­ti­on) von Flücht­lin­gen aus EU-Staa­ten vor­ge­schla­gen, die sich „auf­grund eines plötz­li­chen Zustroms von Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen in einer Not­la­ge“ befin­den (Art. 78 (3) AEU-Ver­trag). Es wer­den also, wenn über­haupt, nur Flücht­lin­ge in bestimm­ten EU-Staa­ten – denk­bar wäre etwa Ita­li­en, Mal­ta und Grie­chen­land – betrof­fen sein. Zudem soll das Pro­gramm zeit­lich begrenzt sein. Die Umsied­lung die­ser Men­schen soll dann anhand von Quo­ten erfol­gen. Es sol­len zudem nur Flücht­lin­ge betrof­fen sein, die „offen­sicht­lich Schutz­be­dürf­tig“ sind.  Es bleibt damit völ­lig unklar ob und aus wel­chen EU-Län­dern, wel­che Flücht­lin­ge, wann und wohin ver­teilt werden.

Klar ist jedoch: Eine Ent­las­tung der Staa­ten an den EU-Außen­gren­zen ist drin­gend not­wen­dig. In Grie­chen­land und Ita­li­en etwa leben zehn­tau­sen­de Flücht­lin­ge in der Obdach­lo­sig­keit. Es ist jedoch mehr als Zwei­fel­haft, dass die EU-Staa­ten einer Umsied­lung aus die­sen Län­dern abseits frei­wil­li­ger Kon­tin­gen­te zustim­men wer­den. Der Vor­schlag eines ver­bind­li­chen Umsied­lungs­pro­gramms wird wohl zer­schos­sen. Glei­ches gilt für eine grund­sätz­li­che Quo­ten­re­ge­lung abseits von Not­fäl­len, mit dem das EU-Papier zwar sym­pa­thi­siert, jedoch nur die Aus­ar­bei­tung eines Kon­zep­tes in Aus­sicht stellt.

Kei­ne Rück­sicht auf die Bedürf­nis­se der Betroffenen

Abseits der vie­len Fra­ge­zei­chen: Eine Quo­ten­re­ge­lung, zumal nur für bestimm­te Her­kunfts­län­der, ist für eine Ent­las­tung der Staa­ten an den Außen­gren­zen aus meh­re­ren Grün­den unge­eig­net. Zum einen sol­len Flücht­lin­ge auch in Län­der wie Rumä­ni­en, Polen oder Slo­wa­kei ver­teilt wer­den, aus denen bereits jetzt vie­le Flücht­lin­ge auf­grund kata­stro­pha­ler Lebens­be­din­gun­gen wei­ter­flie­hen. Zum ande­ren nimmt der Vor­schlag kei­ne Rück­sicht auf die Bedürf­nis­se der Flücht­lin­ge. Die­se wol­len in der Regel zu ihren Ange­hö­ri­gen und Com­mu­ni­tys, da sie dort Unter­stüt­zung erhal­ten kön­nen. War­um soll ein Syrer des­sen Schwes­ter schon seit 10 Jah­ren in Bochum lebt, statt zu ihr, nach Est­land ver­teilt wer­den? War­um soll ein fran­zö­sisch­spra­chi­ger Kon­go­le­se nach Polen statt nach Mar­seil­le zu Bekann­ten aus sei­ner Hei­mat­stadt ver­teilt wer­den? Flücht­lin­ge selbst ent­schei­den zu las­sen ist deut­lich sinn­vol­ler als eine Quo­ten­lot­te­rie und macht auch aus inte­gra­ti­ons­po­li­ti­scher Sicht Sinn: Com­mu­ni­ties und Ange­hö­ri­ge ver­mit­teln Wohn­raum und Jobs und  geben eine Ori­en­tie­rung in der neu­en Hei­mat. PRO ASYL schlägt daher das Free-Choice-Modell vor, dass statt Men­schen mit enor­men büro­kra­ti­schen Auf­wand umher­zu­schie­ben einen euro­päi­schen Finanz­aus­gleich vorsieht.

Ver­drei­fa­chung der Mit­tel für Mittelmeer-Operationen

Das Stra­te­gie­pa­pier sieht eine Ver­drei­fa­chung der Mit­tel für die Mit­tel­meer-Ope­ra­tio­nen Tri­ton und Posei­don vor. Ende letz­ten Jah­res war die See­not­ret­tung im Mit­tel­meer auf ein Drit­tel redu­ziert wor­den. Mehr als 1700 Men­schen star­ben in weni­gen Mona­ten. Nach dem mas­si­ven öffent­li­chen Druck durch PRO ASYL und ande­re Orga­ni­sa­tio­nen sol­len jetzt end­lich Gel­der bereit­ge­stellt wer­den. Der Ein­satz­ra­di­us soll aus­ge­wei­tet wer­den. Momen­tan darf nur küs­ten­nah ope­riert wer­den, die meis­ten Boo­te ken­tern jedoch außer­halb die­ses Gebie­tes. Unklar bleibt jedoch  ob das Geld auch tat­säch­lich für eine effek­ti­ve See­not­ret­tung ein­ge­setzt wird.

EU-Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex wird mas­siv gestärkt

Ein zivi­ler See­not­ret­tungs­dienst wird wei­ter­hin abge­lehnt, statt­des­sen bleibt die Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex ver­ant­wort­lich. Damit wird der Bock zum Gärt­ner gemacht. Fron­tex ist kei­ne See­not­ret­tungs­agen­tur, der Auf­trag ist die koor­di­nie­ren­de und mili­tä­ri­sche Absi­che­rung der euro­päi­schen Gren­zen. Am Ende könn­te vor allem eines ste­hen: Drei­mal so viel Grenzschutz.

Die EU-Kom­mis­si­on strebt zudem eine Aus­wei­tung des Fron­tex-Man­dats an: Nach dem Stra­te­gie­pa­pier soll Fron­tex in Zukunft eigen­stän­di­ge EU-Abschie­bungs­flü­ge ein­lei­ten kön­nen. Fron­tex soll zudem stär­ker in die Zusam­men­ar­beit mit Dritt­staa­ten ein­ge­bun­den wer­den: Ver­bin­dungs­be­am­te sol­len Tran­sit­staa­ten wie die Tür­kei, Marok­ko und Ägyp­ten dabei unter­stüt­zen, die Wei­ter­rei­se von Flücht­lin­gen zu ver­hin­dern. Die Absicht ist klar: Flücht­lin­ge sol­len fern­ab der euro­päi­schen Öffent­lich­keit und rechts­staat­li­cher Ver­fah­ren auf­ge­hal­ten werden.

Krieg gegen Flücht­lin­ge: Mili­tär­ope­ra­tio­nen tref­fen auch die Schutzsuchenden

Die EU-Kom­mis­si­on will zudem mili­tä­risch gegen soge­nann­te Schlep­per­netz­wer­ke vor­zu­ge­hen. Ein akti­ves Abfan­gen und Zer­stö­ren von Boo­ten ist geplant. Der Ein­satz von Waf­fen und mili­tä­ri­scher Aus­rüs­tung stellt dabei eine unkon­trol­lier­ba­re Gefahr für Men­schen­le­ben dar. Mili­tä­ri­sche Ope­ra­tio­nen wer­den auch die Flücht­lin­ge tref­fen – die Boo­te wer­den in der Regel von ver­arm­ten Fischern und Flücht­lin­gen gesteu­ert und bela­den. Die Geschäf­te­ma­cher hal­ten sich im Hin­ter­grund. Ein mili­tä­ri­scher Ein­satz vor Liby­en wird zudem den dor­ti­gen Bür­ger­krieg noch stär­ker befeu­ern. Das Land ist poli­tisch gespal­ten und loka­le Mili­zen ver­fü­gen über beträcht­li­che Waffenarsenale.

20.000 Resett­le­ment-Plät­ze für Syrer: Die Boo­te blei­ben voll

Der Vor­schlag 20.000 Men­schen aus Syri­en über das Resett­le­ment-Pro­gramm auf­zu­neh­men ist zwar zu begrü­ßen. Die Tra­gö­die im Mit­tel­meer wür­de dadurch jedoch nicht ver­hin­dert. 2014 wur­den rund 220.000 Men­schen an den See­au­ßen­gren­zen der EU regis­triert. Rund 110.000 von ihnen waren Syrer. Die Anzahl der Plät­ze reicht auch für die­se Grup­pe nicht ein­mal annä­hernd. Für die vie­len Flücht­lin­ge aus Afgha­ni­stan, Eri­trea und Soma­lia wird über­haupt kei­ne Lösung ange­bo­ten. Die Hälf­te der syri­schen Bevöl­ke­rung ist zu Flücht­lin­gen gewor­den. 3,4 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge leben  nach Anga­ben der Ver­ein­ten Natio­nen im Liba­non, Jor­da­ni­en und der Tür­kei unter kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen, es fehlt selbst am Nötigs­ten. Im Liba­non ist mitt­ler­wei­le jeder fünf­te Ein­woh­ner ein Flücht­ling – ins­ge­samt sind 1,1 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge dort­hin geflo­hen, nach Euro­pa ledig­lich 123.000. 20.000 Visa zur lega­len Ein­rei­se wären ein Trop­fen auf dem hei­ßen Stein. Die Boo­te wer­den voll bleiben.

EU-Stra­te­gie­pai­er „A EUROPEAN AGENDA ON MIGRATION“ (pdf)

Flücht­lings­ver­tei­lung: Die­se Quo­ten hat die EU berech­net (pdf)

Pres­se­mit­tei­lung der EU-Kommission

FAQ der EU-Kom­mis­si­on zum Strategiepapier

Krieg gegen Flücht­lin­ge: EU will Risi­ken ihres Mili­tär­ein­sat­zes mit PR ver­tu­schen (02.06.15)

Grie­chen­land: Tau­sen­de Flücht­lin­ge stran­den im Elend (29.05.15)

EU-Kom­mis­si­on: Asyl­su­chen­de sol­len nach Quo­ten ver­teilt wer­den (27.05.15)

EUNAVFOR Med: EU beschließt Mili­tär­ak­ti­on gegen Flücht­lings­boo­te (19.05.15)

Flücht­lings­ver­tei­lung: War­um EU-Quo­ten das Pro­blem nicht lösen (11.05.15)

EU beschließt Pro­gramm zur Flücht­lings­be­kämp­fung – und See­not­ret­tung „light“ (24.04.15)

Inter­na­tio­na­les Recht: EU muss Boots­flücht­lin­ge ret­ten und auf­neh­men (23.04.15)

EU-Son­der­gip­fel: Wie Euro­pa das Ster­ben stop­pen kann (22.04.15)

Wie vie­le Tote noch? See­not­ret­tung statt Abwehr! (20.04.15)

Euro­pas Schan­de: „Tri­ton“ und „Mare Nos­trum“ im Ver­gleich (17.10.14)