15.04.2014
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Bei der italienischen Militäroperation im Mittelmeer "Mare Nostrum" werden erste Identifizierungen von Flüchtlingen auf Hoher See vorgenommen. Durch die Seeaußengrenzenverordnung werden nun auch Frontex weitreichende Befugnisse gegenüber Flüchtlingsbooten zugesprochen. Zurückweisungen werden damit auf eine scheinbar legale Grundlage gestellt. Bild: UNHCR/D'Amato 2014

Das Europäische Parlament wird am 16. April 2014 über die so genannte Seeaußengrenzenverordnung abstimmen. Mit der Verordnung werden Zurückweisungen von Flüchtlingen auf eine scheinbar legale Grundlage gestellt.

Der Ent­wurf sieht vor: Im Küs­ten­meer, der so genann­ten 12-Mei­len-Zone, und in der Anschluss­zo­ne kön­nen Flücht­lings­boo­te abge­fan­gen, an der Wei­ter­fahrt gehin­dert und durch­sucht wer­den. Außer­dem kann das Boot ange­wie­sen wer­den „den Kurs zu ändern“. Auch das „Eskor­tie­ren oder Gelei­ten des Schiffs, bis es sich auf die­sem Kurs befin­det“ ist als Maß­nah­me vor­ge­se­hen (Arti­kel 6).

Wird ein Schiff auf Hoher See auf­ge­grif­fen, so gilt: Nach Auf­griff und Durch­su­chung des Schiffs kann auch hier die Kurs­än­de­rung ange­wie­sen wer­den. Des Wei­te­ren besteht die Mög­lich­keit des „Führen(s) des Schiffs zu einem Dritt­staat“ und der „Über­stel­lung der an Bord befind­li­chen Per­so­nen an die Behör­den eines Dritt­staats“ (Arti­kel 7). Zwar heißt es in Arti­kel 4 des Ent­wurfs, dass Per­so­nen nicht in Dritt­staa­ten über­stellt wer­den dür­fen, in denen den Betrof­fe­nen Fol­ter, unmensch­li­che Behand­lung oder ande­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen. Äußerst vage sind jedoch die Bestim­mun­gen dazu, wie die Sicher­heit des Dritt­staats über­prüft wer­den soll.

Zustän­dig­kei­ten für Ret­tung wei­ter ungeklärt

Der Ent­wurf ent­hält zwar in Arti­kel 4 wich­ti­ge grund­recht­li­che Bestim­mun­gen, ins­be­son­de­re den Grund­satz der Nicht­zu­rück­wei­sung. Auch die Klar­stel­lung in Arti­kel 9, wann ein See­not­ret­tungs­fall vor­liegt und wie dar­auf reagiert wer­den soll, ist zu begrü­ßen. Aller­dings ist dies bereits im inter­na­tio­na­len See­recht ver­brieft und die Zustän­dig­keits­fra­gen bezüg­lich der Auf­nah­me von geret­te­ten Flücht­lin­gen blei­ben nach wie vor ungeklärt. 

Zahl­rei­che wei­te­re Fra­gen blei­ben unge­klärt: Wie kann kon­trol­liert wer­den, ob sich ein Flücht­lings­boot auf Hoher See „füh­ren“ lässt oder ob es gegen den Wil­len der Betrof­fe­nen zwangs­wei­se abge­drängt wird? Wie kann sicher­ge­stellt wer­den, dass den Schutz­su­chen­den im Dritt­staat, in den das Boot „geführt“ wird, schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen? Die Vor­stel­lung, auf See eine fai­re und rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en ent­spre­chen­de Prü­fung von Asyl­ge­su­chen vor­zu­neh­men, ist frag­wür­dig.  Denn Rechts­bei­stän­de, Über­set­zer und medi­zi­ni­sches Per­so­nal sol­len der Ver­ord­nung zufol­ge bei Fron­tex-Ope­ra­tio­nen nur zum Ein­satz kom­men, wenn dies als „not­wen­dig“ erach­tet wird.

EGMR-Urteil gegen Zurück­wei­sung 2012 

Am 23. Febru­ar 2012 hat­te der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te Ita­li­ens Zurück­wei­sungs­po­li­tik nach Liby­en ver­ur­teilt. Erst­mals wur­de im Fall Hir­si Jamaa und ande­re gegen Ita­li­en über die Fra­ge der Zurück­wei­sung von Flücht­lin­gen auf Hoher See ent­schie­den und bestä­tigt: Das Mit­tel­meer ist kei­ne men­schen­rechts­freie Zone. Die Ver­ord­nung zur Fest­le­gung von Rege­lun­gen für die Über­wa­chung der See­au­ßen­gren­zen im Rah­men der von Fron­tex koor­di­nier­ten ope­ra­ti­ven Zusam­men­ar­beit soll­te die­se Recht­spre­chung aufnehmen.

Das Gegen­teil ist der Fall. Die men­schen­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen erschei­nen ins­ge­samt als legi­ti­ma­to­ri­sches Bei­werk und Augen­wi­sche­rei mit Blick auf die weit­rei­chen­den Befug­nis­se für Fron­tex-Beam­te wäh­rend gemein­sa­mer Ope­ra­tio­nen. Der Ver­ord­nungs­ent­wurf wird völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen von Schutz­su­chen­den nicht ver­hin­dern, denn das Nicht­zu­rück­wei­sungs­ge­bot ist ange­sichts der weit­rei­chen­den Befug­nis­se von Fron­tex nicht durchsetzbar.

Push­backs müs­sen unbe­dingt ver­hin­dert werden

Aus Sicht von PRO ASYL ist die See­au­ßen­gren­zen­ver­ord­nung ein kla­rer Rück­schritt hin­ter das Hir­si-Urteil von 2012. Mit den neu­en Bestim­mun­gen zu Fron­tex-Ein­sät­zen an den See­au­ßen­gren­zen Euro­pas wird die Recht­spre­chung des EGMR unter­lau­fen. Statt wei­te­re recht­li­che Grau­zo­nen zu schaf­fen, for­dert PRO ASYL die EU mit Nach­druck auf, alles dar­an zu set­zen, Push Backs von Flücht­lin­gen zu verhindern.

Bericht des Euro­päi­schen Par­la­ments über den Ent­wurf der Seeaußengrenzenverordnung

Ursprüng­li­cher Vor­schlag der Euro­päi­schen Kommission

Update (14.5.): Das EU-Par­la­ment hat die Ver­ord­nung am 16.4. ange­nom­men, der Rat der Euro­päi­schen Uni­on hat das Regel­werk am 13.5. ange­nom­men (ange­nom­me­ner Text hier).

 Das Ster­ben in der Ägä­is geht wei­ter – min­des­tens 22 Flücht­lin­ge star­ben vor Samos  (07.05.14)

 EU-Par­la­ment stimmt über Rege­lun­gen für Fron­tex an den See­au­ßen­gren­zen ab (15.04.14)

 Geplan­te Fron­tex-Ver­ord­nung: EU will das Abdrän­gen von Flücht­lin­gen zur Norm erklä­ren (20.02.14)

 Tod im Schlepp­tau der Küs­ten­wa­che (22.01.14)

 Völ­ker­rechts­wid­ri­ge Push Backs – euro­päi­sche Kom­pli­zen­schaft (07.11.13)