Während der Pandemie setzte das BAMF tausende Dublin-Verfahren mit dem Ziel aus, nach Ende der Reisebeschränkungen die betroffenen Menschen zum Beispiel nach Italien abzuschieben. PRO ASYL hielt das von Anfang an für rechtswidrig. Der EU-Generalanwalt teilt diese Einschätzung, wie sich in Schlussanträgen in einem Verfahren vor dem EuGH zeigt.

Am 18. März 2020 – also zu Beginn der damals noch neu­en und unab­seh­ba­ren Covid-19-Pan­de­mie – ver­schick­te das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ein Schrei­ben an die Präsident*innen der Ver­wal­tungs­ge­rich­te in Deutsch­land: Dub­lin-Über­stel­lun­gen sei­en wegen der Pan­de­mie und der Grenz­schlie­ßun­gen in Euro­pa aktu­ell nicht mög­lich. Das BAMF setz­te des­we­gen die Voll­zie­hung der Abschie­bungs­an­ord­nung aus. Bis zum 1. Juni 2020 erhiel­ten 21.735 Asyl­su­chen­de mit Dub­lin-Bescheid eine ent­spre­chen­de Mitteilung.

Das Pro­blem: Mit die­sem juris­ti­schen Trick unter­brach das BAMF sei­ner Ansicht nach die sechs­mo­na­ti­ge Dub­lin-Frist. Nor­ma­ler­wei­se gilt: Wenn inner­halb von sechs Mona­ten eine Über­stel­lung nach der Dub­lin-Ver­ord­nung, die den für ein Asyl­ver­fah­ren zustän­di­gen Mit­glied­staat fest­legt, nicht durch­ge­führt wird, dann wird der Mit­glied­staat zustän­dig, der die Über­stel­lung ange­fragt hat – in die­sen Fäl­len also Deutsch­land. Nach einer sol­chen Aus­set­zung jedoch soll die Über­stel­lungs­frist kom­plett neu begin­nen. Wenn zum Bei­spiel schon vier Mona­te der Frist ver­stri­chen sind, hät­te das Bun­des­amt nach Ende der Aus­set­zung nicht die ver­blie­be­nen zwei, son­dern erneut sechs Mona­te Zeit, um die Rück­füh­rung zu orga­ni­sie­ren. Für die Betrof­fe­nen ist das eine zer­mür­ben­de Hängepartie.

PRO ASYL unterstützte Betroffene bei Klagen

Doch eine sol­che Aus­set­zung wird von der Dub­lin-Ver­ord­nung nur in ganz kon­kre­ten Fäl­len vor­ge­se­hen – die nichts mit einer welt­wei­ten Pan­de­mie und prak­ti­schen Über­stel­lungs­schwie­rig­kei­ten zu tun haben. Des­we­gen hat PRO ASYL die­se Maß­nah­me schon früh als euro­pa­rechts­wid­rig ange­pran­gert. Gemein­sam mit Equal Rights Bey­ond Bor­ders ver­öf­fent­lich­te PRO ASYL schon im April 2020 ent­spre­chen­de Pra­xis­hin­wei­se, im Okto­ber 2020 folg­ten dann mit Flucht­punkt Ham­burg gemein­sa­me Mus­ter­schrift­sät­ze, um Betrof­fe­ne und ihre Anwält*innen dabei zu unter­stüt­zen, sich vor Gericht gegen die Aus­set­zung zu wehren.

Die Richter*innen des EuGH sind an die Schluss­an­trä­ge der Generalanwält*innen nicht gebun­den, fol­gen die­sen aber häufig.

Außer­dem unter­stütz­te PRO ASYL ein Ver­fah­ren gegen die Aus­set­zung der Frist, das der­zeit beim Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on liegt. Mit den am 2. Juni 2022 ver­öf­fent­lich­ten Schluss­an­trä­gen in die­sem Ver­fah­ren stellt nun auch Gene­ral­an­walt Pika­mäe fest: Eine Aus­set­zung der Dub­lin-Frist wegen der Pan­de­mie war europarechtswidrig!

Wenn das Gericht dem fol­gen wür­de, wäre das ins­be­son­de­re für die von der Aus­set­zung Betrof­fe­nen wich­tig, denn erst dann wür­de fest­ste­hen: Deutsch­land ist für ihr Asyl­ver­fah­ren zustän­dig gewor­den, als die ursprüng­li­che Frist ablief.

Generalanwalt: »vorliegende Rechtssache von großer Bedeutung«

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat­te am 26. Janu­ar 2021 dem Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) im Rah­men eines Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens drei Rechts­fra­gen vor­ge­legt. Zusam­men­ge­fasst geht es ins­be­son­de­re um fol­gen­de Fra­ge: Kann ein Mit­glied­staat auf­grund von Schwie­rig­kei­ten bei der recht­zei­ti­gen Über­stel­lung wegen der Coro­na-Pan­de­mie die Dub­lin-Frist unter­bre­chen? Die Schluss­an­trä­ge des Gene­ral­an­walts schlie­ßen sich an die münd­li­che Ver­hand­lung an. Danach beant­wor­ten die Richter*innen die Fra­ge abschlie­ßend – und für Deutsch­land ver­bind­lich. Die Richter*innen des EuGH sind an die Schluss­an­trä­ge der Generalanwält*innen nicht gebun­den, fol­gen die­sen aber häufig.

Die Dub­lin-Frist ist von grund­sätz­li­cher Bedeu­tung, denn sie stellt letzt­lich sicher, dass – im Regel­fall spä­tes­tens sechs Mona­te nach Asyl­an­trag – fest­steht, wel­cher EU-Mit­glied­staat für einen Asyl­an­trag zustän­dig ist. Denn grund­sätz­li­ches Ziel der Dub­lin-Ver­ord­nung ist, für jede*n Asylsuchende*n einen zustän­di­gen Mit­glied­staat zu defi­nie­ren und so das Phä­no­men der »refu­gees in orbit« (Flücht­lin­ge ohne zustän­di­gen Staat) zu ver­hin­dern. So beschreibt es selbst die Ver­ord­nung in ihrem Erwä­gungs­grund 5:

»Sie soll­te ins­be­son­de­re eine rasche Bestim­mung des zustän­di­gen Mit­glied­staats ermög­li­chen, um den effek­ti­ven Zugang zu den Ver­fah­ren zur Gewäh­rung des inter­na­tio­na­len Schut­zes zu gewähr­leis­ten und das Ziel einer zügi­gen Bear­bei­tung der Anträ­ge auf inter­na­tio­na­len Schutz nicht zu gefährden.«

Eine Unter­bre­chung die­ser Frist hat damit auch immer zur Fol­ge, dass Men­schen, die viel­leicht in ihrem Her­kunfts­land gefol­tert oder poli­tisch ver­folgt wur­den, kei­nen Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren haben, in dem der ihnen zuste­hen­de Schutz fest­ge­stellt wird.

Auch der Gene­ral­an­walt Pika­mäe sieht : »[…] die vor­lie­gen­den Rechts­sa­chen für die Hand­ha­bung des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems von gro­ßer Bedeu­tung.« (Rn. 3)

Verlängerung der Frist nur durch Interesse der Person an Klärung der Rechtmäßigkeit gerechtfertigt

In der Beant­wor­tung der Fra­gen stellt der Gene­ral­an­walt nun zunächst fest, dass die natio­na­len Ver­wal­tungs­be­hör­den grund­sätz­lich befugt sind, die Durch­füh­rung einer Über­stel­lungs­ent­schei­dung aus­zu­set­zen und damit die Über­stel­lungs­frist zu unter­bre­chen. Denn Art. 27 Abs. 4 Dub­lin-Ver­ord­nung eröff­net die Mög­lich­keit, »dass die zustän­di­gen Behör­den beschlie­ßen kön­nen, von Amts wegen tätig zu wer­den, um die Durch­füh­rung der Über­stel­lungs­ent­schei­dung bis zum Abschluss des Rechts­be­helfs oder der Über­prü­fung aus­zu­set­zen

Zur Prü­fung der Fra­ge, ob dies auch im Fall prak­ti­scher Schwie­rig­kei­ten wegen der Covid-Pan­de­mie der Fall ist, zieht der Gene­ral­an­walt meh­re­re klas­si­sche juris­ti­sche Aus­le­gungs­me­tho­den her­an. Auf­grund des Wort­lauts, der Gesamt­sys­te­ma­tik der Ver­ord­nung und ent­spre­chend einer Aus­le­gung nach Sinn und Zweck der Ver­ord­nung kommt er zum Schluss, dass die Aus­set­zung von Amts wegen nur erfol­gen darf, um wirk­sa­men gericht­li­chen Schutz zu gewäh­ren (Rn. 55).

Der Gene­ral­an­walt spricht sich in sei­nen Schluss­an­trä­gen auch dage­gen aus, dass die Covid-19-Pan­de­mie als »höhe­re Gewalt« zu einer Aus­nah­me füh­ren könnte.

Er führt wei­ter aus:

»Ich bin […] der Auf­fas­sung, dass eine zu wei­te Aus­le­gung von Art. 27 Abs. 4 der Dub­lin-III-Ver­ord­nung, die es den natio­na­len Ver­wal­tungs­be­hör­den gestat­ten wür­de, die Durch­füh­rung einer Über­stel­lungs­ent­schei­dung unab­hän­gig von einem Rechts­be­helf der betrof­fe­nen Per­son aus­zu­set­zen, unwei­ger­lich dazu füh­ren wür­de, dass die­se Behör­den in der Lage wären, die Über­stel­lung der betrof­fe­nen Per­son an den zustän­di­gen Mit­glied­staat aus belie­bi­gen Grün­den auf­zu­schie­ben, ohne dass dies Aus­wir­kun­gen auf den Über­gang der Zustän­dig­keit für die Prü­fung des Antrags auf inter­na­tio­na­len Schutz zwi­schen den Mit­glied­staa­ten hät­te.« (Rn. 56) 

»Mei­nes Erach­tens wür­de eine sol­che Situa­ti­on gera­de dem mit der Dub­lin-III-Ver­ord­nung ver­folg­ten Ziel zuwi­der­lau­fen, eine Metho­de ein­zu­füh­ren, die eine rasche Bestim­mung des zustän­di­gen Mit­glied­staats ermög­licht, ohne das im fünf­ten Erwä­gungs­grund die­ser Ver­ord­nung genann­te Ziel einer zügi­gen Bear­bei­tung der Asyl­an­trä­ge zu gefähr­den. Ein Asyl­be­wer­ber wäre näm­lich der Will­kür der natio­na­len Ver­wal­tungs­be­hör­den aus­ge­setzt, weil die­se die War­te­zeit ver­län­gern könn­ten, obwohl die­se Zeit effek­ti­ver für die Bear­bei­tung sei­nes Asyl­an­trags genutzt wer­den könn­te.« (Rn. 57)

»Dar­über hin­aus kann eine Ver­län­ge­rung der für die Durch­füh­rung der Über­stel­lung vor­ge­se­he­nen sechs­mo­na­ti­gen Frist mei­nes Erach­tens nur durch das Inter­es­se der betrof­fe­nen Per­son an der Klä­rung der Recht­mä­ßig­keit der Über­stel­lungs­ent­schei­dung durch eine Jus­tiz­be­hör­de gerecht­fer­tigt wer­den und nicht durch das wie auch immer gear­te­te Inter­es­se der Ver­wal­tungs­be­hör­den an der Aus­set­zung der Durch­füh­rung die­ser Ent­schei­dung. […]« (Rn. 58)

Argument der »höheren Gewalt« zieht nicht

Der Gene­ral­an­walt spricht sich in sei­nen Schluss­an­trä­gen auch dage­gen aus, dass die Covid-19-Pan­de­mie als »höhe­re Gewalt« zu einer Aus­nah­me füh­ren könn­te (Rn. 65). Denn höhe­re Gewalt kom­me auch in ande­ren Situa­tio­nen vor, etwa eine plötz­li­che Krank­heit oder Flug­aus­fäl­le, die eine Über­stel­lung ver­hin­dern. Auch ist ins­be­son­de­re die Pan­de­mie nicht den Asyl­su­chen­den anzulasten.

Die Dub­lin-Ver­ord­nung sieht in zwei Situa­tio­nen eine Ver­län­ge­rung der Frist vor: auf 12 Mona­te, wenn die zu über­stel­len­de Per­son in Haft ist, oder auf 18 Mona­te, wenn sie als flüch­tig gilt (Art. 29 Abs. 2 Dub­lin-III-Ver­ord­nung). Das zei­ge auch, dass bei die­sen Situa­tio­nen der vor­über­ge­hen­den prak­ti­schen Unmög­lich­keit kei­ne Unter­bre­chung auf unbe­stimm­te Zeit erfolgt, son­dern »im Inter­es­se der Rechts­si­cher­heit kla­re Fris­ten« fest­ge­legt wur­den (Rn. 69). Eine plan­wid­ri­ge Rege­lungs­lü­cke, die das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt für mög­lich hält, sieht der Gene­ral­an­walt ange­sichts der kon­kre­ten und begrün­de­ten Vor­ga­ben nicht.

Warum hat das BAMF die Durchführung der Überstellungen tatsächlich ausgesetzt?

Im wei­te­ren Ver­lauf der Schluss­an­trä­ge ver­sucht der Gene­ral­an­walt die Moti­ve des BAMF für die Aus­set­zung zu ergrün­den – und ob die­se von der Dub­lin-Ver­ord­nung gedeckt sind. Dabei sieht er zunächst grund­sätz­lich die Anwen­dung des Art. 27 Abs. 4 Dub­lin-VO, also der Aus­set­zung von Amts wegen, für eröff­net, da der Pro­zess­ver­tre­ter Deutsch­lands bei der münd­li­chen Ver­hand­lung vor­ge­tra­gen habe, dass nur in sol­chen Fäl­len die Durch­füh­rung der Über­stel­lung aus­ge­setzt wur­de, in denen gericht­li­che Ver­fah­ren anhän­gig waren. Dies ist aller­dings nicht kor­rekt. Wie aus der Ant­wort der dama­li­gen Regie­rung auf eine klei­ne Anfra­ge der Grü­nen her­vor­geht, war bei den bis zum 1. Juni 2020 ent­spre­chend ange­schrie­be­nen Asyl­su­chen­den in 9.303 Fäl­len ein Kla­ge­ver­fah­ren anhän­gig, in 12.432 Fäl­len aber nicht. Das BAMF war ein­deu­tig nach dem Gieß­kan­nen­prin­zip vor­ge­gan­gen. Erst spä­ter nahm das BAMF – auch nach Kri­tik von PRO ASYL und Rechtsanwält*innen sowie ent­spre­chen­den Ent­schei­dun­gen vor Gericht – bei den Fäl­len ohne anhän­gi­ges Ver­fah­ren von der Aus­set­zung Abstand.

Aus Sicht von PRO ASYL ist das Motiv des BAMF für die Aus­set­zung ein­deu­tig und wur­de vom BAMF in dem Schrei­ben an die Präsident*innen der Ver­wal­tungs­ge­rich­te klar benannt: »Ange­sichts der Coro­na-Kri­se wur­den in Euro­pa inzwi­schen die meis­ten Gren­zen geschlos­sen und Rei­se­ver­bo­te aus­ge­spro­chen. Da vor die­sem Hin­ter­grund der­zeit Dub­lin-Über­stel­lun­gen nicht zu ver­tre­ten sind, setzt das Bun­des­amt bis auf wei­te­res alle Dub­lin-Über­stel­lun­gen aus. Die zeit­wei­se Aus­set­zung der Über­stel­lungs­ver­fah­ren impli­ziert nicht, dass die Dub­lin-Staa­ten nicht mehr zur Über­nah­me bereit und ver­pflich­tet wären. Viel­mehr ist der Voll­zug vor­über­ge­hend nicht mög­lich

Auch der Gene­ral­an­walt hält fest: »Gewis­se Anhalts­punk­te legen die Annah­me nahe, dass das Bun­des­amt die Voll­zie­hung der Über­stel­lungs­ent­schei­dun­gen aus­ge­setzt haben könn­te, um einen Über­gang der Zustän­dig­keit nach Ablauf der Sechs­mo­nats­frist des Art. 29 Abs. 2 der Dub­lin-III-Ver­ord­nung zu ver­hin­dern, weil es wäh­rend der Gesund­heits­kri­se Schwie­rig­kei­ten hat­te, Über­stel­lun­gen von Asyl­be­wer­bern in ande­re Mit­glied­staa­ten recht­zei­tig durch­zu­füh­ren.« (Rn. 98). Dies lei­tet er unter ande­rem dar­aus ab, dass das BAMF die Durch­füh­rung der Über­stel­lung »auf Wei­te­res«, also unbe­fris­tet, vor­ge­se­hen hat und nicht bis zum Abschluss des Rechts­be­helfs oder der Über­prü­fung wie es der Art. 27 Abs. 4 Dub­lin-III-VO eigent­lich vor­sieht sowie aus sich zum Teil wider­spre­chen­den Anga­ben der deut­schen Pro­zess­ver­tre­ter bezüg­lich der Beweg­grün­de (Rn. 86, 90). Letzt­lich müs­se aber das vor­le­gen­de Gericht, also das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, den Sach­ver­halt wür­di­gen (Rn. 96).

Anstehende Entscheidung auch aktuell relevant

Folgt der EuGH die­sen schlüs­si­gen Schluss­an­trä­gen, so steht höchst­ge­richt­lich fest, dass die vom BAMF betrie­be­ne Aus­set­zung der Durch­füh­rung der Über­stel­lung wegen prak­ti­scher Über­stel­lungs­schwie­rig­kei­ten auf­grund der Covid-19-Pan­de­mie und die damit ver­bun­de­ne Unter­bre­chung der Frist euro­pa­rechts­wid­rig war.

Das ist ins­be­son­de­re für die von der Aus­set­zung Betrof­fe­nen wich­tig, denn erst dann steht fest: Deutsch­land ist für ihr Asyl­ver­fah­ren zustän­dig gewor­den, als die ursprüng­li­che Frist ablief.

Denn aktu­ell stellt sich eine ähn­li­che Fra­ge: Auf­grund der Auf­nah­me vie­ler Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne über­neh­men Nach­bar­län­der wie Polen, Rumä­ni­en, Tsche­chi­en und die Slo­wa­kei seit Ende Febru­ar 2022 kei­ne Dub­lin-Über­stel­lun­gen mehr.

Das Ver­fah­ren ist aber auch über die Aus­set­zung der Über­stel­lun­gen wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie hin­aus rele­vant. Denn aktu­ell stellt sich eine ähn­li­che Fra­ge: Auf­grund der Auf­nah­me vie­ler Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne über­neh­men Nach­bar­län­der wie Polen, Rumä­ni­en, Tsche­chi­en und die Slo­wa­kei seit Ende Febru­ar 2022 kei­ne Dub­lin-Über­stel­lun­gen mehr (sie­he die Über­sicht der Infor­ma­ti­ons­la­ge und Recht­spre­chung des Info­ver­bun­des) – eine durch­aus ähn­li­che Situa­ti­on zu 2020. Gene­ral­an­walt Pika­mäe schlägt in sei­nen Schluss­an­trä­gen eine Lösung für eine sol­che Situa­ti­on vor, die auch PRO ASYL damals gefor­dert hat und die heu­te erneut rele­vant wird: Die Nut­zung der Mög­lich­keit zum Selbst­ein­tritt (Art. 17 Abs. 1 Dub­lin-VO), mit dem Deutsch­land aktiv ins Asyl­ver­fah­ren ein­tre­ten und es über­neh­men wür­de. Er führt wei­ter aus:

»Es ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass das Gemein­sa­me Euro­päi­sche Asyl­sys­tem, in das sich die Dub­lin-III-Ver­ord­nung ein­fügt, nach Art. 67 Abs. 2 und Art. 80 AEUV auf der »Soli­da­ri­tät der Mit­glied­staa­ten« und der »gerech­ten Auf­tei­lung der Ver­ant­wort­lich­kei­ten« unter ihnen beruht. Wie aus dem 22. Erwä­gungs­grund die­ser Ver­ord­nung her­vor­geht, bil­det die­se Soli­da­ri­tät ein »Kern­ele­ment« die­ses Sys­tems. Der von mir vor­ge­schla­ge­ne Ansatz hät­te eine grö­ße­re Soli­da­ri­tät wider­ge­spie­gelt, ins­be­son­de­re gegen­über den Mit­glied­staa­ten, die sowohl die Fol­gen der Gesund­heits­kri­se als auch gro­ße Migra­ti­ons­strö­me zu bewäl­ti­gen haben« (Rn. 93)

Die­sen wich­ti­gen Appell der Soli­da­ri­tät soll­te sich nun die neue Bun­des­re­gie­rung in der aktu­el­len Situa­ti­on zu Her­zen nehmen.

(wj)