News
Elend, Tote, Misshandlungen: Ein Dauerzustand mitten in Europa?
Die Balkanroute hat sich verlagert. Menschen campieren an der serbisch-ungarischen Grenze oder im bosnischen Bihac. Und die Lager in Griechenland sind auch nach vier Jahren noch elende Provisorien. Wieder droht ein Winter, in dem Menschen deshalb sterben werden. Man muss davon ausgehen, dass diese Zustände gewollt sind und Methode haben.
Während die Menschen 2016 noch im griechischen Idomeni auf eine Möglichkeit zur Weiterreise warteten und 2017 viele Geflüchtete in Baracken in der serbischen Hauptstadt Belgrad campierten, sind in der Folge Gebiete an der Grenze zu Ungarn und nun vor allem das bosnische Bihać (nahe Kroatien) zu Orten geworden, an denen tausende Schutzsuchende festsitzen.
Anfangs war die Hilfsbereitschaft in Bosnien noch groß – mittlerweile ist der kleine Grenzort aber überfordert und frustriert, von der Europäischen Union mit der Situation weitgehend alleingelassen zu werden. Die setzt dort vor allem auf Abschottung und brutale, kroatische Grenzpolizisten. Die bosnischen Verantwortlichen griffen daher zu drastischen Maßnahmen: Alle Migrant*innen wurden ins Camp Vucjak – errichtet auf einer ehemaligen Müllhalde – gebracht, dort hat die Stadt Bihac im Oktober dann sämtliche Versorgungsleistungen eingestellt. Der Bürgermeister begründete das offen damit, dass er die Lage bewusst eskalieren wolle.
Raus darf nur, wer das Land verlässt
Mittlerweile drängt die EU darauf, das Lager zu schließen. Wohin die Menschen dann sollen, bleibt unklar. Die Behörden haben mittlerweile sogar offenbar eine komplette Ausgangssperre für Geflüchtete erlassen. Ausnahme: Wer Richtung Kroatien aufbricht, darf aus den Lagern heraus.
Die Vorgänge sind der Europäischen Union bekannt. Es muss davon ausgegangen werden, dass sie mindestens mit der Billigung der EU-Verantwortlichen geschehen.
Dort warten dann die Grenzbeamten des EU-Staates Kroatien, um Flüchtlinge illegal zurückzuschicken (sogenannte Push-Backs, die gegen geltendes EU-Recht verstoßen) und dabei nicht selten zu misshandeln. Hunderte dieser menschenrechtswidrigen Vorfälle wurden bereits dokumentiert, vom Schweizer Fernsehen gefilmt und von der kroatischen Präsidentin sogar bestätigt. Auch ein Filmteam von Frontal 21 hat kürzlich mit einigen Betroffenen gesprochen.
Diese Vorgänge sind der Europäischen Union bekannt. Da nichts dagegen unternommen wird, muss davon ausgegangen werden, dass sie mindestens mit der Billigung der EU-Verantwortlichen, vermutlich aber sogar auf Anordnung Europas, geschehen.
An der Außengrenze wird mittlerweile scharf geschossen
Und diese Woche ging die kroatische Grenzpolizei offenbar noch einen Schritt weiter: Durch einen Schuss aus einer Polizeiwaffe wurde ein Geflüchteter in Kroatien schwer verletzt und kam ins Krankenhaus. Während Äußerungen zu Schusswaffengebrauch an der Grenze 2016 in Deutschland noch breite Empörung ausgelöst haben, gibt es über diese Meldung allerdings keine große Aufregung.
Während Äußerungen zum Schusswaffengebrauch an der Grenze 2016 in Deutschland noch breite Empörung ausgelöst haben, gibt es über die Meldung aus Kroatien keine Aufregung mehr.
Jetzt kommt der Winter
Die Zustände auf der neuen Balkanroute werden sich mit dem eintretenden Winter derweil noch weiter verschärfen. Auch in diesem Jahr gibt es bereits das erste Kälte-Todesopfer. Ein junger Syrer erfror in Slowenien in einem Waldgebiet.
Tote in den Hotspots in Griechenland
Kältetote gab es auch in den offiziellen EU-Hotspot Lagern in Griechenland im Jahr 2017. Fünf Geflüchtete starben auf den Inseln Lesbos und Samos. Seitdem hat sich auch dort nichts an den Begebenheiten verbessert. Erst diese Woche machte die Organisation Ärzte ohne Grenzen bekannt, dass ein neun Monate altes Kind im Lager Moria auf Lesbos an Dehydration starb.
Das Elend hat System
Die Hotspots sind hoffnungslos überfüllt, die Zustände sind katastrophal. Unsere Kolleg*innen von PRO ASYL / Refugee Support Aegean (RSA) sind vor Ort und berichten regelmäßig von Lesbos, Samos, Leros, Chios und Kos. 2015 und 2016 entschuldigten europäische Verantwortliche die Situation dort und anderswo noch mit der plötzlich angestiegenen Zahl an Geflüchteten.
Jahre später hat man im hochentwickelten Europa immer noch keine menschenwürdige Lösung gefunden – offenbar gehört das Elend zur Abschottungsagenda und soll dazu dienen, Schutzsuchende abzuschrecken.
UPDATE: Mittlerweile hat die griechische Regierung erklärt, die Hotspots teilweise zu schließen und zu geschlossenen Lagern umzuwandeln. Geflüchtete dürfen sich dann auf den Inseln nicht einmal mehr frei bewegen. Ein Schritt von Elendslagern zu Haftlagern.
Die EU ist mitverantwortlich, wenn Schutzsuchende wieder ihren Verfolgern ausgeliefert werden.
Massenhaft Push-Backs in die Türkei
Und wenn die Abschreckung allein nicht hilft, wird eben nachgeholfen: Auch aus Griechenland gibt es Berichte über gewaltsame Push-Backs an den Landgrenzen. Die Türkei spricht von Zehntausenden illegalen Zurückschiebungen allein in diesem Jahr. Von dort werden viele Menschen weiter in ihre Heimatländer abgeschoben. Die EU ist also mitverantwortlich, wenn Schutzsuchende wieder ihren Verfolgern ausgeliefert werden. Die europäischen Politiker*innen machen aber nicht den Eindruck, an den skizzierten Zuständen überhaupt etwas ändern zu wollen.
(mk)