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El Hiblu 3: Auszeichnung als Menschenrechtsverteidiger
Fünf Jahre nach ihrer Verhaftung wird der Prozess gegen die drei als »El Hiblu 3« bekannten Geflüchteten in Malta fortgesetzt. Während Malta ihnen unter anderem Terrorismus vorwirft, werden sie diesen Samstag von einer internationalen Koalition als Menschenrechtsverteidiger ausgezeichnet. Rechtsanwalt Neil Falzon erklärt den Stand des Verfahrens.
Herr Falzon, Sie sind Teil des Anwalt-Teams, das zwei der drei Angeklagten der »El Hiblu 3« auf Malta verteidigt. Nach fünf Jahren wurde erst Ende 2023 formal Anklage erhoben. Was wird Amara Kromah, Abdalla Bari und Koni Tiemoko Abdoul Khader vorgeworfen?
Das Büro des maltesischen Generalstaatsanwalts hat nach vielen Jahren, in denen wir regelrecht darum gebettelt haben, im November 2023 endlich eine Anklageschrift gegen die drei vorgelegt. Die Anklagepunkte sind sehr unterschiedlich, die schwerwiegendsten beziehen sich auf die Begehung terroristischer Handlungen oder Aktivitäten. Neben diesen Anklagen gibt es noch eine Reihe weiterer, ebenfalls schwerwiegender Anklagen: Da ist zum Beispiel der Vorwurf, Menschen gewaltsam aus einem Land entfernt und in ein anderes Land gebracht zu haben.
Als Anwaltsteam vertreten wir mittlerweile nur noch zwei der Angeklagten der »El Hiblu 3«, da uns der Aufenthaltsort der dritten Person derzeit nicht bekannt ist.
Der Fall »El Hiblu 3« wurde von Beginn an stark politisch aufgeladen. Einige stellen die drei als Piraten und Entführer dar, während andere sie als Helden sehen, die einen unrechtmäßigen Pushback nach Libyen verhindert haben. Dieses Wochenende verleiht die »Coalition for the El Hiblu 3« im Rahmen einer internationalen Kampagne ihnen sogar einen Menschenrechtsverteidiger-Preis.
Wir sind der Meinung, dass die drei das Leben von über 100 Menschen gerettet haben. Es ist bedauerlich, dass das maltesische Rechtssystem keine Gesetze kennt, die diese heldenhafte Tat anerkennen. Drei junge, mutige Männer haben sich gegen den Versuch der illegalen Rückführung nach Libyen und damit gegen die schreckliche Grenzpolitik der Europäischen Union gewehrt, die sich weigert, Libyen als einen unsicheren Ort zu betrachten.
»Wir sind der Meinung, dass die drei das Leben von über 100 Menschen gerettet haben.«
Sie haben also nichts falsch gemacht?
Ihre einzige Schuld ist letztlich, dass einer von ihnen – Amara – Englisch sprechen konnte. Er wurde vom Kapitän unter mehr als hundert Leuten ausgewählt, um die Situation zu beruhigen. Als Dolmetscher sollte er zwischen dem Kapitän und einer Gruppe sehr aufgebrachter Menschen vermitteln, darunter einige, die damit drohten, Selbstmord zu begehen oder vom Schiff zu springen.
Wenn ich mir meinen Sohn ansehe, der genauso alt ist wie Amara damals – nämlich 16 Jahre alt – dann muss es schon sehr mutig gewesen sein, nach einer so schrecklichen Reise mit langer Zeit in Libyen und nach eigenen erlebten Traumata, aufzustehen und zu versuchen, die Situation zu beruhigen. Sie wollten sicherstellen, dass die Menschen nicht nach Libyen zurückgeschickt werden. Das ist definitiv eine heldenhafte Tat, die gewürdigt werden muss.
Entsprach der bisherige Prozess Ihrer Meinung nach den Grundsätzen eines fairen und gerechten Gerichtsverfahrens? Die ehemalige Präsidentin Maltas, Marie-Louise Coleiro Preca, die sich für die »El Hiblu 3« einsetzt, beschreibt den Prozess als »Farce«…
Es gibt definitiv ernsthafte Probleme in der Art und Weise, wie der Prozess bisher geführt wurde. So haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft etwa lange gesträubt, die mehr als hundert Migrant*innen, die zusammen mit den Angeklagten auf dem Schiff waren, als Zeug*innen vorzuladen. Erst nachdem wir uns wiederholt beschwert und Klagen bei Gericht eingereicht haben, wurden die ermittelnden Polizeibeamt*innen angewiesen, eine Liste der Passagiere zu erstellen und sich zu bemühen, sie ausfindig zu machen. Das hat sehr lange gedauert und viele Personen konnten nicht mehr gefunden werden.
Und es gab noch weitere Probleme?
Die beiden minderjährigen Angeklagten wurden bei ihrer Verhaftung nicht wie Kinder behandelt. In den ersten Monaten wurden sie zum Beispiel in einer Hochsicherheitsabteilung eines Gefängnisses von Malta untergebracht. Und auch während des gesamten Prozesses wurden ihnen nicht die Rechte und Verfahrensgarantien gewährt, die das Gericht Kindern hätte gewähren müssen.
Wie geht es jetzt weiter: Wird es nach fünf Jahren der Vorverhandlungen nun tatsächlich zu einem Gerichtsverfahren kommen, oder kann dies noch verhindert werden?
Der nächste Prozess findet am 30. Mai in Valletta statt. An dem Tag wird die Richterin darüber entscheiden, ob Malta überhaupt für alle oder einige der Straftaten zuständig ist. Es geht also um verfahrenstechnische Fragen, bevor es dann in einem nächsten Schritt womöglich zu der Eröffnung eines Gerichtsverfahrens kommt. Wir haben sehr starke rechtliche Argumente dafür, dass Malta nicht zuständig ist. Denn der von der Staatsanwaltschaft beanstandete Protest fand sehr weit von Malta entfernt in libyschen Hoheitsgewässern statt.
Und wenn die Richterin die Anklage am 30. Mai nicht fallen lässt?
Technisch gesehen könnte die Generalstaatsanwaltschaft die Anklage jederzeit ganz oder teilweise zurückziehen. Aus diesem Grund fordern Unterstützer*innen der »El Hiblu 3« im Rahmen einer internationalen Kampagne, der auch PRO ASYL angehört, bereits seit Jahren, die Anklage fallen zu lassen. Es sieht aktuell jedoch nicht danach aus.
»Wir haben den Eindruck, dass Malta versucht, durch die Anklage der »El Hiblu 3« Stärke und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten, die Malta irregulär erreichen, zu demonstrieren.«
Welche Interessen verfolgen Ihrer Einschätzung nach die maltesischer Behörden damit, das Verfahren fortzusetzen?
Das ist meines Erachtens eher eine politische als eine juristische Frage. Wir haben den Eindruck, dass Malta versucht, durch die Anklage der »El Hiblu 3« Stärke und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten, die Malta irregulär erreichen, zu demonstrieren. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei Malta um einen sehr kleinen EU-Mitgliedstaat an der südlichsten Außengrenze der EU handelt. Ich denke, Malta will mit dem Vorgehen gegen die »El Hiblu 3« zeigen, dass es fähig ist, diese Grenze zu kontrollieren, und das, obwohl es so ein kleiner Mitgliedsstaat ist.
Zum Zeitpunkt der Festnahme waren die drei Angeklagten 15, 16 und 19 Jahre alt. Wie geht es Amara Kromah, Abdalla Bari und Koni Tiemoko Abdoul Khader heute?
Der ganze bisherige Prozess war sehr traumatisch für alle drei. Ihr Leben wurde auf unbestimmte Zeit und ohne triftigen Grund auf Eis gelegt. Trotz allem haben sie versucht, ihr Leben weiterzuleben: Sie haben gearbeitet, studiert, Prüfungen abgelegt, einer ist Vater geworden. Aber natürlich hing der Prozess, der seit fünf Jahren nur sehr schleppend vorankommt, immer über ihnen. Sie stehen psychisch unter einem immensen Druck, haben Angst und kommen nicht zur Ruhe.
Sie wünschen sich dringlich den Abschluss des Verfahrens, auch, damit sie das Trauma des Vorfalls selbst und der letzten fünf Jahre verarbeiten können. Stattdessen müssen sie seit Jahren mit sehr strengen Auflagen wie Ausgangsbeschränkungen und Meldeauflagen leben.
Nicht nur in Malta, sondern auch in anderen EU-Ländern wie Italien und Griechenland werden Geflüchtete oder Solidaritätsaktivist*innen regelmäßig kriminalisiert – man denke etwa an #Moria6, #FreeHomayoun oder die Verfahren gegen die Syrerin Sara Mardini und den Deutschen Seán Binder. Gibt es Gemeinsamkeiten zu dem »El Hiblu 3« Fall?
Diese Fälle weisen definitiv Gemeinsamkeiten auf. Aber Malta setzt im Vergleich zu anderen EU-Staaten bisher nur begrenzt das Instrument der Justiz und der Kriminalisierung gegen Geflüchtete und Unterstützer*innen ein, sondern arbeitet überwiegend mit anderen Methoden, um die Rechte von Flüchtlingen einzuschränken und ihr Leben so elend wie möglich zu machen.
So zum Beispiel?
Malta vertritt eine sehr harte Inhaftierungspolitik gegenüber allen aus dem Meer geretteten Migrant*innen. Das schränkt auch die Arbeit unserer NGO »aditus foundation« in den maltesischen Haftanstalten ein, in denen wir Rechtsberatung anbieten.
Und wie geht Malta mit der Tatsache um, dass weiterhin Schutzsuchende auf Booten vor seiner Küste in Seenot geraten?
In den letzten Jahren haben wir einen starken Rückgang bei der Koordinierung von Rettungsaktionen durch Malta beobachtet. Das liegt nicht etwa daran, dass weniger Menschen Libyen verlassen, sondern daran, dass Malta auf unterschiedliche Weise versucht, die Ankunft von Menschen auf der Insel zu verhindern. Dafür haben sie die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache intensiviert und eine formelle Absichtserklärung mit den libyschen Behörden unterzeichnet, um Such- und Rettungsaktivitäten effektiver zu koordinieren. In der Praxis bedeutet das, dass Malta und Libyen bei dem Zurückschleppen von Menschen nach Libyen zusammenarbeiten, noch bevor diese die maltesische Such- und Rettungszone erreichen.
Aber es gibt noch andere Methoden, um Ankünfte auf Malta zu verhindern?
Ja, eine ist besonders grausam: Wir wissen von einer großen Anzahl von Vorfällen, bei denen sich Menschen bereits in Maltas Such- und Rettungszone befanden – Malta also klar zuständig war. Doch maltesische Behörden weigern sich sehr häufig, die Rettung zu koordinieren, selbst zu retten oder auch nur Informationen über diesen Entscheidungsprozess öffentlich zu machen. Das wird von Alarm Phone oder NGOs wie Sea-Watch und anderen immer wieder beobachtet. Die Folge ist, dass einige sterben, oder Boote einfach verschwinden – dann wir wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist. Diese Verweigerung zu retten ist schlicht inakzeptabel. Es geht hier um einen EU-Mitgliedsstaat, der eigentlich grundlegende Menschenrechte schützen sollte!
Dr. Neil Falzon ist Teil des Rechtsanwälte-Teams, die zwei der drei Angeklagten vertreten. Neil Falzon ist Gründer und Direktor der »aditus foundation«, einer Nichtregierungsorganisation in Malta, die PRO ASYL finanziell unterstützt. Zudem lehrt er als Dozent für Menschenrechtsfragen an der Universität von Malta und koordiniert den Malta Refugee Council, ein Netzwerk maltesischer Nichtregierungsorganisationen. Zuvor leitete er das Malteser Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR).
PRO ASYL unterstützt die Preisverleihung an die »El Hiblu 3« am Samstag, 13. April 2024, durch die Coalition for the El Hiblu 3 in Valletta und wird den Prozess weiter beobachten.
(Interview: hk)