12.04.2024
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Die drei als »El Hiblu 3« bekannten Geflüchteten in Malta. Foto: Joanna DeMarco/ Amnesty International

Fünf Jahre nach ihrer Verhaftung wird der Prozess gegen die drei als »El Hiblu 3« bekannten Geflüchteten in Malta fortgesetzt. Während Malta ihnen unter anderem Terrorismus vorwirft, werden sie diesen Samstag von einer internationalen Koalition als Menschenrechtsverteidiger ausgezeichnet. Rechtsanwalt Neil Falzon erklärt den Stand des Verfahrens.

Herr Fal­zon, Sie sind Teil des Anwalt-Teams, das zwei der drei Ange­klag­ten der »El Hib­lu 3« auf Mal­ta ver­tei­digt. Nach fünf Jah­ren wur­de erst Ende 2023 for­mal Ankla­ge erho­ben.  Was wird Ama­ra Kro­mah, Abdal­la Bari und Koni Tie­mo­ko Abdoul Kha­der vorgeworfen?

Das Büro des mal­te­si­schen Gene­ral­staats­an­walts hat nach vie­len Jah­ren, in denen wir regel­recht dar­um gebet­telt haben, im Novem­ber 2023 end­lich eine Ankla­ge­schrift gegen die drei vor­ge­legt. Die Ankla­ge­punk­te sind sehr unter­schied­lich, die schwer­wie­gends­ten bezie­hen sich auf die Bege­hung ter­ro­ris­ti­scher Hand­lun­gen oder Akti­vi­tä­ten. Neben die­sen Ankla­gen gibt es noch eine Rei­he wei­te­rer, eben­falls schwer­wie­gen­der Ankla­gen: Da ist zum Bei­spiel der Vor­wurf, Men­schen gewalt­sam aus einem Land ent­fernt und in ein ande­res Land gebracht zu haben.

Als Anwalts­team ver­tre­ten wir mitt­ler­wei­le nur noch zwei der Ange­klag­ten der »El Hib­lu 3«, da uns der Auf­ent­halts­ort der drit­ten Per­son der­zeit nicht bekannt ist.

Der Fall »El Hib­lu 3« wur­de von Beginn an stark poli­tisch auf­ge­la­den. Eini­ge stel­len die drei als Pira­ten und Ent­füh­rer dar, wäh­rend ande­re sie als Hel­den sehen, die einen unrecht­mä­ßi­gen Push­back nach Liby­en ver­hin­dert haben. Die­ses Wochen­en­de ver­leiht die »Coali­ti­on for the El Hib­lu 3« im Rah­men einer inter­na­tio­na­len Kam­pa­gne ihnen sogar einen Menschenrechtsverteidiger-Preis. 

Wir sind der Mei­nung, dass die drei das Leben von über 100 Men­schen geret­tet haben. Es ist bedau­er­lich, dass das mal­te­si­sche Rechts­sys­tem kei­ne Geset­ze kennt, die die­se hel­den­haf­te Tat aner­ken­nen. Drei jun­ge, muti­ge Män­ner haben sich gegen den Ver­such der ille­ga­len Rück­füh­rung nach Liby­en und damit gegen die schreck­li­che Grenz­po­li­tik der Euro­päi­schen Uni­on gewehrt, die sich wei­gert, Liby­en als einen unsi­che­ren Ort zu betrachten.

»Wir sind der Mei­nung, dass die drei das Leben von über 100 Men­schen geret­tet haben.«

Neil Fal­zon, RA

Sie haben also nichts falsch gemacht? 

Ihre ein­zi­ge Schuld ist letzt­lich, dass einer von ihnen – Ama­ra – Eng­lisch spre­chen konn­te. Er wur­de vom Kapi­tän unter mehr als hun­dert Leu­ten aus­ge­wählt, um die Situa­ti­on zu beru­hi­gen. Als Dol­met­scher soll­te er zwi­schen dem Kapi­tän und einer Grup­pe sehr auf­ge­brach­ter Men­schen ver­mit­teln, dar­un­ter eini­ge, die damit droh­ten, Selbst­mord zu bege­hen oder vom Schiff zu springen.

Wenn ich mir mei­nen Sohn anse­he, der genau­so alt ist wie Ama­ra damals – näm­lich 16 Jah­re alt –  dann muss es schon sehr mutig gewe­sen sein, nach einer so schreck­li­chen Rei­se mit lan­ger Zeit in Liby­en und nach eige­nen erleb­ten Trau­ma­ta, auf­zu­ste­hen und zu ver­su­chen, die Situa­ti­on zu beru­hi­gen. Sie woll­ten sicher­stel­len, dass die Men­schen nicht nach Liby­en zurück­ge­schickt wer­den. Das ist defi­ni­tiv eine hel­den­haf­te Tat, die gewür­digt wer­den muss.

Ent­sprach der bis­he­ri­ge Pro­zess Ihrer Mei­nung nach den Grund­sät­zen eines fai­ren und gerech­ten Gerichts­ver­fah­rens? Die ehe­ma­li­ge Prä­si­den­tin Mal­tas, Marie-Loui­se Colei­ro Pre­ca, die sich für die »El Hib­lu 3« ein­setzt, beschreibt den Pro­zess als »Far­ce«

Es gibt defi­ni­tiv ernst­haf­te Pro­ble­me in der Art und Wei­se, wie der Pro­zess bis­her geführt wur­de. So haben sich Poli­zei und Staats­an­walt­schaft etwa lan­ge gesträubt, die mehr als hun­dert Migrant*innen, die zusam­men mit den Ange­klag­ten auf dem Schiff waren, als Zeug*innen vor­zu­la­den. Erst nach­dem wir uns wie­der­holt beschwert und Kla­gen bei Gericht ein­ge­reicht haben, wur­den die ermit­teln­den Polizeibeamt*innen ange­wie­sen, eine Lis­te der Pas­sa­gie­re zu erstel­len und sich zu bemü­hen, sie aus­fin­dig zu machen. Das hat sehr lan­ge gedau­ert und vie­le Per­so­nen konn­ten nicht mehr gefun­den werden.

Und es gab noch wei­te­re Probleme?

Die bei­den min­der­jäh­ri­gen Ange­klag­ten wur­den bei ihrer Ver­haf­tung nicht wie Kin­der behan­delt. In den ers­ten Mona­ten wur­den sie zum Bei­spiel in einer Hoch­si­cher­heits­ab­tei­lung eines Gefäng­nis­ses von Mal­ta unter­ge­bracht. Und auch wäh­rend des gesam­ten Pro­zes­ses wur­den ihnen nicht die Rech­te und Ver­fah­rens­ga­ran­tien gewährt, die das Gericht Kin­dern hät­te gewäh­ren müssen.

Wie geht es jetzt wei­ter: Wird es nach fünf Jah­ren der Vor­ver­hand­lun­gen nun tat­säch­lich zu einem Gerichts­ver­fah­ren kom­men, oder kann dies noch ver­hin­dert werden? 

Der nächs­te Pro­zess fin­det am 30. Mai in Val­let­ta statt. An dem Tag wird die Rich­te­rin dar­über ent­schei­den, ob Mal­ta über­haupt für alle oder eini­ge der Straf­ta­ten zustän­dig ist. Es geht also um ver­fah­rens­tech­ni­sche Fra­gen, bevor es dann in einem nächs­ten Schritt womög­lich zu der Eröff­nung eines Gerichts­ver­fah­rens kommt. Wir haben sehr star­ke recht­li­che Argu­men­te dafür, dass Mal­ta nicht zustän­dig ist. Denn der von der Staats­an­walt­schaft bean­stan­de­te Pro­test fand sehr weit von Mal­ta ent­fernt in liby­schen Hoheits­ge­wäs­sern statt.

Und wenn die Rich­te­rin die Ankla­ge am 30. Mai nicht fal­len lässt?

Tech­nisch gese­hen könn­te die Gene­ral­staats­an­walt­schaft die Ankla­ge jeder­zeit ganz oder teil­wei­se zurück­zie­hen. Aus die­sem Grund for­dern Unterstützer*innen der »El Hib­lu 3« im Rah­men einer inter­na­tio­na­len Kam­pa­gne, der auch PRO ASYL ange­hört, bereits seit Jah­ren, die Ankla­ge fal­len zu las­sen. Es sieht aktu­ell jedoch nicht danach aus.

»Wir haben den Ein­druck, dass Mal­ta ver­sucht, durch die Ankla­ge der »El Hib­lu 3« Stär­ke und eine Null-Tole­ranz-Poli­tik gegen­über Migrant*innen und Geflüch­te­ten, die Mal­ta irre­gu­lär errei­chen, zu demonstrieren.«

Neil Fal­zon, RA

Wel­che Inter­es­sen ver­fol­gen Ihrer Ein­schät­zung nach die mal­te­si­scher Behör­den damit, das Ver­fah­ren fortzusetzen?

Das ist mei­nes Erach­tens eher eine poli­ti­sche als eine juris­ti­sche Fra­ge. Wir haben den Ein­druck, dass Mal­ta ver­sucht, durch die Ankla­ge der »El Hib­lu 3« Stär­ke und eine Null-Tole­ranz-Poli­tik gegen­über Migrant*innen und Geflüch­te­ten, die Mal­ta irre­gu­lär errei­chen, zu demons­trie­ren. Man darf nicht ver­ges­sen, dass es sich bei Mal­ta um einen sehr klei­nen EU-Mit­glied­staat an der süd­lichs­ten Außen­gren­ze der EU han­delt. Ich den­ke, Mal­ta will mit dem Vor­ge­hen gegen die »El Hib­lu 3« zei­gen, dass es fähig ist, die­se Gren­ze zu kon­trol­lie­ren, und das, obwohl es so ein klei­ner Mit­glieds­staat ist.

Zum Zeit­punkt der Fest­nah­me waren die drei Ange­klag­ten 15, 16 und 19 Jah­re alt. Wie geht es Ama­ra Kro­mah, Abdal­la Bari und Koni Tie­mo­ko Abdoul Kha­der heute? 

Der gan­ze bis­he­ri­ge Pro­zess war sehr trau­ma­tisch für alle drei. Ihr Leben wur­de auf unbe­stimm­te Zeit und ohne trif­ti­gen Grund auf Eis gelegt. Trotz allem haben sie ver­sucht, ihr Leben wei­ter­zu­le­ben: Sie haben gear­bei­tet, stu­diert, Prü­fun­gen abge­legt, einer ist Vater gewor­den. Aber natür­lich hing der Pro­zess, der seit fünf Jah­ren nur sehr schlep­pend vor­an­kommt, immer über ihnen. Sie ste­hen psy­chisch unter einem immensen Druck, haben Angst und kom­men nicht zur Ruhe.

Sie wün­schen sich dring­lich den Abschluss des Ver­fah­rens, auch, damit sie das Trau­ma des Vor­falls selbst und der letz­ten fünf Jah­re ver­ar­bei­ten kön­nen. Statt­des­sen müs­sen sie seit Jah­ren mit sehr stren­gen Auf­la­gen wie Aus­gangs­be­schrän­kun­gen und Mel­de­auf­la­gen leben.

Nicht nur in Mal­ta, son­dern auch in ande­ren EU-Län­dern wie Ita­li­en und Grie­chen­land wer­den Geflüch­te­te oder Solidaritätsaktivist*innen regel­mä­ßig kri­mi­na­li­siert – man den­ke etwa an #Moria6, #Free­Ho­ma­y­oun oder die Ver­fah­ren gegen die Syre­rin Sara Mar­di­ni und den Deut­schen Seán Bin­der. Gibt es Gemein­sam­kei­ten zu dem »El Hib­lu 3« Fall? 

Die­se Fäl­le wei­sen defi­ni­tiv Gemein­sam­kei­ten auf. Aber Mal­ta setzt im Ver­gleich zu ande­ren EU-Staa­ten bis­her nur begrenzt das Instru­ment der Jus­tiz und der Kri­mi­na­li­sie­rung gegen Geflüch­te­te und Unterstützer*innen ein, son­dern arbei­tet über­wie­gend mit ande­ren Metho­den, um die Rech­te von Flücht­lin­gen ein­zu­schrän­ken und ihr Leben so elend wie mög­lich zu machen.

So zum Beispiel?

Mal­ta ver­tritt eine sehr har­te Inhaf­tie­rungs­po­li­tik gegen­über allen aus dem Meer geret­te­ten Migrant*innen. Das schränkt auch die Arbeit unse­rer NGO »adit­us foun­da­ti­on« in den mal­te­si­schen Haft­an­stal­ten ein, in denen wir Rechts­be­ra­tung anbieten.

Und wie geht Mal­ta mit der Tat­sa­che um, dass wei­ter­hin Schutz­su­chen­de auf Boo­ten vor sei­ner Küs­te in See­not geraten? 

In den letz­ten Jah­ren haben wir einen star­ken Rück­gang bei der Koor­di­nie­rung von Ret­tungs­ak­tio­nen durch Mal­ta beob­ach­tet. Das liegt nicht etwa dar­an, dass weni­ger Men­schen Liby­en ver­las­sen, son­dern dar­an, dass Mal­ta auf unter­schied­li­che Wei­se ver­sucht, die Ankunft von Men­schen auf der Insel zu ver­hin­dern. Dafür haben sie die Zusam­men­ar­beit mit der liby­schen Küs­ten­wa­che inten­si­viert und eine for­mel­le Absichts­er­klä­rung mit den liby­schen Behör­den unter­zeich­net, um Such- und Ret­tungs­ak­ti­vi­tä­ten effek­ti­ver zu koor­di­nie­ren. In der Pra­xis bedeu­tet das, dass Mal­ta und Liby­en bei dem Zurück­schlep­pen von Men­schen nach Liby­en zusam­men­ar­bei­ten, noch bevor die­se die mal­te­si­sche Such- und Ret­tungs­zo­ne erreichen.

Aber es gibt noch ande­re Metho­den, um Ankünf­te auf Mal­ta zu verhindern? 

Ja, eine ist beson­ders grau­sam: Wir wis­sen von einer gro­ßen Anzahl von Vor­fäl­len, bei denen sich Men­schen bereits in Mal­tas Such- und Ret­tungs­zo­ne befan­den – Mal­ta also klar zustän­dig war. Doch mal­te­si­sche Behör­den wei­gern sich sehr häu­fig, die Ret­tung zu koor­di­nie­ren, selbst zu ret­ten oder auch nur Infor­ma­tio­nen über die­sen Ent­schei­dungs­pro­zess öffent­lich zu machen. Das wird von Alarm Pho­ne oder NGOs wie Sea-Watch und ande­ren immer wie­der beob­ach­tet. Die Fol­ge ist, dass eini­ge ster­ben, oder Boo­te ein­fach ver­schwin­den – dann wir wis­sen nicht, was mit ihnen gesche­hen ist. Die­se Ver­wei­ge­rung zu ret­ten ist schlicht inak­zep­ta­bel. Es geht hier um einen EU-Mit­glieds­staat, der eigent­lich grund­le­gen­de Men­schen­rech­te schüt­zen sollte!

Dr. Neil Fal­zon ist Teil des Rechts­an­wäl­te-Teams, die zwei der drei Ange­klag­ten ver­tre­ten. Neil Fal­zon ist Grün­der und Direk­tor der »adit­us foun­da­ti­on«, einer Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on in Mal­ta, die PRO ASYL finan­zi­ell unter­stützt. Zudem lehrt er als Dozent für Men­schen­rechts­fra­gen an der Uni­ver­si­tät von Mal­ta und koor­di­niert den Mal­ta Refu­gee Coun­cil, ein Netz­werk mal­te­si­scher Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen. Zuvor lei­te­te er das Mal­te­ser Büro des Hohen Flücht­lings­kom­mis­sars der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR).

PRO ASYL unter­stützt die Preis­ver­lei­hung an die »El Hib­lu 3« am Sams­tag, 13. April 2024, durch die Coali­ti­on for the El Hib­lu 3 in Val­let­ta und wird den Pro­zess wei­ter beobachten.

(Inter­view: hk)