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Drakonisches Gesetzespaket treibt Entrechtung von Schutzsuchenden voran
Das »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« ist ein Ausgrenzungs- und Entrechtungsgesetz. Die Prognose: Zehntausende werden in Deutschland permanent in Angst vor Haft und vor Abschiebung in menschenunwürdige Zustände leben.
Heute findet die erste Lesung des »Geordnete-Rückkehr-Gesetzes« im Bundestag statt. Bereits Anfang Juni sollen die miteinander verflochtenen Gesetzesvorhaben im Bereich Flucht und Migration vom Bundestag verabschiedet werden. Ein Durchpeitschen dieser drakonischen Gesetze wird fatale Folgen für die betroffenen Schutzsuchenden und für die Zivilgesellschaft haben.
Aushungern durch den Entzug von Sozialleistungen
Mit dem »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« wird die Sozialpolitik instrumentalisiert, um Flüchtlinge aus Deutschland hinauszuekeln. Das Hau-ab-Gesetz setzt durch den Entzug von Sozialleistungen auf die Verdrängung in andere EU-Staaten, obwohl Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht Abschiebungen in Länder wie Italien, Bulgarien und Griechenland gestoppt haben, weil dort für Asylsuchende und Flüchtlinge elende Zustände herrschen. In Griechenland beispielsweise werden aktuell Anerkannte aus ihren Wohnungen getrieben; fliehen sie nach Deutschland, werden sie durch die im Gesetz vorgesehenen Verschärfungen unter das Existenzminimum gedrückt. Das ist verfassungswidrig.
»Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen«
Uferlose Ausweitung der Haftgründe
Mit der vorgeschlagenen gesetzlichen Grundlage könnten praktisch alle vollziehbar ausreisepflichtigen Personen in Abschiebungshaft genommen werden, indem »Fluchtgefahr« ausufernd definiert wird. So kann bereits die Nichterfüllung der Passbeschaffungspflicht als Indiz gelten. Wer größere Geldmittel aufgewendet hat, um nach Deutschland zu kommen, dem wird dies als Indiz für die Fluchtgefahr und damit Haftgrund entgegengehalten, selbst wenn er letztendlich legal eingereist ist. Auch das Verlassen eines EU-Mitgliedstaates vor Abschluss des Asylverfahrens kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr sein. Die Einführung einer sogenannten »Mitwirkungshaft« von bis zu 14 Tagen, wenn Betroffene z.B. unentschuldigt nicht zu einem Termin bei der zuständigen Behörde erschienen sind, ist unverhältnismäßig und rechtswidrig.
Der Gesetzentwurf missachtet offensiv europäisches Recht
Die Abschiebungshaft soll außerdem in normalen Gefängnissen durchgeführt werden können. Das steht im Widerspruch zur eindeutigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs: Die Trennung von Strafgefangenen und Menschen, die abgeschoben werden sollen, ist zwingend, um die Menschenwürde der betroffenen Personen zu schützen. Der Gesetzentwurf ist an dieser Stelle die offensive Missachtung europäischen Rechts. Gegen die rechtsstaatswidrigen Aspekte dieser Neuregelungen haben sich die Justizministerien der Länder mit guten Gründen gewendet.
Geflüchtete werden zu Menschen »dritter Klasse«
Menschen, die ihrer im Gesetzesentwurf definierten »Passbeschaffungspflicht« angeblich nicht nachkommen, sollen nur noch die »Duldung light« bekommen. Ihnen wird pauschal Ausbildung und Arbeit verboten, eine Wohnsitzauflage auferlegt und das Existenzminimum vorenthalten. Dies wird auch Menschen – einschließlich Kinder und Jugendliche – treffen, denen es oft unmöglich ist, der Passbeschaffung nachzukommen: Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie es nicht können. Für Afghan*innen, die zum Beispiel nie über eine Geburtsurkunde verfügt haben und sich zum Teil viele Jahre in Drittstaaten aufgehalten haben, ist es äußerst schwierig, eine sogenannte Tazkira (Identitätsdokument in Afghanistan) zu beschaffen.
BEDROHUNG DER ZIVILGESELLSCHAFT
Auch die Zivilgesellschaft wird weiterhin bedroht: Indem der gesamte Ablauf der Abschiebung und alle dazugehörigen Informationen unverhältnismäßig als »Geheimnis« deklariert werden, besteht die Gefahr, dass in der Flüchtlingsarbeit Tätige, die z.B. über den Termin bei einer Botschaft oder beim Arzt informieren, der Beihilfe zum Geheimnisverrat bezichtigt werden. Allein die Möglichkeit einer Anzeige wird zu starker Verunsicherung bei den Menschen führen, die sich für Schutzsuchende engagieren. Im Strafgesetzbuch sind Pressevertreter*innen von der Beihilfe zum Geheimnisverrat ausgenommen, nicht aber zivilgesellschaftliche Akteure.
Falsches Spiel mit den Zahlen
Begründet wird das mit einem Notstand, den es gar nicht gibt: Die an Täuschung grenzende Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministeriums (BMI) zum Gesetzgebungsverfahren suggeriert in Deutschland stünden 235.000 abgelehnte Asylsuchende vor der Abschiebung. Richtig ist, dass laut Ausländerzentralregister (AZR) 235.000 Personen ausreisepflichtig sind – doch rund die Hälfte von ihnen sind gar keine abgelehnten Asylsuchenden, sondern haben nie einen Asylantrag gestellt. Darüber hinaus sind im AZR auch jede Menge Karteileichen enthalten – hinter den Zahlen stecken also Personen, die gar nicht mehr in Deutschland sind. Auch sind in der Zahl des BMI u.a. knapp 30.000 afghanische und irakische Geduldete enthalten. Die irakischen Geduldeten werden aufgrund des IMK-Beschlusses nicht abgeschoben. Afghanen werden auch deshalb nur in begrenztem Umfang abgeschoben, weil viele Bundesländer massive und gut begründete Bedenken haben, in die prekäre Sicherheitssituation hinein abzuschieben. Mit überhöhten und teilweise falschen Zahlen Stimmung gegen Geflüchtete zu machen, ist seit längerem Strategie des BMI. Jetzt soll damit das nächste Gesetzespaket durchgepeitscht werden. Schwerwiegende Bedenken äußert auch das FORUM MENSCHENRECHTE in einer Übersicht zu den negativen Folgen und Wechselwirkungen der aktuellen Gesetzgebungsverfahren.