16.02.2024
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Hanau war kein Einzelfall. Behörden und Gesellschaft müssen die Existenz von strukturellem Rassismus anerkennen und bekämpfen. Foto: PRO ASYL

Die »Initiative 19. Februar Hanau« fordert seit vier Jahren Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenzen. Bis heute habe niemand Verantwortung übernommen für die Versäumnisse von Politik und Behörden, sagt Newroz Duman von der Initiative. Die Gesellschaft müsse zeigen, dass sie auf der Seite von Betroffenen von Rechtsextremismus stehe.

Als »Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau« ist es euch gelun­gen, die Namen der Opfer des ras­sis­ti­schen Anschlags vom 19. Febru­ar 2020 in ganz Deutsch­land und dar­über hin­aus bekannt zu machen: Gök­han Gül­te­kin, Sedat Gür­büz, Said Nesar Hash­e­mi, Mer­ce­des Kier­pacz, Ham­za Kur­to­vić, Vili Vio­rel Păun, Fatih Sara­çoğ­lu, Fer­hat Unvar und Kaloyan Velkov.

Ab dem zwei­ten Tag nach dem Anschlag haben wir die Namen der Opfer in den Mit­tel­punkt gestellt. Wir wuss­ten von Betrof­fe­nen von ande­ren ras­sis­ti­schen Anschlä­gen, etwa denen des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds (NSU), wie wich­tig das ist. Denn in Deutsch­land gibt es eine lan­ge Tra­di­ti­on, dass die Täter im Vor­der­grund ste­hen, wäh­rend die Geschich­ten und Stim­men der Opfer ver­drängt wer­den. Mit #Say­TheirNa­mes haben wir ver­sucht, das zu ändern.

Was bedeu­tet Erin­ne­rung für euch?

Erin­nern heißt ver­än­dern. Denn Erin­nern bedeu­tet auch, auf Ver­säum­nis­se auf­merk­sam zu machen. Aus die­sem Grund hängt Erin­ne­rung eng mit unse­ren For­de­run­gen nach Gerech­tig­keit und Kon­se­quen­zen zusam­men. Erin­ne­rung bedeu­tet, dass es in unse­rer aller Ver­ant­wor­tung liegt, die­se Gesell­schaft zu ver­än­dern. Behör­den, Poli­tik und Medi­en haben dabei eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung. Erin­nern ist eine all­täg­li­che Arbeit und fin­det eben nicht nur ein­mal im Jahr statt.

»Erin­nern ist eine all­täg­li­che Arbeit und fin­det eben nicht nur ein­mal im Jahr statt.«

New­roz Duman, Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau

Als Initia­ti­ve habt ihr in den letz­ten Jah­ren extrem viel erreicht: Ihr habt selbst zu Abläu­fen in der Tat­nacht recher­chiert, Gedenk­ver­an­stal­tun­gen orga­ni­siert, Aus­stel­lun­gen mit Stim­men der Betrof­fe­nen erar­bei­tet, einen Land­tags­un­ter­su­chungs­aus­schuss im Hes­si­schen Land­tag erkämpft. Wo steht ihr heu­te, vier Jah­re nach dem ras­sis­ti­schen Anschlag: Wur­den eure For­de­run­gen nach Auf­klä­rung, Gerech­tig­keit und Kon­se­quen­zen umgesetzt? 

Wir waren es, die Fami­li­en der Getö­te­ten und Unter­stüt­zen­de, die in den ver­gan­ge­nen vier Jah­ren Auf­klä­rungs­ar­beit geleis­tet haben, und nicht der Staat. Die Poli­zei und das Innen­mi­nis­te­ri­um haben die Auf­klä­rungs­ar­beit blo­ckiert, igno­riert und ver­tuscht. Wir haben alles Mög­li­che aus­pro­biert, damit Poli­tik und Behör­den end­lich ihre Feh­ler und Ver­säum­nis­se ein­ge­ste­hen und dar­aus Kon­se­quen­zen zie­hen. So gab es nur auf­grund unse­res Drucks einen Unter­su­chungs­aus­schuss im Hes­si­schen Landtag.

Und wie beur­teilt ihr den Abschluss­be­richt des Unter­su­chungs­aus­schus­ses, der im Novem­ber 2023 ver­öf­fent­licht wurde?

Wir akzep­tie­ren den Bericht nicht als Abschluss­be­richt, denn vie­le Fra­gen blei­ben unbe­ant­wor­tet. Für die CDU war es die gan­ze Zeit wich­ti­ger, den dama­li­gen Innen­mi­nis­ter und die Poli­zei zu schüt­zen, als die Auf­klä­rungs­ar­beit vor­an­zu­trei­ben. Außer­dem wur­den kei­ne Kon­se­quen­zen gezo­gen: Bis heu­te haben Lan­des­re­gie­rung und Poli­zei kei­ner­lei Feh­ler zuge­ge­ben und somit auch kei­ne Ver­ant­wor­tung über­nom­men. Nie­mand hat gesagt: »Wir haben ver­sagt.« Die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen wur­den beför­dert oder in den Ruhe­stand geschickt. Auch aus die­sem Grund sagen wir: Das ist kein Abschluss­be­richt

»Solan­ge man die Ursa­chen von Ras­sis­mus nicht bekämpft, […] bleibt Ras­sis­mus Normalzustand.«

New­roz Duman, Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau

Wie geht es den Ange­hö­ri­gen und Über­le­ben­den heu­te? Füh­len sie sich sicher in Hanau?

Die meis­ten Ange­hö­ri­gen und Betrof­fe­nen haben kein Ver­trau­en in den Staat. Das kann und darf man auch nicht erwar­ten: Die Poli­zei hat drei­ein­halb Jah­re gebraucht, um sich mit den Betrof­fe­nen zu tref­fen und ihre Fra­gen zu beant­wor­ten. Auch der dama­li­ge Innen­mi­nis­ter Peter Beuth hat sich drei­ein­halb Jah­re ent­zo­gen und war nicht für die Men­schen da.

Als sich der Vater des Täters den Fami­li­en der Opfer genä­hert hat, wur­den Ange­hö­ri­ge und Über­le­ben­de nicht gefragt, ob sie Schutz brau­chen. Gleich­zei­tig haben Poli­tik und Poli­zei über­haupt nichts zur Auf­klä­rung bei­getra­gen, son­dern vor allem geschwie­gen und ver­tuscht. Ver­trau­en kann es erst geben, wenn es Gerech­tig­keit gibt.

Ihr for­dert dazu auf, »den ras­sis­ti­schen Nor­mal­zu­stand im All­tag, in Behör­den, Poli­tik, Medi­en und in den Sicher­heits­ap­pa­ra­ten kon­se­quent zu bekämp­fen«. Denn die­ser Zustand sei der Nähr­bo­den, auf dem der Hass der Täter über­haupt erst gedei­hen kön­ne. Wie genau stellt ihr euch das vor?

Es reicht nicht aus, zu erklä­ren, dass man Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und Rechts­extre­mis­mus bekämp­fen möch­te. Behör­den müs­sen das auch unter Beweis stel­len, indem sie ent­spre­chend han­deln. Solan­ge man die Ursa­chen von Ras­sis­mus nicht bekämpft, und solan­ge zum Bei­spiel rechts­extre­me Chat-Grup­pen in Hes­sen und anders­wo nicht kon­se­quent straf­recht­lich ver­folgt wer­den, bleibt Ras­sis­mus Normalzustand.

Vie­le Politiker*innen spre­chen nur von All­tags­ras­sis­mus, also Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Arbeits- oder Woh­nungs­markt. Zu einer ehr­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit Ras­sis­mus gehört jedoch, auch insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus zu the­ma­ti­sie­ren, etwa in Poli­zei­be­hör­den. Das wäre drin­gend nötig.

Der vier­jäh­ri­ge Jah­res­tag des ras­sis­ti­schen Anschlags fin­det in einem gesell­schaft­li­chen Kli­ma statt, in dem sich der Dis­kurs seit Mona­ten mas­siv nach rechts ver­scho­ben und die Het­ze gegen Geflüch­te­te zuge­nom­men hat. Gleich­zei­tig gibt es seit eini­gen Wochen Demons­tra­tio­nen in ganz Deutsch­land gegen Rechts­extre­mis­mus und die AfD, bei denen auch Kri­tik an den demo­kra­ti­schen Par­tei­en laut wird. Wie blickt ihr auf die­se Demonstrationen? 

Es ist gut, dass in der Gesell­schaft etwas in Bewe­gung gekom­men ist und dass Hun­dert­tau­sen­de gegen Rechts­extre­mis­mus auf die Stra­ße gehen. Aber wir wis­sen auch, dass Rechts­extre­mis­mus nicht allein mit schö­nen Pla­ka­ten und Demons­tra­tio­nen bekämpft wer­den kann. Wir dür­fen das nicht getrennt von­ein­an­der betrach­ten: Dass der ras­sis­ti­sche Anschlag von Hanau mög­lich war, hat mit dem gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kli­ma hier zu tun. Und das hat auch, aber eben nicht nur, mit der AfD zu tun.

Wie kann man sich soli­da­risch mit Über­le­ben­den und Ange­hö­ri­gen von Opfern ras­sis­ti­scher Gewalt zeigen? 

Sich soli­da­risch zu zei­gen heißt für mich zual­ler­erst, den Betrof­fe­nen zuzu­hö­ren, sich an Gedenk­ver­an­stal­tun­gen zu betei­li­gen, die Geschich­ten der Betrof­fe­nen wei­ter­zu­er­zäh­len, #Say­TheirNa­mes wei­ter­zu­ver­brei­ten und nicht zuzu­las­sen, dass das Geden­ken ver­ein­nahmt wird.

Vier Jah­re, das ist eine lan­ge Zeit. Wie macht ihr als »Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau« weiter?

Der Laden am Heu­markt, einer der Tat­or­te des 19. Febru­ar, ist für die meis­ten Ange­hö­ri­gen wei­ter­hin einer der zen­tra­len Orte, an dem wir uns gemein­sam orga­ni­sie­ren, Stra­te­gien ent­wi­ckeln und über­le­gen, wie wir wei­ter­ma­chen. Wir kämp­fen wei­ter für ech­te Kon­se­quen­zen. Und natür­lich ist unser Vor­ort­sein auch ein Kampf gegen das Vergessen.

Dazu tra­gen auch unse­re Pro­jek­te bei: Die Aus­stel­lung »Three Doors« von Foren­sic Archi­tec­tu­re zu dem Atten­tat 2020 in Hanau und dem Tod Oury Jal­lohs 2005 in einer Gefäng­nis­zel­le in Des­sau ist ab März in Stutt­gart, ab Mai in Würz­burg zu sehen. Und wir haben ein Thea­ter­stück zu Hanau, das bun­des­weit auf Tour ist und Auf­klä­rungs- und Erin­ne­rungs­ar­beit leistet.

Die­ses Jahr ladet ihr zum ers­ten Mal bun­des­weit zur Gedenk­de­mons­tra­ti­on in Hanau ein. Warum?
Vor allem in der Poli­tik den­ken vie­le, dass mit dem Ende des Unter­su­chungs­aus­schus­ses alles auf­ge­ar­bei­tet und damit abge­schlos­sen ist. Doch für uns gibt es kei­nen Schluss­strich. Das wol­len wir mit der Demons­tra­ti­on am Sams­tag noch ein­mal zei­gen. Wir wer­den nicht ver­ges­sen, dass Vili Vio­rel den Not­ruf nicht errei­chen konn­te. Dass der Not­aus­gang der »Are­na Bar«, einem der Tat­or­te, ver­schlos­sen war. Und wie die Poli­zei mit den Ange­hö­ri­gen der Opfer umge­gan­gen ist, dass sie zum Bespiel direkt nach der Tat soge­nann­te Gefähr­der-Anspra­chen durch­ge­führt hat.

New­roz Duman ist Teil der »Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau«, in der sich Ange­hö­ri­ge der Opfer des ras­sis­tisch moti­vier­ten Anschlags am 19. Febru­ar 2020 in Hanau zusam­men­ge­schlos­sen haben. Sie war neun Jah­re Mit­glied im Vor­stand der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft PRO ASYL.

Die bun­des­wei­te Gedenk­de­mons­tra­ti­on star­tet  am Sams­tag,  17. Febru­ar 2024  um 14 Uhr in Hanau-Kes­sel­stadt am Kurt-Schu­ma­cher-Platz. Am und um den 19. Febru­ar 2024 fin­den an ver­schie­de­nen Orten dezen­tra­le Kund­ge­bun­gen, Demos und Gedenk­ver­an­stal­tun­gen statt unter dem Mot­to #Hanau­i­st­über­all.

(hk)