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Die Katastrophe von Moria und ihre Folgen
Nachdem der EU-Hotspot »Moria« abgebrannt ist, harren tausende Menschen schutzlos auf Lesbos aus. Sie haben keine Unterkunft, die Versorgungslage ist äußerst prekär. Hilfsorganisationen werden an ihrer Arbeit gehindert, es gibt Übergriffe durch die Polizei und Rechtsextreme. Appelle, die Insel zu evakuieren, ignoriert die griechische Regierung.
Die Folgen der kompletten Zerstörung des EU-Hotspots »Moria« durch die Brände vergangene Woche sind dramatisch: mehr als 12.000 Menschen, unter ihnen 4.000 Kinder mit ihren Familien, befinden sich auf der Insel Lesbos ohne Unterkunft und Zugang zu sanitären Einrichtungen.
Auch fast eine Woche nach dem Brand ist die Versorgung der Betroffenen mit Essen und Trinken noch immer nicht gewährleistet. Einige Teile der Insel sind von der Polizei abgeriegelt, Geflüchtete werden nicht in die Inselhauptstadt Mytilini gelassen – und die Supermärkte in den abgeschotteten Bereichen sind geschlossen. Menschenrechtsorganisationen werden daran gehindert, Hilfe zu leisten.
»Wir können nirgends hingehen. Heute konnte ich für fünf Minuten mein Handy aufladen, um meinen Anwalt anzurufen.«
Humanitäre Notlage auf Lesbos
Die Menschen schlafen auf der Straße, an Stränden und auf Feldern. Mit massiv erhöhter Polizeipräsenz werden Straßen in die Städte gesperrt, die Stimmung auf der Insel ist angespannt. Auf Demonstrationen der Schutzsuchenden wurde mit Tränengas geantwortet. Wie schon im März 2020 kommt es zu Übergriffen von Rechtsextremist*innen und aus der Inselbevölkerung gegen Schutzsuchende und Helfer*innen.
Betroffene berichten Mitarbeiter*innen von PRO ASYL / Refugee Support Aegean (RSA) vor Ort von ihrer festgefahrenen Lage. Nasim*, afghanischer Asylsuchender: »Wir können nicht nach Moria zurück, wir können nicht nach Mytilini, wir können auch nicht nach Panagiouda oder Thermi. Wir können nirgends hingehen. Heute konnte ich für fünf Minuten mein Handy aufladen, um meinen Anwalt anzurufen.«
Unser Team von RSA steht den Menschen nicht nur unmittelbar mit dem Lebensnotwendigsten zur Seite, sondern wird auch juristisch gegen diese menschenrechtswidrige Politik vorgehen – bis vor die höchsten europäischen Gerichte.
Im größten Chaos probieren unsere Anwält*innen, in Kontakt mit ihren Mandant*innen zu bleiben und beispielsweise den Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung für besonders verletzliche Personen zu erstreiten. Auch Eilverfahren vor dem EGMR nach der »Rule 39« waren in der Vergangenheit erfolgreich und sind eine Option.
Artikel 39 der Verfahrensordnung erlaubt es, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorläufige Maßnahmen zu verlangen, wenn ein nichtwiedergutzumachender Schaden droht. Im April sind einige solcher Verfahren für vulnerable Geflüchtete aus Moria positiv verlaufen.
Das Drohszenario geschlossener Lager: Moria 2.0
Das Innenministerium hat die lokalen Behörden aufgerufen, neue Unterbringungsmöglichkeiten zu eröffnen. Doch diese weigern sich, bestehende Einrichtungen dafür zu nutzen. Entgegen des Widerstands der lokalen Regierung will die griechische Regierung offenbar ihren Kurs fortsetzen und geschlossene Lager auf der Insel errichten.
Der UNHCR hat ein Zeltlager errichtet, in dem sich mittlerweile ca. 700 Menschen befinden. Sie dürfen das Camp nicht mehr verlassen – offiziell aufgrund von Corona-Maßnahmen, doch die Befürchtung ist, dass hier die von der griechischen Regierung angekündigten geschlossenen Lager entstehen. Aus diesem Grund haben viele Geflüchtete Angst, in das Zeltlager zu gehen – aber Hunger, Durst und Verzweiflung treiben manche hinein.
Griechische Regierung bestraft die Betroffenen
Die Ursache der Brände in »Moria« ist bisher ungeklärt. Für Premierminister Mitsotakis steht allerdings bereits fest, dass Bewohner*innen des Lagers die Feuer gelegt haben. Und dafür bestraft er kollektiv alle Schutzsuchenden.
Lediglich 406 unbegleitete Minderjährige wurden von der Insel evakuiert. Appelle nach vollständiger Evakuierung der Insel, wie beispielsweise von der EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, werden von der griechischen Regierung ignoriert. Erst gestern betonte Mitsotakis erneut, dass eine Aufnahme durch andere EU-Staaten nicht erlaubt wird und alle übrigen 12.000 Schutzsuchenden Lesbos nicht verlassen dürfen.
»Ich fürchte um mein Leben. Ich fühle mich hier nicht sicher.«
Ahmad*, guineischer Asylsuchender: »Ich weiß nicht, was passieren wird, weil ich nicht mitentscheiden darf. Ich fürchte um mein Leben. Ich fühle mich hier nicht sicher. Die lokale Bevölkerung jagt uns von ihren Feldern herunter. Ich entkomme dem einen Problem und bekomme das nächste.«
Keine Abschiebungen in die Türkei!
Wenn die griechische Regierung ihre Pläne durchzieht, drohen Haftlager an der Grenze, in denen keine fairen Asylverfahren möglich sind. Die dort Festsitzenden sollen solange ausharren, bis sie zermürbt sind und in die Türkei oder andere Staaten abgeschoben werden können. In der Türkei sind viele Geflüchtete aber nicht sicher, sie erhalten dort keinen Rechtsstatus und keinen Schutz, ihnen droht die Kettenabschiebung in Bürgerkrieg und Verfolgung. Das gilt besonders für Menschen aus Afghanistan, die rund 47 % der Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln ausmachen.
Flüchtlinge sind keine Verhandlungsmasse!
Die griechische Regierung führt mit Rückendeckung der anderen EU-Staaten auf den Inseln sowie auf dem Festland eine menschliche Tragödie herbei. Anstatt den Menschen in Not zu helfen, werden sie zur Verhandlungsmasse, um Pläne zu geschlossenen Haftlagern durchzusetzen. Deutschland und die anderen EU-Staaten dürfen das nicht zulassen. Die Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln müssen sofort evakuiert und in andere europäische Länder verteilt werden!
(rsa / dm / mk)