News
Die Bundesregierung und ihre Schönrednerei im Faktencheck
Schon seit der Entscheidung über die EU-Asylreform im Europäischen Rat versuchen Mitglieder der Bundesregierung, die Zustimmung zu rechtfertigen – und greifen dabei immer wieder auf Falschdarstellungen zurück. Unser Faktencheck.
Innenministerin Nancy Faeser hat es getan, Bundeskanzler Olaf Scholz, Justizminister Marco Buschmann und auch Außenministerin Annalena Baerbock – und kürzlich kursierte ein Papier, mutmaßlich aus dem Bundesinnenministerium, das sich erneut unrichtiger und unkorrekter Behauptungen bedient, um die GEAS-Reform schönzureden. Wir gehen auf einige Felder ein:
Unsere Faktenchecks
Aussage:
Politiker*innen aus Grünen und SPD rechtfertigen die Einigung auf Grenzverfahren damit, »sie seien nur für Geflüchtete aus Herkunftsländern mit einer Schutzquote von unter 20 %« gedacht. Für Menschen beispielsweise aus Syrien und Afghanistan würden sie daher nicht gelten.
Richtigstellung:
Das verkennt die Realität! Auch bei Menschen aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran wird es in der Praxis anders aussehen. Denn Mitgliedsstaaten können entscheiden, das Instrument der Grenzverfahren auszuweiten – z.B. auf alle Personen, die über einen angeblich »sicheren Drittstaat« gekommen sind. Das wird im Erwägungsgrund 40b der vorgeschlagenen Asylverfahrensverordnung genau so formuliert.
Grundsätzlich allen Geflüchteten kann in Zukunft also an der Grenze ein Grenzverfahren drohen, in dem es hauptsächlich über die Zulässigkeit des Asylantrags entschieden wird – ohne inhaltliche Prüfung ihrer Schutzgründe. Bei Syrer*innen und Afghan*innen kann das die Abschiebung in die Türkei und von dort zurück in Krieg und Verfolgung bedeuten – denn auch die Kriterien, wann ein Land als »sicher« gilt, will die EU aufweichen.
In Griechenland wird schon jetzt die Türkei als »sicher« deklariert, obwohl dort für nicht-europäische Menschen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht gilt. Entsprechend würden de facto alle syrischen und afghanischen Flüchtlinge in Griechenland in die Grenzverfahren kommen.
Und abgesehen davon stammen auch aus Ländern mit einer Schutzquote unter 20 % viele Menschen, deren Fluchtgründe in einem ordentlichen Verfahren anerkannt werden – bei 20 % ist das z.B. eine*r von fünf. Aber wie sollen in Grenzverfahren rechtsstaatliche Verfahren durchgeführt werden, wenn Geflüchtete keinen Zugang zu Rechtsberatung und –vertretung bekommen, wenn beispielsweise in Griechenland zum Teil auf 1000 asylsuchende Personen eine Anwältin kommt?
Aussage:
Diese Reform ist notwendig, weil sie »deutsche Kommunen entlasten« wird, sagt z.B. Justizminister Marco Buschmann (FDP)
Richtigstellung:
Das stimmt nicht! Zuerst muss die Reform noch im Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament final verhandelt und beschlossen werden. Dann gibt es eine Umsetzungsfrist, bevor die neuen Rechtseinschränkungen überhaupt greifen. Es werden also bis zu drei Jahre vergehen, bis die Reform wirksam in Kraft ist. Für die Kommunen macht das also aktuell keinen Unterschied. Und ob das in Zukunft überhaupt der Fall sein wird, wissen wir gar nicht.
Die Beschlüsse bedeuten auch nicht, dass alle Mitgliedsstaaten Flüchtlinge aufnehmen und Geflüchtete daher in mehr Länder verteilt werden, als jetzt. Generell liegt die von der EU vorgesehene Mindestzahl bei der Verteilung von Geflüchteten nur bei 30.000, für je 20.000 € Ausgleichszahlung kann ein Staat sich davon aber »freikaufen«
Und dazu kommt: Wenn die Politik die Asylgesetze verschärft, wenn rechte Rhetorik auch ins Vokabular der Bundesregierung aufgenommen wird – dann zeigt die Geschichte, dass das immer auch für mehr Rassismus in der Bevölkerung, mehr Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, mehr rechte Gewalt sorgt. Das gesellschaftliche Klima auch in den einzelnen Kommunen wird vergiftet und nicht verbessert, wenn Politiker*innen Geflüchtete durch ihre Worte und Taten geradezu entmenschlichen. Wie es anders geht, hat die solidarische und gesellschaftlich breit getragene Aufnahme von rund einer Million Menschen aus der Ukraine gezeigt.
Aussage:
»Wir wollen durch geregelte Migration vor allem dafür sorgen, dass das furchtbare Sterben auf dem Mittelmeer endlich aufhört«, sagt Nancy Faeser nach der Einigung im EU-Rat.
Richtigstellung:
Wir haben es gerade mit der Katastrophe vor Pylos auf tragischste Art und Weise vor Augen geführt bekommen: Mehr Abschottung sorgt nicht dafür, dass Menschen nicht mehr fliehen – sondern schlicht dafür, dass ihre Fluchtwege noch gefährlicher werden. Auch die Route z.B. von der Türkei über die Ägäis auf die griechischen Inseln war schon lebensgefährlich. Aber seit es dort gnadenlos zu Pushbacks kommt und nach der Ankunft die Elendslager unter Haftbedingungen warten, treten Geflüchtete den viel weiteren Weg nach Italien oder Malta an. Mit tödlichen Folgen.
Auch die Konsequenz der GEAS-Reform werden noch mehr Tote an unseren Grenzen sein – auch auf dem Mittelmeer. Gegen das Sterben dort würde nur helfen, wenn es endlich eine staatlich organisierte Seenotrettung gäbe, die die Menschen auch tatsächlich rettet und nicht versucht, abzudrängen oder zurückzuschieben.
Aussage:
Annalena Baerbock sagt: »Mit der heutigen Einigung soll es nun erstmalig eine (…) verbindliche Lösung für einen Solidaritäts- und Verteilmechanismus geben. Damit werden die Außengrenzstaaten spürbar entlastet und Geflüchtete aus Syrien, Irak, Afghanistan endlich stärker in andere Mitgliedsstaaten verteilt, wozu bisher nur ganz wenige bereit waren.«
Richtigstellung:
Die viel zitierte Solidarität unter den Mitgliedsstaaten sieht so aus: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen möchte, muss das auch weiterhin nicht tun. Wie oben bereits genannt, ist die für die Verteilung vorgesehene Zahl mit 30.000 ohnehin niedrig – und diese Länder können stattdessen finanzielle Zahlungen leisten. 20.000 € pro nicht aufgenommenem Flüchtling. Diese Gelder können dann auch in die Flüchtlingsabwehr oder die Grenzabschottung fließen. Zum Beispiel im Rahmen des neuen Deals nach Tunesien oder an die sogenannte libysche Küstenwache, die Menschen im europäischen Auftrag in die Folterlager nach Libyen zurückschleppt.
Zu behaupten, dass sich nun auch Länder mit rechten Regierungen wie Polen oder Ungarn an der solidarischen Aufnahme von Geflüchteten beteiligen würden, ist schlicht falsch.
Das Grundproblem, dass Aufwand und Verantwortung vor allem bei den Staaten an der EU-Außengrenze liegen, bleibt auch mit den neuen Regelungen bestehen. Mit den verpflichtenden Grenzverfahren wird es sogar noch größer – und es wird absehbar dazu führen, dass diese Staaten weiterhin auf illegale Pushbacks setzen, anstatt die Menschen zu registrieren.
Die nicht funktionierende Dublin-Regelung soll sogar verschärft werden, zum Beispiel in dem der Rechtsschutz eingeschränkt und auch unbegleitete Minderjährige in das Ersteinreiseland zurückgeschickt werden sollen.
Aussage:
Im mutmaßlichen BMI-Papier ist zu lesen »Das Außengrenzverfahren und das damit einhergehende Prinzip der Nichteinreise kann nicht mit Haft gleichgesetzt werden. Haft bedeutet Freiheitsentziehung […]. Im Rahmen des Außengrenzverfahrens wird allein die Einreise in die Europäische Union verhindert. Die Ausreise in Drittstaaten bleibt weiterhin möglich.«
Richtigstellung:
Dass eine Person in einen Drittstatt ausreisen KÖNNTE (was nicht in jedem Fall zwingend auch möglich ist), bedeutet nicht, dass es keine Haft darstellt – gerade, wenn damit der Asylantrag erlischt. Das hat auch der EuGH in einem Verfahren gegen die ungarischen Transitzonen geurteilt. Auch sieht die neue Aufnahmerichtlinie Haft explizit für Grenzverfahren vor (Artikel 8 Abs. 3) und schließt leider auch Minderjährige – anders als vom BMI behauptet – nicht grundsätzlich aus (Art. 11).
Aussage:
Das BMI schreibt in seinem Papier: »Auch bei Anwendung des Konzepts sicherer Drittstaaten erfolgt eine inhaltliche Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit des Asylantrags.«
Richtigstellung:
Diese Behauptung ist fast schon perfide, denn sie enthält bei genauerem Hinsehen exakt die Kritik an dem Verfahren: Die inhaltliche Prüfung erfolgt ausschließlich in Bezug auf die Zulässigkeit. Und dort wird eben nicht untersucht, welcher Verfolgung die Antragstellenden im Herkunftsland ausgesetzt sind, sondern nur, ob sie nicht auf ihrer Flucht bereits anderswo »sicher« waren. Schon jetzt erleben Syrer*innen in Griechenland, die z.B. vor Verfolgung durch Assad geflohen sind: Die Fragen in ihrem Verfahren drehen sich nur um ihre Situation in der Türkei.
Aussage:
Das BMI behauptet: »Um als sicherer Drittstaat eingestuft zu werden, muss ein Staat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben oder grundlegende Standards des Flüchtlingsrechts garantieren, wie das Recht auf Verbleib in dem Drittstaat, die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards und der Zugang zu medizinischer Notfallversorgung und Grundschulbildung.«
Richtigstellung:
Auch hier steckt der Teufel im Detail. Normalerweise müsste nach „die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben“ ein Punkt stehen. Das ist aber in Zukunft nicht mehr der Fall, die Kriterien werden also sehr wohl aufgeweicht. Das „Recht auf Verbleib“ bedeutet dann weder einen Aufenthaltsstatus, Papiere oder Familiennachzug (Art. 43a Asylverfahrensverordnung), die Sicherheit muss nur in Teilgebieten des fraglichen Staates und nicht für alle Personengruppen gewährleistet sein (Art. 45 Abs. 1a Asylverfahrensverordnung) und selbst vorhandene Menschenrechtsverletzungen im Drittstaat gegenüber den Staatsangehörigen des Landes fließen nicht in die Beurteilung ein. Grundlage soll vielmehr sein: Die EU und der betreffende Staat haben eine Vereinbarung geschlossen – dann wird eine »Sicherheit« angenommen (Art. 45 Abs. 3 Asylverfahrensverordnung).
Schönrednerei nicht durchgehen lassen!
Nach der ganzen zivilgesellschaftlichen und auch innerparteilichen Kritik wollen die Ampel-Parteien die deutsche Zustimmung zu den Plänen offensichtlich mit allen Mitteln verteidigen und schrecken auch nicht vor Unrichtigkeiten und Tatsachenverdrehungen zurück, um den Protest verstummen zu lassen. Das dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen – denn wenn die Pläne erst einmal beschlossen und umgesetzt sind, hilft auch kein »Oh, das hatten wir uns aber anders vorgestellt« mehr. Dann sind Menschen auf der Flucht einmal mehr grundlegender Rechte beraubt worden, wahrscheinlich unwiederbringlich.