Nirgendwo in Europa ist die Flüchtlingsaufnahme derart an ihre Grenzen gelangt wie in Griechenland, dort ist man mit der Versorgung der Flüchtlinge komplett überfordert, nur durch freiwillige Helfer*innen können Flüchtlinge mit dem Nötigsten versorgt werden. Lisa Thielsch ist eine von ihnen und erzählt uns im Interview von ihren Erfahrungen.

Ohne frei­wil­li­ge Helfer*innen wür­de die Grund­ver­sor­gung der Men­schen voll­ends zusam­men­bre­chen. Tau­sen­de Frei­wil­li­ge haben sich 2015 auf den Weg nach Grie­chen­land gemacht, um Flücht­lin­ge mit dem Not­wen­digs­ten zu ver­sor­gen. Sie kom­men aus aller Welt – Euro­pa, aber auch aus Kana­da, den USA, Neu­see­land oder Aus­tra­li­en, und auch die loka­le grie­chi­sche Bevöl­ke­rung setzt sich ein.  Mobi­le Küchen­teams wie »Gren­zen­los Kochen Han­no­ver« oder »Aid Deli­very Mis­si­on« berei­ten Mahl­zei­ten für Tau­sen­de von Men­schen zu. Frei­wil­li­ge Helfer*innen ver­tei­len Klei­dung, Essen und Hygie­ne­be­darf oder bau­en Zel­te auf. Eine davon ist Lisa Thielsch. Sie war im ver­gan­ge­nen Herbst drei­ein­halb Wochen lang auf Les­bos aktiv. Anđel­ka Križa­no­vić hat mit ihr gesprochen.

Anđel­ka Križa­no­vić: Wie hast Du Dich ent­schie­den, nach Les­bos zu fahren?

Lisa Thielsch: In der Flücht­lings­hil­fe bin ich schon eine Wei­le aktiv. Aber die Bil­der von Les­bos und die Schlag­zei­len haben mich ein­fach nicht mehr los­ge­las­sen. Ich dach­te nur: Da musst du hin! Ich wuss­te, wenn ich nicht frü­her oder spä­ter dort­hin gehe, dass ich mir immer sagen wür­de: »Was wäre, wenn…« und »Ach, wärst du doch gegan­gen!« Trotz­dem war ich mir unsi­cher, ob ich dort über­haupt von Nut­zen bin, ich bin ja weder Ärz­tin noch Seel­sor­ge­rin. Also habe ich eine Mail an PRO ASYL geschrie­ben und die Ant­wort erhal­ten: Ja, es wür­den hän­de­rin­gend Leu­te gebraucht, zusam­men mit Tipps, an wen ich mich wen­den kann.

Am nächs­ten Tag war mein Flug gebucht. Zwei Wochen spä­ter saß ich im Flug­zeug. Ich hat­te mich dar­auf ein­ge­stellt, die Rei­se­kos­ten selbst zu tra­gen. Dann gaben mir ande­re Frei­wil­li­ge den Tipp mit dem Crowd­fun­ding. Von den posi­ti­ven Reak­tio­nen, dem Zuspruch und der Groß­zü­gig­keit der Men­schen um mich her­um war ich ein­fach über­wäl­tigt! Ich wäre zwar auch ohne die­se Hil­fe nach Les­bos gereist, aber ich hät­te es finan­zi­ell sehr viel mehr gespürt. So konn­te ich nicht nur mei­ne Rei­se­kos­ten decken, son­dern auch vor Ort Din­ge kau­fen, die im Klei­der­zelt benö­tigt wur­den. Oder auch Süßig­kei­ten für die Kinder.

Wie hast Du vor Ort Anschluss an die ande­ren Frei­wil­li­gen gefunden?

Die Hel­fer orga­ni­sie­ren sich haupt­säch­lich in Face­book-Grup­pen. Ich habe mich der Star­fi­sh Foun­da­ti­on in Moly­vos ange­schlos­sen. Mit ande­ren Frei­wil­li­gen habe ich mir ein Zim­mer geteilt, wir haben zusam­men ein Auto gemie­tet und wur­den von erfah­re­nen Hel­fern in die Abläu­fe ein­ge­wie­sen. Wir arbei­te­ten meis­tens in 8‑Stun­den-Schich­ten.

Wie war die Situa­ti­on an der Küste? 

Wenn ein Boot zu uns kam, war es davor in aller Regel in See­not gewe­sen. Die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che fuhr von Moly­vos aus aufs Meer und brach­te die Flücht­lin­ge mit dem Boot in den Hafen. Das bedeu­te­te, dass die Men­schen, die bei uns anka­men, oft­mals nas­se Klei­der hat­ten, ent­we­der weil das Boot mit Was­ser voll­ge­lau­fen war oder sie sogar ins Was­ser gefal­len waren. Zuerst unter­such­ten die Ärz­te, ob jemand ernst­haft ver­letzt war, dann wur­den die Flücht­lin­ge vor­re­gis­triert und dann konn­ten sie sich bei uns Essen und Klei­der holen. Dann hieß es für sie stun­den­lang war­ten auf Bus­se, die sie in das Regis­trie­rungs­camp Moria bringen.

»Wenn ein Boot zu uns kam, war es davor in aller Regel in See­not gewesen.«

Wie ging es den Flücht­lin­gen nach der Ankunft?

Vie­le waren unter­kühlt und fro­ren. Ich habe gleich am ers­ten Tag mit­ge­hol­fen, einem Kind die nas­sen Sachen zu wech­seln, weil sei­ne Mut­ter zu schwach dafür war. Man­che stan­den unter Schock, wuss­ten erst ein­mal nicht, ob sie wirk­lich in Euro­pa waren. Ande­re waren froh,  die Über­fahrt über­lebt und es nach Euro­pa geschafft zu haben. Dabei ste­hen die Men­schen, wenn sie in Grie­chen­land ankom­men, erst am Anfang. Sie haben noch lan­ge nicht Zuflucht gefun­den. Alle haben sich tau­send­mal bei uns bedankt. Sie sag­ten uns, dass sie zum ers­ten Mal wie Men­schen behan­delt wur­den. Eini­ge erzähl­ten, dass im Iran auf sie geschos­sen wur­de. Und in der Tür­kei sei es ihnen schlecht gegangen.

Wie ging es Dir in die­sen drei­ein­halb Wochen?

Ganz am Anfang war ich ner­vös. Ich dach­te, hof­fent­lich mache ich kei­ne Feh­ler! Bei der Klei­der­aus­ga­be tat es mir rich­tig leid, wenn ich für die Men­schen kei­ne Schu­he in der rich­ti­gen Grö­ße hat­te. Manch­mal hat­te ich völ­lig das Zeit­ge­fühl ver­lo­ren, weil um mich her­um so viel pas­sier­te. Ich war aber mit einem wirk­lich tol­len Frei­wil­li­gen­team unter­wegs, das mich dann auf­ge­fan­gen hat.

Wel­che Momen­te blei­ben Dir beson­ders in Erinnerung? 

Ein­mal haben wir Kis­ten mit Hygie­ne­ar­ti­keln und ande­ren nütz­li­chen Din­gen ver­teilt. Es ist wirk­lich toll, wie viel gespen­det wird und die strah­len­den Gesich­ter, wenn man jeman­dem Sei­fe oder Creme in die Hand gibt – oder einer allein rei­sen­den Frau mit Baby und Klein­kind eine Baby­tra­ge­ta­sche – das ist ein­fach unbe­zahl­bar! Ein­mal kam ein Mäd­chen zu mir und sag­te etwas auf Ara­bisch. Ich bat einen Hel­fer zu über­set­zen und er sag­te, dass sie gern Stif­te zum Malen und ein Mal­buch hät­te. Da ich wuss­te, dass wir so etwas im Zelt hat­ten, hol­te ich sie ihr. Wie sie dar­auf­hin strahl­te, wer­de ich nie vergessen!

»Ich bin froh, dass ich da war und vor Ort unge­schönt sehen konn­te, was in Grie­chen­land passiert.«

Habt Ihr als Frei­wil­li­ge mit­be­kom­men, was poli­tisch in Euro­pa los war?

Den EU-Deal mit der Tür­kei haben wir sofort gespürt. Von einem Tag auf den ande­ren kamen in Moly­vos plötz­lich kei­ne Boo­te mehr an. Vom Hören­sa­gen wuss­ten wir, dass die Men­schen auf tür­ki­scher Sei­te fest­sa­ßen und nicht rüber konn­ten, weil die Strän­de über­wacht wur­den. Wenn sie dann doch in die Boo­te stie­gen, wur­den sie auf See auf­ge­grif­fen und zurück­ge­bracht. Die Boo­te kamen ver­mehrt nachts oder in der Frü­he und sie lan­de­ten wei­ter im Süden, wo es zwar kei­ne Nacht­wa­che auf den Strän­den gab, aber die Stre­cke zwi­schen den bei­den Küs­ten viel län­ger war. Nach Grie­chen­land zu kom­men, wur­de für die Men­schen viel gefährlicher.

Was nimmst Du für Dich aus Les­bos mit?

Ich bin froh, dass ich da war und vor Ort unge­schönt sehen konn­te, was in Grie­chen­land pas­siert. Ich bin froh, dass ich zumin­dest  für eine kur­ze Zeit hel­fen konn­te. Eini­ge der Flücht­lin­ge, die ich auf Les­bos getrof­fen habe, habe ich hier in Deutsch­land wie­der­ge­se­hen. Sie haben es geschafft, es geht ihnen gut. Wir haben immer noch Kon­takt. Wenn es Zeit und Geld erlau­ben, wür­de ich wie­der nach Les­bos fahren.

Bleibst Du in der Flücht­lings­hil­fe aktiv?

Klar, das bin ich schon seit lan­gem. In mei­nem Hei­mat­ort Ofters­heim lei­te ich in einer Not­un­ter­kunft die Bil­dungs­ar­beit für Flücht­lin­ge und gebe dort Deutsch­kur­se. Wenn ich in Ofters­heim bin, bin ich jeden Tag in der Unter­kunft, manch­mal bis zu acht Stun­den am Tag. Da fra­gen die Secu­ri­ty-Leu­te schon mal: Mädel, willst du nicht auch mal nach Hau­se? Aber ich bin gern dort. Mir machen die Arbeit und der Kon­takt zu den Men­schen viel Spaß.

(Die­ser Text ist zuerst erschie­nen im Heft zum Tag des Flücht­lings 2016.)