03.03.2017
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Angesichts der hohen Zahl rassistischer Übergriffe sind zivilgesellschaftliche Statements besonders wichtig - wie hier bei den Menschenketten gegen Rassismus im Juni 2016. Foto: Ruben Neugebauer / Campact / cc by-nc-sa

Zehn fremdenfeindliche Straftaten am Tag – aber Attacken auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sind mittlerweile nur noch Randnotizen in der Öffentlichkeit. Auch die kürzlich veröffentlichten Zahlen haben nicht für den (dringend notwendigen) Aufschrei gesorgt. Umso wichtiger ist es, dass die Zivilgesellschaft nun deutliche Zeichen setzt!

Mehr als 3.500 größ­ten­teils rechts­extrem moti­vier­te Angrif­fe auf Geflüch­te­te, Flücht­lings­un­ter­künf­te oder Flücht­lings­hel­fer – das ist die trau­ri­ge Bilanz des Jah­res 2016, wie aus einer Ant­wort auf eine Klei­ne Anfra­ge im Bun­des­tag her­vor­geht. Die Dun­kel­zif­fer dürf­te dabei noch höher sein, da nicht jeder Fall den Behör­den bekannt wird.

Zahl der Anschläge auf Unterkünfte konstant hoch

Nach­dem es 2015 zu einem dra­ma­ti­schen Anstieg der Über­grif­fe auf Flücht­lings­un­ter­künf­te kam, bleibt die Zahl auch 2016 wei­ter­hin hoch. 988 Angrif­fe zähl­te das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (2015: 1.031), in über 100 Fäl­len davon han­delt es sich um Brand­an­schlä­ge, in einer Recher­che der taz aus dem Janu­ar wur­den 141 sol­cher Brand­stif­tun­gen doku­men­tiert, vie­le davon an bewohn­ten Flüchtlingsunterkünften.

Ins­ge­samt wur­den ver­gan­ge­nes Jahr 560 Men­schen bei flücht­lings­feind­li­chen Über­grif­fen ver­letzt, dar­un­ter 43 Kinder.

Jeden Tag mehrere direkte Angriffe auf Geflüchtete

In der Chro­nik flücht­lings­feind­li­cher Vor­fäl­le füh­ren die Ama­deu Anto­nio – Stif­tung und PRO ASYL auch tät­li­che Über­grif­fe auf Flücht­lin­ge auf. Für 2016 wur­den hier 384 sol­cher Kör­per­ver­let­zungs­de­lik­te pro­to­kol­liert – die Zah­len des BMI sind aber noch weit­aus dras­ti­scher: 2.545 Atta­cken auf Geflüch­te­te außer­halb ihrer Unter­künf­te wer­den dort aufgelistet.

2.545

direk­te Angrif­fe auf Schutz­su­chen­de – in nur einem Jahr.

Jeden Tag wer­den in Deutsch­land also meh­re­re Men­schen Opfer von ras­sis­ti­schen und frem­den­feind­lich moti­vier­ten Angrif­fen. Ins­ge­samt wur­den laut BMI 560 Men­schen bei die­sen Taten ver­letzt, dar­un­ter 43 Kinder.

Hin­zu kommt, dass auch immer häu­fi­ger Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen oder ehren­amt­li­che Flücht­lings­hel­fer zum Ziel von Atta­cken wer­den – allein das BMI spricht von 217 Fäl­len, auch hier dürf­te die tat­säch­li­che Zahl noch weit­aus höher sein, da nicht immer die Poli­zei infor­miert wird.

Wer so redet, braucht sich nicht wundern

So scho­ckiert manch Poli­ti­ker ange­sichts der Zah­len tun mag: Wun­dern soll­te man sich auch in den gro­ßen Par­tei­en nicht dar­über. Immer mehr fin­det Anti-Flücht­lings-Rhe­to­rik schließ­lich Ein­gang in den poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Dis­kurs, immer mehr Ver­ant­wor­tungs­trä­ger befeu­ern frem­den­feind­li­che Ressentiments.

Den Bür­gern wird sug­ge­riert, dass »der Flücht­ling« vor allem ein rie­si­ges Pro­blem ist, das man mög­lichst schnell wie­der los­wer­den muss. 

Das alte Sprich­wort »Wie man in den Wald hin­ein­ruft, so schallt es her­aus« passt hier wie die Faust aufs Auge – denn die Ver­ant­wort­li­chen belas­sen es nicht nur bei Worten:

Eine Asyl­rechts­ver­schär­fung nach der ande­ren, die stän­di­ge Debat­te über kon­se­quen­te­re Abschie­bun­gen, die Ver­brei­tung teils fal­scher Zah­len und Behaup­tun­gen auch aus Regie­rungs­krei­sen, die zuneh­men­de Abschot­tung an Euro­pas Außen­gren­zen – all das sug­ge­riert dem Bür­ger, »der Flücht­ling« wäre zunächst ein­mal ein rie­si­ges Pro­blem, das man mög­lichst schnell wie­der los­wer­den müsse.

Übergriffe im ganzen Land

Bei manch einem fällt das offen­bar auf frucht­ba­ren Boden, in eini­gen Gegen­den Deutsch­lands bil­den sich gar rechts­ter­ro­ris­ti­sche Zel­len wie die »Grup­pe Frei­tal« oder die »Old­school Socie­ty«. Rech­te Gewalt ist dabei aber kein Merk­mal ein­zel­ner Bun­des­län­der, wie auch die Über­sichts­kar­te der Initia­ti­ve »Rech­tes Land« zeigt.

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Screen­shot von der Sei­te »Rech­tes Land«, auf der die über 3.500 Angrif­fe auf Flücht­lin­ge 2016 lokal ver­or­tet werden.

Nicht umsonst pran­ger­te auch die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on »Amnes­ty Inter­na­tio­nal« in ihrem welt­wei­ten Report an, dass zu wenig Maß­nah­men gegen die vie­len Angrif­fe auf Flücht­lin­ge in Deutsch­land unter­nom­men wür­den und kri­ti­sier­te die immer wei­te­ren Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen in Deutschland.

Wir müssen was dagegen tun!

Ange­sichts von all der Het­ze und dem Hass mag manch einer ver­sucht sein, zu resi­gnie­ren. Dabei soll­te aber nie ver­ges­sen wer­den: Die­je­ni­gen, die gegen Flücht­lin­ge schrei­en, sie tät­lich angrei­fen, ihre Unter­künf­te anzün­den – sie sind in der Minderheit.

»Wir, die Gesamt­ge­sell­schaft, müs­sen lau­ter sein als die­je­ni­gen, die Hass ver­brei­ten und Res­sen­ti­ments schü­ren. Indem wir uns kla­rer posi­tio­nie­ren, recht­zei­tig empö­ren und wach­sam sind.«

Kübra Gümüşay, Jour­na­lis­tin und Bloggerin

Vom 13.–26. März fin­den die Inter­na­tio­na­len Wochen gegen Ras­sis­mus statt. Bei unzäh­li­gen Aktio­nen in ganz Deutsch­land gibt es die Gele­gen­heit, Gesicht zu zei­gen und ein Zei­chen zu set­zen! Ein Zei­chen, das gera­de jetzt drin­gend nötig ist, denn wie die Blog­ge­rin Kübra Gümüşay in ihrem Auf­ruf zur Teil­nah­me rich­tig sagt: »Wenn sich Men­schen für ihre ras­sis­ti­schen Äuße­run­gen nicht mehr schä­men, dann sind wir mit unse­rer Empö­rung zu spät dran.«