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Das Problem heißt Rassismus

Anlässlich der rassistischen Proteste in Marzahn-Hellersdorf gegen Asylsuchende hat die Asyldebatte neuen Schwung aufgenommen. Zwar haben sich mittlerweile viele Politikerinnen und Politiker klar zum Flüchtlingsschutz bekannt, doch das eigentliche Problem bleibt dabei oft unterbelichtet: die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen.
„Nein zum Heim“ – mit diesem Slogan mobilisieren seit Wochen Rechtsextremisten gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Marzahn-Hellersdorf. Ihre Hetze fällt offenbar bei vielen Anwohnerinnen und Anwohnern auf fruchtbaren Boden. Als diese Woche die ersten Flüchtlinge in die in einer leerstehenden Schule eingerichtete Notunterkunft einzogen, sahen sie sich rassistischen Drohungen ausgesetzt. Auch wenn zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer sich den rassistischen Protesten entschlossen entgegensetzen, bleibt die Lage angespannt. Einige Flüchtlinge verließen die Unterkunft aus Angst vor rassistischen Übergriffen. Nach einer Einschätzung des Berliner Flüchtlingsrats ist eine Unterbringung von Schutzsuchenden angesichts der bedrohlichen Atmosphäre derzeit nicht zu verantworten.
Auch in anderen Orten wird über die Errichtung von Asylbewerberunterkünften gestritten. Anlässlich dieser Debatten meldete sich auch die Bundespolitik zu Wort: CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sprach davon, man müsse „die Sorgen der Anwohner ernst nehmen“, die steigenden Asylbewerberzahlen dürften als Thema „nicht den Rechtspopulisten überlassen werden“. Darüber hinaus forderte er einen „Krisengipfel“ zum Thema Asyl.
Bosbachs Forderung nach einem Krisengipfel wurden unter anderem von Bundesinnenminister Friedrich zurückgewiesen, der seinen Sprecher dem Deutschlandfunk gegenüber ausrichten ließ, man bekenne sich uneingeschränkt zum Recht auf Asyl und dem Schutz vor Verfolgung. Dennoch weisen Bosbachs Äußerungen auf gefährliche Untiefen in der Debatte über die gestiegenen Flüchtlingszahlen hin. Aussagen, die die gestiegenen Flüchtlingszahlen zur Krise aufbauschen und rassistische Stimmungen als „Sorgen der Anwohner“ verharmlosen, suggerieren, das Problem seien die Flüchtlinge und nicht etwa die rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung. Das bestärkt rassistische Agitatoren und Gewalttäter.
Integration statt Ausgrenzung und Rassismus
Statt einer Diskussion, die die Flüchtlinge zum Problem erklärt, braucht es aus Sicht von PRO ASYL dringend eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland. Die staatliche Ausgrenzung von Schutzsuchenden durch die Unterbringung in oft maroden Sammelunterkünften, durch Arbeitsverbote, die Residenzpflicht und die Diskriminierung durch entwürdigende Sachleistungen stigmatisieren die Betroffenen und leisten rassistischen Vorurteilen Vorschub. PRO ASYL fordert daher neben fairen und zügigen Asylverfahren, dass Flüchtlingen in Deutschland vom ersten Tag an Integration und Partizipation ermöglicht werden muss – unter anderem durch die dezentrale Unterbringung in Wohnungen und den Zugang zu Deutsch- und Integrationskursen.
Situation in den Hauptherkunftsländern
Die bisherige auf Abschreckung zielende Asylpolitik ist nicht nur aus menschenrechtlicher Perspektive untragbar, sie funktioniert auch nicht. Bereits ein Blick auf die Hauptherkunftsländer zeigt, dass die Asylsuchenden nachvollziehbare und massive Fluchtgründe haben. In den nordkaukasischen Republiken der Russischen Föderation (Platz 1) kommt es fortlaufend zu schweren Menschenrechtsverletzungen. In Syrien (Platz 2) ist ein Ende des Bürgerkriegs, vor dem rund 2 Millionen Menschen ins Ausland geflohen sind, nicht in Sicht. Aus Afghanistan (Platz 3) und dem Irak (Platz 6) erreichen und täglich Nachrichten über Anschläge und Kämpfe. In Serbien (Platz 4) sind Roma und Angehörige anderer Minderheiten umfassender rassistischer Diskriminierung ausgesetzt, die häufig so weitreichend ist, dass den Betroffenen der Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu medizinischer Versorgung, Wohnungen, Arbeit und Bildung verwehrt wird. Aus dem Iran (Platz 5) fliehen fortlaufend Menschen vor Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen durch das islamistische Regime.
Hohe Schutzquote
Ein großer Teil der Asylsuchenden wird auch seitens des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als schutzbedürftig anerkannt: Bei den im ersten Halbjahr 2013 durch das BAMF getroffenen Fallentscheidungen wurde bei über 40 Prozent ein Schutzstatus zuerkannt. Da ein Teil der Asylverfahren von Asylsuchenden mit hohen Anerkennungschancen derzeit auf die lange Bank geschoben werden, ist davon auszugehen, dass fast jeder zweite Asylsuchende in Deutschland Schutz erhält. Schon allein die Tatsache, dass ein Großteil der Schutzsuchenden bleiben wird, legt die Schlussfolgerung nahe, dass Integration vom ersten Tag an sinnvoll ist.
Unterkunftsproblematik ist hausgemacht – und lösbar
Der derzeitige Mangel an Unterkünften für Asylsuchende suggeriert, die gestiegenen Asylbewerberzahlen nähmen ein problematisches Ausmaß an. Tatsächlich geht die Unterkunftsproblematik nicht einfach auf die gestiegenen Asylbewerberzahlen, sondern auf Planungsfehler der Behörden zurück, die sich bei der Planung der Aufnahmekapazitäten am historischen Tiefststand der Flüchtlingszahlen um das Jahr 2007 (19.164 Asylerstanträge) orientiert hatten. Auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen haben Bund, Länder und Kommunen zu spät reagiert. Der „Unterbringungsnotstand“ ist hausgemacht – damit aber auch eine lösbare Herausforderung.
Asylverfahren dauern zu lange
Die Asylverfahren dauern immer länger. Da die Asylsuchenden damit länger in Asylbewerberunterkünften bleiben müssen, verschärft dies das Unterkunftsproblem. Verantwortlich für die lange Dauer vieler Asylverfahren ist das Bundesinnenministerium. Als übergeordnete Behörde des BAMF muss es dafür sorgen, dass ausreichend Personal zur Verfügung steht, damit Asylgesuche fair und zeitnah geprüft werden können. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist in den letzten drei Quartalen von 3,6 Monaten auf neun Monate gestiegen. Da Asylgesuche aus Herkunftsstaaten mit angeblich geringen Anerkennungschancen in Schnellverfahren priorisiert werden, wird deshalb die Prüfung von Asylgesuchen mit relativ hohen Chancen auf Anerkennung immer wieder verschoben – mit Ausnahme der Asylgesuche aus Syrien, über die zeitnah entschieden wird (4,6 Monate im zweiten Quartal). Die durchschnittliche Asylverfahrensdauer bei anderen Herkunftsstaaten mit hohen Anerkennungschancen lag dagegen im zweiten Quartal 2013 bei weit über einem Jahr (Iran: 13,5 Monate; Afghanistan: 15,2 Monate; Pakistan: 15,9 Monate; Somalia: 18,8 Monate). Für die Betroffenen bedeuten die langen, für sie oft intransparenten Asylverfahren verlorene Jahre bangen Wartens in tristen, oft entlegenen Lagern, ohne Chancen auf Arbeit und Integration. Die Situation der Betroffenen ist alarmierend – und nicht der Anstieg der Flüchtlingszahlen.
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