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Im Bundestag wurde dem Rückführungsgesetz am 18.01 zugestimmt. Symboldbild: Thomas Trutschel / photothek

Das im Januar 2024 beschlossene sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz soll dafür sorgen, dass Menschen ohne Bleiberecht Deutschland schneller verlassen müssen. Es wird ein paar mehr Abschiebungen geben - vor allem aber deutlich mehr Grundrechtsverletzungen, rechtstaatlich fragwürdige Inhaftierungen und eine noch brutalere Abschiebungspraxis.

Und die als Gesetz­be­grün­dung ange­führ­te Ent­las­tung der Kom­mu­nen wird dadurch nicht erreicht wer­den. Wie aus einer Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Anfra­ge der Par­tei Die Lin­ke her­vor­geht, wur­den bis Ende Okto­ber 2023 13.500 Men­schen aus Deutsch­land abge­scho­ben. Laut Pres­se­mel­dun­gen waren es bis Ende des Jah­res knapp 16.500 Abschie­bun­gen. Das ist ein Anstieg um rund 3.500 oder 27 Pro­zent im Ver­gleich zu 2022.

Durch die restrik­ti­ven Rege­lun­gen im neu­en Gesetz sol­len noch mehr Men­schen abge­scho­ben wer­den, »damit wir wei­ter­hin unse­rer huma­ni­tä­ren Ver­ant­wor­tung für die Men­schen gerecht wer­den kön­nen, die wir vor Krieg und Ter­ror schüt­zen müs­sen ‑wie die 1,1 Mil­lio­nen Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne«, so Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser. Es wird also ein Zusam­men­hang her­ge­stellt zwi­schen teils über­las­te­ten kom­mu­na­len Struk­tu­ren und ver­meint­lich zu weni­gen Abschie­bun­gen. Ein sol­cher Zusam­men­hang besteht aber nicht, das zei­gen die Fakten.

Nur 58 Prozent der Ausreisepflichtigen sind abgelehnte Asylbewerber

Natür­lich gibt es die aus­rei­se­pflich­ti­gen, abge­lehn­ten Asyl­be­wer­ber, deren Abschie­bung durch das neue Gesetz ver­spro­chen wird: Ende Okto­ber 2023 leb­ten rund 251.000 aus­rei­se­pflich­ti­ge Men­schen in Deutsch­land, dar­un­ter 201.000 mit einer Dul­dung. Mit knapp 146.000 waren aller­dings nur 58 Pro­zent der Aus­rei­se­pflich­ti­gen auch abge­lehn­te Asyl­be­wer­ber. Oder anders gesagt: Rund 105.000 der Aus­rei­se­pflich­ti­gen in Deutsch­land haben nie einen Asyl­an­trag gestellt. Sie kön­nen also gar nicht Sün­den­bö­cke für eine ver­meint­lich gefähr­de­te huma­ni­tä­re Auf­nah­me­fä­hig­keit sein.

Bis Ende Dezem­ber ist die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen laut Pres­se­mel­dun­gen auf 243.000 gesun­ken, die Zahl der Gedul­de­ten auf 194.000. Wer nun ver­mu­tet, dass dies an der gestie­ge­nen Zahl der Abschie­bun­gen lie­gen könn­te und dass die­se Zah­len durch das soge­nann­te Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz noch deut­li­cher redu­ziert wer­den könn­ten, sieht sich aber  getäuscht.

Allein der Blick auf die häu­figs­ten Her­kunfts­län­der zeigt, dass der Ruf nach mehr Abschie­bun­gen vor allem Popu­lis­mus und in der Pra­xis kaum erfüll­bar ist.

Bisherige Reformen haben wenig gebracht

Bereits fünf Refor­men im Bereich Abschie­bun­gen seit 2015 haben das ver­spro­chen. Die Zahl der Abschie­bun­gen hat sich dadurch jedoch nicht signi­fi­kant erhöht und beweg­te sich bis 2020 im Bereich von 20.000 bis 25.000 jähr­lich, bis es pan­de­mie­be­dingt zu einem star­ken Rück­gang auf knapp 11.000 kam. Dass die Abschie­bungs­zah­len nicht wie­der auf dem Niveau von vor der Pan­de­mie oder sogar dar­über lie­gen, hat aller­dings nichts mit einer ver­meint­lich zu laschen Abschie­bungs­pra­xis oder zu wenig restrik­ti­ven Geset­zen zu tun. Es hat vor allem damit zu tun, dass es trotz abge­lehn­tem Asyl­an­trag in vie­len Fäl­len sehr gute Grün­de gibt, wes­halb Men­schen nicht in ihre Her­kunfts­län­der abge­scho­ben wer­den können.

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Die meis­ten Aus­rei­se­pflich­ti­gen und Gedul­de­ten kamen Ende Okto­ber 2023 aus dem Irak, aus Afgha­ni­stan, aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on, Nige­ria, der Tür­kei und Syri­en. Allein der Blick auf die­se Her­kunfts­län­der zeigt, dass der Ruf nach mehr Abschie­bun­gen vor allem Popu­lis­mus und in der Pra­xis kaum erfüll­bar ist, da die huma­ni­tä­re und men­schen­recht­li­che Lage in vie­len Län­dern Abschie­bun­gen schlicht nicht zulässt. Zudem gibt es in vie­len Fäl­len indi­vi­du­el­le Grün­de wie schwers­te Erkran­kun­gen, fami­liä­re Bin­dun­gen in Deutsch­land oder eine Berufs­aus­bil­dung. Die­se Grün­de machen zwar eine  Abschie­bung unmög­lich, die Men­schen blei­ben aber trotz­dem aus­rei­se­pflich­tig und damit in der Sta­tis­tik derer, die das Land ver­las­sen müssen.

>18.000

Men­schen mit einer Duldung

Nur wenigen wird mangelnde Kooperation vorgeworfen

Die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen ist in den ver­gan­ge­nen Jah­ren also weni­ger des­halb gestie­gen, weil sich Men­schen »nicht abschie­ben las­sen wol­len«. Dar­auf deu­tet auch die ver­gleichs­wei­se gerin­ge Zahl der Men­schen mit einer Dul­dung wegen unge­klär­ter Iden­ti­tät hin: Etwas mehr als 18.000 Men­schen haben die­se Dul­dung, weil ihnen von den Aus­län­der­be­hör­den man­geln­de Koope­ra­ti­on bei ihrer eige­nen Abschie­bung vor­ge­wor­fen wird – das sind nur neun Pro­zent der aus­rei­se­pflich­ti­gen Gedul­de­ten und ist damit ein ver­gleichs­wei­se gerin­ger Anteil.

Es ist also wenig ver­wun­der­lich, dass die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen und Gedul­de­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren immer wei­ter gestie­gen ist – von 204.000 Aus­rei­se­pflich­ti­gen Ende 2015 auf 304.000 Aus­rei­se­pflich­ti­ge Ende 2022. Bin­nen sie­ben Jah­ren hat sich die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen also um 100.000 oder fast 50 Pro­zent erhöht – der Viel­zahl an restrik­ti­ven Geset­zes­pa­ke­ten und fünf »Abschie­bungs­re­for­men« zum Trotz. Im Jahr 2023 kam es nun erst­mals wie­der zu einem Rück­gang die­ser Zah­len und zwar zu einem sehr deut­li­chen: Die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen sank um fast 62.000 auf weni­ger als 243.00, also um über 20 Pro­zent – wohl­ge­merkt bin­nen eines Jahres.

Effekt des Chancen-Aufenthaltsrechts

Die­ser deut­li­che Rück­gang steht ganz maß­geb­lich in Zusam­men­hang mit dem soge­nann­ten Chan­cen-Auf­ent­halts­recht, das seit Anfang 2023 in Kraft ist: Die­ses kön­nen Men­schen mit einer Dul­dung erhal­ten, wenn sie sich seit min­des­tens Ende Okto­ber 2017 in Deutsch­land auf­hal­ten und nicht wegen vor­sätz­li­cher Straf­ta­ten zu mehr als 50 Tages­sät­zen ver­ur­teilt wur­den sowie sich zur frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung bekennen.

Bis Ende Okto­ber 2023 haben fast 47.000 Men­schen die­sen Auf­ent­halts­ti­tel erhal­ten und sind damit nicht mehr aus­rei­se­pflich­tig. Die Chan­cen-Auf­ent­halts­er­laub­nis bedeu­tet für die Men­schen nach Jah­ren des unrecht­mä­ßi­gen Auf­ent­halts mit einer Dul­dung und des Damo­kles­schwerts der dro­hen­den Abschie­bung end­lich einen recht­mä­ßi­gen Auf­ent­halt. Sie ist 18 Mona­te gül­tig und beinhal­tet einen ver­ein­fach­ten Zugang zum Arbeits­markt oder zu län­ger­fris­ti­gen Arbeits­ver­trä­gen sowie bes­se­re Chan­cen auf dem Woh­nungs­markt. Letzt­end­lich sind dies also Begleit­um­stän­de, die für eine wirk­sa­me Ent­las­tung der Kom­mu­nen sor­gen können.

Freiwillige Ausreisen

Dass der stän­di­ge Blick auf die Abschie­bungs­zah­len und der ewi­ge Ruf nach mehr Abschie­bun­gen ohne­hin nur ein Teil der Rea­li­tät ist, zeigt auch der Blick auf die Zahl der soge­nann­ten »frei­wil­li­gen Aus­rei­sen«: 13.500 erzwun­ge­nen Aus­rei­sen durch Abschie­bun­gen bis Ende Okto­ber 2023 ste­hen laut poli­zei­li­cher Ein­gangs­sta­tis­tik der Bun­des­po­li­zei fast 24.000 Aus­rei­sen mit einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung gegen­über. Die Zahl der frei­wil­li­gen Aus­rei­sen über­steigt die Zahl der erzwun­ge­nen Aus­rei­sen also deut­lich, obwohl im Gegen­satz zu den Abschie­bun­gen nur ein Teil der frei­wil­li­gen Aus­rei­sen sta­tis­tisch erfasst wird.

Ohne­hin ist es höchst fahr­läs­sig, den Dis­kurs immer wei­ter nach rechts zu ver­schie­ben und den Blick vor allem auf Restrik­tio­nen und ver­mehr­te Abschie­bun­gen zu rich­ten. Der Blick der Poli­tik muss sich 2024 end­lich wie­der auf die Auf­nah­me und Inte­gra­ti­on der nach Deutsch­land flüch­ten­den Men­schen rich­ten. Dafür sind finan­zi­el­le Mit­tel, per­so­nel­le Res­sour­cen und gesetz­ge­be­ri­sche Ände­run­gen not­wen­dig. Nicht zuletzt eine Schutz­quo­te von fast 70 Pro­zent für Men­schen, deren Asyl­grün­de 2023 in Deutsch­land geprüft wur­den, legt nahe, dass die Schwer­punk­te anders gesetzt wer­den müssen.

Konflikte nehmen weltweit zu

Mehr Här­te bei Abschie­bun­gen mag zwar zu eini­gen Abschie­bun­gen mehr füh­ren – aller­dings zu einem sehr hohen Preis. Und sie schafft kei­ne Kita- oder Schul­plät­ze und baut kei­ne bezahl­ba­ren Woh­nun­gen, die aller­dings drin­gend not­wen­dig sind, da die meis­ten Men­schen, die in Deutsch­land Asyl suchen, hier blei­ben werden.

Ange­sichts welt­weit zuneh­men­der Kon­flik­te, die die Zahl der Flücht­lin­ge welt­weit auf ein neu­es Rekord­hoch hat stei­gen las­sen, wer­den Deutsch­land und Euro­pa sich auch künf­tig auf hohe Flücht­lings­zah­len ein­stel­len müs­sen. Wir müs­sen end­lich damit begin­nen, Flucht und Flücht­lin­ge in einer glo­ba­li­sier­ten Welt als Nor­ma­li­tät zu begrei­fen. Jeden­falls, wenn uns in Deutsch­land und Euro­pa die Men­schen­rech­te noch etwas wert sind und wir sie nicht dem rech­ten und spal­ten­den Dis­kurs opfern wollen.

(dmo)