23.02.2012
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Auch auf Hoher See müssen sich Staaten an Flüchtlings- und Menschenrechte halten. Italien hat das klar missachtet. Foto: flickr / rogiro

Der Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Italien wegen völkerrechtswidrigen Zurückweisungen nach Libyen.

Am 6. Mai 2009 wur­den über 200 eri­tre­ische und soma­li­sche Flücht­lin­ge auf dem Mit­tel­meer von der ita­lie­ni­schen Küs­ten­wa­che an Bord genom­men. Doch statt die Flücht­lin­ge, dar­un­ten auch Kin­der und schwan­ge­re Frau­en,  ans ita­lie­ni­sche Ufer zu brin­gen, brach­te sie die Schutz­su­chen­den nach Liby­en und lie­fer­te sie dem Gad­da­fi-Regime aus. Dage­gen reich­ten eini­ge der Betrof­fe­nen Beschwer­de vor dem Euro­päi­scher Men­schen­rechts­ge­richts­hof in Straß­burg (EGMR) ein. Beschwer­de­füh­rer sind der Flücht­ling aus Soma­lia Sabir Jamaa Hir­si sowie 10 wei­te­re soma­li­sche und 13 eri­tre­ische Flüchtlinge.

Am 23. Febru­ar 2012 hat der EGMR Ita­li­en wegen umfas­sen­der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ver­ur­teilt. Erst­mals hat der EGMR über die Fra­ge der Zurück­wei­sung von Flücht­lin­gen auf Hoher See ent­schie­den. Die Zurück­wei­sung nach Liby­en  durch die ita­lie­ni­sche Küs­ten­wa­che stellt einen Bruch der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on dar.

Mit dem Straß­bur­ger Urteil steht nun fest: Die Aus­lie­fe­rung der Flücht­lin­ge an das Gad­da­fi Regime, wo sie Fol­ter und  unmensch­li­chen Haft­be­din­gun­gen erlei­den muss­ten, war unrecht­mä­ßig. Der EGMR hat Ita­li­en auf gan­zer Linie ver­ur­teilt und die Ver­let­zung von fun­da­men­ta­len Prin­zi­pi­en fest­ge­stellt. Die Zurück­wei­sung der Flücht­lin­ge nach Liby­en stellt eine Ver­let­zung von Arti­kel 3 Euro­päi­scher Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on dar: „Nie­mand darf der Fol­ter oder unmensch­li­cher oder ernied­ri­gen­der Behand­lung oder Stra­fe unter­wor­fen wer­den“. Wei­ter­hin sieht er eine Ver­let­zung des Ver­bots der Kol­lek­tiv­aus­wei­sung als gege­ben an. Außer­dem wur­de  das Recht auf einen wirk­sa­men Rechts­be­helf verletzt.

Das Urteil wird fol­gen­rei­che Kon­se­quen­zen für die EU-Mit­glied­staa­ten, die Insti­tu­tio­nen und die  EU- Grenz­agen­tur FRONTEX haben. Die Ver­ant­wor­tung der Staa­ten, die Men­schen­rech­te zu beach­ten, endet nicht an den Gren­zen. Die Staa­ten kön­nen nicht die Men­schen­rech­te über Bord wer­fen, wenn sie sich außer­halb ihrer Ter­ri­to­ri­en bewe­gen und gegen Flücht­lin­ge vor­ge­hen. Wer­den soge­nann­te vor­ver­la­ger­te Grenz­kon­trol­len vor­ge­nom­men , also Kon­trol­len auf Hoher See, müs­sen auch dabei die Men­schen­rech­te der Flücht­lin­ge voll und ganz beach­tet werden.

PRO ASYL hat die Kla­ge der Flücht­lin­ge mit Mit­teln aus dem PRO ASYL-Rechts­hil­fe­fonds unterstützt.

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