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Das Gegenteil von Verbesserungen: Das neue Rückführungsgesetz verschlimmert die Lage
Während sich in Deutschland allerorten Menschen zu Tausenden über die Deportationspläne der extremen Rechten empören und auf die Straße gehen, hat der Bundestag das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen, mit dem Ausweisungen, Abschiebungen, Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam drastisch verschärft werden. Jetzt ist es in Kraft.
Im Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung eine Reihe positiver Maßnahmen vorgesehen, ganz im Sinne des versprochenen »Neuanfangs in der Migrationspolitik«. So wollte sie etwa subsidiär Schutzberechtigte beim Familiennachzug mit anerkannten Flüchtlingen gleichstellen und versprach, dass beim Elternnachzug zu minderjährigen Flüchtlingen minderjährige Geschwister nicht zurückbleiben müssten.
Einseitige Verlegung auf eine »Rückführungsoffensive«
Umgesetzt hat sie all diese längst überfälligen Regelungen nicht. Stattdessen hat sich die Bundesregierung unter dem Druck von rechts ganz ihrem ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigten Ziel einer »Rückführungsoffensive« verschrieben. Sie hat diesen Diskurs sogar selbst mit befeuert, allen voran Olaf Scholz, der sich im Oktober 2023 mit dem Satz »Wir müssen endlich im großen Stil abschieben« auf der Titelseite des Spiegels zitieren ließ.
Etwa zur gleichen Zeit kam aus dem Bundesinnenministerium, das bereits im August 2023 einen ersten Diskussionsentwurf mit gleicher Zielrichtung verfasst hatte, ein offizieller Entwurf für das Rückführungsverbesserungsgesetz. Trotz massiver Kritik aus Verbänden und Interessenvertretungen – darunter auch PRO ASYL – hielt die Bundesregierung an ihrem Vorhaben fest. Im November folgte deren Gesetzentwurf und noch am 18. Januar 2024 ein Änderungsantrag sämtlicher Fraktionen der Ampel, ehe das Gesetz noch am selben Tag beschlossen wurde. Am 27. Februar 2024 ist das Gesetz in Kraft getreten.
PRO ASYL gibt einen Überblick über die schwerwiegendsten Verschärfungen und die wenigen Verbesserungen für geflüchtete Menschen.
Ausweitung der maximalen Dauer des Ausreisegewahrsams
Das Gesetz enthält in erster Linie ausufernde Verschlimmerungen im Bereich von Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft. Am augenfälligsten ist die annähernde Verdreifachung der Dauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage. Hierzu muss man wissen, dass die Anordnung von Ausreisegewahrsam – anders als Abschiebungshaft – nicht einmal eine Fluchtgefahr erfordert. Der Ausreisegewahrsam kann etwa schon dann angeordnet werden, wenn Ausreisepflichtige die ihnen gesetzte Frist zur Ausreise um mehr als 30 Tage überschreiten oder wenn sie bei einer – auch geringfügigen – Überschreitung der Ausreisefrist irgendwann einmal ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sind.
Die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams wird nun bereits zum zweiten Mal ausgedehnt: Bei seiner Einführung im Jahre 2015 betrug sie nur vier Tage, im Jahre 2017 wurde sie mit dem »Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« – auch bekannt als »Hau-Ab-Gesetz« – auf zehn Tage erhöht. Dass die maximale Dauer jetzt mit 28 Tagen fast verdreifacht wird, zeigt deutlich, dass diese zeitliche Ausdehnung der Freiheitsentziehung völlig unverhältnismäßig ist. Begründet wird dies allein damit, dass die bisherige Dauer von zehn Tagen für »den praktischen Vollzug« durch die Ausländerbehördenregelmäßig zu kurz« sei. Betroffenen wird also allein aufgrund der ineffektiven Tätigkeit der Ausländerbehörden die Freiheit entzogen.
Abschiebungshaft künftig auch während eines Asylverfahrens möglich
Änderungen gibt es mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz auch für die Abschiebungshaft. So wird die maximale Haftdauer der Abschiebungshaft von drei auf sechs Monate verlängert. Zudem galt bisher, dass bei Stellung eines Asylerstantrages keine Abschiebungshaft angeordnet werden durfte. Nur, wenn Antragsteller*innen sich bereits in Haft befanden und erst dann einen Asylantrag stellten, stand die Antragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft nicht entgegen. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass sich Menschen, die sich bereits in Abschiebungshaft befinden, dieser durch einen missbräuchlich gestellten Asylantrag mit dem dadurch ausgelösten Bleiberecht entziehen und untertauchen können.
Mit dem neuen Rückführungsverbesserungsgesetz gilt aber nun, dass zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung Abschiebungshaft auch dann angeordnet werden kann, wenn Betroffene sich zuvor noch nicht in Haft befanden. Das bedeutet aber, dass letztlich jede*r Schutzsuchende – selbst wenn umgehend nach Einreise der Asylantrag gestellt wird und damit der Vorwurf einer missbräuchlichen Asylantragstellung völlig fern liegt – in Abschiebungshaft genommen werden kann. Denn Schutzsuchende können – mangels legaler Fluchtwege – regelmäßig nicht erlaubt in das Bundesgebiet einreisen und sind infolge der unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Damit erfüllen sie aber bereits den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
Auch Fluchtgefahr, ein weiterer Grund für Abschiebungshaft, könnte bei diesem Personenkreis oft angeführt werden: Beispielsweise gelten die Aufwendung nicht unerheblicher Geldbeträge für Schleuser (§ 62 Abs. 3b Nr. 2 AufenthG) und das Nichtvorhandensein von Identitätsdokumenten samt der Vermutung, die betroffene Person habe diese absichtlich vernichtet (§ 62 Abs. 3a Nr. 1 AufenthG), gesetzlich als Anhaltspunkte für Fluchtgefahr.
Mehr Menschen müssen in Haft
Asylfolgeanträge standen bisher der Anordnung von Abschiebungshaft dann entgegen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in einer dem eigentlichen Asylfolgeverfahren vorgelagerten Prüfung zu dem Ergebnis kam, dass ein neues Asylverfahren durchzuführen ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das BAMF zu der Erkenntnis gelangt, dass sich seit dem Erstverfahren die Verhältnisse im Herkunftsstaat maßgeblich zum Nachteil von Antragstellenden geändert haben und damit eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ihrem Asylfolgeantrag stattzugeben sein wird. Doch auch in diesen Fällen ist künftig die Anordnung von Abschiebungshaft möglich.
Es ist zu befürchten, dass die genannten Regelungen dazu führen, dass eine Vielzahl von Erst- und Folgeantragsteller*innen für die Dauer ihres Asylverfahrens in Haft bleiben müssen. Abgesehen davon, dass der Freiheitsentzug ungerechtfertigt ist, sind die Betroffenen mit den damit verbundenen Hürden konfrontiert: Ihnen fehlt der Zugang zu einer Asylverfahrensberatung und die Kontaktaufnahme und die Kommunikation mit Rechtsbeiständen aus der Haft heraus gestaltet sich – auch aufgrund der regelmäßig fehlenden Sprachkenntnisse, wegen derer zusätzlich Sprachmittler*innen erforderlich sind – außerordentlich schwierig.
Erfolg: Gericht muss Rechtsbeistand bestellen
Einziger Lichtblick im Dunkeln: Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz kommt eine Regelung, nach welcher Menschen, die in Abschiebungshaft genommen werden, stets ein*e Verteidiger*in zur Seite gestellt werden muss. Das mit der Abschiebungshaftsache befasste Gericht hat diese*n von Amts wegen für die Dauer des Verfahrens zu bestellen. Diese Regelung ähnelt der Pflichtverteidigung im Strafrecht nach den Paragrafen 140 und 141 der Strafprozessordnung.
Diese Pflichtverteidigung ist eine langjährige Forderung des auf Abschiebungshaftsachen spezialisierten Rechtsanwalts Peter Fahlbusch aus Hannover, die auch PRO ASYL gemeinsam mit anderen Verbänden und Interessengruppen immer wieder an den Gesetzgeber herangetragen hat. Diese Regelung ist sehr zu begrüßen, da das Abschiebungshaftrecht eine sehr komplexe Materie darstellt und Menschen in Abschiebungshaft meist nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um sich eine*n Verteidiger*in leisten zu können. Dass eine Pflichtbeiordnung von Rechtsbeiständen während Abschiebungshaft nötig ist, ergibt sich außerdem daraus, dass sich die Anordnung der Abschiebungshaft validen Schätzungen zu Folge in etwa 50 Prozent der Fälle als rechtswidrig erweist.
Durchsuchungen der Zimmer von Mitbewohner*innen von Abzuschiebenden
Im Juni 2023 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Zimmer in Erstaufnahmeeinrichtungen als Wohnung im Sinne des Artikel 13 Grundgesetz (GG) anzusehen sind und entsprechenden Schutz genießen. Spitzfindig kommt das Bundesverwaltungsgericht aber in der Entscheidung zu dem Ergebnis, dass es sich lediglich um ein »Betreten« und nicht um eine »Durchsuchung« handelt, wenn es um einen kleinen, überschaubaren Raum geht und es darin keines »ziel- und zweckgerichteten Suchens« der abzuschiebenden Person bedarf. Eine »Durchsuchung« würde dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG unterliegen und damit einer richterlichen Anordnung bedürfen. So aber setzt diese Maßnahme nur voraus, dass das Betreten »zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung« erforderlich ist – wovon das Gericht bereits ausgeht, wenn es darum geht, die Abschiebung durchzuführen. Der von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betroffene Kläger hat mit Unterstützung von PRO ASYL und der Gesellschaft für Freiheitsrechte Verfassungsbeschwerde eingereicht, die noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.
Doch das neue Gesetz geht noch weiter: In Gemeinschaftsunterkünften ist dem künftig nicht nur das Betreten des Zimmers der abzuschiebenden Person selbst, sondern auch das Betreten von Zimmern anderer unbeteiligter Personen erlaubt, um der abzuschiebenden Person habhaft zu werden. Dabei wird von den Prämissen aus der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausgegangen, also dass es sich auch hier nicht um eine »Durchsuchung« handelt, die wegen Art. 13 Abs. 2 GG einer richterlichen Anordnung bedürfte.
In Teilen verfassungswidrig
Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht das Betreten des Zimmers der gesuchten Person als von Art. 13 Abs. 7 GG gedeckt und verhältnismäßig ansieht, heißt dies noch lange nicht, dass dies auch für das Betreten des Zimmers eines oder einer unbeteiligten Dritten gilt. Aus Sicht von PRO ASYL überwiegt hier klar das Schutzinteresse Betroffener an der Unverletzlichkeit der Wohnung, die ein hohes verfassungsrechtliches Gut darstellt, das öffentliche Interesse an der Durchführung der Abschiebung.
Hinzu kommt: In Fällen, in denen die Polizei zunächst das Zimmer der abzuschiebenden Person betritt und – weil sie diese dort nicht antrifft – sich sodann in die Zimmer von unbeteiligten Mitbewohner*Innen begibt, liegt kein bloßes »Betreten«, sondern ein »ziel- und zweckgerichtetes Suchen« und damit eine »Durchsuchung« vor, die dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG unterliegt. Da die mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz getroffene Regelung keine solche richterliche Anordnung voraussetzt, hält PRO ASYL sie für verfassungswidrig.
Vereinfachung von nächtlichen Abschiebungen
Gerade in Kombination mit der Möglichkeit, die Zimmer unbeteiligter Personen zu betreten, stellt sich die ebenfalls eingeführte Erleichterung des Betretens von Wohnraum auch zur Nachtzeit umso gravierender dar. Bislang galt, dass nachts (zwischen 21 Uhr und 6 Uhr) eine Wohnung nur betreten oder durchsucht werden durfte, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung der gesuchten Person zum Zwecke der Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Eine solche »Tatsache« kann beispielsweise darin bestehen, dass die abzuschiebende Person im Schichtdienst oder früh morgens – etwa als Bäcker – tätig ist und sie deshalb nur zur Nachtzeit in ihrer Wohnung anzutreffen ist.
Gesetzlich festgelegt ist demgegenüber seit jeher, dass die Organisation der Abschiebung keine solche Tatsache ist. Wohnungen dürfen also nicht etwa aus der Erwägung heraus zur Nachtzeit betreten oder durchsucht werden, weil Ausländerbehörde oder Polizei meinen, so leichter der ganzen abzuschiebenden Familie habhaft werden zu können. Für diese Ausnahme in Bezug auf die Organisation der Abschiebung ist jetzt eine Rückausnahme eingeführt worden für »Rahmenbedingungen, die durch die Abschiebung durchführende Behörde nicht beeinflusst werden können«. Gemeint sind beispielsweise Abflugzeiten von Flugzeugen oder Bedingungen von Zielstaaten, wonach diese abgeschobene Menschen nur bis zu einer bestimmten Uhrzeit entgegennehmen.
Besonders für Kinder traumatisch
Es wird so also in Zukunft noch mehr nächtliche Abschiebungen geben als bisher. Die deutsche Nationale Stelle zur Verhütung von Folter rät explizit davon ab, Abholungen für Abschiebungen nachts durchzuführen. Insbesondere wenn Kinder betroffen sind, für die die Abholung zur Nachtzeit zu Traumata führen könne, sei eine Abschiebung zur Nachtzeit ausnahmslos zu unterlassen.
Auch wird schon jetzt in der Rechtsprechung die Bedeutung des Art. 13 GG hervorgehoben und betont, dass eine Abholung zur Nachtzeit ungleich stärker in die Rechtssphäre Betroffener eingreift (vergleiche VG Köln, Beschluss vom 04.03.2021, 5 I 3/21). Daher ist äußerst fraglich, ob die durch das Rückführungsverbesserungsgesetz eingefügte Rückausnahme noch verhältnismäßig ist.
Ausweitung überfallartiger Abschiebungen ohne Ankündigung
Verschlechterungen gibt es auch bei der Ankündigung von Abschiebungen. Abschiebungen von in Haft befindlichen Personen werden künftig gar nicht mehr angekündigt. Bislang galt hier, dass eine Ankündigung mindestens eine Woche vorher erfolgen sollte.
Für Menschen, die über ein Jahr geduldet waren, galt bislang sogar, dass eine Abschiebung zwingend mindestens einen Monat früher angekündigt werden musste. Auch diese Ankündigung entfällt mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz, eine Ausnahme ist nur noch für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren vorgesehen.
Abschiebungen von in Haft befindlichen Personen werden künftig gar nicht mehr angekündigt.
Der Wegfall der Ankündigung ist für Betroffene äußerst belastend. Die Ankündigung sollte dazu dienen, dass Ausreisepflichtige sich vorbereiten konnten. Nur im Falle einer Ankündigung kann noch Abschied vom familiären und sozialen Umfeld, von Arbeitskolleg*innen und Mitschüler*innen genommen werden. Auch sind beispielsweise Wohnung, Arbeit und Versicherungen zu kündigen sowie Konten aufzulösen. Vorbereitungen für die Ankunft im Zielstaat der Abschiebung können ebenfalls nur im Falle einer Fristsetzung getroffen werden. Minderjährige Kinder müssen auf eine Abschiebung vorbereitet werden, sollen sie durch diese nicht traumatisiert werden. Diesbezüglich erscheint die Altersgrenze von zwölf Jahren, unterhalb derer weiterhin eine Ankündigung zu erfolgen hat, willkürlich und ist auch nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar, die alle Menschen unter 18 Jahren als Kinder definiert und gleich schützt.
Auslesen und Auswerten von Daten wird ausgeweitet
Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz ist das Auslesen von Cloud-Diensten und Datenträgern einschließlich mobiler Endgeräte wie beispielsweise Smartphones stets zulässig, wenn Asylantragsteller*innen nicht im Besitz eines gültigen Passes sind. Die Betroffenen sind verpflichtet, Zugangsdaten zum Auslesen der Daten zur Verfügung zu stellen. Für das Auslesen der Daten ist keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgesehen, eine solche besteht nur im zweiten Schritt, also für das Auswerten der gesammelten Daten. Nur dort ist nach dem Willen des Gesetzgebers zu prüfen, ob der Zweck der Maßnahme in Gestalt der Klärung von Identität und Staatsangehörigkeit nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann.
Das BAMF ist gesetzlich dazu angehalten, massenhaft Daten sammeln, selbst wenn sie unnötig sind oder nicht ausgewertet werden dürfen, nur weil Betroffene keinen gültigen Pass haben.
Das BAMF ist also gesetzlich dazu angehalten, massenhaft Daten zu sammeln, obwohl es diese möglicherweise gar nicht benötigt oder sie im Falle des Bestehens milderer Mittel gar nicht auswerten darf, nur, weil Betroffene nicht über einen gültigen Pass verfügen. Ein milderes Mittel kann beispielsweise die Auswertung anderer Dokumente wie Personalausweise, Führerscheine oder Geburtsurkunden sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Möglichkeit, Identität und Staatsangehörigkeit auch durch derlei Dokumente nachzuweisen, ausdrücklich anerkannt.
Sehr persönliche Daten werden ausgelesen
Unter den Daten befinden sich gerade im Falle von Smartphones oft sehr persönliche und intime wie private Chats über Messenger-Dienste wie Whatsapp oder E‑Mails. Selbstverständlich greift daher immer schon das Auslesen massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein, weshalb eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eigentlich unerlässlich ist.
Begründet wurde die Möglichkeit zum Auslesen besagter Daten im Gesetzgebungsverfahren damit, dass so im Rahmen der Abläufe der Asylverfahren die größtmögliche Wahrscheinlichkeit eines Vorhandenseins von relevanten Daten bestehe. Diese Begründung unterstellt Asylantragsteller*innen letztlich pauschal, ihre Daten nach der Asylantragstellung zu vernichten.
Strafbarkeit falscher Angaben im Asylverfahren
Bislang waren falsche Angaben im Asylverfahren nicht mit Strafe bedroht. Künftig drohen eine Geldstrafe oder sogar bis zu drei Jahre Haft, wenn unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht oder genutzt werden, um eine Anerkennung im Asylverfahren zu erreichen oder deren Rücknahme oder Widerruf abzuwenden.
Damit droht zugleich eine Kriminalisierung von Beratungsstellen und Asylrechtsanwält*innen als mögliche Mittäter*innen. Diesen wird letztlich abverlangt, das von den Antragsteller*innen vorgetragene Verfolgungsschicksal auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen, was schon angesichts der für die Beratung zur Verfügung stehenden knapp bemessenen Zeit schlicht unmöglich ist.
Kriminalisierung von Seenotretter*innen
Bislang galt, dass strafrechtlich nur verfolgt werden konnte, wer Menschen gegen Geldleistungen oder einen anderen eigenen Vorteil dazu verhalf, irregulär die europäischen Außengrenzen zu überqueren. Strafbar machen sich also bisher gewerbsmäßige Schleuser, die sich ihre Dienste teuer bezahlen lassen.
Der ursprüngliche Entwurf für das Rückführungsverbesserungsgesetz sah demgegenüber Strafe auch für alle Fälle vor, in denen die Hilfe zum Grenzübertritt ohne einen solchen Vorteil »wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern« erfolgt. Dies hätte nach zutreffender Auffassung dazu geführt, dass künftig auch Seenotretter*innen, die Geflüchteten unentgeltlich helfen, eine europäische Außengrenze zu überqueren, stets hätten strafrechtlich verfolgt werden können.
Absurde Regelung zur Rettung auf See von Kindern
Mit dem schon erwähnten Änderungsantrag sämtlicher Fraktionen der Ampel vom 18. Januar 2024 wurde der Versuch unternommen, durch eine Eingrenzung in § 96 Abs. 4 AufenthG auf die »Einreise auf dem Landweg« die Strafbarkeit der Rettung Schiffbrüchiger zu vermeiden. Indessen wurde dabei die Bezugnahme auf den Qualifikationstatbestand des Absatzes 2 dieser Norm nicht von dieser Einschränkung umfasst – dieser hat unter anderem die unentgeltliche Hilfeleistung bei der irregulären Einreise mehrerer unbegleiteter Minderjähriger zum Gegenstand.
Dies hat nach einer Einschätzung der Jurist*innen Vera Magali Keller und David Werdermann zur Folge, dass es ausgerechnet dann, wenn es um die Rettung mehrerer unbegleiteter Kinder und Jugendlicher geht, bei der Strafbarkeit der Seenotrettung bleibt. Wörtlich heißt es in dieser Einschätzung hierzu: »Auf den in Seenot befindlichen Booten befinden sich regelmäßig Personen unter 18 Jahren, die ohne ihre Eltern oder sonstige sorgeberechtigte Personen fliehen mussten. Der Änderungsvorschlag führt demnach zu der absurden Konstellation, dass volljährige Personen gerettet werden dürften, die Rettung von Minderjährigen jedoch mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren kriminalisierbar ist.«
»Der Änderungsvorschlag führt demnach zu der absurden Konstellation, dass volljährige Personen gerettet werden dürften, die Rettung von Minderjährigen jedoch mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren kriminalisierbar ist.««
Längere Wartezeit für finanzielle und medizinische Leistungen
Eine weitere Verschärfung findet sich im Rückführungsverbesserungsgesetz in Bezug auf die öffentlichen Leistungen für Geflüchtete nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Galt bislang eine Wartezeit von 18 Monaten, bis sie ungekürzte Leistungen und uneingeschränkte Gesundheitsversorgung bekamen, wurde diese Wartedauer nun auf drei Jahre verdoppelt.
Die bislang geltende Wartezeit wurde mit der damaligen durchschnittlichen Dauer von Asylverfahren einschließlich Gerichtsverfahren begründet, während derer Geflüchtete noch keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt in Deutschland hätten. In der Gesetzesbegründung wird nun vorgerechnet, wie sich diese Dauer auf 31 Monate erhöht habe. Hinzugerechnet wird außerdem die durchschnittliche Dauer anschließender aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Falle eines erfolglosen Asylverfahrens.
Grundrecht auf Existenzminimum wird verletzt
Ganz abgesehen davon, dass Geflüchtete sowieso unter der überlangen Dauer von behördlichem und gerichtlichem Asylverfahren leiden, werden sie nun zudem mit einer Ausdehnung der Zeit bestraft, in der sie nur geringere Leistungen beanspruchen können. Die Ausdehnung dürfte auch mit ziemlicher Sicherheit verfassungswidrig sein und das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzen.
Das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, dass die Leistungseinschränkungen nur vorübergehend sein dürfen, und hat dies im Jahr 2012 bei einer damaligen Dauer von vier Jahren verneint. Auch bei einem Zeitraum von drei Jahren kann von einer vorübergehenden Leistungseinschränkung keine Rede sein.
Es ist auch ein Skandal, dass die Bundesregierung eine solche Verschärfung gesetzlich umsetzt und es gleichzeitig unterlässt, eine vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestufte Schlechterstellung von Alleinstehenden in Sammelunterkünften abzuschaffen. Das widerspricht auch dem Koalitionsvertrag, in dem versprochen wurde, das Asylbewerberleistungsgesetz im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Das müsste aus Sicht von PRO ASYL und 200 weiteren Organisationen konsequent heißen, das ganze Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen!
(pva)