News
Das Chancen-Aufenthaltsrecht kommt
Endlich kommt es, das Chancen-Aufenthaltsrecht. Für viele ist dies nach Jahren der Duldung eine Chance für einen sicheren Aufenthalt – auch wenn die Gefahr des Rückfalls in die Duldung besteht. Auf den letzten Metern wurde der Stichtag verschoben und das Aufenthaltsrecht verlängert. Doch für diese Verbesserungen gibt es Nachteile für Jugendliche.
Am Freitag soll es endlich soweit sein: Das Chancen-Aufenthaltsrecht steht im Bundestag zur Abstimmung. Bis Anfang nächsten Jahres könnte es dann noch in Kraft treten und mehreren Tausend Menschen nach Jahren in der Duldung Hoffnung auf einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland geben. Letzte Verhandlungen und Druck aus der Zivilgesellschaft haben zu wichtigen Verbesserungen beim Chancen-Aufenthaltsrecht geführt, die jedoch grundsätzliche Konstruktionsfehler nicht beheben. Außerdem gibt es an anderen Stellen im Gesetz neue Verschärfungen, die gut integrierten Jugendlichen die Möglichkeit zum Bleiberecht stehlen könnten.
Im Koalitionsvertrag versprach die Ampel-Koalition Ende 2021, der bisherigen Praxis der Kettenduldungen mit einem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht entgegenzuwirken. Der Gesetzgebungsprozess zur Umsetzung dieses Vorhabens geht erst jetzt seinem Ende entgegen. Es zeigt sich: Die Bundesregierung setzt ihr Versprechen nur höchst unzureichend um.
In ihrem am 7. Dezember 2021 verabschiedeten Koalitionsvertrag kündigte die Regierungskoalition an:
»Der bisherigen Praxis der Kettenduldungen setzen wir ein Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen: Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen (insbesondere Lebensunterhaltssicherung und Identitätsnachweis gemäß §§ 25 a und b AufenthG)«
Stichtag wird verschoben – doch das reicht zur Abschaffung von Ketten-Duldungen nicht
Im Innenausschuss des Bundestages am 29. November haben die Politiker*innen nun wichtige Änderungen beschlossen:
Der ursprünglich für den 1. Januar 2022 angesetzte Stichtag wurde auf den 31. Oktober 2022 verschoben. Damit können nunmehr auch all jene, die erst zu diesem späteren Zeitpunkt einen fünfjährigen Voraufenthalt in Deutschland vorweisen können, das Chancen-Aufenthaltsrecht unter seinen weiteren Voraussetzungen erwerben. Auch wird das Chancen-Aufenthaltsrecht von einem Jahr auf 18 Monate verlängert.
Das ist zwar eine positive Wendung. Eine der wichtigsten Forderungen von PRO ASYL in der Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf war aber, dass die Regelung gänzlich ohne Stichtag auskommen sollte, sodass auch künftig Menschen, sobald sie seit fünf Jahren in Deutschland leben und sich im Status der Duldung befinden, von dem Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren können.
Auf diese Weise wäre das Chancen-Aufenthaltsrecht verstetigt worden und es hätte eine dauerhafte Abkehr von Kettenduldungen erreicht werden können. Diese Chance hat der Gesetzgeber vertan. Das bedeutet, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht nur einmal der Praxis der Erteilung von Kettenduldungen etwas entgegensetzt – und es danach weiter gehen kann wie zuvor. Dabei hatte die Regierung im Koalitionsvertrag versprochen, Kettenduldungen abzuschaffen.
Das bedeutet, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht nur einmal der Praxis der Erteilung von Kettenduldungen etwas entgegensetzt – und es danach weiter gehen kann wie zuvor.
Hoher Preis für neuen Stichtag
Die Verschiebung des Stichtages auf den 31. Oktober 2022 hat zudem einen hohen Preis: Die FDP hat im Gegenzug eine restriktive Änderung des § 25a Aufenthaltsgesetz durchgesetzt. Die Bleiberechtsregelung des § 25a Aufenthaltsgesetz dient– wie schon die gesetzliche Überschrift belegt – dazu, gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden (künftig: jungen Erwachsenen) gerade wegen der in Deutschland erbrachten Integrationsleistungen ein Bleiberecht zu gewähren. Verlangt § 25a Aufenthaltsgesetz neben Integrationsleistungen wie beispielsweise einen erfolgreichen Schulbesuch bislang einen vierjährigen (künftig: dreijährigen) erlaubten, geduldeten oder gestatteten Aufenthalt im Bundesgebiet und nur im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis den Besitz einer Duldung, müssen die jungen Leute nun eine weitere Voraussetzung erfüllen: Sie müssen künftig in dem der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangehenden ein Jahr durchweg geduldet sein.
Selbst wenn ein Jugendlicher also beispielsweise bereits länger als die verlangte Voraufenthaltszeit ein Asylverfahren durchlaufen hat und in dieser Zeit gestattet war, soll der bloße Wechsel in den geduldeten Aufenthalt mit der Ablehnung des Asylantrags oder der Beendigung des Asylprozesses nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss er zuerst noch eine Mindestduldungszeit von einem Jahr erreichen.
Behörden bekommen mehr Zeit für Abschiebungen
Hintergrund dieser Forderung – der die Koalitionspartner SPD und Grüne nachgegeben haben – ist, dass die Ausländerbehörden so nach Asylverfahren und gegebenenfalls Asylprozess ein Jahr lang Gelegenheit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen erhalten, ehe die Bleiberechtsregelung greifen kann. Das heißt: Ein Jahr mehr, in dem die jungen Menschen in der Angst leben müssen, abgeschoben zu werden. Nur wenn es potentiell Begünstigte schaffen, diesen Zeitraum zu überbrücken, ohne dass sie abgeschoben werden, sollen sie ein sicheres Bleiberecht erhalten.
Die FDP begründet dies damit, dass »falsche Anreize« vermieden werden sollen – freilich ohne zu benennen, wozu genau keine falschen Anreize geschaffen werden sollen. Zur Durchführung eines Asylverfahrens? Zu einer Klage im Falle der Ablehnung eines Asylantrags, weil sich mit dem Gerichtsverfahren zugleich die Dauer des Aufenthalts in Deutschland verlängert? Eine solche Annahme missbräuchlicher Klageerhebung widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen.
Selbstverständlich muss abgelehnten Asylbewerber*innen der Klageweg offenstehen, um Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gerichtlich überprüfen zu lassen. Dafür spricht auch die hohe Erfolgsquote vor Gericht: Im ersten Halbjahr 2022 gaben die Gerichte in 40 Prozent der Entscheidungen den Geflüchteten Recht und hoben die negative Entscheidung des Bundesamtes auf.
Neue Regelung im § 25a Aufenthaltsgesetz: Integration wird erschwert
Nimmt man den Ansatz des § 25a Aufenthaltsgesetz, jungen Menschen gerade wegen der von ihnen erbrachten Integrationsleistungen ein Bleiberecht zu gewähren, ernst, darf der weitere Aufenthalt in Deutschland nicht mehr davon abhängig gemacht werden, dass es ihnen gelingt, erst noch ein den Ausländerbehörden für aufenthaltsbeendende Maßnahmen eröffnetes Zeitfenster zu überbrücken. Dies ist vielmehr schädlich für die Integration, da die betroffenen jungen Menschen über die besagte Dauer in dauernder Angst vor Abschiebungen leben müssen. Dieses Damoklesschwert macht es ihnen noch viel schwerer als bisher, Integrationsleistungen wie einen erfolgreichen Schulbesuch fortzusetzen.
Potenziell von dem Chancen-Aufenthaltsrecht Begünstigte
In ihrem Gesetzentwurf – in dem als Stichtag noch vom 1. Januar 2022 ausgegangen wird – prognostizierte die Bundesregierung, dass nur 98.000 Menschen (oder 40 Prozent der Gesamtheit aller zum 31.12.2021 Geduldeten) einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht stellen werden. Weiter ging die Bundesregierung davon aus, dass von diesen Antragsteller*innen lediglich 33.000 Personen nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe und deren Ablauf nach einem Jahr tatsächlich die Voraussetzungen auch für ein dauerhaftes Bleiberecht nach § 25a oder § 25b Aufenthaltsgesetz erfüllen würden. Nach dieser Prognose würden also nur 14 Prozent aller Geduldeten den Sprung vom Chancen-Aufenthaltsrecht in ein dauerhaftes Bleiberecht schaffen, die übrigen würden mithin wieder in den Status der Duldung zurückgefallen.
Wie stark sich dies durch die Verschiebung des Stichtags auf den 31. Oktober 2022 und die Verlängerung der Gültigkeit des Chancen-Aufenthaltsrechts von einem Jahr auf 18 Monate verbessern wird, ist schwer zu beziffern. Die Gefahr bleibt, dass viele Menschen nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht die Anforderungen an ein Bleiberecht, insbesondere die verlangte Identitätsklärung und weitgehende Sicherung des Lebensunterhalts, nicht erfüllen und zurück in die Duldung fallen.
Zähe Gesetzgebung beim Chancen-Aufenthaltsrecht
Das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht wurde in den letzten Monaten mehrfach verzögert. Zunächst verging fast ein halbes Jahr, ehe am 7. Mai 2022 ein erster Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts veröffentlicht wurde, es folgte die Beteiligung der Verbände. Fast drei Monate später, am 5. August 2022, legte die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf vor. Wiederum fast vier Monate später fand kürzlich am Montag, 28. November, eine Sachverständigenanhörung statt. Nach der Tagung des Innenausschusses des Bundestages am Dienstag soll das Gesetz zur Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts am Freitag in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beschlossen werden. Im Anschluss wird der Bundesrat dann am 16. Dezember über das Gesetz abstimmen. Wenn alles gut geht, wird das Gesetz schließlich voraussichtlich am 1. Januar 2023 – also erst über ein Jahr nach seiner Ankündigung und genau ein Jahr nach dem ursprünglich avisierten Stichtag 1. Januar 2022 – in Kraft treten.
(pva)