27.05.2022
Image
Momo in seiner Heimat Hamburg. Foto: Bubbles Films

PRO ASYL hat eine Kampagne zum Bleiberecht gestartet: #RechtAufZukunft. Ziel ist es, auf die prekäre Situation geduldeter Menschen aufmerksam zu machen, denen die Abschiebung droht. Für sie fordert PRO ASYL gemeinsam mit Unternehmen wie Ben & Jerry’s und IKEA ein dauerhaftes Bleiberecht.

Moham­mad Jaf­fa­ri heißt der jun­ge Mann mit dem strah­len­den Lachen, doch sei­ne Freun­de nen­nen ihn Momo. Und Freun­de hat er vie­le in Deutsch­land. Der gebür­ti­ge Ira­ner ist in sei­ner Hei­mat zum Chris­ten­tum kon­ver­tiert und wur­de nach dem heim­li­chen Besuch einer Haus­kir­che von fünf Män­nern nie­der­ge­sto­chen. In einer Not­ope­ra­ti­on ret­te­ten die Ärz­te ihm das Leben, wor­auf­hin er sich ent­schied, sein Land zu verlassen.

2015 ist Momo nach Deutsch­land geflüch­tet und gilt hier als einer, der sich vor­bild­lich inte­griert hat. In Ham­burg macht er eine Aus­bil­dung zum Erzie­her, ist ehren­amt­lich tätig als Coach für Kin­der und Jugend­li­che, die Rap und Break­dance ler­nen wol­len, und rappt selbst in der Grup­pe »Rap­fu­gees« – auch mit Tex­ten, die sich kri­tisch mit der Regie­rung in sei­nem Her­kunfts­land beschäf­ti­gen. Momo, der flie­ßend Deutsch spricht, liebt sei­nen Job und sein neu­es Leben in Frei­heit. »Deutsch­land ist mein Zuhau­se gewor­den«, sagt er. Doch die­ses Deutsch­land will ihn nicht.

YouTube

Mit dem Laden des Vide­os akzep­tie­ren Sie die Daten­schutz­er­klä­rung von You­Tube.
Mehr erfah­ren

Video laden

»Die­ses Gefühl, dass man hier nie ankommt, dass man die gan­ze Zeit wie ein Blatt in der Luft schwebt, ist ziem­lich erbärmlich.«

Momo

Wie die gleich­na­mi­ge Haupt­fi­gur in dem bekann­ten Roman von Micha­el Ende kämpft Momo gegen die Zeit und die »grau­en Her­ren«, die die­se steh­len. Die grau­en Her­ren, das sind Deutsch­lands Büro­kra­ten, die fin­den: Sei­ne Zeit in Deutsch­land ist abge­lau­fen. Obwohl der 29-Jäh­ri­ge als Christ und Regime­geg­ner im Iran mit Fol­ter oder Tod rech­nen muss, will ihm das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge kei­nen Schutz gewäh­ren. Er lebt mit einer Dul­dung und könn­te täg­lich abge­scho­ben wer­den. Momo wünscht sich sehn­lichst, end­lich die Sicher­heit zu haben, in Deutsch­land blei­ben zu dür­fen. »Die­ses Gefühl, dass man hier nie ankommt, dass man die gan­ze Zeit wie ein Blatt in der Luft schwebt, ist ziem­lich erbärm­lich«, sagt er.

100.000

Men­schen hät­ten nach den Vor­ha­ben im Koali­ti­ons­ver­trag die Chan­ce auf ein Blei­be­recht – aber müs­sen sich immer noch vor der Abschie­bung fürchten.

Rund 200.000 Geflüchtete leben in ständiger Angst vor der Abschiebung

So wie Momo geht es vie­len Men­schen in Deutsch­land: Rund 200.000 Geflüch­te­te leben in stän­di­ger Angst, abge­scho­ben zu wer­den. In vie­len Fäl­len sind es gut inte­grier­te Män­ner und Frau­en – mehr als 100.000 von ihnen haben nach dem Koali­ti­ons­ver­trag eigent­lich die Chan­ce dar­auf, hier blei­ben zu dür­fen. Doch tat­säch­lich schie­ben die Aus­län­der­be­hör­den jetzt noch Men­schen ab, denen die Bun­des­re­gie­rung bereits die Chan­ce auf eine siche­re Zukunft ver­spro­chen hat.

Damit die­ses Ver­spre­chen end­lich ein­ge­löst wird, hat PRO ASYL die Kam­pa­gne #Recht­Auf­Zu­kunft gestar­tet. Gemein­sam mit Unter­neh­men for­dern wir, dass die Abschie­bun­gen gestoppt wer­den, bis das neue Gesetz in Kraft tritt. Zu den Erst­un­ter­zeich­nern des PRO ASYL-Auf­rufs zählt der Eis­her­stel­ler Ben & Jerry’s sowie der Möbel­rie­se Ikea. Auch die Unter­neh­mer­initia­ti­ve Bay­ern, fritz-kola und Betrie­be wie Bäcke­rei­en und Braue­rei­en haben sich ange­schlos­sen. Sie alle fin­den: Die bis­he­ri­ge poli­ti­sche Linie gegen­über Men­schen mit Dul­dung wird einem moder­nen Ein­wan­de­rungs­land nicht gerecht.

Con­stan­ze Klotz, Grün­de­rin und Geschäfts­füh­re­rin des Ham­bur­ger Tex­til­un­ter­neh­men Bridge & Tun­nel, das eben­falls zu den Erst­un­ter­zeich­nern zählt, erklärt: »Seit sechs Jah­ren beschäf­ti­gen wir in unse­rer Tex­til­pro­duk­ti­on Men­schen, deren Hei­mat­land nicht Deutsch­land ist. Die hier Fuß gefasst und sich ange­strengt haben, die alte Welt zurück­zu­las­sen und die neue zu umar­men. Jede Abschie­bung gefähr­det unser Unter­neh­men, aber raubt unse­rer Gesell­schaft vor allem ein Stück Vielfalt.«

Und Lud­wig Neu­lin­ger von der Münch­ner Bio­bä­cke­rei Neu­lin­ger sagt: »In unse­rer Bäcke­rei arbei­ten Men­schen aus 25 Natio­nen. Vie­le von ihnen kamen aus Kri­sen­ge­bie­ten als Flüch­ten­de zu uns. Wir haben sehr posi­ti­ve Erfah­run­gen mit die­sen Mit­ar­bei­tern gemacht. Ich könn­te und möch­te mei­nen Betrieb ohne die­se vie­len enga­gier­ten und ambi­tio­nier­ten Mit­ar­bei­ter nicht mehr füh­ren. Des­we­gen unter­stüt­ze ich die Initia­ti­ve von PROASYL mit Leib und Seele.«

»Jede Abschie­bung gefähr­det unser Unter­neh­men, aber raubt unse­rer Gesell­schaft vor allem ein Stück Vielfalt!«

Con­stan­ze Klotz, Bridge & Tunnel

Die Regierung will das Bleiberecht ändern – doch ein Gesetz gibt es noch nicht

Die Ampel-Koali­ti­on sieht in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag vor dass Men­schen, die seit fünf Jah­ren in Deutsch­land leben, die Chan­ce auf dau­er­haf­ten Auf­ent­halt erhal­ten sol­len. Ein soge­nann­tes Chan­cen-Auf­ent­halts­recht auf Pro­be soll für die Dau­er eines Jah­res gel­ten und Men­schen, die nicht straf­fäl­lig gewor­den sind und sich zur frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung beken­nen, die Mög­lich­keit ver­schaf­fen, wäh­rend die­ser Zeit die Vor­aus­set­zun­gen für ein per­ma­nen­tes Blei­brecht zu erfüllen.

Dar­über hin­aus sol­len gut inte­grier­te Jugend­li­che nach § 25a Auf­enthG künf­tig bereits nach drei anstatt wie bis­lang erst nach vier Jah­ren gedul­de­ten Auf­ent­halts in Deutsch­land ein Blei­be­recht erhal­ten kön­nen und den dies­be­züg­li­chen Antrag bis zum Abschluss des 27. anstatt wie bis­her nur bis zum Abschluss des 21. Lebens­jah­res stel­len kön­nen. Und: Beson­de­re Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen Gedul­de­ter sol­len im Rah­men des § 25b Auf­enthG dadurch gewür­digt wer­den, dass die­sen in Zukunft bereits nach sechs anstatt wie aktu­ell noch nach acht Jah­ren ein Blei­be­recht zu Teil wer­den soll. Per­so­nen mit min­der­jäh­ri­gen ledi­gen Kin­dern sol­len das Blei­be­recht nach die­ser Vor­schrift künf­tig schon nach vier statt wie bis­her erst nach sechs Jah­ren erwer­ben können.

Doch weil die Geset­ze noch nicht ent­spre­chend geän­dert wur­den, wer­den jetzt noch Men­schen abge­scho­ben, die von den ange­kün­dig­ten Ver­bes­se­run­gen pro­fi­tie­ren würden.

Image
Men­schen, die lan­ge hier leben, haben ein #Recht­Auf­Zu­kunft. Hier die For­de­rung auf einer Demo in Ber­lin. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Die ständige Angst als täglicher Begleiter

Zu ihnen zählt auch Nafii Minachi. »Jede Per­son hier in Deutsch­land, die eine Dul­dung hat, hat kein rich­ti­ges Leben«, sagt er. Der psy­chi­sche Druck und die stän­di­ge Angst sind sei­ne täg­li­chen Beglei­ter. Nafii lebt seit sie­ben Jah­ren in Deutsch­land, er hat einen Voll­zeit­ver­trag in einem Restau­rant als Fah­rer und Küchen­hel­fer. Bereits 2016 enga­gier­te er sich als Flücht­lings­hel­fer und Dol­met­scher bei der Dia­ko­nie. »Mein Leben ist hier. Wenn sie mich in mei­ne Hei­mat abschie­ben, weiß ich nicht, was dort auf mich war­tet. Die Abschie­bung ist immer in mei­nem Kopf. Ich habe Angst davor, denn das kann jeden Tag pas­sie­ren.« Eine Ände­rung des Blei­be­rechts ver­spricht ihm die Chan­ce, dau­er­haft zu blei­ben. Doch bis sie gül­tig ist, kann er jeden Tag alles verlieren.

Eine Ände­rung des Blei­be­rechts ver­spricht Nafii die Chan­ce, dau­er­haft zu blei­ben. Doch bis sie gül­tig ist, kann er jeden Tag alles verlieren.

YouTube

Mit dem Laden des Vide­os akzep­tie­ren Sie die Daten­schutz­er­klä­rung von You­Tube.
Mehr erfah­ren

Video laden

Es gibt Wege, um das auch schon vor der not­wen­di­gen Geset­zes­än­de­rung zu ver­hin­dern: Mit einer soge­nann­ten Vor­griffs­re­ge­lung kön­nen die Innen­mi­nis­te­ri­en der Bun­des­län­der dafür sor­gen, dass jene, die künf­tig Anspruch auf das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht hät­ten, nicht mehr abge­scho­ben wer­den. In Rhein­land-Pfalz, Schles­wig-Hol­stein, Bre­men, Thü­rin­gen und Nie­der­sach­sen gibt es bereits eine sol­che Rege­lung. Das ist auch in allen ande­ren Bun­des­län­dern nötig – und eine Kern­for­de­rung von PRO ASYL und sei­nen Part­nern zur bevor­ste­hen­den Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz kom­men­de Woche.

»Wir for­dern die Innenminister*innen der Bun­des­län­der auf: Es braucht eine Vor­griffs­re­ge­lung! Wei­sen Sie die Aus­län­der­be­hör­den an, schon jetzt nie­man­den abzu­schie­ben, der von den bal­di­gen Neu­re­ge­lun­gen pro­fi­tie­ren wür­de«, heißt es in dem Appell. Unter­stützt wer­den kann die For­de­rung, indem eine E‑Mail an das jeweils zustän­di­ge Innen­mi­nis­te­ri­um im eige­nen Bun­des­land ver­sen­det wird.

Für Momo, Nafii und all die ande­ren von dro­hen­der Abschie­bung betrof­fe­nen Men­schen – von denen PRO ASYL eini­ge bei­spiel­haft hier vor­stellt – geht es um alles. Es geht um ihr Recht auf Zukunft!

(er)