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Das Gebäude der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex. Foto: European Union, 2019

Fabrice Leggeri stand bereits seit langer Zeit in der Kritik. Der Druck stieg zuletzt insbesondere durch Ermittlungen des EU-Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) sowie aufgrund von Investigativrecherchen europäischer Medien zu illegalen Pushbacks mit Frontex-Beteiligung. Doch bei seinem Rücktritt allein darf es nicht bleiben.

Das ver­flix­te sieb­te Jahr – auch Fabri­ce Leg­ge­ri kann nun ein Lied davon sin­gen. Am ver­gan­ge­nen Frei­tag bot der bis­he­ri­ge Chef der Euro­päi­schen Agen­tur für die Grenz- und Küs­ten­wa­che (Fron­tex), der seit Janu­ar 2015 im Amt war, sei­nen Rück­tritt an. Der Ver­wal­tungs­rat von Fron­tex bestä­tig­te die­sen noch am glei­chen Abend.

Die EU-Agen­tur Fron­tex mit Sitz in War­schau wur­de 2004 gegrün­det, um den euro­päi­schen Grenz­schutz zu koor­di­nie­ren und die Mit­glieds­staa­ten bei der immer wei­ter fort­schrei­ten­den Abschot­tung der EU-Außen­gren­zen zu unter­stüt­zen. Fron­tex wird mit EU-Gel­dern finan­ziert und steht inzwi­schen sinn­bild­lich für den unmensch­li­chen Umgang mit Men­schen an unse­ren Grenzen.

Der Rück­tritt Leg­ge­ris war kei­ne ech­te Über­ra­schung und längst über­fäl­lig. Vor­aus­ge­gan­gen waren die Berich­te eines Unter­su­chungs­aus­schus­ses im EU-Par­la­ment zu Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Gren­zen und zuletzt die umfas­sen­den Recher­che des SPIEGEL und wei­te­rer euro­päi­scher Medi­en, wel­che die Ver­wick­lun­gen von Fron­tex in ille­ga­le Zurück­wei­sun­gen an den EU-Außen­gren­zen offen­bar­ten. Bis zuletzt hat­te die Agen­tur die Betei­li­gun­gen immer wie­der abge­strit­ten und trotz erdrü­cken­der Beweis­la­ge behaup­tet, kei­ne Kennt­nis über die völ­ker­rechts­wid­ri­gen Push­backs gehabt zu haben.

»Es ist skan­da­lös, dass der Direk­tor einer EU-Behör­de Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen jah­re­lang ver­tusch­te, Bewei­se mani­pu­lier­te und teils selbst an schwers­ten Straf­ta­ten betei­ligt war und damit unge­scho­ren davon kam«

Karl Kopp, Lei­ter der Euro­pa-Abtei­lung von PRO ASYL.

Jahrelange Praxis

Dass Fron­tex über Jah­re Berich­te fäl­schen und die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen decken konn­te, ist auch der Tat­sa­che geschul­det, dass füh­ren­de Politiker*innen die Wahr­heit über die Situa­ti­on an den Außen­gren­zen nicht wahr­ha­ben oder bewusst ver­schlei­ern wol­len und seit lan­gem auf Abschot­tung set­zen. Die EU hat Fron­tex über Jah­re mas­siv auf­ge­baut und mit immer weit­rei­chen­de­ren Befug­nis­sen aus­ge­stat­tet. Das Bud­get wur­de fort­lau­fend erhöht, auf aktu­ell rund 750 Mil­lio­nen Euro, und auch die Anzahl an Mitarbeiter*innen und eige­nen Ein­satz­kräf­ten wur­de ste­tig ausgeweitet.

Seit Jah­ren doku­men­tie­ren PRO ASYL und Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen vor Ort die Eska­la­ti­on an den EU-Außen­gren­zen: Grie­chi­sche Beam­te set­zen Men­schen auf Ret­tungs­boo­ten im Mit­tel­meer aus, die mit EU-Mit­teln finan­ziert wur­den. Kroa­ti­sche Poli­zis­ten prü­geln Geflüch­te­te mit Schlag­stö­cken, gekauft von euro­päi­schen Steu­er­gel­dern. Gegen das EU-Mit­glieds­land Ungarn lau­fen diver­se Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren wegen der ille­ga­len Zurück­wei­sung von Schutzsuchenden.

Nur die Spitze des Eisbergs

Der Rück­tritt des Fron­tex-Direk­tors reicht aber nicht aus, er darf nur ein ers­ter Schritt bei der Refor­mie­rung der Grenz­schutz­agen­tur sein. Für einen wirk­li­chen Neu­an­fang bedarf es weit­aus mehr. Die Agen­tur darf in Zukunft nicht mehr völ­lig intrans­pa­rent und im Ver­bor­ge­nen agie­ren, sie muss demo­kra­tisch und par­la­men­ta­risch kon­trol­liert wer­den. Dafür braucht es eine unab­hän­gi­ge Über­wa­chung von Fron­tex, um sicher­zu­stel­len, dass die EU-Behör­de im Ein­klang mit dem Völ­ker­recht und der EU-Grund­rech­te­char­ta agiert. Und das immense Bud­get muss zuguns­ten einer See­not­ret­tungs­mis­si­on redu­ziert wer­den, bestehen­de Macht­kom­pe­ten­zen müs­sen zurück­ge­schraubt werden.

Neben der Ver­tu­schung und dem Mani­pu­lie­ren von Bewei­sen ist die Grenz­schutz­agen­tur auch aktiv an Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen betei­ligt. So trägt Fron­tex etwa durch die Luft­über­wa­chung dazu bei, Flücht­lings­boo­te im Mit­tel­meer zu erken­nen und über­mit­telt Echt­zeit­da­ten an die soge­nann­te »liby­sche Küs­ten­wa­che«. In der Fol­ge wer­den die flüch­ten­den Men­schen in die Fol­ter- und Ver­ge­wal­ti­gungs­la­ger Liby­ens zurück­ge­schickt. Leg­ge­ris Rück­tritt muss zum Anlass genom­men wer­den, all das nun offen auf den Tisch zu bringen!

Über­wa­chungs­mis­si­on im Mit­tel­meer: Durch die Luft­über­wa­chung sam­melt Fron­tex Koor­di­na­ten zu Flücht­lings­boo­ten und gibt die­se an die soge­nann­te liby­sche Küs­ten­wa­che wei­ter. Foto: © Euro­päi­sche Uni­on 2015
Über­wa­chungs­mis­si­on im Mit­tel­meer: Durch die Luft­über­wa­chung sam­melt Fron­tex Koor­di­na­ten zu Flücht­lings­boo­ten und gibt die­se an die soge­nann­te liby­sche Küs­ten­wa­che wei­ter. Foto: © Euro­päi­sche Uni­on 2015
Über­wa­chungs­mis­si­on im Mit­tel­meer: Durch die Luft­über­wa­chung sam­melt Fron­tex Koor­di­na­ten zu Flücht­lings­boo­ten und gibt die­se an die soge­nann­te liby­sche Küs­ten­wa­che wei­ter. Foto: © Euro­päi­sche Uni­on 2015
Über­wa­chungs­mis­si­on im Mit­tel­meer: Durch die Luft­über­wa­chung sam­melt Fron­tex Koor­di­na­ten zu Flücht­lings­boo­ten und gibt die­se an die soge­nann­te liby­sche Küs­ten­wa­che wei­ter. Foto: © Euro­päi­sche Uni­on 2015
Über­wa­chungs­mis­si­on im Mit­tel­meer: Durch die Luft­über­wa­chung sam­melt Fron­tex Koor­di­na­ten zu Flücht­lings­boo­ten und gibt die­se an die soge­nann­te liby­sche Küs­ten­wa­che wei­ter. Foto: © Euro­päi­sche Uni­on 2015

Aktuelle Studie als Chance für Neuanfang

Die am 4. Mai von der Stif­tung PRO ASYL und ande­ren ver­öf­fent­lich­te Stu­die » Fea­si­bi­li­ty Stu­dy on the set­ting up of a robust and inde­pen­dent human rights moni­to­ring mecha­nism at the exter­nal bor­ders of the Euro­pean Uni­on« ist genau vor dem Hin­ter­grund der beschrie­be­nen Ent­wick­lun­gen an den EU-Außen­gren­zen ent­stan­den. Sie macht deut­lich, dass die erheb­li­che Aus­wei­tung der Befug­nis­se und Mit­tel für Fron­tex auf Kos­ten der Ach­tung der Grund­rech­te von Flücht­lin­gen geht, die die Außen­gren­zen der EU zu über­schrei­ten versuchen.

Die Stu­die unter­sucht Kri­te­ri­en und Grund­sät­ze, die zu einer wirk­sa­men Men­schen­rechts­über­wa­chung an den Gren­zen bei­tra­gen soll­te. Zum Bei­spiel die Unab­hän­gig­keit der Über­wa­chungs­stel­len, ihr ange­mes­se­nes Man­dat, ihre Finan­zie­rung und ihre Befug­nis­se sowie eine trans­pa­ren­te Kom­mu­ni­ka­ti­on. Das Ergeb­nis kann somit als Basis für kon­kre­te Hand­lungs­emp­feh­lun­gen dienen.

(jo/lse)