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Im "Transitbereich" zwischen meterhohen Zäunen: Flüchtlinge an der Grenze zur spanischen Exklave Melilla. Foto: Prodein / José Palazon

Die Bundesregierung plant, sogenannte Transitzonen an den deutschen Grenzen einzuführen. Sie sollen Flüchtlinge an der Einreise nach Deutschland hindern, ihre Aussichten auf Asyl sollen in Schnellverfahren abgearbeitet werden. Ähnliche Modelle gibt es bereits – mit erschreckenden Konsequenzen.

Der Gesetz­ent­wurf zur „Umset­zung des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems“, der neu gefass­te Asyl-Richt­li­ni­en der EU umset­zen soll, sieht die Ein­füh­rung eines „Grenz­ver­fah­rens“ vor (§ 18b Asyl­ge­setz). Durch die Rege­lung sol­len Asyl­an­trä­ge auf ihre Zuläs­sig­keit an den Land­gren­zen geprüft wer­den, sofern Grenz­kon­trol­len in Über­ein­stim­mung mit dem Schen­ge­ner Grenz­ko­dex durch­ge­führt wer­den. Die euro­pa­recht­li­che Rege­lung aus Art. 43 der Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie ermög­licht zwar die Ein­füh­rung von Tran­sit­zo­nen. Jedoch hat die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on deut­lich gemacht, dass die­ses Ver­fah­ren vor­ran­gig für die Außen­gren­zen­staa­ten der EU ange­dacht ist.

In Ungarn, aber auch in den spa­ni­schen Enkla­ven Ceu­ta und Mel­il­la, gibt es bereits ähn­li­che Ver­fah­ren. Ein Blick auf die Pra­xis dort zeigt, wel­che Fol­gen Grenz­kon­trol­len in Tran­sit­zo­nen haben können.

Ungarn: Schnell­ver­fah­ren an der Grenze

In Ungarn konn­ten die prak­ti­schen Aus­wir­kun­gen von Tran­sit­zo­nen in die­sem Som­mer beob­ach­tet wer­den, die unse­re Part­ner vom Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Comit­tee (HHC) in einem Bericht doku­men­tiert haben. Durch die Asyl­ver­schär­fun­gen vom 4. Sep­tem­ber 2015 errich­te­te die Regie­run­gen Tran­sit­zo­nen in Röszke und Tom­pa, die maxi­mal 60 Meter von der Gren­ze ent­fernt sind und wo Asyl­ver­fah­ren durch­ge­führt werden.

Am 15./16. Sep­tem­ber wur­de ledig­lich 185 Asyl­su­chen­den der Zugang zur Tran­sit­zo­ne gewährt, die rest­li­chen Tau­sen­den Flücht­lin­ge blie­ben vor den Zäu­nen in einem „Nie­mands­land“ gefan­gen, men­schen­un­wür­di­ge Zustän­de waren die Folge.

Gefan­gen im „Nie­mands­land“

Der recht­li­che Sta­tus der Tran­sit­zo­nen ist unklar. Die Regie­rung sprach gegen­über Medi­en­ver­tre­tern davon, es hand­le sich nicht um unga­ri­sches Staats­ge­biet, son­dern um „Nie­mands­land“. Das Kal­kül liegt auf der Hand: Push Backs nach Ser­bi­en sol­len nicht als völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sung dekla­riert wer­den. Die Bestim­mung extra­ter­ri­to­ria­ler „Tran­sit­zo­nen“ wider­spricht inter­na­tio­na­lem Recht grund­le­gend. Amnes­ty Inter­na­tio­nal kri­ti­siert die­se Pra­xis in ihrem neu­en Ungarn-Bericht scharf.

Kein rechts­staat­li­ches Asylverfahren

Das Asyl­ver­fah­ren in den Tran­sit­zo­nen weist laut dem HHC erheb­li­che rechts­staat­li­che Pro­ble­me auf. Teil­wei­se wur­den Ent­schei­dun­gen in weni­ger als einer Stun­de gefällt. Bei der Unzu­läs­sig­keit des Asyl­be­geh­rens wer­den die Schutz­su­chen­den sofort aus­ge­wie­sen und mit einem Ein­rei­se­ver­bot von einem oder zwei Jah­ren belegt.

Das HHC bemerkt, dass beson­ders Schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen zwar von dem Ver­fah­ren aus­ge­schlos­sen sind, jedoch fak­tisch kei­ne Mög­lich­keit besteht ihre „beson­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit“ fest­zu­stel­len. Ver­fah­rens­ga­ran­tien lau­fen damit ins Lee­re. Das Ver­fah­ren an der Gren­ze ver­hin­dert, ein effek­ti­ves Rechts­mit­tel gegen nega­ti­ve erst­in­stanz­li­che Ent­schei­dun­gen ein­zu­le­gen. Die Frist von sie­ben Tagen, in denen ein Antrag auf gericht­li­che Über­prü­fung ein­ge­reicht wer­den kann, ist für die ankom­men­den Flücht­lin­ge kaum rea­lis­tisch einzuhalten.

Schutz­su­chen­de, die das HHC nach ihrer Ableh­nung befragt hat­te, ver­stan­den die Grün­de des nega­ti­ven Bescheids nicht und waren sich nicht bewusst, dass sie Anrecht auf eine Über­prü­fung der Ent­schei­dung durch ein Gericht haben.

„All dies ver­letzt die inter­na­tio­na­len Ver­pflich­tun­gen Ungarns“

Ani­ko Bak­onyi vom Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee kom­men­tier­te die aktu­el­le Situa­ti­on von Flücht­lin­gen in Ungarn gegen­über PRO ASYL:  „Asyl­su­chen­de mit genui­nen Schutz­be­dürf­nis­sen aus Syri­en, Afgha­ni­stan und Irak, die an der ser­bisch-unga­ri­schen Gren­ze ankom­men, haben kaum Zugang zum unga­ri­schem Ter­ri­to­ri­um, zum unga­ri­schen Asyl­ver­fah­ren und somit zu Schutz. Bei ihrer Ankunft tref­fen sie auf eine Metall­bar­rie­re, es fehlt an Infor­ma­tio­nen, an Ver­pfle­gung und Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten. All dies ver­letzt die inter­na­tio­na­len Ver­pflich­tun­gen Ungarns.“

Spa­ni­en: Tran­sit­zo­nen bei Ceu­ta und Mellila

Neben Ungarn hat auch Spa­ni­en Tran­sit­zo­nen ein­ge­rich­tet. Die Bil­der der Zäu­ne in den spa­ni­schen Exkla­ven Ceu­ta und Mel­li­la in Marok­ko ste­hen seit Jah­ren sym­bo­lisch für das Bild der Fes­tung Euro­pa. Tran­sit­zo­nen mit unkla­rem Rechts­sta­tus gibt es dort zwi­schen den Zaun­an­la­gen, die die spa­ni­sche Regie­rung zu Marok­ko auf­ge­baut hat.

EGMR-Ver­fah­ren gegen Spa­ni­ens Transitzonen

Bezüg­lich der Tran­sit­zo­ne von Mel­il­la gibt es mitt­ler­wei­le an anhän­gi­ges Ver­fah­ren vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te. Im Fall N.D. and N.T. v. Spain (Appli­ca­ti­on No. 8675/15 und 8697/15) wird der Gerichts­hof ers­tens zu klä­ren haben, wie die Tran­sit­zo­nen recht­lich zu fas­sen sind und ob es sich hier­bei um spa­ni­sches Ter­ri­to­ri­um han­delt. Zwei­tens rügen die Klä­ge­rIn­nen vor dem EGMR, dass Spa­ni­en durch Abschie­bun­gen nach Marok­ko Art. 3 EMRK ver­letzt hat, das Ver­bot von Kol­lek­tiv­aus­wei­sun­gen miss­ach­tet und den Klä­ge­rIn­nen kei­nen Zugang zu einem wirk­sa­men Rechts­ver­fah­ren ermöglichte.

Das Ver­fah­ren befin­det sich zur Zeit in der Pha­se, in der der spa­ni­sche Staat auf die Vor­wür­fe der Klä­ge­rIn­nen Stel­lung bezie­hen kann. Wenn der EGMR im Sin­ne der Klä­ge­rIn­nen ent­schei­det, könn­te dies Aus­wir­kun­gen auf mög­li­che Tran­sit­zo­nen an den deut­schen Gren­zen haben.

Deut­sches Geset­zes­vor­ha­ben lässt Umset­zung offen

Wie die sei­tens der Bun­des­re­gie­rung geplan­ten Tran­sit­zo­nen in der Pra­xis aus­se­hen sol­len, lässt der Gesetz­ent­wurf im Unkla­ren. Es ist jedoch nahe­lie­gend, dass die Umset­zung des Geset­zes­vor­ha­bens vor­aus­setzt, dass an deut­schen Gren­zen zu EU-Nach­bar­staa­ten wie Öster­reich Zäu­ne oder ande­re Bar­rie­ren errich­tet und in den geschaf­fe­nen Tran­sit­zo­nen Tau­sen­de Flücht­lin­ge inhaf­tiert wer­den. Dass inner­halb der Tran­sit­zo­nen Asyl­ver­fah­ren durch­ge­führt wer­den könn­ten, die auch in der Pra­xis rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en gerecht wer­den, bleibt äußerst zwei­fel­haft. Es ist zu befürch­ten, dass die Aus­he­be­lung des rechts­staat­li­chen Prin­zips der gericht­li­chen Über­prüf­bar­keit von Ver­wal­tungs­ent­schei­dun­gen Teil des Kal­küls des Geset­zes­vor­ha­bens ist.

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