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Breite Kritik der Zivilgesellschaft am geplanten Integrationsgesetz
Das Gesetz ist eine Mogelpackung: Statt die Integration zu fördern, sieht es erneut gravierende Verschärfungen für Schutzsuchende und anerkannte Flüchtlinge vor. Die geplanten Eingriffe in Flüchtlingsrechte stoßen auf massive Kritik von Wohlfahrts- und Fachverbänden, Menschenrechtsorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Zum geplanten Integrationsgesetz der Bundesregierung findet heute eine Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales statt, die live ab 15:00 Uhr auf der Webseite des Bundestages angeschaut werden kann.
Aus Sicht der Flüchtlingsorganisationen und Fachverbände werden insbesondere die folgenden Verschärfungen als höchst problematisch – und teilweise rechtswidrig – eingestuft:
- Wohnsitzauflagen beschneiden unzulässig die Freizügigkeit von anerkannten Flüchtlingen.
- Abschiebungen in vermeintlich „sichere Drittstaaten“ höhlen das Asylrecht aus und bringen Flüchtlinge in Gefahr.
- Leistungseinschränkungen verwehren Flüchtlingen ihr Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
- Die Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Anerkannte wird zu einer großen Unsicherheit unter Flüchtlingen führen.
Hier eine Übersicht über vorliegende Stellungnahmen und Kommentare mit exemplarischen Auszügen:
Zur geplanten Wohnortzuweisung
PRO ASYL: „PRO ASYL lehnt die geplante Wohnsitzzuweisung auch deswegen ab, da sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist und die Integration von Flüchtlingen behindern würde. Die EU-Qualifikationsrichtlinie (Art. 33) garantiert für Flüchtlinge und subsidiär Geschützte das Recht auf Freizügigkeit. Ebenso ist die Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 26 GFK) zu beachten. Die Einführung einer Wohnortzuweisung aus fiskalischen Gründen ist – wie jüngst auch der EuGH entschieden hat – weder mit der GFK noch mit der EU-Qualifikationsrichtlinie vereinbar (EuGH, U rteil v. 1.3.2016, C – 443/14, C – 444/14). Aber auch mit einer anderen Begründung ist eine Wohnortzuweisung nicht erlaubt.“ (Zur Stellungnahme)
Diakonie Deutschland: „Soziale Brennpunkte werden durch eine gute Integrationspolitik vermieden und nicht durch ein bürokratisches System, das Strafen vorsieht und den Betroffenen die Möglichkeit nimmt, sich selbstbestimmt und mit Unterstützung ihrer sozialen Netzwerke entsprechend den eigenen Stärken und Fähigkeiten wirtschaftlich und sozial auf eigene Beine zu stellen. Wohnsitzzuweisungen zerreißen häufig die Familieneinheit und andere soziale Zusammenhänge, was integrationshemmend wirkt.“ (Stellungnahme pdf)
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB): „Der DGB kritisiert vor allem die geplanten Wohnsitzauflagen, die aus seiner Sicht weder integrationspolitisch sinnvoll sind, noch den Ansprüchen des EuGH-Urteils vom 1. März 2016 genügen.“ (Stellungnahme pdf)
Deutscher Anwaltverein (DAV): „Auch stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung die Frage, weshalb gerade Ausländer mit einem Aufenthaltstitel aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen betroffen sein sollen. Denn die Ursachen für den Charakter der gesperrten Region liegen nicht in ihrem Verantwortungsbereich, sondern u.a. in der begrenzten Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums in anderen Stadtteilen.“ (Stellungnahme pdf)
Zur geplanten Ablehnung von Asylanträgen bei Einreise aus „sicheren Drittstaaten“
Diakonie Deutschland: „Die Änderungen stehen in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der Integration, ein rechtlicher oder politischer Handlungsdruck ist nicht ersichtlich. Hingegen besteht die Befürchtung, dass die vorgeschlagene Änderung in der Praxis gravierende, auch verfassungsrechtlich bedenkliche Auswirkungen auf Schutzsuchende haben könnte.“ (Stellungnahme pdf)
EKD und Kommissariat Deutscher Bischöfe: „Vor dem Hintergrund der gerade auf europäischer Ebene verhandelten Dublin IV-Verordnung könnten sich darüber hinaus weitere Veränderungen in der deutschen Praxis ergeben: Sollte Art. 3 Abs. 3 der Dublin IV-Verordnung Bestand haben, wäre Deutschland künftig verpflichtet, vor Eintritt in die materielle Überprüfung der Asylgründe im Rahmen der Zulässigkeit des Asylantrages festzustellen, ob der Antragsteller in einen anderen Staat zurückgeführt werden muss, weil dieser als sicherer Drittstaat gilt oder als ein für den Asylantragsteller erstes Asylland. Damit wäre Deutschland verpflichtet, analog der Praxis von Griechenland im Rahmen der EU-Türkei Vereinbarung, bestimmte Asylbewerber in Drittstaaten zurückzuführen. Die Kirchen halten es für notwendig, diese Regelung und ihre Auswirkungen im parlamentarischen Verfahren einer genauen Überprüfung zu unterziehen. (Stellungnahme pdf)
Zur geplanten Kürzung des Existenzminimums in § 1a Asylbewerberleistungsgesetz
EKD und Kommissariat Deutscher Bischöfe: „Die Kirchen haben § 1a AsylbLG seit seiner Einführung kritisiert, Sie halten es nicht mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar Ausländern ohne zeitliche Begrenzung über Jahre hinweg nur eingeschränkte Leistungen zu gewähren.“ (Stellungnahme pdf)
Arbeiterwohlfahrt (AWO): „Durch den bisherigen § 1a AsylbLG wird das Existenzminimum schon auf eine erhebliche Art und Weise durch Kürzungsmöglichkeiten eingeschränkt und ist daher auch jetzt nicht vereinbar mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Eine weitere Beschränkung der Asylbewerberleistungen ist daher abzulehnen.“ (Stellungnahme pdf)
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock: „An der Verfassungsmäßigkeit der vorstehenden Leistungsbeschränkungen hat der Paritätische Gesamtverband erhebliche Zweifel: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland es nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt vielmehr, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss.“ (Stellungnahme pdf)
Zur Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes für Anerkannte
Deutscher Caritasverband: „Der Deutsche Caritasverband sieht dies sehr kritisch. Bei anerkannten Flüchtlingen handelt es sich um eine Personengruppe, die eine auf Dauer angelegte Schutzzusage und Bleibeperspektive erhalten hat. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist auch nach internationalem Flüchtlingsrecht eine dauerhafte Lösung für Menschen, die vor Verfolgung fliehen mussten. Dem entspricht die rechtliche Absicherung ihres Aufenthalts durch eine Niederlassungserlaubnis. Die hierdurch geschaffene Aufenthaltssicherheit fördert außerdem zusätzlich die Integration. Die Schwächung und Infragestellung dieser Rechtsposition sendet daher das falsche Signal.“ (Stellungnahme pdf)
UNHCR: „Die Verlängerung der Wartezeit widerspricht dem Gedanken einer integrationspolitisch sinnvollen schnellen Klärung der Perspektive und der aufenthaltsrechtlichen Situation von Flüchtlingen, die vom Gesetzgeber bei Erlass des Zuwanderungsgesetzes ausdrücklich gewollt war.“ (Stellungnahme pdf)