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BAMF baut Luftschlösser, um Rückkehr nach Griechenland zu forcieren
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Mit irreführenden Informationen und Verweis auf ein ominöses Unterstützungsprogramm drängt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aktuell Asylsuchende, die zuvor in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt wurden, zur »freiwilligen« Ausreise. Was hinter dem Programm steckt, ist völlig unklar. Wir dokumentieren, was bisher bekannt ist.
Eine Flüchtlingsanerkennung in Griechenland ist oftmals nicht sehr viel mehr wert als das Papier, auf das sie gedruckt wurde: Flüchtlinge werden von den Behörden unmittelbar nach ihrer Anerkennung mittellos und ohne Unterstützung auf die Straße gesetzt, Zugang zu Sozialleistungen haben sie in aller Regel nicht. Viele von ihnen sehen sich daher gezwungen, weiter in andere europäische Länder zu fliehen und dort erneut Asyl zu beantragen. In Deutschland haben im letzten Jahr laut Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 25.112 Menschen einen Asylantrag gestellt, die zuvor in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt wurden.
Diese sogenannte Sekundärmigration von Flüchtlingen, insbesondere aus Griechenland, ist der Bundesregierung schon lange ein Dorn im Auge. Nun greift das BAMF auf eine perfide Strategie zurück, um anerkannte Flüchtlinge aus Griechenland zur Ausreise zu bewegen: Flächendeckend erhalten Asylsuchende mit Anerkennung in Griechenland schriftliche Aufforderungen, sich für ein Unterstützungsprogramm in Griechenland zu registrieren. Das Schreiben ergeht ungeachtet des Verfahrensstands und der individuellen Situation der Betroffenen, viele geraten in Panik. Das Absurde: Es bleibt völlig unklar, um was für ein Programm es sich genau handelt, wer dafür anspruchsberechtigt ist und welche konkreten Leistungen im Rahmen eines solchen Programms erbracht werden können.
Immer mehr Abschiebebescheide nach strittigen Gerichtsurteilen
Angesichts des Elends, in dem anerkannte Flüchtlinge in Griechenland landen, war sich die deutsche Rechtsprechung bisher weitgehend einig, dass eine Abschiebung nach Griechenland menschenrechtswidrig wäre und daher niemand dorthin abgeschoben werden darf. Nach zwei Urteilen des hessischen Verwaltungsgerichtshofs von August 2024 gibt es immer mehr Gerichte, die die Auffassung vertreten, dass zumindest junge, gesunde und alleinstehende Männer nach Griechenland abgeschoben werden dürfen. Das infame Argument: Junge erwerbsfähige Männer seien in der Lage, sich in den katastrophalen griechischen Verhältnissen durch irreguläre Jobs in der »Schattenwirtschaft« über Wasser zu halten. Gegen beide Urteile wurde Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt, die mündliche Verhandlung ist für den 16. April 2025 angesetzt.
Angesichts des Elends, in dem anerkannte Flüchtlinge in Griechenland landen, war sich die deutsche Rechtsprechung bisher weitgehend einig, dass eine Abschiebung nach Griechenland menschenrechtswidrig wäre.
Auch das BAMF hat in den letzten Jahren in aller Regel entschieden, dass eine Abschiebung nach Griechenland menschenrechtswidrig wäre, und hat in den entsprechenden Fällen ein reguläres Asylverfahren in Deutschland durchgeführt. Die erwähnten Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs von August 2024 hat das BAMF aber offenbar als Einladung verstanden, die eigene Entscheidungspraxis radikal zu ändern: Während das BAMF noch im ersten Halbjahr 2024 nur 3,6 Prozent der Asylsuchenden mit Flüchtlingsanerkennung aus Griechenland für ein deutsches Asylverfahren ablehnte und mit einem sogenannten Drittstaatenbescheid die Abschiebung nach Griechenland androhte, hat sich das Verhältnis zwischen Juli und Oktober 2024 umgekehrt: Mit 87,1 Prozent haben fast neun von zehn Asylsuchenden mit Anerkennung in Griechenland, bei denen das BAMF eine Entscheidung getroffen hat, einen Abschiebungsbescheid für Griechenland erhalten. In 22.500 Verfahren stand Ende Oktober 2024 eine Entscheidung noch aus. Deutschland hat in den ersten neun Monaten des letzten Jahres 109 Drittstaatsangehörige nach Griechenland abgeschoben – die meisten davon vermutlich Menschen mit griechischer Flüchtlingsanerkennung.
Druck zur Ausreise verpackt als »Reiseprospekt« – Das Anschreiben im Überblick
Das Schreiben, mit dem das BAMF anerkannte Flüchtlinge aus Griechenland nun unter Druck setzt, klingt auf den ersten Blick wie ein Reiseprospekt: Rückkehrbereite Asylsuchende würden im Rahmen eines Unterstützungsprogramms vom Flughafen abgeholt und eine Unterkunft inklusive Vollverpflegung für bis zu vier Monate erhalten. Darüber hinaus würden sie individuelle Beratung, Sprachkurse und Unterstützung bei der Integration in den griechischen Arbeitsmarkt erhalten.
Am Ende des Schreibens befindet sich ein QR-Code, der für die Anmeldung zu dem Programm zu einem Online-Fragebogen führt, damit im nächsten Schritt von Behördenseite geprüft werden kann, ob die Voraussetzungen zur Teilnahme vorliegen. Das BAMF bittet darum, den Online-Fragebogen innerhalb von einer Woche nach Erhalt des Schreibens auszufüllen. Dass dies nur optional und keinesfalls verpflichtend ist, geht für viele aus dem Schreiben nicht deutlich genug hervor.
PRO ASYL liegen mehrere Schreiben an Personen vor, die sich noch im Asylverfahren befinden und bei denen das BAMF noch keine Entscheidung getroffen hat – darunter auch besonders schutzbedürftige Menschen wie beispielsweise alleinerziehende Mütter mit kleinen Kindern.
Das Schreiben, das in vielen Fällen wie ein Abschiebebescheid im gelben Brief per Postzustellungsurkunde gegen Empfangsbestätigung verschickt wird, wird nicht »nur« an ausreisepflichtige Personen verschickt. PRO ASYL liegen mehrere Schreiben an Personen vor, die sich noch im Asylverfahren befinden und bei denen das BAMF noch keine Entscheidung getroffen hat – darunter auch besonders schutzbedürftige Menschen wie beispielsweise alleinerziehende Mütter mit kleinen Kindern. In diesen Fällen suggeriert das BAMF, dass »aller Voraussicht nach« mit der Ablehnung des Asylantrags zu rechnen sei. Gegenüber der Rechercheplattform »FragDenStaat« hat das BAMF diese Praxis inzwischen bestätigt.
Das Schreiben führt zu großer Verunsicherung bei den betroffenen Asylsuchenden, weil es den Eindruck vermittelt, dass sie keine Chance haben, in Deutschland zu bleiben. Stattdessen werden sie unter Druck gesetzt, innerhalb von sieben Tagen zu entscheiden, ob sie »freiwillig« nach Griechenland zurückkehren.
Integrationsprogramm HELIOS+: Ein Tropfen auf den heißen Stein
Das BAMF-Schreiben bewirbt ein Unterstützungsprogramm namens HELIOS+: Die Schreiben sind nicht nur unterzeichnet von einem »HELIOS+ Unterstützungsteam«, das BAMF hat sogar die Mailadresse helios@bamf[dot]bund[dot]de für weiterführende Fragen eingerichtet.
Tatsächlich gibt es seit einigen Tagen in Griechenland ein Integrationsprogramm namens HELIOS+. Es ist am 6. Februar 2025 angelaufen und wurde bei seiner öffentlichen Vorstellung vom griechischen Migrationsministerium großspurig als »Best-Practice-Programm« präsentiert. Kofinanziert mit Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds ESF+ soll es für den Zeitraum 2025 bis 2028 das bisherige HELIOS-Programm ersetzen, was in den letzten Jahren das einzige staatliche Integrationsprogramm in Griechenland war und Ende 2024 ausgelaufen ist. Anerkannte Flüchtlinge, die die Voraussetzungen für die Aufnahme in das HELIOS-Programm erfüllten, konnten Integrationskurse, Unterstützung bei der Arbeitsmarktintegration und unter bestimmten Voraussetzungen für einige Monate auch Mietzuschüsse erhalten, wenn sie eigenständig eine Wohnung gefunden und angemietet hatten. Eine Unterbringung war über das HELIOS-Programm nicht möglich, Rückkehrer*innen aus anderen Ländern waren in aller Regel von der Teilnahme am Helios-Programm ausgeschlossen.
Ein paar grundlegende Infos zu dem jetzigen Nachfolgeprogramm HELIOS+ sind auf der Website der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Griechenland zu finden, die das Programm mit einigen Nichtregierungsorganisationen umsetzen soll. Einen genaueren Überblick über konkrete Leistungen und Umfang von HELIOS+ bieten die Vergabeentscheidungen zu dem Programm, die das griechische Migrationsministerium für die einzelnen Regionen veröffentlicht hat:
Kapazität Helios+ (Personen) | Öffentliche Förderung (Mio.) | |
Attika | 1.650 | 26,2 |
Zentralmakedonien | 575 | 10 |
Westmakedonien | 148 | 2,6 |
Ostmakedonien/Thrakien | 130 | 3,6 |
Mittelgriechenland | 100 | 1,8 |
Thessalien | 150 | 3,5 |
Kreta | 560 | 12 |
Peloponnes | 200 | 2,4 |
Westgriechenland | 290 | 5,1 |
Nördliche Ägäis | 280 | 5,1 |
Südliche Ägäis | 210 | 3,9 |
Ionische Inseln | 30 | 0,6 |
Gesamt | 4.323 | 76,8 |
Aus den Vergabeentscheidungen ergibt sich, dass HELIOS+ über einen Zeitraum von vier Jahren insgesamt 4.323 Menschen Unterstützung bieten kann – gerade einmal etwas mehr als 1.000 Personen pro Jahr! Dabei ist das Programm nicht nur für anerkannte Flüchtlinge gedacht, sondern auch für Menschen mit vorübergehendem Schutz, also Geflüchtete aus der Ukraine. Bedenkt man, dass alleine im Jahr 2024 in Griechenland 40.237 Personen internationalen Schutz – also Flüchtlingsanerkennung oder subsidiären Schutz – erhalten haben und zum Ende des letzten Jahres 83.895 Personen eine Aufenthaltserlaubnis als international Schutzberechtigte hatten und es weitere 32.572 Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz in Griechenland gibt, wird deutlich: HELIOS+ ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Nur ein verschwindend geringer Bruchteil der anerkannten Flüchtlinge wird von diesem Programm profitieren können. Allein anhand der Zahlen ist absehbar, dass die vollmundigen Versprechen zu HELIOS+ nicht eingehalten werden können.
Bei den konkreten Leistungen, die zukünftig über HELIOS+ erbracht werden sollen, fällt auf, dass sich HELIOS+ nicht von dem Vorgängerprogramm HELIOS zu unterscheiden scheint. Der einzige Unterschied laut Vergabeentscheidungen: Die Leistungen sollen bis zu 18 Monate statt wie bisher nur für 12 Monate gewährt werden können. Im Widerspruch dazu ist in der Presseerklärung des griechischen Migrationsministeriums zur Vorstellung des Programms allerdings weiterhin von einem Zeitraum von 12 Monaten die Rede. Eine Unterkunft wird HELIOS+ nicht bieten. Wer genau Anspruch auf Teilnahme an HELIOS+ haben wird, ist aktuell noch nicht bekannt.
PRO ASYL hat nachgefragt: Es gibt keine Vereinbarung mit Griechenland
Da das BAMF in dem Schreiben behauptet, dass es mit griechischen Behörden kooperieren würde, um rückkehrbereiten Asylsuchenden »den Neuanfang in Griechenland zu erleichtern«, hat PRO ASYL sowohl beim BAMF als auch beim Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) nach den konkreten Vereinbarungen und möglichen Absichtserklärungen gefragt, die zu dem Programm Helios+ und möglicherweise weiteren Unterstützungsprogrammen mit griechischen Behörden und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geschlossen wurden. Die fast gleichlautende Antwort beider Stellen (siehe hier und hier): Es gibt keine Vereinbarungen und Absichtserklärungen mit griechischen Behörden oder IOM – weder zu Helios+ noch zu anderen Unterstützungsprogrammen. Das BAMF weist ergänzend darauf hin, dass es sich bei Helios+ um ein rein griechisches Integrationsprogramm handelt.
Völlige Intransparenz: Wer darf teilnehmen, was sind die Leistungen?
Der SPIEGEL berichtet von einem internen Schreiben aus dem BAMF, in dem von einem »Überbrückungsprogramm« die Rede ist, über das Rückkehrer*innen unterstützt werden sollen, um dann später in HELIOS+ aufgenommen zu werden. Dieses Programm soll im ersten Jahr von der EU-Kommission finanziert werden, danach soll die griechische Regierung die Finanzierung übernehmen. Zielgruppe in Deutschland seien »alleinstehende und erwerbsfähige Personen zwischen 19 und 49 Jahren, deren Schutzerteilung in Griechenland höchstens zwei Jahre zurückliegt«.
Das interne Schreiben aus dem BAMF ist bisher nicht veröffentlicht worden. Auf Nachfragen von »FragDenStaat« hat das griechische Migrationsministerium nicht reagiert. Ein paar detailliertere Informationen sind der Antwort der BAMF-Pressestelle an »FragDenStaat« zu entnehmen:
PRO ASYL ist aktuell kein Fall einer Person bekannt, der nach Übermittlung des Online-Fragebogens an das BAMF mitgeteilt wurde, dass sie die Voraussetzungen zur Teilnahme an dem Unterstützungsprogramm erfüllt.
Ziel des Überbrückungsprogramms sei es, Rückkehrer*innen bei der »Aufnahme in das (Haupt-)Integrationsprogramm HELIOS+ zu unterstützen«. Im Rahmen des Programms seien »grundlegende Leistungen wie Unterkunft, Verpflegung und Sozialberatung sichergestellt«. Teilnahmeberechtigt für das Überbrückungsprogramm seien Personen, die »die Zugangsvoraussetzungen zum Integrationsprogramm HELIOS+ erfüllen und zuvor noch nicht vollumfassend von HELIOS-Leistungen profitiert haben«.
Weiter erläutert die BAMF-Pressestelle, dass das Online-Formular keine Registrierung für HELIOS+ darstelle. Es diene lediglich dazu, »Personen zu identifizieren, die nach Griechenland zurückkehren möchten und die Kriterien des Überbrückungsprojekts erfüllen«. Interessanterweise führt das BAMF selbst eine »Vorprüfung« durch, ob jemand teilnahmeberechtigt für das Überbrückungsprojekt ist. Im Anschluss daran prüfe dann die griechische Seite, ob »eine Person im Hinblick auf die Aufnahme in das HELIOS+ Programm und dementsprechend auf das Überbrückungsprogramm förderfähig ist«. Eine Garantie der griechischen Seite, dass Rückkehrer*innen nach Ablauf des Überbrückungsprogramms auch in das HELIOS+ Programm aufgenommen werden, ergibt sich aus der Antwort der BAMF-Pressestelle nicht.
In den wenigen uns bekannten Fällen, in denen Asylsuchende das Online-Formular ausgefüllt haben, hat das »HELIOS+ Unterstützungsteam« beim BAMF den Personen jeweils ohne Begründung per E‑Mail mitgeteilt, dass sie »die Voraussetzungen für die Teilnahme am aktuellen Unterstützungsprogramm in Griechenland nicht erfüllen«. PRO ASYL ist aktuell kein Fall einer Person bekannt, der nach Übermittlung des Online-Fragebogens an das BAMF mitgeteilt wurde, dass sie die Voraussetzungen zur Teilnahme an dem Unterstützungsprogramm erfüllt.
Alles nur ein großer Bluff?
Was bleibt am Ende des Tages übrig von der Unterstützung, die das BAMF in seinen Schreiben den Asylsuchenden bei einer Rückkehr nach Griechenland in Aussicht stellt? Da die konkreten Voraussetzungen für HELIOS+ nicht bekannt sind, bleibt aktuell auch unklar, wer an dem Überbrückungsprogramm teilnehmen kann. Auch ein Leistungskatalog des Überbrückungsprogramms ist nicht einsehbar – Voraussetzungen der Teilnahme und die gewährten Leistungen bleiben ebenso intransparent wie das ganze Verfahren. Klar ist jedoch: Angesichts der extrem begrenzten Kapazitäten von HELIOS+ wird auch das Überbrückungsprogramm nicht in großem Maßstab Unterstützung bieten können.
(ame)