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Asylsuchende immer häufiger schon bei Einreise inhaftiert
Der Anteil von Asylsuchenden in Abschiebungshaft wird immer größer. Das zeigt eine vom Diakonischen Werk in Hessen und Nassau und PRO ASYL durchgeführte bundesweite Recherche zur Situation in Abschiebungshaft in Deutschland.
„In Deutschland werden Asylbewerber grundsätzlich nicht in Haft genommen“, behauptete Bundesinnenminister Friedrich anlässlich der Verabschiedung der neuen EU-Asyl-Regelungen Anfang Juni. Das wäre schön, doch die Realität sieht anders aus. Denn obwohl die Zahl der Abschiebungshäftlinge insgesamt zurückgeht, steigt unter ihnen der Anteil von Menschen, die eben erst als Asylsuchende eingereist sind.
Abschiebungshaft dient der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht und wird angewandt, wenn der Aufenthaltstitel abgelaufen ist bzw. nie einer existierte und wenn unterstellt wird, die ausreisepflichtige Person könnten sich der Abschiebung entziehen. Man könnte also annehmen, dass Abschiebungshaft eher den traurigen Abschluss eines Aufenthalts in Deutschland darstellt. Doch der aktuelle Bericht „Schutzlos hinter Gittern“ von PRO ASYL und der Diakonie in Hessen und Nassau zeigt, dass immer öfter auch Asylsuchende bereits bei der Einreise im grenznahen Bereich von der Bundespolizei aufgegriffen und dann während des sogenannten Dublin-Verfahrens inhaftiert werden, um sie in den zuständigen EU-Staat abschieben zu können.
In grenznahen Abschiebungshaftanstalten wie Rendsburg (Schleswig-Holstein) oder Eisenhüttenstadt (Brandenburg) sind bis zu 90 Prozent der Inhaftierten Asylsuchende. Nicht selten waren die Betroffenen bereits in ihrem Herkunftsland in Haft und dort Folter oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt. Nicht selten waren die Betroffenen auch bereits in anderen EU-Staaten in Haft – etwa in Griechenland, Ungarn, Malta oder anderen EU-Staaten, in denen Asylsuchende unter oft menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert werden. Wie unter anderem diese Fallbeispiele zeigen, droht Flüchtlingen, die bereits traumatisierende Haft- oder Gewaltsituationen erlebt haben, in der Abschiebungshaft eine massive Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit.
Dies wiegt umso schwerer angesichts der Tatsache, dass es in vielen Abschiebungshaftanstalten an sozialer und psychologischer Betreuung mangelt. Dolmetscher werden selbst dann, wenn es um gesundheitliche Fragen geht, oftmals nicht eingesetzt. Die Inhaftierten bleiben weitgehend sich selbst überlassen, wodurch sich die ohnehin psychisch angespannte Situation verschärft. Dies gilt unter anderem für die Abschiebungshaft in Eisenhüttenstadt, in der derzeit mehrere Flüchtlinge in Hungerstreik getreten sind.
Zu den Haftbedingungen, unter denen Abschiebungshaft vollzogen wird, hat die Recherche einen Flickenteppich offenbart. Die Standards sind höchst unterschiedlich. Generell gilt, dass Betroffene besonders dort unter Haftrestriktionen leiden, wo Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird. In Justizvollzugsanstalten dürfen Abschiebungshäftlinge keine Handys benutzen und nur sehr eingeschränkt Besuch empfangen.
Der Bericht „Schutzlos hinter Gittern“ enthält umfassende Forderungen – etwa dass Abschiebungshaft nicht in Justizvollzugsanstalten vollzogen werden soll und sogenannte „Dublin-Aufgriffsfälle“ sowie besonders Schutzbedürftige wie Kinder, Schwangere, psychisch Kranke, traumatisierte und behinderte Personen grundsätzlich nicht in Haft genommen werden dürfen. PRO ASYL und die Diakonie in Hessen und Nassau machen jedoch klar, dass eine Reform der Abschiebungshaft nicht ihr Ziel ist, sondern höchstens ein Zwischenschritt: Denn Abschiebungshaft, da sind sich die Autor/innen des Berichts einig – gehört definitiv abgeschafft.
Bericht „Schutzlos hinter Gittern – Abschiebungshaft in Deutschland“ als Download (pdf)
Abschiebungshaft: Vorsätzliche Freiheitsberaubung in der JVA Preungesheim? (10.06.14)
Landgericht Kassel erklärt Frankfurter Abschiebungshaft für unzulässig (16.04.14)
Antifolter-Stelle rügt Abschiebungshaft (07.04.14)
Gedenken an Cemal Kemal Altun – Kundgebung am 30. August in Berlin (27.08.13)
Mögliche EU-Rechtswidrigkeit in Sachen Abschiebungshaft: BGH ruft EuGH an (21.08.13)