01.06.2017
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Ramin Mohabat ist Journalist und aus Afghanistan geflohen. PRO ASYL hat er seine Geschichte erzählt. Foto: Tim Wegner

Aufgrund des Anschlags im Kabuler Botschaftsviertel mit knapp 100 Toten wurde der für gestern geplante Abschiebeflug zunächst verschoben. Ein afghanischer Journalist erläutert, wie bedrohlich die Lage in Afghanistan ist - denn das BAMF lehnt Afghan*innen zu Tausenden ab. Bei einer Abschiebung nach Afghanistan droht ihnen Gefahr für Leib und Leben.

Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) lehnt Afghan*innen zu Tau­sen­den ab. Von rund 60.000 inhalt­lich ent­schie­de­nen Anträ­gen zwi­schen Janu­ar und April 2017 beka­men mehr als 32.000 eine Ableh­nung. In den Beschei­den ver­weist das BAMF auf angeb­lich »siche­re« Gebie­te und fer­tigt Asyl­su­chen­de mit Text­bau­stei­nen ab. Ramin Moha­bat, Jour­na­list aus Afgha­ni­stan, war durch sei­ne Bericht­erstat­tung im gan­zen Land unter­wegs. Im Inter­view erläu­tert er, war­um Afgha­ni­stan über­haupt nicht sicher ist.

Was war Ihre Tätig­keit in Afghanistan?

Ich war Fern­seh­jour­na­list und Repor­ter. Für das aus­lands­fi­nan­zier­te Insti­tu­te for War and Peace Report­ing habe ich Foto­auf­nah­men von Kon­flik­ten in Afgha­ni­stan gemacht und die­se an Kol­le­gen bei BBC und Al-Jaze­era ver­kauft. Das habe ich under­co­ver gemacht, die Fotos sind spä­ter ohne mei­nen Namen erschienen.

Ich habe 2012 für den Sen­der Asia TV auch eine Video­auf­nah­me von einer Demons­tra­ti­on in Herat gemacht, bei der meh­re­re Tau­send Afgha­nen gegen die Koran-Ver­bren­nun­gen durch US-Ame­ri­ka­ner pro­tes­tier­ten. Die Tali­ban brann­ten Poli­zei­au­tos nie­der und woll­ten als Ver­gel­tung die US-Bot­schaft in Herat anzün­den.[1]

Ich habe auch für das afgha­ni­sche Staats­fern­se­hen, Afghan Radio Tele­vi­si­on gear­bei­tet, unter ande­rem mit einer Repor­ta­ge von einer Nie­der­la­ge der Tali­ban durch die afgha­ni­schen Streit­kräf­te, bei der rund 400 Tali­ban getö­tet wur­den. Ich habe afgha­ni­sche Sol­da­ten beglei­tet, gefilmt und den Bei­trag spä­ter auch kom­men­tiert. Ich war als Jour­na­list viel in Afgha­ni­stan unter­wegs, auch in den ver­meint­lich siche­ren Gebieten.

Wo sind Sie über­all in Afgha­ni­stan gewe­sen, bzw. woher haben Sie berichtet?

In allen wich­ti­gen Pro­vin­zen und Städ­ten: Kan­da­har, Ghaz­ni, Kun­duz, Kabul Talo­qan, Masar‑e Scha­rif, Herat, Pol‑e Chom­ri, Bagh­lan und Herat. In Farah war ich mit afgha­ni­schen Sol­da­ten im Pan­zer unter­wegs, weil es Kriegs­ge­biet ist. In Qala-i-Naw war ich nur einen Tag, habe da mei­ne Recher­chen gemacht und bin wie­der raus, weil es zu gefähr­lich war.

Die Bun­des­re­gie­rung sagt, es gibt siche­re Gebie­te und man kann da auch hin­fah­ren und sich dort niederlassen.

Das stimmt ein­fach nicht. Ich habe das zum Bei­spiel bei einer Bus­fahrt von Herat nach Kabul erlebt. Ein Haza­ra wur­de aus dem Iran nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben. Er woll­te mit dem Bus von Herat nach Kabul. Weil er im Iran gelebt hat­te, wo Bart tra­gen kei­ne Pflicht ist, trug er kei­nen Bart. Wir hat­ten ihn gewarnt, er soll einen Monat in Herat war­ten und sich einen Bart wach­sen las­sen. Ohne Bart ist er nicht sicher.

Der Mann hat­te aber kein Geld, um einen Monat zu war­ten, er woll­te sofort fah­ren. Mor­gens um 3 Uhr sind wir los­ge­fah­ren. Der Mann war außer­dem nicht afgha­nisch geklei­det, son­dern trug Jeans und ein bun­tes Hemd. Alle Pas­sa­gie­re haben gesagt, er ist ver­rückt. Er hat immer abge­wun­ken. Wir sind von Herat über eine süd­li­che Rou­te nach Kabul gefah­ren. Die ers­te Kon­trol­le war durch die afgha­ni­sche Poli­zei. Alle im Bus sag­ten, bei der nächs­ten Kon­trol­le der Tali­ban wis­sen sie über den Haza­ra Bescheid, weil bekannt ist, dass die Poli­zei Infor­ma­tio­nen an die Tali­ban weitergibt.

Nach sechs Stun­den Fahrt kam eine Kon­trol­le durch die Tali­ban. Man muss­te da am bes­ten schlecht geklei­det sein und einen Bart tra­gen und einen Schal, so wie er von afgha­ni­schen Män­nern getra­gen wird. Der Mann hat­te sich nur mit einem Schal bedeckt, dem ihn ein alter Mann zum Schutz gege­ben hat­te. Die Tali­ban wuss­ten sofort, wo er im Bus saß. Sie haben den Haza­ra-Mann aus dem Bus geholt und ihn vor den Augen aller Fahr­gäs­te  geköpft, obwohl vie­le alte Män­ner aus dem Bus die Tali­ban gebe­ten hat­ten, ihn nicht zu töten.

Der Kör­per wur­de da gelas­sen, den Kopf soll­ten wir mit dem Bus nach Kabul fah­ren, for­der­ten die Tali­ban. Spä­ter warf der Bus­fah­rer den Kopf aus dem Bus. Haza­ra sind in Afgha­ni­stan ver­folgt, weil sie Schii­ten sind. In Afgha­ni­stan leben die meis­ten in Bami­an, vie­le sind in den Iran geflo­hen. Pash­tu­nen sind mit den Haza­ra ver­fein­det, die Tali­ban und jetzt auch der IS bedro­hen und ver­fol­gen die Hazara.

»Als ich weg war, sind noch Mona­te spä­ter Frem­de in mei­ne Stra­ße gekom­men und haben nach mir gefragt. «

Laut der Bun­des­re­gie­rung gel­ten aber zum Bei­spiel Pan­js­hir oder Masar‑e Scha­rif als sicher.

Pan­js­hir wird als sicher ange­se­hen. Aber dort kön­nen die Leu­te von dort leben – und nur die. Pan­js­hir wur­de nie von den Tali­ban erobert, der Zugang in die Pro­vinz ist streng bewacht. Pan­js­hir liegt in einem engen Tal. Es gibt nur zwei Zugän­ge. Wer nicht von da ist, hat kei­ne Chan­ce, dort zu leben.

In 31 von 34

afgha­ni­schen Pro­vin­zen fin­den Kampf­hand­lun­gen statt.

Auch Masar‑e Scha­rif, Kabul und ande­re Städ­te wer­den in BAMF-Beschei­den als sicher bezeich­net. Stimmt das?

Wenn ich aus Herat kom­me und dort ver­folgt bin, kann ich mich nicht ein­fach in Masar‑e Scha­rif nie­der­las­sen. Ich habe dort kei­ne Chan­ce. Ich kom­me aus einer ande­ren Stadt, nie­mand kennt mei­ne Eltern oder Fami­lie, ich bin fremd. Ich kann nicht ein­fach sagen, ich brau­che Arbeit oder eine Woh­nung. Alle fra­gen, wer bist du? Oder sie den­ken, du bist ein Spi­on. Alle ken­nen sich unter­ein­an­der, weil sie sich fünf Mal am Tag in der Moschee sehen.

Wenn eine Per­son aus einer ande­ren Stadt kommt, wird in der Moschee beschlos­sen, den Frem­den aus­zu­schlie­ßen. Das gilt auch für Kabul, aber auch für den Ort, an dem ich gelebt habe. In mei­ner Stra­ße sind 5 bis 6 Unbe­kann­te auf­ge­taucht und haben nach mir gesucht. Sie fie­len sofort auf. Mei­ne Fami­lie und mei­ne Nach­barn haben mich gewarnt. Die Gemein­schaft in Afgha­ni­stan ver­hin­dert, dass ein Frem­der kommt und sich nie­der­lässt. Die­se sozia­le Kon­trol­le war auch für mich wich­tig, weil ich vor den Frem­den gewarnt wur­de und mich in Sicher­heit brin­gen konnte.

Konn­ten Sie sich nicht unter den Schutz der Poli­zei stel­len? Das BAMF sagt immer wie­der, geht doch zur Polizei.

Wir glau­ben unse­rer Poli­zei nicht. Die Tali­ban sind sowohl in der Poli­zei als auch in den Streit­kräf­ten. Wenn ich mich dort mel­de, wird die­se Infor­ma­ti­on den Tali­ban gemel­det. Kid­nap­ping in Herat pas­siert meist mit Poli­zei­au­tos. Wenn die Tali­ban jeman­den töten wol­len, kom­men sie auch mit Poli­zei­au­tos. Die Tali­ban fin­den einen über­all im gan­zen Land, auch wenn du woan­ders hin­gehst, auch in Kabul.

»Wenn du in Euro­pa warst, west­li­che Klei­dung trägst oder ohne Bart bist, fällst du auf. In Ghaz­ni wur­den vier frei­wil­li­ge Rück­keh­rer von den Tali­ban ausgepeitscht.«

Wie äußert sich die Bedro­hung durch die Taliban?

Wenn du nicht auf­muckst und machst, was die Tali­ban sagen, dann dro­hen sie einem nicht. Die Tali­ban suchen sich die jun­gen Leu­te, sie brau­chen sie für die Kämp­fe. Sie gehen in die Moscheen und rekru­tie­ren sie. Wenn du nicht mit­machst, schi­cken sie zuerst einen Brief. Dar­in wird der Per­son gedroht, damit sie für die Tali­ban arbei­tet. Wenn du dich wei­gerst, set­zen sie dich noch mehr unter Druck. Jetzt sucht der IS Sol­da­ten. In Herat bie­ten sie 1.000 Dol­lar im Monat, wenn man sich ihnen anschließt.

Die Mul­lahs sind die Kon­takt­per­so­nen zwi­schen den Tali­ban und der Bevöl­ke­rung. Zuerst gibt es eine reli­giö­se Aus­bil­dung zum Bei­spiel an der Uni­ver­si­tät in Herat, die vom Iran unter­stützt wird, dann gehen vie­le nach Paki­stan, ler­nen dort wei­ter und radi­ka­li­sie­ren sich gegen den Wes­ten und die aus­län­di­schen Kräf­te. Jetzt kommt der IS dazu, sie bau­en sich gera­de auf. Inzwi­schen gibt es eine Kon­kur­renz zwi­schen IS und Tali­ban. Tali­ban wer­den von den Rus­sen unter­stützt, der IS von Saudi-Arabien.

Was pas­siert mit Rückkehrern?

Wenn du in Euro­pa warst, west­li­che Klei­dung trägst oder ohne Bart bist, fällst du auf. Sie sagen du warst bei den Chris­ten­men­schen, du hast uns ver­ra­ten. In Ghaz­ni wur­den vier frei­wil­li­ge Rück­keh­rer aus Euro­pa von den Tali­ban aus­ge­peitscht, weil sie aus dem Wes­ten kamen und eine Zeit lang mit dem Wes­ten und den Chris­ten Kon­takt hatten.

Wie haben Sie sich zur Flucht entschlossen?

Ich war Jour­na­list, habe für das afgha­ni­sche Staats­fern­se­hen gear­bei­tet, war mit afgha­ni­schen Sol­da­ten unter­wegs Die Tali­ban wol­len nicht, dass Du über ihre Nie­der­la­gen berich­test, das ist schlech­te Pro­pa­gan­da. Ich habe im Tali­ban-Gebiet Fotos gemacht, ich konn­te dahin, da der Vater mei­nes Freun­des bei den Tali­ban ist. Eine ande­re Grup­pe hat mich gekid­nappt, sie sag­ten ich sei ein Spi­on. Der Vater mei­nes Freun­des hat mich frei bekom­men. Die waren in sei­nem Gebiet unter­wegs und dort ist er der Chef.

Ich kam frei, ging zurück nach Herat. Dann haben die Tali­ban aber auch dort nach mir gesucht. Als ich weg war, sind noch Mona­te spä­ter Frem­de in mei­ne Stra­ße gekom­men und haben nach mir gefragt. Des­we­gen sind mei­ne Eltern inzwi­schen in eine ande­re Gegend gezogen.

Wie ist es Ihnen beim Bun­des­amt ergangen?

Ich habe dem Anhö­rer mei­ne Geschich­te erzählt und alle mei­ne Bewei­se und Zer­ti­fi­ka­te vor­ge­legt. Fotos und Vide­os hat­te ich auf einem USB-Stick dabei. Er hat­te kein Inter­es­se dar­an, woll­te die Doku­men­te nicht sehen. Der Dol­met­scher sprach Pash­tu, ich spre­che Far­si. Er konn­te nicht rich­tig Far­si spre­chen. Der Dol­met­scher hat eine abfäl­li­ge Bemer­kung über mich als Tadschi­ken gemacht, ich sei so vor­nehm, weil ich einen Uni­ver­si­täts­ab­schluss hät­te. Er konn­te auch nicht rich­tig Deutsch.

»Mein Asyl­an­trag wur­de abge­lehnt. Ich kla­ge jetzt dage­gen. Ich fin­de es unglaub­lich, wie schlecht das BAMF arbei­tet. Hier wird mit Men­schen­le­ben gespielt.«

Der Anhö­rer hat sich gar nicht für das inter­es­siert, was ich sage. »Wei­ter, wei­ter… « sag­te er. Zum Glück hat­te ich Micha­el, mei­nen Nach­barn, dabei. Er hat gemerkt, dass gar nicht pro­to­kol­liert wird, was ich sage. Und dann ent­schei­det eine ande­re Per­son über mich, die mich noch nie gese­hen hat. Mein Asyl­an­trag wur­de abge­lehnt. Ich kla­ge jetzt dage­gen. Ich fin­de es unglaub­lich, wie schlecht das BAMF arbei­tet. Nicht nur in mei­nem Fall, son­dern auch bei vie­len ande­ren Afgha­nen, die ich ken­ne. Hier wird mit Men­schen­le­ben gespielt.

[1] Anmer­kung: Die Unru­hen nach Koran-Ver­bren­nun­gen in Afgha­ni­stan im Febru­ar 2012 waren eine Reak­ti­on auf Koran-Ver­bren­nun­gen durch US-Sol­da­ten auf dem US-Stütz­punkt Bagram, dem Haupt­quar­tier der Streit­kräf­te der Ver­ei­nig­ten Staa­ten in Afgha­ni­stan. Für vie­le Mus­li­me in Afgha­ni­stan stellt die Ver­bren­nung des Korans eine Schän­dung und Tod­sün­de dar