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Afghanische Frauen im Exil kämpfen weiter für ihre Träume und ihre Rechte

Bedrohungen, Mordanschläge, Flucht und Verluste. Die Frauenrechtlerinnen der afghanischen Gruppe »United Voice of Women for Peace« wurden, wie sie selbst sagen, aus der Hölle gerettet. Und im deutschen Exil vernetzen sie sich, kämpfen weiter für Menschenrechte, Frieden und ihre Träume – und richten dafür Forderungen an Deutschland und die Welt.
Die eine stellt sich vor, als Diplomatin ihr Land Afghanistan zu vertreten, die andere träumt davon, ihr Land als Bildungsministerin voranzubringen. Und die Tochter der Dritten möchte als Polizistin für Recht und Sicherheit in Afghanistan sorgen. Doch vor einem Jahr, als die Taliban nach ihrem wochenlangen Marsch durch das Land auch die Hauptstadt Kabul einnahmen, lösten sich die damaligen Pläne der Frauen in Luft auf: Sie mussten sich verstecken, alles aufgeben, ihre Eltern zurücklassen, in fremde Länder fliehen.
PRO ASYL hilft bei der Vernetzung der Frauen
Doch ihre Träume, Hoffnungen und vor allem ihr Wille, für ein freies, friedliches und gerechtes Afghanistan zu kämpfen, sind geblieben. Parmila* hat den Traum, Diplomatin zu werden, nicht aufgegeben, Mina wirbt in Deutschland um Unterstützung für Frauen, die trotz des Verbots weiterhin Mädchen in Afghanistan unterrichten. Und Simin* will weiter für Frauenrechte kämpfen – auch für die Zukunft ihrer Tochter.
Die drei Frauen sind Teil der afghanischen Frauengruppe »United Voice of Women for Peace«, die ab 2019 das Friedensministerium in Afghanistan für die Friedensverhandlungen mit den Taliban beriet. Seit wenigen Wochen, die ersten seit Mitte Juni 2022, sind rund 30 von ihnen in Deutschland angekommen oder auf dem Weg dahin. Ermöglicht wurde das durch humanitäre Visa. PRO ASYL forderte diese für die Frauenrechtlerinnen von der Bundesregierung ein und unstützte sie so.
Bereits im Mai hatten wir über den langen Weg raus aus Afghanistan in unserem Podcast berichtet. Jetzt anhören:
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Zehntausende warten noch immer auf Rettung
Einige der Frauen warten noch auf Aufnahmezusagen aus Deutschland. Wie auch Zehntausende weitere Frauen und Männer. »Wir wurden aus der Hölle gerettet. Jetzt sind wir in Deutschland und in Freiheit. Aber die grausamen Taten der Taliban gegenüber Tausenden weiteren Frauen und Männern, die Ähnliches erleiden wie wir, gehen uns nicht aus dem Kopf. Auch ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban warten Zehntausende immer noch auf eine Aufnahmezusage und ihre Evakuierung. Der Prozess, bis eine Person endlich aus Afghanistan ausreisen darf, dauert viel zu lange«, heißt es in dem Appell, den die Frauen Anfang August verabschiedeten.
PRO ASYL hatte sie zu einem ersten Treffen nach Frankfurt eingeladen, damit sie sich nach Monaten der Angst wiedersehen, vernetzen und ihre Arbeit für die Menschenrechte in Afghanistan im Exil fortsetzen konnten. Schon zum 8. März, dem Internationalen Frauentag, hatten sich die Frauen aus ihrer verzweifelten Situation heraus mit einem ersten Appell an die Bundesregierung gewandt: »Holt uns hier raus!«
Ein Jahr Taliban: Frauengruppe appelliert an Regierungen
Die Frauen von »United Voice of Women for Peace« haben in Afghanistan für die Werte gestritten, die die Taliban verachten und bekämpfen: gleiche Rechte für Frauen und Männer, eine demokratische Verfassung, Bildung, Frieden und Freiheit. Und sie wollen das auch weiterhin tun, wie bei dem Treffen deutlich wurde. »In Deutschland angekommen, engagieren wir uns für diese Tausenden Zurückgelassenen, die für die demokratischen Werte stehen«, heißt es in dem Appell mit der Überschrift »Ein Jahr Taliban in Afghanistan: Lebensgefahr, Unterdrückung, Hunger und Chaos«.
So wie Mina Stanikzai. Die 28-Jährige ist überzeugt: »Die Frauen in Afghanistan sind die stärkste Kraft, um das Land zu verändern. Sie erheben ihre Stimme, Frauen sind mutiger als Männer.« Nur Frauen hätten sich nach der Machtergreifung der Taliban getraut, gegen diese zu demonstrieren. Sie selbst konnte nicht dabei sein, zu bekannt war sie durch ihr früheres Engagement im Bildungswesen der Provinzregierung von Logar, einer kleinen Provinz im Osten des Landes: Sie rang Dorfältesten die Zustimmung zu Mädchenschulen in ihren Dörfern ab, erweiterte bestehende Schulen, sorgte für Alphabetisierungs-Kurse für Frauen.
»Wenn Organisationen oder Staaten Geld für Schulen in Afghanistan geben wollen, sollen sie ihre Geldzahlungen an die Bedingung knüpfen, dass Mädchen auch nach der sechsten Klasse den vollen Bildungsweg beschreiten können«
Todesdrohungen und Handgranaten gegen politisch Aktive
Und wurde schon damals, als die Taliban noch nicht offiziell die Herrschaft hatten, mit dem Tode bedroht – genau wie ihr Mann, der Vorsitzender des Provinzrates und Mitglied im Militärrat war. Handgranaten und Steine flogen auf das Dach ihres Hauses, das Auto wurde beschädigt, Drohbriefe lagen im Postkasten – und sogar von einem Selbstmordattentäter spricht sie. »Ich habe den Taliban ins Gesicht geschaut, aber ich habe meine Arbeit nicht gestoppt«, sagt die junge Frau.
Doch nach der Machtergreifung der Taliban – in Logar waren sie schon früher als in der Hauptstadt, mussten sie und ihr Mann alles zurücklassen, fliehen, sich monatelang verstecken, immer wieder an neuen Orten. Heute lebe der Provinzchef der Taliban in ihrem Haus, erzählt sie. Und alle Mädchenschulen, für die sie gekämpft hatte, sind geschlossen, die Mädchen, die hoffnungsvoll mit ihren Ranzen und Schuluniformen kamen, standen vor verschlossenen Toren.
Frauen fordern Bildung für Mädchen
Dennoch gibt Mina Stanikzai nicht auf. Sie hält die Verbindung zu ihren ehemaligen Kolleginnen in Afghanistan, vernetzt sich in Deutschland, wirbt um Unterstützung für die Bildung von Mädchen und für die Frauen, die trotz drakonischer Strafandrohungen weiterhin Mädchen in geheimen Schulen unterrichten.
So lautet auch eine der zwölf Forderungen aus dem Appel der »United Voice of Women for Peace«: »Auch ältere Mädchen müssen in Afghanistan wieder zur Schule gehen können. Wenn Organisationen oder Staaten Geld für Schulen in Afghanistan geben wollen, sollen sie ihre Geldzahlungen an die Bedingung knüpfen, dass Mädchen auch nach der sechsten Klasse den vollen Bildungsweg beschreiten können.«
Schock über schnellen Vormarsch
Auch Simin will weiterkämpfen für die Sache in Afghanistan, auch wenn die 33-Jährige noch immer geschockt ist, dass die Taliban selbst die Hauptstadt Kabul so schnell erobern konnten. Nach so vielen Jahren, in denen der afghanische Staat zivile und militärische Strukturen aufgebaut hatte, das Militär mit Hilfe aus dem Westen ausgebildet worden war, eine demokratische Verfassung verabschiedet worden war, »da hatte ich erwartet, dass Armee und Polizei unsere Hauptstadt verteidigen könnten«, sagt sie. Doch auch sie musste, wie viele andere, am 15. August 2021, als die Taliban einmarschierten, überstürzt mit Mann und Tochter fliehen.
Afghaninnen fordern Umsetzung des Koalitionsvertrags
Doch ihre Eltern sind noch immer in Gefahr und bitten sie, sich in Deutschland nicht öffentlich politisch zu äußern, weshalb sie ihren Namen geändert hat. Drei Forderungen aus dem Appell sind der Frau, die Internationale Beziehungen studierte und an mehreren Unis lehrte, besonders wichtig. Eine Forderung geht an die deutsche Bundesregierung:
Setzen Sie den Koalitionsvertrag sofort um. Dort wurde versprochen, diejenigen besonders zu schützen, »die Deutschland als Partner zur Seite standen und sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben«. Die Koalition verabredete unter anderem »humanitäre Visa für gefährdete Personen«, eine Reform des Ortskräfteverfahrens, ein Bundesaufnahmeprogramm sowie eine Beschleunigung des Familiennachzugs.
Zwei der Forderungen gehen an die Weltgemeinschaft:
1. Die Weltgemeinschaft darf die De-facto-Regierung der Taliban nicht anerkennen.
2. Die internationale Gemeinschaft muss die Ausgaben für humanitäre Hilfe für die afghanische Bevölkerung transparent machen. Derzeit ist unklar, wohin solche Gelder fließen.
Obwohl Parmila nun in Deutschland in Sicherheit lebt, kann sie noch immer nicht öffentlich Kritik an den Taliban üben. Denn enge Verwandte leben noch in Gefahr in Afghanistan.
Menschen in Afghanistan leben in »dunklen Zeiten«
Auch Parmila, die ebenfalls nach monatelanger Flucht mit ihrem Ehemann Anfang Juli nach Deutschland kam, will nicht aufgeben. Die 27-Jährige hat begonnen, mit Online-Kursen Deutsch zu lernen und sich zu IT-Themen fortzubilden. Doch sie hat auch den Appell von ihren Cousinen und Schwestern im Ohr, die sagten: »Wir sind froh, dass eine von uns Afghanistan verlassen konnte. Aber bitte, erhebe dort deine Stimme für uns und für alle Frauen in Afghanistan.« Das hat sie früher schon getan, vor dem Sturz der Regierung war sie leitende Angestellte in der Abteilung für Gleichstellungsfragen im Friedensministerium und eine hörbare Stimme für Frauen- und Menschenrechte, gerade auch in den sozialen Medien.
Das wäre Parmila gern weiterhin, doch zwei Umstände erschweren es ihr: Enge Verwandte leben noch in Gefahr in Afghanistan, deshalb kann sie Missstände und Kritik an den Taliban nicht frei und offen über die sozialen Medien kommunizieren. Und es sei sehr schwer, auf die dramatische Lage in ihrer Heimat, auf Unterdrückung, Hunger und Morde, aufmerksam zu machen, sagt Parmila, die Internationale Beziehungen studierte: »Die Menschen in Afghanistan durchleben dunkle Zeiten, doch die Welt schaut nur zu und ignoriert Afghanistan.« Derzeit drehe sich alles nur um den Krieg in der Ukraine.
Dennoch will auch Parmila die Hoffnung nicht aufgeben. Sie will, wie die anderen Frauen von »United Voice of Women for Peace« auch, weiter für ihr Land kämpfen, für Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte – damit Frauen dort wieder als Diplomatinnen, Polizistinnen und Ministerinnen arbeiten können.
(wr)