18.04.2024
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Die Proteste im Iran gehen weiter, aber nicht mehr in der von Europa meist romantisierten Form von Massendemonstrationen und Frauen ohne Hijab. Foto: Unsplash

Trotz massiver Menschenrechtsverletzungen im Iran und Gefahren für Frauen und andere Gruppen, wird aus Deutschland wieder dorthin abgeschoben – denn der Abschiebestopp aus 2023 gilt nicht mehr. Im Gespräch mit PRO ASYL erzählt die deutsch-iranische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehri, was das für betroffene Menschen bedeutet.

Seit Janu­ar 2024 fürch­ten aus­rei­se­pflich­ti­ge Iraner*innen in Deutsch­land, bei denen kei­ne Abschie­bungs­hin­der­nis­se vor­lie­gen, in den Iran abge­scho­ben zu wer­den. Denn der Abschie­be­stopp, der im Jahr 2023 noch galt, wur­de nicht mehr ver­län­gert. Wie bewer­test du die­se Entscheidung?

Abschie­bun­gen in den Iran sind abso­lut gefähr­lich. Es wur­de bei der letz­ten Innenminister*innenkonferenz nicht ein­mal dar­über abge­stimmt, ob der Abschie­be­stopp ver­län­gert wer­den soll. Die Bun­des­re­gie­rung hat ihn ein­fach aus­lau­fen las­sen. Bay­ern hat seit­dem schon vier Men­schen abge­scho­ben. Und das, obwohl wir alle noch vor einem Jahr betont haben, wir stün­den mit den Men­schen im Iran Sei­te an Sei­te. Die Situa­ti­on im Iran ist nicht bes­ser gewor­den, son­dern im Gegen­teil, und trotz­dem ist es nun wie­der mög­lich, dort­hin abzu­schie­ben. Kurz nach­dem der Abschie­be­stopp in den Iran aus­lief, wur­de eine jun­ge Frau in Schles­wig abge­lehnt mit der Begrün­dung, dass das Nicht-Tra­gen eines Hijabs nicht zu einer Bedro­hung im Her­kunfts­land füh­ren wür­de. Drei Tage spä­ter wur­de im Iran eine jun­ge Kur­din 74 Mal aus­ge­peitscht, weil sie kei­nen Hijab getra­gen hat.

Im Jahr 2023 lag die Gesamt­schutz­quo­te von ira­ni­schen Asyl­su­chen­den bei 45 Pro­zent. Das heißt: Jeder zwei­te Antrag wur­de vom zustän­di­gen Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) abge­lehnt. Die Schutz­quo­te sank im ers­ten Quar­tal 2024 sogar auf 39 Pro­zent. Wie erklärst du dir die­se hohe Ablehnungsquote?

Ich glau­be, die Bun­des­re­gie­rung fokus­siert sich mit der soge­nann­ten Abschie­be­of­fen­si­ve im Moment dar­auf, zu zei­gen, dass sie mög­lichst vie­le Men­schen abschiebt. Die Situa­ti­on der Men­schen aus dem Iran tritt dabei in den Hin­ter­grund. Außer­dem hat die media­le Auf­merk­sam­keit in Deutsch­land für die Situa­ti­on der Frau­en im Iran abge­nom­men. Dabei geht der Pro­test dort aber wei­ter, nur nicht mehr in der von Euro­pa meist roman­ti­sier­ten Form von Mas­sen­de­mons­tra­tio­nen und tan­zen­den Frau­en ohne Hijab.

Zum Bei­spiel gehen Men­schen in den Hun­ger­streik, um damit gegen die Hin­rich­tun­gen poli­ti­scher Gegner*innen des Regimes zu pro­tes­tie­ren. Wei­ter­hin wer­den Frau­en von der Sit­ten­po­li­zei fest­ge­nom­men, gefol­tert und inhaf­tiert. Allein im letz­ten Jahr wur­den im Iran 853 Men­schen hin­ge­rich­tet. Trotz­dem pro­tes­tie­ren die Men­schen wei­ter, orga­ni­sie­ren sich zu Pro­test­ak­tio­nen und Frau­en gehen ohne Kopf­tuch auf die Stra­ße. Wir sehen also: Der Pro­test und auch die Ver­fol­gung im Iran dau­ern an, es schaut nur keine*r mehr hin.

»Wir sehen also: Der Pro­test und auch die Ver­fol­gung im Iran dau­ern an, es schaut nur keine*r mehr hin.«

Danie­la Sepehri, dt.-iranische Frau­en- und Menschenrechtsaktivistin

Wir bei PRO ASYL wun­dern uns über die Ein­schät­zung der Gefah­ren im Iran in den ableh­nen­den Beschei­den, die wir gese­hen haben. Da wird an vie­len Stel­len auf den »aktu­ells­ten« Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes abge­stellt – aller­dings ist die­ser von Novem­ber 2022. Kannst du ein­schät­zen, war­um das BAMF die bedeu­ten­den Ent­wick­lun­gen seit den Pro­tes­ten nach dem Tod von Jina Mah­sa Ami­ni im Sep­tem­ber 2022 in sei­nen Ent­schei­dun­gen so wenig berücksichtigt? 

Es ist wirk­lich ein Armuts­zeug­nis, dass die Lage im Iran in den letz­ten ein­ein­halb Jah­ren kaum Ein­fluss auf die BAMF-Ent­schei­dun­gen hat. Mei­ner Mei­nung nach ist der poli­ti­sche Wil­le nicht vor­han­den, die Schutz­grün­de von Iraner*innen detail­liert zu ermit­teln. Dann könn­te man nie­man­den mehr abschie­ben. Das zeigt sich auch an der Auf­he­bungs­quo­te nega­ti­ver BAMF-Beschei­de durch Ver­wal­tungs­ge­rich­te in den inhalt­lich ent­schie­de­nen Asyl­kla­gen beim Her­kunfts­land Iran. Sie lag im Jahr 2023 bei 54 Pro­zent, das heißt, fast jeder zwei­te inhalt­lich über­prüf­te nega­ti­ve BAMF-Bescheid zum Her­kunfts­land Iran wur­de letz­tes Jahr gericht­lich aufgehoben.

Was bedeu­tet es für abge­lehn­te Men­schen, in den Iran abge­scho­ben zu wer­den? Was droht ihnen dort?

Ich ken­ne Fäl­le, zum Bei­spiel den eines kon­ver­tier­ten Chris­ten, der 2020 abge­scho­ben und direkt am Flug­ha­fen in Tehe­ran ver­haf­tet wur­de. Auch Frau­en, die angeb­lich einen »zu west­li­chen« Lebens­stil haben, enge Jeans tra­gen oder Ähn­li­ches, lau­fen Gefahr, direkt inhaf­tiert zu wer­den. Für kur­di­sche Men­schen reicht es schon, wenn sie nur ihre Spra­che spre­chen, sie müs­sen nicht ein­mal poli­tisch aktiv sein, um inhaf­tiert und gefol­tert zu wer­den. Eben­so besteht für que­e­re Men­schen im Iran Gefahr für Leib und Leben, eben­so für die Bahai. Die­se Grup­pen wer­den allein auf­grund ihrer Exis­tenz kri­mi­na­li­siert. Sie müs­sen wir in Deutsch­land schüt­zen, doch vie­le von ihnen wer­den im Asyl­ver­fah­ren abge­lehnt und müs­sen ins Kla­ge­ver­fah­ren oder sogar die Abschie­bung befürchten.

Wel­che Schwie­rig­kei­ten haben Ira­ne­rin­nen im deut­schen Asylverfahren?

Im Iran sehen wir ein Regime, das Angst vor den Pro­tes­ten hat. Hin­rich­tun­gen und Aus­peit­schun­gen von Frau­en neh­men zu, die Sit­ten­po­li­zei ist stär­ker als zuvor. Trotz­dem wer­den Frau­en hier im Asyl­ver­fah­ren abge­lehnt, weil ihnen schlicht­weg nicht geglaubt wird oder wegen feh­len­der Exper­ti­se zu der Situa­ti­on in dem Land. So sagt das BAMF zum Bei­spiel immer wie­der, dass es nicht gefähr­lich sei, im Iran auf das Tra­gen des Hijabs zu ver­zich­ten. Wir brau­chen drin­gend die Aner­ken­nung der geschlech­ter­spe­zi­fi­schen Ver­fol­gung von Frau­en im Iran. Außer­dem müs­sen sie in Sam­mel­un­ter­künf­ten hier in Deutsch­land viel mehr Schutz­räu­me bekom­men und die Erlaub­nis, außer­halb der Unter­künf­te zum Bei­spiel bei Ver­wand­ten zu woh­nen. Geflüch­te­te ira­ni­sche Frau­en haben häu­fig Gewalt erlit­ten, oft auch sexualisierte.

Wie vie­le Kennt­nis­se hat das Regime im Iran über exil­po­li­ti­sche Tätig­kei­ten von ira­ni­schen Men­schen hier in Deutschland?

Der ira­ni­sche Geheim­dienst ist in Deutsch­land sehr aktiv. Zum Teil wer­den fest­ge­nom­me­nen Men­schen im Iran Fotos von ihren demons­trie­ren­den Ver­wand­ten in Deutsch­land vor­ge­legt. Die­se Per­so­nen müs­sen noch nicht ein­mal öffent­lich bekannt sein. So wur­de zum Bei­spiel die Nich­te des hier leben­den ira­ni­schen Jour­na­lis­ten Far­had Payar im Iran zu einer Gefäng­nis­stra­fe ver­ur­teilt, allein wegen ihrer fami­liä­ren Bezie­hung. Das Regime weiß ganz genau, was Iraner*innen im Aus­land tun. Deutsch­land lässt das gewäh­ren, auch wenn Demonstrant*innen die Poli­zei auf ver­meint­li­che Spio­ne auf Demos hin­wei­sen, zucken sie nur mit den Schul­tern. Des­halb haben vie­le Men­schen Angst, auf Demos hier in Deutsch­land zu gehen.

Was erwar­test du von der deut­schen Bun­des­re­gie­rung und den Innenminister*innen in Bezug auf schutz­su­chen­de Iraner*innen?

Ich erwar­te von der nächs­ten IMK einen erneu­ten Abschie­be­stopp in den Iran und bis dahin ein bun­des­wei­tes Abschie­be­ver­bot für alle Iraner*innen in Deutsch­land. Ich erwar­te die voll umfas­sen­de Aner­ken­nung der geschlechts­spe­zi­fi­schen Ver­fol­gung von Frau­en im Iran, der reli­giö­sen Ver­fol­gung und der von quee­ren Men­schen und Ange­hö­ri­gen von eth­nisch mar­gi­na­li­sier­ten Grup­pen. Ich wün­sche mir schnel­le Asyl­ver­fah­ren für die­se Men­schen, nied­rig­schwel­li­ge Lan­des- und Bun­des­auf­nah­me­pro­gram­me für gefähr­de­te Iraner*innen und ein Blei­be­recht für Iraner*innen in Deutsch­land. Außer­dem dür­fen ira­ni­sche Asyl­su­chen­de nicht in die ira­ni­sche Bot­schaft gezwun­gen wer­den, um sich Doku­men­te zu besor­gen – denn so wer­den sie auf das Hoheits­ge­biet des Regimes gezwun­gen, vor dem sie geflüch­tet sind.

(nb, ja)