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Abschiebung nach Afghanistan: Unrecht wird nicht zu Recht, indem man es immer wiederholt
Trotz heftiger Proteste im Vorfeld ist für heute die 17. Flugabschiebung nach Kabul geplant. Doch Kabul ist nicht sicher und im Rest des Landes eskaliert die Lage weiter. Die Bundesregierung schlägt Einschätzungen internationaler Quellen wie des UNHCR in den Wind.
Insbesondere in Bayern geht es dabei nach der bekannten Devise zu: Betroffene werden beispielsweise abgegriffen, wenn sie bei der Behörde vorsprechen wollen. Ein 18-jähriger Berufsschüler aus Passau wurde drei Tage vor Ausbildungsbeginn in die Abschiebehaft gebracht. Es ist nur dem Protest zahlreicher Unterstützer*innen vor Ort zu verdanken, dass er wieder frei gekommen ist.
Geprüft wird später – oder gar nicht
Offenbar hilft aber Unterstützung auf kommunaler Ebene und Medienöffentlichkeit, zumindest wenn es sich um Berufsschüler und junge Leute handelt, die von der Möglichkeit der sog. Ausbildungsduldung profitieren könnten. Da wird erst nach der Inhaftierung dann doch noch mal geprüft, obwohl man es sich im Rechtsstaat gemeinhin anders vorstellt, dass nämlich die Prüfung zuerst vorgenommen wird.
Abschiebungen sind ein Skandal
Es liegt nicht nur ein Skandal bei der Frage, wer auf den Abschiebungsflügen nach Kabul sitzt, sondern darin, dass sie überhaupt stattfinden. Alle seriösen internationalen Quellen sind sich darin einig, dass sich die Sicherheitssituation auch in diesem Jahr verschärft hat, die Taliban und andere bewaffnete Gruppierungen an Einfluss und territorialer Kontrolle gewonnen haben.
Kabul ist nicht sicher
Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat jüngst solche Erkenntnisse in seinen Richtlinien(sog. Eligibility Guidelines) ebenfalls berücksichtigt und für Kabul eine Situation generalisierter Gewalt festgestellt. Vor diesem Hintergrund könne die Region generell nicht mehr als inländische Fluchtalternative angesehen werden – auch bedingt durch die extrem angespannte soziale Lage, Obdachlosigkeit, Versorgungsprobleme usw.
UNHCR-Richtlinien – »bloße Empfehlungen«
Was die deutsche Abschiebungspolitik hätte zum Umdenken bringen müssen, wurde im Bundestag in der Beantwortung einer Anfrage souverän ignoriert: Die UNHCR-Richtlinien seien bloße Empfehlungen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe keine Hinweise, dass »relevante Änderungen der bestehenden Bewertung geboten« erschienen. Es prüfe ohnehin in jedem Einzelfall, ob es solche internen Schutzmöglichkeiten gebe, inklusive der Frage, ob der Zufluchtsort sicher und legal erreichbar sei, den Grad der sozialen Verwurzelung, Sprachkenntnisse, Geschlecht und sexuelle Orientierung, berufliche Kenntnisse, Arbeitsfähigkeit, Gesundheitszustand, familiäre Netzwerke.
Dass parallel zur Verschlechterung der Lage in Afghanistan die Anerkennungsquoten beim BAMF sinken, zeigt den unverhohlenen Zynismus deutscher Afghanistan-Politik.
BAMF lehnt weiter ab
Wer aktuelle Afghanistan-Entscheidungen des BAMF liest, stellt allerdings fest: Das meiste wird mit Textbausteinen und geringer Differenzierung abgebügelt. Über familiäre Unterstützungsnetzwerke wird spekuliert. Selbst Afghanen, die im Iran geboren wurden und Afghanistan gar nicht kennen, hält man für fähig, sich nach Abschiebung in Kabul über Wasser zu halten.
UNHCR unter Druck
Der zuständige Staatssekretär aus dem Hause Seehofer hielt es zudem für nötig, UNHCR vorzuwerfen, seine Haltung sei nicht stringent. Man unterstütze doch die »freiwillige« Rückkehr z.B. aus Pakistan nach Afghanistan finanziell seit langem. Dass UNHCR in Afghanistan Nothilfe für diejenigen leistet, die seit Jahr und Tag aus Pakistan hinausgedrängt und aus dem Iran abgeschoben werden – fast ausnahmslos unfreiwillig – wird nun gegen die Organisation gewendet.
Das passt zu einer Politik, die UNHCR international in die Rolle einer Versorgungsagentur für Flüchtlinge drängen möchte und ihr das Mandat und die Kompetenz für den Flüchtlingsschutz absprechen will. Staatssekretär Teichmann, so darf man es verstehen, winkt hier auch mit der Macht des Geldsacks in Zeiten, wo das UNHCR-Budget immer knapper wird und die Bedeutung Deutschlands als Finanzier wächst.
Dass parallel zur Verschlechterung der Lage in Afghanistan die Anerkennungsquoten beim BAMF sinken, zeigt den unverhohlenen Zynismus deutscher Afghanistan-Politik. Doch Unrecht wird nicht zu Recht, indem man die Phrasen von den sicheren Inseln in Afghanistan zum siebzehnten Mal wiederholt und Menschen per Abschiebungsflug in Gefahr bringt.