02.10.2018

Trotz heftiger Proteste im Vorfeld ist für heute die 17. Flugabschiebung nach Kabul geplant. Doch Kabul ist nicht sicher und im Rest des Landes eskaliert die Lage weiter. Die Bundesregierung schlägt Einschätzungen internationaler Quellen wie des UNHCR in den Wind.

Ins­be­son­de­re in Bay­ern geht es dabei nach der bekann­ten Devi­se zu: Betrof­fe­ne wer­den bei­spiels­wei­se abge­grif­fen, wenn sie bei der Behör­de vor­spre­chen wol­len. Ein 18-jäh­ri­ger Berufs­schü­ler aus Pas­sau wur­de drei Tage vor Aus­bil­dungs­be­ginn in die Abschie­be­haft gebracht. Es ist nur dem Pro­test zahl­rei­cher Unterstützer*innen vor Ort zu ver­dan­ken, dass er wie­der frei gekom­men ist.

Geprüft wird später – oder gar nicht

Offen­bar hilft aber Unter­stüt­zung auf kom­mu­na­ler Ebe­ne und Medi­en­öf­fent­lich­keit, zumin­dest wenn es sich um Berufs­schü­ler und jun­ge Leu­te han­delt, die von der Mög­lich­keit der sog. Aus­bil­dungs­dul­dung pro­fi­tie­ren könn­ten. Da wird erst nach der Inhaf­tie­rung dann doch noch mal geprüft, obwohl  man es sich im Rechts­staat gemein­hin anders vor­stellt, dass näm­lich die Prü­fung zuerst vor­ge­nom­men wird.

Abschiebungen sind ein Skandal

Es liegt nicht nur ein Skan­dal bei der Fra­ge, wer auf den Abschie­bungs­flü­gen nach Kabul sitzt, son­dern dar­in, dass sie über­haupt statt­fin­den. Alle seriö­sen inter­na­tio­na­len Quel­len sind sich dar­in einig, dass sich die Sicher­heits­si­tua­ti­on auch in die­sem Jahr ver­schärft hat, die Tali­ban und ande­re bewaff­ne­te Grup­pie­run­gen an Ein­fluss und ter­ri­to­ria­ler Kon­trol­le gewon­nen haben.

Kabul ist nicht sicher

Das Flücht­lings­kom­mis­sa­ri­at der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR) hat jüngst sol­che Erkennt­nis­se in sei­nen Richtlinien(sog. Eli­gi­bi­li­ty Gui­de­lines) eben­falls berück­sich­tigt und für Kabul eine Situa­ti­on gene­ra­li­sier­ter Gewalt fest­ge­stellt. Vor die­sem Hin­ter­grund kön­ne die Regi­on gene­rell nicht mehr als inlän­di­sche Flucht­al­ter­na­ti­ve ange­se­hen wer­den – auch bedingt durch die extrem ange­spann­te sozia­le Lage, Obdach­lo­sig­keit, Ver­sor­gungs­pro­ble­me usw.

UNHCR-Richtlinien – »bloße Empfehlungen«

Was die deut­sche Abschie­bungs­po­li­tik hät­te zum Umden­ken brin­gen müs­sen, wur­de im Bun­des­tag in der Beant­wor­tung einer Anfra­ge sou­ve­rän igno­riert: Die UNHCR-Richt­li­ni­en sei­en blo­ße Emp­feh­lun­gen.  Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) habe kei­ne Hin­wei­se, dass »rele­van­te Ände­run­gen der bestehen­den Bewer­tung gebo­ten« erschie­nen. Es prü­fe ohne­hin in jedem Ein­zel­fall, ob es sol­che inter­nen Schutz­mög­lich­kei­ten gebe, inklu­si­ve der Fra­ge, ob der Zufluchts­ort sicher und legal erreich­bar sei, den Grad der sozia­len Ver­wur­ze­lung, Sprach­kennt­nis­se, Geschlecht und sexu­el­le Ori­en­tie­rung, beruf­li­che Kennt­nis­se, Arbeits­fä­hig­keit, Gesund­heits­zu­stand, fami­liä­re Netzwerke.

Dass par­al­lel zur Ver­schlech­te­rung der Lage in Afgha­ni­stan die Aner­ken­nungs­quo­ten beim BAMF sin­ken, zeigt den unver­hoh­le­nen Zynis­mus deut­scher Afghanistan-Politik.

BAMF lehnt weiter ab

Wer aktu­el­le Afgha­ni­stan-Ent­schei­dun­gen des BAMF liest, stellt aller­dings fest: Das meis­te wird mit Text­bau­stei­nen und gerin­ger Dif­fe­ren­zie­rung abge­bü­gelt. Über fami­liä­re Unter­stüt­zungs­netz­wer­ke wird spe­ku­liert. Selbst Afgha­nen, die im Iran gebo­ren wur­den und Afgha­ni­stan gar nicht ken­nen, hält man für fähig, sich nach Abschie­bung in Kabul über Was­ser zu halten.

UNHCR unter Druck

Der zustän­di­ge Staats­se­kre­tär aus dem Hau­se See­ho­fer hielt es zudem für nötig, UNHCR vor­zu­wer­fen, sei­ne Hal­tung sei nicht strin­gent. Man unter­stüt­ze doch die »frei­wil­li­ge« Rück­kehr z.B. aus Paki­stan nach Afgha­ni­stan finan­zi­ell seit lan­gem. Dass UNHCR in Afgha­ni­stan Not­hil­fe für die­je­ni­gen leis­tet, die seit Jahr und Tag aus Paki­stan hin­aus­ge­drängt und aus dem Iran abge­scho­ben wer­den – fast aus­nahms­los unfrei­wil­lig – wird nun gegen die Orga­ni­sa­ti­on gewendet.

Das passt zu einer Poli­tik, die UNHCR inter­na­tio­nal in die Rol­le einer Ver­sor­gungs­agen­tur für Flücht­lin­ge drän­gen möch­te und ihr das Man­dat  und die Kom­pe­tenz für den Flücht­lings­schutz abspre­chen will. Staats­se­kre­tär Teich­mann, so darf man es ver­ste­hen, winkt hier auch mit der Macht des Geld­sacks in Zei­ten, wo das UNHCR-Bud­get immer knap­per wird und  die Bedeu­tung Deutsch­lands als Finan­zier wächst.

Dass par­al­lel zur Ver­schlech­te­rung der Lage in Afgha­ni­stan die Aner­ken­nungs­quo­ten beim BAMF sin­ken, zeigt den unver­hoh­le­nen Zynis­mus deut­scher Afgha­ni­stan-Poli­tik. Doch Unrecht wird nicht zu Recht, indem man die Phra­sen von den siche­ren Inseln in Afgha­ni­stan zum sieb­zehn­ten Mal wie­der­holt und Men­schen per Abschie­bungs­flug in Gefahr bringt.